Gemischte Erfahrungen-gemischte Gefühle. Zwei Jahre „Weimarer Initiative für Frieden und Solidarität mit der Ukraine“

von Norman Heydenreich, Weimarer Initiative für Frieden und Solidarität mit der Ukraine

Foto: Kundgebung am 24.2.2022 auf dem Theaterplatz mit dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow

 

Mit einer bewegenden Kundgebung am Theaterplatz haben am Abend des 24. Februar 2022 rund 500 Weimarer ihre Forderung nach einem sofortigen Ende des Krieges gegen die Ukraine und ihre Solidarität mit den Bürgern des Landes deutlich gemacht. "Wir stehen an eurer Seite" war die Botschaft des Abends. Viele Redner haben sie geteilt, u.a. der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow und der Weimarer Oberbürgermeister Peter Kleine. Großen Applaus erhielt eine junge Russin, die sich zur Solidarität mit der Ukraine bekannte. Ihr ganzer Freundeskreis sei gegen diesen Krieg. Sie liebe ihre ukrainischen Freunde und weine so sehr um sie.

Vor allem Weimarer mit ukrainischen Wurzeln forderten vor dem Deutschen Nationaltheater wirksame Hilfe. Katharina Hildebrandt-Jakob ist in der Ukraine geboren und lebt seit acht Jahren in Deutschland. „So lange ist schon Krieg in der Ukraine“, sagte sie und sie habe nun Angst, „dass Europa zwar sehr besorgt ist, aber nicht genug tut. Bitte keinen Frieden auf Kosten der Ukraine“. Sie bat die Weltgemeinschaft, die Ukraine zu schützen, „sonst sind danach die Nächsten dran“. „Stellen sie sich vor, Sie wachen auf und deutsche Städte werden beschossen, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Weimar“, wandte sich Natalia Pushniak an die Deutschen auf dem Platz. „Wir sollen in unserem Land nicht mehr unsere Sprache sprechen und nicht unsere Kultur pflegen. – Wir alle wollen keinen Krieg, aber wir werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen.“

Zivilgesellschaftliches Engagement

Seit dem 24. Februar 2022 zeigen Menschen in Weimar jeden Sonntag ihre Solidarität mit der Ukraine auf dem Weimarer Theaterplatz. Organisiert werden diese Kundgebungen von der Weimarer Bürgerinitiative „Für Frieden und Solidarität mit der Ukraine“, die unmittelbar nach der ersten, spontanen Kundgebung am 24. Februar von Deutschen und Ukrainern ins Leben gerufen wurde. „Sie hat das Ziel, den Protest von Weimarer Bürgern und Institutionen gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Putins und die Solidarität mit der Ukraine zu bündeln und gemeinsame Aktionen der praktischen Solidarität zu koordinieren. Die Initiative will Weimarer Bürger informieren, Kundgebungen organisieren, Spendenbedarf, Hilfsangebote und Logistik koordinieren, Hilfe für ukrainische Flüchtlinge vorbereiten und weitere Projekte zur Unterstützung der Ukraine aus Weimar initiieren. Sie arbeitet dabei mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie mit der Stadtverwaltung eng zusammen. Alle Weimarer Bürger und Organisationen sind zur Mitarbeit eingeladen. Wir haben die Hoffnung, dass unsere Aktionen als Teil der starken internationalen Solidarität zu einem schnellen Ende dieses Krieges beitragen.“ Heute sind ca. 90 Mitglieder über das soziale Netzwerk der Initiative verbunden, davon engagieren sich ca 20 in der Koordinations- und Moderationsgruppe.

In den ersten Wochen und Monaten ging es vor allem darum, mit vielen engagierten Ehrenamtlichen und Hilfsorganisationen die große Anzahl der aus dem Kriegsgebiet Geflüchteten aufzufangen. Auch viele Mitglieder unserer Initiative nahmen Geflüchtete bei sich zu Hause auf und übernahmen Patenschaften, d.h. zum Beispiel  Unterstützung bei der  Anmeldung, beim Jobcenter, bei Krankenkassen und Sprachkursen. Auf den Kundgebungen wurden für die Ukraine Spenden gesammelt.  In den ersten Wochen wurden auch Engpässe bei der Versorgung der Geflüchteten überbrückt, unter anderem bei Lebensmitteln der Weimarer Tafel. Zivilgesellschaftliche Organisationen brachten mit eigenen Aktionen ihre Solidarität zum Ausdruck. Auf Wunsch ihrer Kinder organisierte ein Weimarer Kinderhaus eine Kinderdemo für Frieden und Solidarität.

Plakat: Kinderdemo 2022

Wohnung und Arbeit - Kooperation mit der Verwaltung und Kampf gegen Bürokratie

Anders als erwartet, war die Stadt nicht bereit, Geflüchtete in Wohnungen öffentlicher Träger aufzunehmen, diein der ersten Not von engagierten Bürgern ehrenamtlich aufgenommen worden waren.  Im Vordergrund ihrer Tätigkeit stand die frühzeitige Begrenzung der Zahl der Geflüchteten in der Stadt. Die städtische Wohnungsgesellschaft wurde explizit angewiesen, keine Ukrainer aufzunehmen, die sich auf öffentliche Anzeigen hin beworben hatten. Ein für Ukrainer vorgesehenes Wohnungskontingent wurde von der Stadtverwaltung vorrangig für die vom Land zugewiesenen Geflüchteten verwendet. Überlasteten engagierten Bürgern, die kurzfristig Geflüchtete in ihre eigene Wohnung aufgenommen hatten, wurde statt einer Wohnung für die bei ihnen kurzfristig Aufgenommenen lediglich psychologische Hilfe angeboten. Statt die eigenen Möglichkeiten und das Potenzial einer besseren lösungsorientierten Kooperation von Bund, Land und Kommunen voll zu nutzen, wurde immer wieder mit dem Finger auf die anderen staatlichen Ebenen gezeigt. Dabei schienen auch parteipolitische Gräben eine Rolle zu spielen.

Der von unserer Initiative gemachte Vorschlag einer projektorientierten partnerschaftlichen Kooperation der ehrenamtlichen Helfer mit den Zuständigen der Verwaltung zur gemeinsamen Lösung der Probleme traf bei den Verantwortlichen auf wenig Verständnis. Die bisher übliche Form der Kooperation, dass ausgewählte Hilfsorganisationen als bezahlte Auftragnehmer der öffentlichen Hand ausschließlich nach deren Vorgaben arbeiten, wurde beibehalten. Dadurch wurde das große Potenzial des zivilgesellschaftlichen Engagements nicht genutzt. Dennoch leisteten Mitarbeiter der Hilfsorganisationen auch in dem vorgegebenen Rahmen wichtige und wertvolle Arbeit. Diese wird aber durch die Streichung vieler der vom Bund bezahlten Projektstellen erheblich beeinträchtigt.

Belastend ist für viele Geflüchtete die ausufernde Bürokratie, deren Hürdenlauf Voraussetzung für jede Unterstützungsleistung ist. Die verschiedenen Ämter, wie z. B. die Ausländerbehörde, das Sozialamt, das Jobcenter und die Familienkasse sind offenbar nicht angehalten, ämterübergreifend zusammenzuarbeiten. Die Geflüchteten und ihre Helfer müssen selbst einen Weg durch das Dickicht von Vorschriften und Zuständigkeiten finden. Statt der Daten müssen die Menschen selbst von Amt zu Amt laufen. So kreisen deren ungelöste Probleme als offene Bearbeitungsfälle im System und tragen zur dauernden Überlastung der kommunalen Verwaltungsmitarbeiter und der Sozialkosten bei. So ist es z.B. den Ausländerbehörden von zwei thüringischen Nachbarstädten seit einen halben Jahr bisher nicht gelungen, den Zusammenzug eines ukrainischen Paares durch Streichung einer sinnlosen Wohnsitzauflage zu ermöglichen und dadurch dem Jobcenter erhebliche unnötige Kosten zu sparen. Für die Ukrainer, die eine viel stärkere Digitalisierung der Verwaltung und weniger Bürokratie gewohnt sind, ist das schwer zu verstehen  Einzelne engagierte Sachbearbeiter helfen jedoch immer wieder, bürokratische Hürden im Sinne der Geflüchteten zu überwinden. Für diese Hilfe sind die Ukrainerinnen und ihre ehrenamtlichen Helfer sehr dankbar.Dennoch ist der Abbau von bürokratischen Engpässen durch eine Stärkung der Akteure vor Ort und deren lösungsorientierte Zusammenarbeit dringend notwendig. 

Durch Mitglieder und Unterstützer unserer Initiative wurden inzwischen zahlreiche provisorisch untergebrachte ukrainische Geflüchtete in eine eigene private Wohnung und z. T. auch aus dem Bürgergeld in Arbeitsverhältnisse vermittelt. Kriegstraumatisierte Kinder konnten zum Teil in Malschulen und Fußballvereine vermittelt werden, wo einige sich als herausragende Spieler ihrer Mannschaft zeigten – eine besonders gelungene Form der Integration. 

Die zunächst erheblichen Wartezeiten bei den Sprachkursen konnten durch eine von der Volkshochschule organisierte Kooperation der lokalen Bildungsträger abgebaut werden. Im Rahmen der übernommenen Patenschaften konnte dieser Prozess in Einzelfällen erheblich beschleunigt werden Viele ukrainische Geflüchtete verfügen inzwischen über Deutsch-Zertifikate.

Die meisten der ukrainischen Geflüchteten, auch Mütter mit kleinen Kindern, bemühen sich aktiv darum, in Deutschland eine Arbeit zu finden, und bringen dafür überwiegend gute Voraussetzungen mit. Hindernisse dafür sind oft starre Regeln, die einer Anerkennung und Nutzung ihrer mitgebrachten Qualifikationen entgegenstehen. So werden z.B. zahlreiche Lehrerinnen nicht eingestellt, da sie oft nur die Befähigung für ein einziges Lehrfach nachweisen können, was nicht dem deutschen Standard entspricht. Auch die in Deutschland dringend benötigten qualifizierteb Ärzte dürfen mangels Anerkennung ihrer Abschlüsse nicht in ihrem Beruf arbeiten. Die Augenärztin Kristina aus Ternopil ist dafür ein Beispiel. Gut gelingt die rasche Integration in den Arbeitsmarkt, wo Unternehmen selbst die Chanceergreifen, motivierte und kompetente Mitarbeiter zu gewinnen, und eine flexible Einarbeitung ermöglichen. So bekam ein ukrainischer Zahntechniker mit englischen Sprachkenntnissen nach einem Praktikum eine Vollzeitstelle in seinem erlernten Beruf.

Die besondere Lage der Krimtataren

Eine 2001 in der Ukraine geborene Krimtatarin flüchtete im Februar von der Krim nach Deutschland. Sie hat nur einen nach der russischen Besetzung 2014 ausgestellten russischen Pass. Daher wird sie von der zuständigen Ausländerbehörde als russische Staatsbürgerin behandelt, obwohl sie ihre ukrainische Geburtsurkunde und andere Dokumente vorweisen kann. Dies widerspricht internationalem Recht: Da die russische Annexion der Krim international und auch von Deutschland nicht anerkannt wurde, ist die Krim rechtlich weiterhin Staatsgebiet der Ukraine und deren dort geborene Einwohner sind daher weiterhin ukrainische Staatsangehörige. Aufgrund der Überlastung der ukrainischen Behörden durch Krieg und Massenflucht ist die Ausstellung eines ukrainischen Erst-Passes durch das ukrainische Konsulat aber zurzeit nicht möglich. Andererseits ist aufgrund der Auflagen der deutschen Ausländerbehörde eine Reise in die Ukraine nicht erlaubt. Eine Wiedereinreise nach Deutschland wäre nicht mehr möglich. Und bereits bei der Durchreise durch Polen könnte sie ohne gültige Aufenthaltsberechtigung als „russische Staatsbürgerin“ nach Russland abgeschoben werden. Auch aufgrund der bestehenden Gefahr für Leib und Leben in der Ukraine selbst möchte sie bis auf weiteres nicht  dorthin reisen, insbesondere aufgrund ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft. Da die Ausländerbehörde dieses Problem im Rahmen Ihrer Zuständigkeit nicht lösen konnte, haben wir uns nach Rücksprache mit dem Oberbürgermeister an die Landesregierung mit der Bitte um Unterstützung gewandt. Die Thüringer Staatskanzlei hat dankenswerterweise die Klärung der Angelegenheit übernommen und bemüht sich um eine generelle Anerkennung von Geflüchteten aus der Krim, die nur einen russischen Zwangspass haben, auf der Grundlage der Geburtsurkunde und anderer Nachweise.

Sprache und Kultur der Krimtataren sind vom Aussterben bedroht. Daher hat unsere Initiative mit Unterstützung der Klassik Stiftung Weimar und der Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. im Mai 2023 das erste krimtatarische (Krimer) Frühlingsfest „Hidirles“ nach der erneuten Vertreibung unterstützt. Auch in diesem Jahr soll am 4. Mai in Weimar das krimtatarische Frühlingsfest gefeiert werden.

Foto: Krimtartarisches (Krimer) Frühlingsfest

Aktivitäten pro-russischer Propagandisten und Provokateure 

Besonders belastend ist für die ukrainischen Geflüchteten, dass sie den Aktivitäten pro-russischer Propagandisten und Provokateure schutzlos ausgeliefert sind. Diese schleichen sich zuweilen als sogenannte „Ehrenamtliche“ in die Hilfsorganisationen ein und nutzen diese für russische Propaganda und Provokationen gegen ukrainische Geflüchtete. So bezeichnete eine solche „Ehrenamtliche“ im Rahmen eines Online-Chats für ukrainische Geflüchtete diejenigen als „Nazis“, die sich für die Verwendung der ukrainischen Sprache in diesem Chat ausgesprochen hatten. Die sogenannte „Ehrenamtlich“ drohte, sie werde sich dafür einsetzen, dass solche Personen keine Hilfe mehr erhielten. In einer ukrainischen Telegramm-Gruppe drohte ein angeblicher deutscher Professor einer Ukrainerin mit sogar mit Deportation, als sie sich kritisch über den Auftritt des Moskauer Staatsballetts unter irreführendem Namen geäußerte hatte. 

Eine andere „ehrenamtliche Helferin“, die bereits zuvor auf einer Solidaritätskundgebung durch eineprorussische Störaktion provoziert hatte, verbreitete unter Mitarbeitern der Weimarer Tafel negative Geschichten über ukrainische Geflüchtete. Diese fanden kurz darauf in eine MDR-Reportage Eingang. Diese Geschichten konnten zwar später durch Recherchen von Zeitungen als überwiegend unzutreffend aufgeklärt werden, doch der Schaden durch Falschmeldungen, die deutschlandweit auch durch AfD-Zeitungen verbreitet worden waren, war bereits angerichtet. Die Propagandistin konnte ihre Aktivitäten anderorts fortsetzen. Auch in einem anderen Hilfeverein spaltete sie die ehrenamtlichen Mitarbeiter und brachte einige auf prorussischen Kurs. Als sie die Staatsanwaltschaft aufgrund eines tätlichen Angriffs auf eine ukrainische Kundgebungsteilnehmerin wegen des Vorwurfs der Körperverletzung vor Gericht brachte, blieb sie straflos: mit ihrem Schlag habe sie nur ihr Notwehrrecht zur Verteidigung ihres Rechts am eigenen Bild ausgeübt, stellte das Gericht fest. Allerdings hatte sie zuvor laut Zeugenaussagen selbst einzelne Kundgebungsteilnehmer aus der Nähe gefilmt. Auch die Tatsache, dass die Täterin eine den russischen Angriffskrieg rechtfertigende Website betreibt, wurde nicht berücksichtigt. Dass sie nicht vor solchen Angriffen prorussischer Aktivisten geschützt werden, wirkt für viele geflüchtete Ukrainerinnen verstörend.

Derartige Propaganda wirkt auch ausländerfeindlich unter der Bevölkerung: Eine ukrainische Geflüchtete wollte in einem Weimarer Laden mit ihrer Tochter ein Spiel kaufen und sprach mit ihrer Tochter auf Ukrainisch. Als ihr der Preis zu hoch war, erhielt sie als Antwort, dazu müsste man natürlich erstmal arbeiten.  Sie ist ausgebildete Deutschlehrerin und arbeitet als angestellte Lehrerin an einer Weimarer Schule.

Propaganda am Deutschen Nationaltheater - „Diplomatie!Jetzt!“ statt Solidarität mit den Opfern

Seit Februar 2022 müssen die Teilnehmer der Weimarer Kundgebungen, ukrainische Geflüchtete, Weimarer Bürger und Touristen aus aller Welt, auf das große Banner am Nationaltheater blicken, das zu  „Diplomatie!Jetzt!“ auffordert, statt zur Solidarität mit dem Opfer des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs aufzurufen. Dieses Transparent blieb auch hängen, nachdem die Kriegsverbrechen der russischen Armee in Butscha und den besetzten Gebieten bekannt geworden waren. Am 27. Februar 2023 übten die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Putins Krieg“ in Weimar, u.a. Wolfgang Schäuble, Irina Scherbakowa, Katrin Eigendorf und Marina Weisband, massive Kritik am Banner „Diplomatie! Jetzt! Frieden“[1]

Foto: Proukrainische Demo vor Nationaltheater

In einem Brief an den Generalintendanten des Nationaltheaters am 2. März schloss sich die Weimarer Initiative „Für Frieden und Solidarität mit der Ukraine“ dieser Kritik an. Sie schlug vor, im Dialog einen neuen Text zu erarbeiten, der nicht als Aufkündigung der Solidarität mit der Ukraine verstanden werden könnte. In Form eines Interviews „Frieden – aber um welchen Preis?“ in der Thüringer Landeszeitung vom 4. März 2023 rechtfertigte der Generalintendant das Banner als Ausdruck seiner demokratischen Position, „jede unterschiedliche Meinung“ zu respektieren, und bezichtigte Kritiker der gefährlichen ideologischen Verabsolutierung, die den fortlaufenden Krieg als einzig gangbaren Weg in Betracht ziehen würde. Diese Position unterstützt nach Auffassung unserer Initiative die russische Propaganda: Kein Zeichen der Solidarität mit den Opfern, der Verteidigung von Völkerrecht, Demokratie und Freiheit. Stattdessen die Forderung „Diplomatie! Jetzt!“, die im Kontext der aktuellen politischen Debatte allgemein als Ablehnung der Waffenhilfe Deutschlands für die Ukraine zur Verteidigung gegen die russische Aggression verstanden wird. Täter und Opfer werden gleichgestellt. Gemeinsamkeiten mit Positionen der AfD und Weimarer Montagsspaziergänger, die am 8. Mai vor dem Nationaltheater unter russischen Fahnen „Frieden schaffen ohne Waffen“ forderten, sind offensichtlich. So verwundert es nicht, dass dieses Banner für viele ukrainische Geflüchtete und russische Oppositionelle in Thüringen eine erhebliche andauernde Irritation und emotionale Belastung darstellt.

Moskauer Staatsballett unter falscher Flagge wurde durch Ukrainerinnen enttarnt

Irritationen löste auch ein künstlerisches Event aus. Einer Ukrainerin unserer Initiative fiel auf, dass in der Weihnachtszeit Ballettkompanien, die früher als "Russisches Staatsballett St. Petersburg oder Moskau" beworben worden waren, jetzt ohne Angabe der Herkunft der Tänzerinnen und Tänzer angekündigt wurden – auch für Auftritte in der Weimarhalle.

Zunächst fiel ihr auf, dass eines der Bühnenbilder die Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz in Moskau abbildete. Es war für sie nicht leicht herauszufinden, woher die Künstler stammten, da der Veranstalter keine Informationen dazu veröffentlicht hatten. Durch einen Abgleich der Haupttänzer des „Grand Classic Ballett“ auf dessen Instagram-Account   mit den Solisten des Moskauer Staatsballetts auf dessen russischer Website konnte sie jedoch eine große Übereinstimmung der Haupttänzer feststellen. Darüber hinaus entdeckte sie den Veranstalter des „Grand Classic Ballet“, Konstantin Rain, auf der Website des Moskauer Staatsballetts, wo er als dessen „Offizieller Vertreter für Europa“ aufgeführt war. Es wurde festgestellt, dass der Name der Ballettgruppe nach Beginn der russischen Invasion von „Moskau Classic Ballet“ stillschweigend in „Grand Classic Ballet“ geändert worden war.  Seitdem wurde auch die Herkunft der Künstler vom Veranstalter, selbst auf Nachfrage von Reportern, verschwiegen. 

Foto: Plakat für Moskauer Balettauftritt in Weimar

Russland richtet seine Wirtschaft und alle gesellschaftlichen Organisationen seit über 10 Jahren immer mehr auf den Krieg aus. Das gilt auch für das Ballett, dessen Personal von allen Kriegsgegnern gesäubert wurde. Seine Auslandstourneen sind auf die Maximierung der Einnahmen für den Staat und seine Kriegswirtschaft ausgerichtet.  Bei jeder Tournee geht es um Millionen EURO. Zahlreiche Besucher der Veranstaltung in der Weimarhalle, denen wir Aufklärungsmaterial in die Hand gaben, waren empört über die offenkundige Täuschung durch den Veranstalter. Eine Familie weigerte sich – nach der Information über die wahre Identität der Ballettgruppe – die Veranstaltung zu besuchen. Sie will nun den Eintrittspreis von den Veranstaltern zurückfordern.

An die Verantwortlichen in Weimar stellten wir die Frage: „Inwieweit unterstützt die Moskauer Ballettgruppe mit ihren Auftritten den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine als „Kulturbotschafter“ Russlands sowie mit den Einnahmen aus den Aufführungen? Warum wird die Herkunft der Ballettgruppe durch den Veranstalter nicht transparent gemacht, um potenziellen Gästen die Entscheidung zu überlassen, ob sie die Russische Föderation mit ihrem Ticket finanzieren und durch ihren Veranstaltungsbesuch russische Propaganda unterstützen wollen.“ Auf unsere Anfrage teilte uns die Betreiberin der Weimarhalle, die Weimar GmbH mit, dass sie gemäß Auftrag der Stadt im Kultur-Bereich als reine Vermieterin nur passiv auf Terminanfragen reagiere und als öffentliches Haus dem sogenannten Kontrahierungszwang unterliege.

Wichtig ist vor allem, dass künftig genauer hingeschaut wird und keine weiteren Verträge geschlossen werden, die Russland zusätzliche Devisen-Einnahmen verschaffen, die es für Krieg und Propaganda nutzen könnte. Dazu ist die seit Beginn dieses Jahres nicht nur in Weimar geführte öffentliche Diskussion wichtig.[2]

Deutsche und Ukrainer gemeinsam gegen deutschen und russischen Faschismus

Nachdem am 22. Januar 2023 rund 3000 Menschen in Weimar ein Zeichen für Demokratie und gegen Faschismus gesetzt hatten, versammelten sich auch am 27. Januar, zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, zahlreiche Menschen auf dem Theaterplatz. Prof. Jens-Christian Wagner, Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald, forderte dazu auf, „wachsam zu sein gegenüber heutigen Bestrebungen, den demokratischen Rechtsstaat mit der Achtung der unteilbaren Menschenrechte durch eine völkische und autoritäre Ausschlussgesellschaft zu ersetzen“.

Foto: Demo aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus

Auch unsere Initiative hatte dazu aufgerufen und zahlreiche Ukrainer nahmen teil. Denn viele Ukrainer sehen in Putins Russland wesentliche Kriterien für eine faschistische Diktatur erfüllt. Sie sehen in Putins Russland und den besetzten Gebieten der Ukraine, was auch den freien Völkern Europas droht. Russlands Führer halte an seinen Zielen fest: Auslöschung der ukrainischen Nation, Zerstörung der freiheitlichen Demokratien und die Wiedererrichtung des russischen. Sie wollten mit ihrer Teilnahme an dieser Kundgebung auf dem Theaterplatz bewusst einen Kontrapunkt zu dem umstrittenen Transparent m Nationaltheater setzen. Dieses verbreitet in ihren Augen eine ähnliche Illusion wie 1938 das Münchner „Abkommen“ mit Hitler, das durch Nachgiebigkeit der europäischen Demokratien dem deutschen Führer den Weg zum 2. Weltkrieg bereitet hat.

Im Kontrast zu dieser Kundgebung machten die ukrainischen Geflüchteten in Weimar eine weitere irritierende und zugleich aber verbindende Erfahrung am 8. Mai 2023, dem Gedenktag des Sieges über den deutschen Faschismus: Die Organisatoren der Weimarer Montagsspaziergänge hatten dem rechtsextremistischen Führer der Thüringer AfD Björn Höcke die Bühne des Weimarer Theaterplatzes zur Verfügung gestellt. Unter russischen Fahnen wurde „Frieden schaffen ohne Waffen“ gefordert.  Dem sind über 1000 Weimarer Bürger, darunter auch Ukrainer, auf den Straßen um den abgesperrten Theaterplatz entschlossen entgegengetreten.

Foto: Rechte Kundgebung vor dem Weimarer Nationaltheater am 8. Mai 2023 mit der Parole „Frieden schaffen ohne Waffen“. Dabei AfD-Führer Björn Höcke. Dabei russische Fahnen.
 

Für deutsche und ukrainische Mitglieder unserer Initiative ist der Kampf der Ukrainer für Demokratie und Freiheit eng mit dem Widerstand gegen antidemokratische Parteien und rechtsextremen Organisationen in Deutschland verknüpft.

Anmerkungen


[1] In der MDR-Mediathek:https://www.mdr.de/video/livestreams/mdr-plus/video-700932_zc-bbaf30ef_zs-8ab60662.html

[2] Dazu ein aufschlussreicher Kommentar des ukrainischen Konsulats in Hamburg:

https://www.facebook.com/story.php/?id=100002251308294&story_fbid=6868560143228961&paipv=0&eav=AfbUMllLimzHxlLeBzHKbc97Z-TPT_YCsXxAGoxY7RtbKBeGCQLhW0-s3XrRtAv3JR8&_rdr