Wurzeln im (west)deutschen Linksextremismus

von Klaus Schroeder

Als linksextrem bezeichne ich Gruppen und Personen, die nicht nur die Wirtschaftsordnung, den Kapitalismus, überwinden oder abschaffen, sondern auch das politische System insgesamt verändern wollen. Da sie die Verfassung und die ihr zugrundeliegende Werteordnung ablehnen, werden sie zu Recht von den Sicherheitsbehörden als verfassungsfeindlich eingestuft. Betrachtung und Einordnung des Linksextremismus werden jedoch dadurch erschwert, dass oftmals die Trennlinien zwischen extremer und radikaler, aber demokratischer Linker verschwimmen. Linksextremisten stehen oft unter dem Schutzschirm des gesamten linken Milieus.1

Wer in den letzten Jahren auf den linken Internetplattformen linksunten.indymedia (verboten 2017) und indymedia die Bekennerschreiben und Kommandoerklärungen linksextremer Gruppen gelesen hat, könnte auf den ersten Blick auf den Gedanken kommen, hier artikuliere sich eine neue linke Bewegung mit neuen Inhalten und vielleicht sogar neuen Zielen. Schaut man genauer hin, wird jedoch deutlich, dass es sehr viele Kontinuitäten mit der 68er-Bewegung und ihr nachfolgenden Gruppen gibt.

 

Die Gewaltdiskussion in der Neuen Linken

Eine Neue Linke entwickelt sich ab Mitte der 1950er Jahre in Westeuropa und Nordamerika in Abgrenzung zu den klassischen linken sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien. Sie verknüpft anarchistisch-libertäre Vorstellungen mit Emanzipations- und Revolutionstheorien und orientiert sich an internationalen Befreiungsbewegungen. Rätedemokratische und trotzkistische Konzepte sowie das Gedankengut der Situationistischen Internationale werden ebenfalls adaptiert. Ab Anfang der 1960er Jahre gewinnt die Kritische Theorie an Bedeutung. Vor allem die theoretischen Konzepte von Herbert Marcuse inspirieren die jungen Radikalen.

Ihren organisatorischen Kern hat die Neue Linke in der Altbundesrepublik im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), den die SPD wegen seines Festhaltens an einer marxistischen Systemkritik 1961 aus der Partei ausschließt. In dieser Organisation, deren Mitgliedschaft sich nach der Trennung von der SPD bei etwa 800 Aktivisten einpendelt, tummeln sich bald Vertreter unterschiedlicher sozialistischer und kommunistischer Weltanschauungen. Bis Mitte der 1960er Jahre versteht sich der SDS als Teil der (traditionellen) Neuen Linken. Im Kontext des jugendkulturellen Aufbruchs radikalisiert er sich von einer sozialistisch-systemkritischen zu einer revolutionären Avantgardeorganisation, die sich den Umsturz der ökonomischen und politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland auf die Fahnen schreibt. In den nachfolgenden Jahren entwickelt er sich zur wichtigsten Gruppierung der westdeutschen Studentenbewegung und von der Außer- zur Antiparlamentarischen Opposition (APO). Intern setzt sich der antiautoritäre Flügel um die DDR-Flüchtlinge Rudi Dutschke und Bernd Rabehl durch. Dutschke formuliert eine Strategie, in der legale Aktionen des SDS durch illegale ergänzt werden sollen, um einen langfristigen Prozess der Radikalisierung breiter Massen einzuläuten.

Mit der „Methode der offensiven Regelverletzung“ gelingt es ihm zusammen mit der Subversiven Aktion, die bisherige Orientierung des SDS an gesetzlich zulässigen Aktionen zu unterlaufen und erstmalig neue Protestformen zu erproben. „Die Möglichkeit, die sich durch grössere Demonstrationen ergibt, ist unter allen Umständen auszunützen. Genehmigte Demonstrationen müssen in die Illegalität überführt werden. Die Konfrontation mit der Staatsgewalt ist zu suchen und unbedingt erforderlich. Die Bedingungen dafür müssen günstig sein (verhasstes Staatsoberhaupt usw.).“2

Die Übernahme des Berliner SDS durch die Antiautoritären um Dutschke und Rabehl radikalisiert nicht nur den SDS, sondern auch das ihn umgebende Milieu. Gewaltdiskussionen und Gewaltpraxis stehen auf dem Programm. In Dutschkes strategischen Planungen zeigt sich bereits zu diesem Zeitpunkt sein revolutionäres Gesellschaftsmodell: „Jede Mikrozelle in Deutschland hat theoretische Arbeit zu leisten […] Diesem Prozess muss […] parallel laufen die praktisch-theoretische und koordinierte Zusammenarbeit mit allen revolutionären Gruppen in der Welt.3 Seine aktionsorientierte Strategie zielt auf die Revolutionierung der Gesellschaft. Dutschke unterscheidet zu diesem Zeitpunkt zwischen Gewalt gegen Sachen und gegen Personen und erklärt, solange die radikale Opposition schwach ist, solle sie sich auf Gewalt gegen Sachen beschränken.

Die Diskussion um die Frage der Illegalität und damit auch der Gewaltanwendung dominiert fortan die Debatte. Es geht um den Stellenwert von Gewalt und darum, ob es legitime Formen der Gewaltanwendung gibt bzw. ab wann diese nicht mehr akzeptabel sind. Für die Notwendigkeit revolutionärer Gewalt plädiert Dutschke bereits mehr als ein Jahr vor den tödlichen Schüssen auf Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967. Er fordert eine „Propaganda der Tat“ und illegale Aktionen, die in den Zentren des Imperialismus die revolutionären Bewegungen in der Dritten Welt unterstützen sollten. In seinen Aufzeichnungen finden sich schon zu diesem Zeitpunkt Überlegungen zum Aufbau eines urbanen, militärischen Apparates der Revolution.4 Im September 1967 propagiert er, der SDS müsse zu einer politischen Organisation von Guerillakämpfern werden, um ausgehend von der Universität den Kampf gegen die bürgerlichen Institutionen zu führen.

Damit ist frühzeitig das Ziel der linksradikalen Bewegung benannt: die Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Institutionen, der Kleinfamilie, der Marktwirtschaft, aber auch der Konventionen. Dutschke und andere Führungskader des SDS beschreiben die Bundesrepublik zwar nicht als eine faschistische, aber als eine Faschismus-ähnliche bzw. vorfaschistische Gesellschaft. Dutschke führt aus: „Der heutige Faschismus ist nicht mehr manifestiert in einer Partei oder in einer Person, er liegt in der tagtäglichen Ausbildung der Menschen zu autoritären Persönlichkeiten, er liegt in der Erziehung, kurz er liegt im bestehenden System der Institutionen.“5 Max Horkheimers Satz „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ wird zum (verhängnisvollen) geflügelten Wort und führt zur Parole: „Kapitalismus führt zum Faschismus, Kapitalismus muss weg!“ Dieser linke Gassenhauer erfreut sich bis zum heutigen Tag hoher Beliebtheit bei jungen und alten Linksradikalen und Linksextremisten.

Frantz Fanon und sein 1961 erschienenes Buch „Die Verdammten dieser Erde“ hat großen Einfluss auf Dutschke und die Führungskader des SDS. Den meisten anderen Lesern „genügt“ damals das von Jean Paul Sartre verfasste Vorwort als Lektüre. Sartre spricht sich dort voll und ganz für eine soziale Revolution in den kolonisierten Ländern gegen die Unterdrücker in der ersten Welt aus. Sein Appell für die Befreiung der Dritten Welt ist gleichzeitig ein Aufruf zur Gewalt: „Denn in der ersten Phase des Aufstands muss getötet werden. Einen Europäer erschlagen, heißt zwei Fliegen auf einmal treffen, nämlich gleichzeitig einen Unterdrücker und einen Unterdrückten aus der Welt schaffen. Was übrig bleibt, ist ein toter Mensch und ein freier Mensch.“6

Im Kampf gegen den Kolonialismus begreift Fanon Gewalt als notwendigen und positiven Prozess, in dem das kolonialisierte Subjekt, die Unterdrückten der Kolonialländer, die physische und psychische Verletzungen durch die Kolonialherren erlitten haben, ihrem Status als Unterdrückte entkommen können. Von diesem können sie sich mit und durch Gewalt befreien. Gewalt ist für Fanon nicht per se legitime Gewalt, sondern er versteht sie als revolutionäre Gegengewalt der Unterdrückten. Diese revolutionäre Gewalt wertet er als positive, fortschrittliche Gewalt, da sie die Emanzipation des revolutionären Kämpfers vorantreibe.7 Zudem sei der Unterdrückte – von den Kolonialherren meist als „Tier“ gedemütigt – in dem Kampf der Schwachen gegen die Starken der moralisch Überlegene. In dem Moment, in dem ihm seine Menschlichkeit bewusst werde, „beginnt er seine Waffen zu reinigen, um diese Menschlichkeit triumphieren zu lassen.“8

Dutschke stützt sich auch auf Che Guevaras Revolutionskonzeption, die „Fokustheorie“, der zufolge eine sozialistische Revolution auch ohne eine breite Basis in der Arbeiterklasse, aber mit Unterstützung aus dem gesamten Volk erfolgreich sein könne. Der gezielte Einsatz von Gewalt solle die sozialen und ökonomischen Widersprüche in der Gesellschaft zuspitzen. Die aufständischen Massen, angeführt durch revolutionäre Kämpfer, würden den Fokus bilden, der punktuell-strategisch eine direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner – dem Staat – erlaube. Nicht die objektiven Bedingungen für eine Revolution seien entscheidend, sondern der unbedingte Wille und die Entschlossenheit der Revolutionäre zählten.9

Am 2. Juni 1967 wird der Student Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien in West-Berlin von Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras erschossen, einem Stasi-Spitzel und SED-Mitglied, wie erst 2009 bekannt wird.10 Jetzt intensiviert sich in der linken Szene die Diskussion um Gewalt, die Gewaltbereitschaft kleiner Gruppen steigt an.

Die Diskussion über (angeblich) gerechtfertigte Gewalt und direkte Aktionen eskaliert schließlich, so dass der linke Philosoph Jürgen Habermas vom „Linksfaschismus“ spricht. Er kritisiert eine Strategie der Provokation, die auf eine hierdurch hervorgerufene Gewalt des Systems und eine im Gegenzug legitimierte Gegengewalt setzt. Angesichts des Drucks auf ihn, heute würde man sagen eines Shitstorms, nimmt Habermas diese Wertung zurück.

Max Horkheimer geht noch einen Schritt weiter und nimmt trotz Anfeindungen seine Einschätzung nicht zurück. Angesichts der Radikalisierung der Studentenschaft sagt er 1968: „Die Affinität zur Geisteshaltung der nach Macht strebenden Nazis ist unverkennbar. Sollte es, wie es wahrscheinlich ist, in den westlichen Industrieländern zu einer Rechtsdiktatur kommen, dann wird man nicht wenige der heutigen linken Radikalen in den Reihen der neuen Machthaber finden können.“11

Den Weg zur Überwindung von gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen begründet Dutschke mit einem Aufruf Maos zur Gewalt: „‚Wir sind für die Abschaffung des Krieges, wir wollen den Krieg nicht, aber man kann den Krieg nur durch den Krieg abschaffen; wer das Gewehr nicht will, der muß zum Gewehr greifen‘ (Mao 1938).“12 Diese „Erkenntnis“ von Mao ist bis zum heutigen Tag ein zentrales Leitbild für militante Linke. Gehalten hat sich auch die von Dutschke und seinen Genossen geforderte subjektive Dimension für die selbsternannten Revolutionäre: „Die Revolutionierung der Revolutionäre ist so die entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen.“

In mehreren Statements lehnt er individuellen Terror ab, ohne sich jedoch prinzipiell von Gewalt zu distanzieren. Seinen legendären Ausspruch mit erhobener Faust bei der Beerdigung von Holger Meins, den er seit Mitte der 1960er Jahre persönlich kannte, „Holger, der Kampf geht weiter!“ wollte er nachträglich als Kritik an den Haftbedingungen verstanden wissen. In seinem Tagebuch reagiert Dutschke hingegen sehr emotional. Die Herrschenden und ihre Büttel nennt er „Schweine“ und spricht von einem „Halb-Mord“ an Meins, aber auch von einer „Zerstörungs- und Selbstzerstörungs-Logik“ durch Staat und RAF.13

Strukturelle Gewalt

Am 11. April 1968 verübt der Hilfsarbeiter Josef Bachmann ein Attentat auf Rudi Dutschke, an dessen Spätfolgen dieser 1979 stirbt. Der SDS spricht vom Wandel der Bundesrepublik von einem „postfaschistischen“ in ein „präfaschistisches“ System und forciert seine schon Jahre zuvor begonnene Kampagne für die Enteignung des Springer-Konzerns. Der Mordanschlag sei ebenso wenig die Tat eines Einzelnen wie die Erschießung Benno Ohnesorgs. Beide seien Opfer einer systematischen Hetzkampagne des Springer-Konzerns zusammen mit der Staatsgewalt. Opposition sei kriminalisiert und für vogelfrei erklärt worden. Die Tat wird Springer und seiner BILD-Zeitung angelastet. Unmittelbar nach dem Attentat kommt es Ostern 1968 zu schweren gewalttätigen Auseinandersetzungen in verschiedenen bundesrepublikanischen Städten. Die spätere RAF-Terroristin Gudrun Ensslin behauptet: „Dies ist die Generation von Auschwitz – mit denen kann man nicht argumentieren“, und will Polizeikasernen stürmen, um sich Waffen gegen „die Faschisten“ zu besorgen.14

In Dutschkes Äußerungen nach seiner Genesung verschwindet die Trennung zwischen „Gewalt gegen Sachen“ versus „Gewalt gegen Personen“.15 Der zunehmenden strukturellen gesellschaftlichen Gewalt könne nicht durch Gewaltlosigkeit, sondern nur durch zunehmende Gegengewalt begegnet werden. Zwar lehnt er weiterhin in den Metropolen Attentate auf einzelne Personen – Charaktermasken – als konterrevolutionäre Akte, als „Ausdruck der Versteinerung und Entfremdung antikapitalistischen Bewußtseins“ ab, möchte aber den Kampf gegen die strukturelle Gewalt der herrschenden Klasse forcieren: „Revolutionäre Gegengewalt, als revolutionäre Zerschlagung von unmenschlich gewordenen Sachen, Banken, Aktiengesellschaften, Zerstörung von Menschen, bereitstehenden Panzern, Flugzeugen, Manipulationsmaschinen etc. scheinen mir ein adäquates Moment im revolutionären Prozeß darzustellen.“16 Hier klingen Formulierungen an, die in der späteren RAF-Rhetorik übernommen und zugespitzt werden.

Im September 1968 kritisiert er in einer Voltaire-Flugschrift, dass ein Gewaltherrscher wie der Schah seinen Deutschlandbesuch unbeschadet überstanden habe. Auch wenn es konterrevolutionär sei, einzelne Charaktermasken in den Metropolen zu erschießen, hätten die revolutionären Kräfte die Chance der Erschießung des Schahs bei seinem Besuch nutzen können. Dass dies nicht geschehen sei, spräche für die Niveaulosigkeit des bisherigen Kampfes. Nicht nur das Volk hätte sich gefreut, sondern der revolutionäre Kampf gegen Armee und Führungscliquen hätte sich verschärft. „Ihn hätten wir erschießen müssen, das wäre unsere menschliche und revolutionäre Pflicht als Vertreter der ‚Neuen Internationalen‘ gewesen.“17

1968 ist Höhe- und Endpunkt der ursprünglichen Studentenbewegung, die schon 1967 nicht nur eine außerparlamentarische, sondern auch eine antiparlamentarische Bewegung ist.

Über den Protest gegen den Vietnamkrieg und das oftmals unangemessen harte staatliche Vorgehen gegen Demonstrationsteilnehmer politisieren und radikalisieren sich viele Studenten. Benno Ohnesorgs Tod 1967, der Krieg in Vietnam, der Kampf gegen die Notstandsgesetze sowie 1968 das Attentat auf Rudi Dutschke steigern die Gewaltbereitschaft. Der „Gegenwehr“ in Form von Kritik und Aufklärung sowie durch (begrenzte) Regelverletzung folgt später offene Gewalt.

Die „Schlacht am Tegeler Weg“ in West-Berlin steht für den Beginn offensiv ausgeübter linker Gewalt, die sich bis zum heutigen Tag fortsetzt. Bei der bis dahin schwersten Straßenschlacht in der Stadt werden gezielt Pflastersteine geworfen und 130 Polizisten und 22 Demonstranten verletzt. Zum ersten Mal behalten die Demonstranten die Oberhand und feiern anschließend auf einem teach-in ihren Sieg. Mit der „Schlacht am Tegeler Weg“ endet die Gratwanderung zwischen der Befürwortung von Gewalt gegenüber Sachen und der Tabuisierung von Gewalt gegenüber Personen. Gleichzeitig markiert dieser Tabubruch eine weitere Grenzüberschreitung: Gewaltanwendung erfolgt nicht mehr nur als Re-Aktion auf staatliche Gewalt, sondern ist eine legitime aktive Handlungsstrategie, die moralisch als „Widerstand“ gerechtfertigt und theoretisch als „Propaganda der Tat“ begründet wird.

Die Bewegung zerfällt Ende der 1960er Jahre, die Wege der revolutionären Kämpfer/innen teilen sich. Viele werden Mitglieder der SPD und der in Gestalt der DKP wiedergegründeten KPD. Der harte Kern der sogenannten Antirevisionisten orientiert sich am maoistischen China oder geht in kleineren anarchistischen, trotzkistischen und undogmatischen Gruppen auf. Nahezu alle in diesen Strömungen sind sich einig, dass das System letztlich nur mit Gewalt bekämpft und gestürzt werden kann. Aus den Reihen der radikalen Linken entstehen auch Gruppen, die in den Untergrund gehen und terroristische Aktionen verüben. Den ersten Anschlag am 9. November 1969 verüben in West-Berlin die Tupamaros gegen das jüdische Gemeindehaus. Sie wollen jüdisches Blut sehen, um den terroristischen Kampf der Palästinenser gegen Israel zu unterstützen.

Als erste größere Gruppe betritt die Bewegung 2. Juni die Bühne des Linksterrorismus. Die RAF beginnt kurze Zeit später ihre Aktionen mit Banküberfällen und dem Aufbau eines illegalen Apparates. RAF-Mitglieder lassen sich ebenso wie die Kämpfer des 2. Juni in palästinensischen Terrorlagern paramilitärisch ausbilden. Später erfolgt eine entsprechende Unterweisung auch in der DDR.

Die RAF zieht eine Blutspur durch die Bundesrepublik, obschon ihr Führungskern relativ schnell gefasst werden kann. Vom Gefängnis aus kämpft er mithilfe von Verteidigern und Sympathisanten weiter gegen das verhasste „Schweinesystem“. Unterstützt von Palästinensern versucht die „zweite Generation“ der RAF, die alten Führungskader freizupressen. Dieses Vorhaben scheitert trotz der Entführungen von Arbeitgeberpräsident Schleyer und der Lufthansamaschine Landshut. Die Bundesregierung unter dem Sozialdemokraten Helmut Schmidt bleibt hart, lehnt jedes Entgegenkommen ab. Der Führungskern tötet sich, wie schon Ulrike Meinhof Jahre zuvor, selbst. Aber auch nach dem „deutschen Herbst 1977“ gehen die (Mord-)Anschläge der Linksterroristen weiter. Ihnen fallen etwa 40 Menschen zum Opfer. Erst 1998 verkündet die RAF ohne Worte der Reue und des Bedauerns oder eine Entschuldigung in einem Schreiben ihre Auflösung.

Ein Teil der linksbewegten Studenten setzt nach 1968 den „revolutionären“ Kampf in Institutionen fort. Ein anderer – militanter – Teil begibt sich in den Straßenkampf. Der Kampf um die Straße und auf der Straße ist spätestens seit der Französischen Revolution Dreh- und Angelpunkt linker Kämpfer. Die Staatsmacht soll herausgefordert und die Massen mobilisiert werden.

In den 1970er Jahren richten sich die verschiedenen Aktionen der linken „Revolutionäre“ gegen die USA und ihre Rolle im Vietnamkrieg, sie mischen mit bei Hausbesetzungen, der Verhinderung von Räumungen sowie beim Kampf gegen Atomkraftwerke. Wiederholt kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Beide Seiten rüsten auf. Linksextremisten bewaffnen sich mit Flaschen, Steinen, Molotowcocktails und Präzisionszwillen, mit denen Stahlkugeln abgeschossen werden.

Vor allem die militante Gruppe „Revolutionärer Kampf“ in Frankfurt am Main steht beispielhaft für eine gewalttätige Linke, die den Straßenkampf propagiert und es anfangs an der nötigen Distanzierung zu linksterroristischen Gruppen fehlen lässt. Ihre „Putzgruppe“ mit dem späteren Außenminister Joschka Fischer kann als Vorläufer des militanten „Schwarzen Blocks“ betrachtet werden; ihre bevorzugte „Dienstkleidung“ ist Vorbild für die spätere Vermummung von Autonomen. Hierdurch und durch das untergehakte Mitlaufen in einem schwarzen Block schaffen sich die militanten Kämpfer eine revolutionäre Identität, die Selbstbewusstsein stiften und ihre Rolle als Vorkämpfer der Militanten begründen soll.

Die Zahl der bei gewalttätigen Ausschreitungen verletzten Polizisten geht in die Tausende, die der (militanten) Demonstranten wahrscheinlich ebenfalls. Eine Protestaktion an der Startbahn West am Frankfurter Flughafen endet für zwei Beamte sogar tödlich, weitere werden zum Teil schwer verletzt. Ein Linksautonomer schießt mit einer Pistole auf die zur Sicherung des Geländes eingesetzten Polizisten.

Anfang der 1980er Jahre betritt mit den Autonomen eine neue Bewegung die Bühne des revolutionären Kampfes, die bis zum heutigen Tag die breite Mehrheit gewaltorientierter Linksextremisten stellen. Anders als traditionsorientierte Kommunisten propagieren sie eine „Politik in erster Person“, d.h. sie wollen Freiräume für sich und ihre „Genoss*innen“ schaffen und im Kampf gegen das verhasste System die Umrisse einer neuen Gesellschaft entwickeln.

Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen versuchen sie inzwischen auch unpolitische Jugendliche, insbesondere Immigranten, in die Kämpfe miteinzubeziehen. Mit sogenannten Riots soll das System zumindest punktuell ins Wanken gebracht werden. In ihrer Selbstwahrnehmung ist ihnen dies während der mehrtägigen Krawalle in Hamburg anlässlich der Proteste gegen den G20-Gipfel im Sommer 2017 gelungen.

Linke Gewalt gegen Sachen und Personen ist inzwischen nahezu alltäglich geworden. Neben der Polizei als Ordnungsfaktor des verhassten Systems richtet sie sich gegen Personen, die als „Rechte“ eingeordnet werden, vor allem gegen Mitglieder und Sympathisanten der AfD. Politiker anderer Parteien, die die Kreise linksextremer Gruppen stören (könnten) oder Personen, die ein positives Verhältnis zur (demokratischen) Nation haben, werden ebenfalls als Feinde ins Visier genommen. Darüber hinaus richtet sich linke Gewalt gegen Fahrzeuge und Gebäude der Bundeswehr, gegen Immobilienfirmen und modernisierte Gebäude sowie gegen die Globalisierung und ihre Logistik.

1Dieser Beitrag fußt auf langjährigen Forschungsarbeiten des Autors, die Niederschlag in mehreren Büchern und Aufsätzen fanden, jüngst in: Klaus Schroeder/Monika Deutz-Schroeder: Gegen Staat und Kapital – für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland – eine empirische Studie, Frankfurt/Main 2015 und Klaus Schroeder/Monika Deutz-Schroeder: Der Kampf ist nicht zu Ende. Geschichte und Aktualität linker Gewalt, Freiburg/Brsg. 2019.

2Schriftlicher Diskussionsbeitrag von Rudi Dutschke 1964 in München. Vgl. Subversive Aktion: Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern. Herausgegeben und kommentiert von Frank Böckelmann und Herbert Nagel, Frankfurt am Main 1976, S. 324 (Hervorhebungen im Original).

3Ebd., S. 325f. (Hervorhebungen im Original).

4Vgl. Siegward Lönnendonker/Bernd Rabehl/Jochen Staadt: Die antiautoritäre Revolte. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund nach der Trennung von der SPD, Bd. 1: 1960-1967, Wiesbaden 2002, S. 236 f.

5Rudi Dutschke: Vom Antisemitismus zum Antikommunismus, in: Uwe Bergmann u.a.: Die Rebellion der Studenten oder die neue Opposition, Hamburg 1968, S. 68.

6Zit. nach Urs Bitterli, unter: www.journal21.ch/jean-paul-sartre-les-damnes-de-la-terre-1961 (3.7.2020).

7Vgl. Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt a.M. 1961 sowie Frantz Fanon: Von der Gewalt, in: Kursbuch 2, Berlin 1965.

8Frantz Fanon: Von der Gewalt, in: Kursbuch 2, Berlin 1965, S. 7.

9Vgl. Che Guevara: Guerilla. Theorie und Methode. Berlin 1968.

10Vgl. Klaus Schroeder: Die Spur des Todesschützen. Verändert der „Fall Kurras“ die deutsche Zeitgeschichte? In: Berliner Republik 4/2009.

11Zit. nach Gerd Koenen: Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977, Köln 2001, S. 201.

12Vgl. Gaston Salvatore/Rudi Dutschke: Einleitung zu Che Guevara www.infopartisan.net/archive/1967/2667133.html (3.7.2020).

13Rudi Dutschke: Jeder hat sein Leben ganz zu leben. Die Tagebücher 1963‒1979, hrsg. von Gretchen Dutschke, Köln 2003, S. 223. Zit. nach: Wolfgang Kraushaar: Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf, in: Wolfgang Kraushaar/Jan-Philip Reemtsma/Karin Wieland: Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF, Hamburg 2005, S. 16.

14Vgl. Der Spiegel 39/2007.

15Stefan Reisner (Hg.): Briefe an Rudi D. Voltaire Flugschriften Nr. 19, Frankfurt a.M., 1968, Vorwort, S. V, zit. nach: Michaela Karl: Rudi Dutschke, Revolutionär ohne Revolution, Frankfurt a.M. 2003, S. 254.

16Rudi Dutschke: Rede in der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche am 4.3.1970, Nachlass, zit. nach: Michaela Karl: Rudi Dutschke, Revolutionär ohne Revolution, Frankfurt a.M. 2003, S. 256.

17Rudi Dutschke: „Es kracht an allen Ecken und Enden“, in: Spiegel 50 vom 9.12.1968, www.spiegel.de/spiegel/print/d-45876621.html (24.9.2018).