Demokratiepädagogik mit DDR-Bezug in der Ausbildung von angehenden Sozialarbeitenden – Einblicke in multidimensionale studentische Projektarbeiten zur lokalen Zeitgeschichte

Von Júlia Wéber[1]

Im Sommersemester 2024 wurde die Übung „Grundlagen der Pädagogik – Schwerpunkt Demokratiepädagogik“ das zweite Mal mit einem Fokus auf die Aufarbeitung der SED-Diktatur resp. der Gewaltherrschaft des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) am Neubrandenburger Lindenberg in BA Soziale Arbeit, 2. Fachsemester im Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung der Hochschule unter der Leitung der Autorin angeboten. Nach einer kurzen Einführung über die Konzeption des Lehrformatswerden Projektergebnisseversammelt, die exemplarisch für die Erträge studentischer Erkenntnisgewinne stehen.

Die allergrößte Mehrheit der teilnehmenden Studierendenkohorte gehört der Generation Z an (geboren zwischen 1995-2005). Somit blicken die Teilnehmenden auf keine eigenen Sozialisationserfahrungen aus der Zeit der DDR. Die meisten Teilnehmenden sind in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen. Einige wenige Teilnehmende haben eine familiäre Migrationsgeschichte (eines Elternteils, der/die in die DDR eingewandert war), eine Person wuchs im Ausland (einem Land im ehemaligen Ostblock) zweisprachig (Deutsch als Zweitsprache) auf. Die Studierenden berichteten aus ihrer familiären Sozialisationüber verschiedene Deutungen des DDR-Regimes und -Alltags. Auch wenn eine detaillierte Reflexion der familiären Deutungsangebote keinen direkten Gegenstand im Seminarbildete, fand immer wieder eine persönlichen biografische Auseinandersetzung mit den Normen, Werten im Kontext von Erziehungs-, Bildungs- und Sozialisationserfahrungen mit  Reflexionsanteilstatt.

Die in Bezug auf familiäre Sozialisation sowie Vorkenntnisse über die Bedeutung des MfS in der DDR heterogene Studierendengruppe hatte die Aufgabe, in Kleingruppen (2 bis 4 Personen) einem eigenen, selbst gewählten Schwerpunkt nachzugehen und eine digitale Bildungsressource zu einem selbst gewählten Thema zu erstellen. Die Relevanz der Themenwahl und eine Bezugssetzung zu mindestens einem der fünf pädagogischen Grundbegriffe Sozialisation, Erziehung, Lernen, Bildung und Pädagogik, die im Rahmen einer zusätzlichen Vorlesung von der Seminarleitung behandelt waren,  war ebenfalls zu begründen wie die Erträge aus dem Erkenntnisprozess auf die Soziale Arbeit zu beziehen. In diesem Zuge sind sechs verschiedene Projektergebnisse (Filme, Podcasts, interaktives digitales Museum) entstanden, wovon hier dreiversammelt sind. Die Projektauswahl ist in der Kooperationsbereitschaft der Studierenden begründet – die Werke werden hier zur Diskussion gestellt, deren Autor:innen sie für die Publikation freigegeben haben.

In der Übung wurden bis zur Halbzeit im Semester verschiedene Inputs – vor allem aus der Disziplin Geschichte und dem Bereich der Biografiearbeitgegeben. Auch fand eine theoretische Einführung in die Demokratiepädagogik anhand verschiedener Konzepte und Modellestatt, deren Relevanz für die Soziale Arbeit herausgearbeitet wurden. Die fünf zentralen Begriffe und Konzepte derPädagogik wurden aus einer zeithistorischen Perspektive mit DDR-Bezug für Demokratiepädagogik zugänglich gemacht.Die Teilnehmenden zeigten großes Interesse daran zu verstehen, wie die Schulpädagogikin den Dienst der in der DDR etablierten marxistisch-leninistischen Weltanschauung gestellt wurde und an der Bewusstseinsbildung mitzuwirken hatte: „Menschen, die die marxistisch-leninistische Weltanschauung verinnerlicht hatten, galten als „sozialistische Persönlichkeiten“. Dieses Konzept wurde umfassend im Jugendgesetz der DDR von 1974 entfaltet“ (May 2020). Das historische Lernen der Studierenden erfolgte multiperspektivisch, stellte sich Kontroversen, beinhaltete eine „kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte“, beinhaltete das Stellen eigener Fragen im Lernprozess, die „(unter Anleitung) möglichst selbstständig bearbeitet“ wurden (Wenzel 2012).

Auch wurde eine Exkursion zur ehemaligen Untersuchungshaftanstalt am Lindenberg, im Süden der Stadt Neubrandenburg angeboten. Der Zeitzeuge Thoralf Maaß gab an diesem Tag eine Einführung in die Historie des Ortes und seine biografische Geschichte und Hafterfahrung in der Übungsgruppe an der Hochschule. Auch hielt der Historiker Christian Halbrock einen Input über die Geschichte des Bauwerks in moderner Plattenbauweise, das nach jahrzehntelangen Planungen aufgrund von finanziellen Engpässen der MfS-Bezirksverwaltung Neubrandenburg erst 1983-86 fertig gestellt werden konnte (Halbrock 2021:61ff). Die Kapazitäten des Gefängnisses waren für ca. 100 Inhaftierte geplant, die sich im Falle einer innerpolitischen Krise bei Bedarf verdreifachen ließen (Halbrock 2012: 65, vgl. Brauer/Wéber/Teschke 2022). Laut dem Historiker Christoph Wunnicke (2010) wurde die ehemalige Bezirksverwaltung Neubrandenburg der DDR ab Dezember 1989 vergleichsweise leise und unspektakulär aufgelöst. Während der friedlichen Revolution 1989/90 wurden auch hier wie anderorts in den Dienststellen der Staatssicherheit „zahlreiche Dokumente heimlich beseitigt. Erst die Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung am 5. Dezember 1989 unterbrach das Vernichtungswerk“ (BStU 2024).

Der Herausgeber der aktuellen H-und-G-Ausgabe, der Historiker Dr. Christian Booß war ebenfalls Gastreferent in der Übungsgruppe. Er bot einen geschichtlichen Einblick in die Transformationszeit 1989/90 und damit auf seine Berufsbiografieals im Westen sozialisierter Historiker und Jurist und gab eine Einführung in die Forschungsperspektiven des BMBF-geförderten Forschungsverbunds „Landschaften der Verfolgung“ (Kindler 2020). Auch bat er die Studierenden, ihre Werke für eine zukünftige digitale Publikation bereit zu stellen – was mit dieser Ausgabe realisiert werden konnte.

Während die Zukunft der UHA-Gebäude offen ist –das Land Mecklenburg-Vorpommern bot das Gelände mitsamt der JVA im Juli 2024 zum Kauf an, denn die UHA wurde nach geringfügigem Umbau in der Zeit von 1992-2018 als JVA genutzt war, seitdem steht das Gebäude leer (Hertrich 2024a, 2024b). Das Land ist jedoch nicht verpflichtet, das Gelände zu veräußern. Das in ebenso Plattenbauweise errichtete Bauwerk der Außenstelle des Bundesarchivs steht bereits unter Denkmalschutz. Ein Lehrpfad mit historischen Materialienan den aufgestellten Stelen, die jederzeit einsehbar sind, wurde von der RAA-Geschichtswerkstatt zeitlupe (https://zeitlupe-nb.de/) und der Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg mit finanzieller Förderung der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern entwickelt. Ein Rundgang, „Bound“, die über die App Actionbound kostenfrei abgerufen werden kann (https://de.actionbound.com/bound/stasinb), wurde ebenso von zeitlupe entwickelt.

Auchpartizipierten die teilnehmenden Studierenden am pädagogischen Angebot dreier Studierenden in BA Soziale Arbeitaus dem 6. Fachsemester. Diese haben im Doppelmodul „Handlungsfelder und Zielgruppen: Projektwerkstatt“1-2einen Workshop erarbeitet, die anhand von historischen Dokumenten Einblicke in dieGeschichte des MfS und dieZeitzeug:innenarbeit in Neubrandenburgbot und im Kontext der Aufarbeitung der MfS-Repressionen konkrete demokratiepädagogische Interventionen in der Region MSE auslotete.

In der zweiten Halbzeit der Übung arbeiteten die Studierenden selbstständig an ihren digitalen Bildungsressourcen. Von der Konzeption bis zur Fertigstellung hatten sie das Projekt eigenständig zu erarbeiten. Neben der Quellenarbeit, Sichtung historischer Materialien, Textgestaltung und Medienarbeit hatten sie auch noch ihre kommunikativen Kompetenzen in der Kleingruppenarbeit vertiefen können. Es gab viel Abstimmungsbedarf bzgl. der Abläufe in der Projektarbeit, der Medienauswahl und der Präsentation der Erkenntnisse.

Die Kurserfahrungen zeigen: „Begründete Urteile und die Wertschätzung von Demokratie und Menschenrechten können weder gelernt noch verordnet werden, sondern müssen von den Individuen in einem gemeinsamen Prozess entwickelt werden“ (Wenzel 2012).

 

Beim interaktiven Museum ist den Studierenden ein Fehler unterlaufen: ihre Bildungsressource ist ebenfalls im beschriebenen Übungskontext unter Anleitung der Autorin entstanden – an dieser Stelle sei diese Korrektur angemerkt. Ihnen spannende Lese- Hör- und digitale Spaziererfahrungen wünscht

J. Wéber

 

Literatur             

 

Brauer, Kai; Wéber, Júlia; Teschke, Gerd: Neuer Gedenkort. Potenziale lokaler Gedenkarbeit mit europäischen Perspektiven in Neubrandenburg. In: Aufarbeitungsforum Heute und Gestern (H-und-G.info), Januar 2023. URL: http://h-und-g.info/default-title-3/neubrandenburg(19.12.2024)

BStU - Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv Neubrandenburg (2024): Das Archiv.  https://www.bundesarchiv.de/das-bundesarchiv/standorte/neubrandenburg/ (17.12.2024)

Halbrock, Christian (2021): Die Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit in Neustrelitz 1953-1987. Schwerin: Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern.

Hertrich, Mirko (2024a): Leerstehendes DDR-Gefängnis in Neubrandenburg ab 20.000 Euro zu haben.https://www.nordkurier.de/regional/neubrandenburg/leerstehendes-ddr-gefaengnis-zu-verkaufen-fuer-20000-euro-2732233(19.12.2024)

Hertrich, Mirko (2024b): Mehrere Interessenten wollen Ex-Stasi-Gefängnis in Neubrandburg kaufen.https://www.nordkurier.de/regional/neubrandenburg/mehrere-interessenten-wollen-ex-stasi-gefaengnis-in-neubrandburg-kaufen-2860044(19.12.2024)

Kindler, Robert (2020): Landschaften der Verfolgung. In: H-Soz-Kult, 17.11.2020, https://www.hsozkult.de/event/id/event-94404(19.12.2024).

May, Michael (2020): DDR: Staatsbürgerliche Erziehung und sozialistische Persönlichkeitsbildung. https://profession-politischebildung.de/grundlagen/geschichte/ddr-erziehung/ (17.12.2024)

Wenzel, Birgit (2012): Historisches Lernen zu DDR-Geschichte. Grundüberlegungen für die Bildungspraxis. https://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/4233(19.12.2024)

Wunnicke, Christoph (2010): Der Bezirk Neubrandenburg im Jahr 1989. Schwerin: Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. 5. Aufl.

 


[1] Hochschule Neubrandenburg

 

 

Inhalte

 

Merle Bräuer, Karl Feller, Lena Harlof und Sophia Steckmann

Online: Das interaktive Museum, soll auf die psychischen und physischen Gewaltdaten des DDR-Regimes in Kinder- & Jugendheimen, besonders den Jugendwerkhöfen, aufmerksam machen.  https://app.lumi.education/run/Sf6Cbq

Celine Klein, Laura Poikane

Podcast zur DDR-Sozialpsychiatrie. Podcast (Link), Transskript (Link)

Eva Anika Baum, Hanna Charki, Virginie Henck und Julia Wilhelm.

Podcast zur Demokratiepädagogik. In Arbeit.