Parteipolitischer Widerstand in der Frontstadt vor dem Mauerbau

Von Wolfgang Buschfort

Eine politische Partei dient laut Grundgesetz der Bildung des politischen Willens des deutschen Volkes. Es wurde daher vor 1989 auch nicht zwischen West- und Ostzonen, zwischen Bundesrepublik und DDR unterschieden. Die maßgeblichen Parteien der alten Bundesrepublik sahen sich lange in gesamtdeutscher Verantwortung. Ihre Tätigkeit endete nicht an der Zonengrenze oder später der Grenze der DDR. Mittel zum Zweck waren hier die sogenannten Ostbüros, deren Aktivitäten weitgehend in der Frontstadt Berlin stattfanden.

Die erste Partei, die ein Ostbüro betrieb, war die SPD in den Westzonen unter ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher. Es war die Reaktion auf die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED. Nachdem sich eine Vereinigung von SPD und KPD in der SBZ nach dem 8. Februar 1946 abzeichnete, plante der Parteivorsitzende Kurt Schumacher, eine Widerstandsorganisation in der SBZ aufzubauen, die von der West-SPD angeleitet dort den Boden bereiten sollte für die bald erwartete Wiederzulassung der SPD nach dem Abzug der Sowjets. Die Partei sollte in der Illegalität arbeiten und Ortsvereine unterhalten, die dann wieder ans Licht der Öffentlichkeit hätten kommen können. Daneben wurde die Flüchtlingsbetreuung schon während des Vereinigungsprozesses zu einer der zentralen Aufgaben des SPD-Ostbüros. Vorbild war der Widerstand in der Bismarck- und der Hitlerzeit, nur dass man sich diesmal in einer erheblich besseren Situation wähnte: Immerhin konnte man im Westteil Deutschlands und in den Westsektoren Berlins legal arbeiten.

Um beide Aufgaben zu ermöglichen schickte man Kuriere in die SBZ, wo versucht werden sollte, alte Verbindungen zu Genossen aufzunehmen bzw. zu vertiefen, um so herauszufinden, ob es sich bei den eingetroffenen Flüchtlingen tatsächlich um verfolgte Sozialdemokraten handelte. Gleichzeitig nahm man Flugschriften, Reden von Schumachermit. Der Zugang in die SBZ erfolgte anfangs über die Zonengrenze bei Helmstedt, später dann, nach dem Aufbau einer immer größer werdenden Dependence in den Westsektoren Berlins, vor allem über die relativ offene Berliner Sektorengrenze.

Zu diesem Zeitpunkt war die erste Parteispitze der Union der SBZ, Andreas Hermes und Walther Schreiber, bereits von den Sowjets abgesetzt worden, es folgten Jakob Kaiser und Ernst Lemmer. Beide brachten die Partei zu einem großen Wahlerfolg bei den Kommunalwahlen 1946 - und in eine Opposition gegen die herrschende SED. Folge der Wahlerfolge war Ulbrichts Versuch, die beiden bürgerlichen Parteien stärker in die Blockpolitik einzubinden: "Das Wachsen der reaktionären Bestrebungen in der CDU und der LDP erfordert [die] enge Zusammenarbeit mit diesen Parteien, um die reaktionären Einflüsse auf die bürgerlich-demokratischen Kräfte zurückzuschlagen,"[1] so Ulbricht. Was im Rahmen des Zwangsvereinigungsprozesses an der SPD vorexerziert wurde, wandte man nun von Seiten der späteren Staatspartei gegen die CDUD an, teilweise mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht. Funktionäre, gerade auf den unteren und mittleren Ebenen, wurden behindert und bedroht, die Parteiorganisation durch den Entzug von Sachmitteln in ihrer Arbeit eingeschränkt.

Doch die CDU-Basis folgte den politischen Ansichten ihrer Führung. Auf dem 2. Parteitag der Ost-CDU wurde das Duo Kaiser/Lemmer mit überragender Mehrheit wiedergewählt – worauf die beiden dann am 19. Dezember 1947 durch den sowjetischen Marschall Sokolowski ihres Amtes enthoben wurden. Nachfolgend konstituierte sich in West-Berlin das "Büro Kaiser", dessen Mitarbeiter sich als legitime CDU-Spitze der SBZ fühlten. Zu Kaiser stießen weitere Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter der ostdeutschen CDU.

Der Grund für den nun von den Westsektoren aus geführten Kampf gegen die sowjetische Politik in der SBZ und den Machtanspruch des neuen CDU-Parteivorstandes in Ost-Berlin kristallisierte sich in folgender Äußerung Kaisers von Ende Dezember 1947: Er betonte, "dass in der Ostzone die Möglichkeit, in aufrechter Haltung den demokratischen Weg selbständiger Unionspolitik zu gehen, praktisch nicht mehr gegeben erscheint"[2]. Zur Unterstützung geflüchteter Christdemokraten wurde auch hier ein Ostbüro konstituiert, das zusätzlich auch Propaganda in den Osten befördern sollte.

Zur gleichen Zeit hatte man in den CDU-Ortsgruppen, "angeregt (...) durch die starke illegale Tätigkeit der SPD"[3], über andere Formen der Parteiarbeit nachgedacht. In einigen Städten unternahm man Annäherungsversuche an die Gruppen des SPD-Ostbüros und begann selbst, Kontakt zum Büro Kaiser in West-Berlin aufzunehmen. Insgesamt war in vielen Bereichen ein hinhaltender Widerstand gegen die Vereinnahmung in die Blockpolitik festzustellen, der jedoch nur in den seltensten Fällen in offene Widerstandsarbeit einmündete.[4] Die Staatssicherheit stellte hierzu Ende 1959 zutreffend und ausnahmsweise ohne politische Verfälschungen fest: "Das Büro Jakob Kaiser wurde mit der Perspektive geschaffen, ein Kontaktbüro zwischen West-CDU und den Anhängern Jakob Kaisers im Gebiet der damaligen SBZ Deutschlands zu besitzen. Es sollte ein Verbindungsbüro zwischen dem geflüchteten Hauptvorstand der CDU und den Funktionären und Mitgliedern der CDU in der damaligen SBZ sein, um leichter vertriebene [sic!] CDU-Funktionäre empfangen zu können und die Weiterentwicklung der Ost-CDU zu beobachten."[5]

Das wichtigste Etappenziel war schnell erreicht. Kaiser erhielt in West-Berlin die Zeitungslizenz für den Tag; da es eine gesamtdeutsche Zeitung sein sollte, brauchte man natürlich Informationen aus dem Osten. Diese beschafften Parteifreunde, die Kaiser besuchten.

Etwas anders die Vorgeschichte des FDP-Ostbüros: Gegründet wurde das Ostbüro der FDP unter dem Namen "Hilfsdienst Ost" (HDO) durch den Berliner Landesvorsitzenden Schwennicke nach der Abspaltung von der Ost-Mutterpartei 1948. "Der Hilfsdienst Ost hatte damals das Ziel, die Verbindung zu den im demokratischen Teil Berlins [gemeint ist der sowjetische Sektor, W.B.] verbliebenen LDPD-Mitgliedern aufrecht zu erhalten, und durch diese Informationen über die weitere Entwicklung zu bekommen"[6], beschrieb auch hier durchaus zutreffend die Staatssicherheit diese Einrichtung. Daneben sollten die nach den ersten Verfolgungsmaßnahmen geflüchteten Mitglieder der LDPD zunächst provisorisch versorgt werden.

Doch viele Ostliberale wandten sich aus mangelnder Kenntnis über die FDP-Dienststelle, die nur von zwei Teilzeitkräften betreut wurde, an das Ostbüro der SPD; andere wurden von Liberaldemokraten gar dorthin empfohlen[7]. Einige Ostliberale wurden später sogar festbeschäftigte Mitarbeiter des SPD-Ostbüros. (Helmut Bärwald, Charlotte Heyden) Großer Handlungsbedarf bestand demnach für die Berliner FDP, die eigene Ostarbeit effizienter und mehr publik zu machen. Im Mai 1950 wurde ein Hilfsdienst Ost (HDO) in Bonn geschaffen,

Anlass hierfür war weniger eine Notwendigkeit im Bereich Flüchtlingsbetreuung oder Propaganda, sondern schlichtweg die Feststellung: „Man darf das Feld nicht den anderen Parteien überlassen“[8], so Karl-Heinz Naase[9], ehedem Bürgermeister von Rastenburg und thüringischer Landtagsabgeordneter. Und er behauptete gleichzeitig: „Die SPD ist uns um zehn Nasenlängen voraus, und würde, wenn der Sprung in die Ostzone heute gemacht würde, dort drüben schon jetzt eine schlagfertige Organisation vorfinden.“

In der Realität hätte die SPD genug Sozialdemokraten vor allem in den Gefängnissen vorgefunden, aber kaum eine Parteiorganisation. Denn 1948 und 1949 waren für die SPD geprägt von Massenverhaftungen. Mehr als tausend Verbindungsleute des Ostbüros waren in Haft oder in die Sowjetunion deportiert worden. Teilweise hielten die illegal arbeitenden Sozialdemokraten regelrechte Ortsvereinssitzungen ab und führten sogar Protokoll und Anwesenheitslisten – leichtes Spiel für den sowjetischen Geheimdienst und seine Helfershelfer.

Das SPD- Ostbüro stellte daraufhin sämtliche Kontakte auf streng konspirative Basis um. Das Konzept, in einer Zeit zumindest bedingt offener Grenzen überall in der SBZ sozialdemokratische Widerstandsgruppen als Keimzellen einer künftigen SPD zu bilden, ließ man fallen. Stattdessen sollten sich die Genossen in der SBZ nur noch individuell an das Ostbüro wenden und seine Zweigstellen oder verabredete Treffpunkte aufsuchen, um Informationen weiterzugeben oder Material in Empfang zu nehmen. Das geschah vor allem über zahlreiche Dienststellen im Westteil Berlins.
Die ostdeutschen Sicherheitsbehörden griffen auch bei der CDU zu drakonischen Maßnahmen, um die um sich greifenden illegalen Aktivitäten in den CDU-Gruppen zu unterbinden. Der CDU-Stadtverordnete in Cottbus, Ludwig Baues, wurde am 28. März 1950 verhaftet und starb wenig später in Haft. Schon zuvor war der Potsdamer Stadtbaurat Stützel verhaftet worden; Bürgermeister Erwin Köhler und seine Ehefrau Charlotte, beide der Spionage bezichtigt, wurden verhaftet und hingerichtet.

Mitte der 50er Jahre, nach weiteren Verhaftungen, wurden viele Kontakte bewusst eingestellt. Der humanitäre Aspekt, der bei der SPD zunächst der wichtigste in der Tätigkeit des Ostbüros war, blieb bei der CDU weit untergeordnet, zumal das CDU-Ostbüro auch nicht auf eine parteinahe Wohlfahrtsorganisation zurückgreifen konnte wie die SPD mit der Arbeiterwohlfahrt. Soziale Arbeit wurde vom Ostbüroleiter Jöhren auch abgelehnt: "Die Aufgabe meines Büros ist eine politische und nicht eine soziale."[10]

Mit der Gründung der Staatssicherheit ergab sich zunächst noch kein verschärfter Kampf gegen die drei Ostbüros. Als Ausgangspunkt kann vielmehr drei Jahre später der 17. Juni 1953 angesehen werden, der die Notwendigkeit einer stärkeren Durchdringung systemfeindlicher Organisationen aufzuzeigen schien. Nach Ansicht der SED, „die Moskau voll und ganz teilte und vom KGB ausdrücklich unterstützt wurde, standen die Ostbüros, aber auch andere Organisationen ausnahmslos in Verbindung zu westlichen Geheimdiensten und dienten zur Tarnung für verdeckte Einsätze, die die Destabilisierung und letztendlich die Vernichtung der DDR zum Ziel hatten“[11]. So begann eine Politik der „konzentrierten Schläge“ unter Stasichef Wollweber, auch diese nur möglich durch weitgehend offene Grenzen vor dem Mauerbau. Sowohl bei SPD als auch bei CDU hatte die Staatssicherheit erhebliche Probleme, Personen einzuschleusen, zumindest bei der SPD gelang des allmählich, aber für große Verhaftungswellen war dies noch zu früh.

So richteten sich die sogenannten „konzentrierten Schläge“ des MfS zunächst gegen das FDP-Ostbüro in Berlin. Die FDP hatte Anfang 1953 erstmals keine Finanzprobleme mehr, Geld für Propagandaaktionen kam vor allem von den Amerikanern. Unter dem Stichwort „Frühjahrsoffensive“ gelang es nach fünf Jahren Tätigkeit Mitte 1953 endlich, Flugblätter in alle Teile der DDR zu bringen und eine eigene Informations-Sammelstelle, das sogenannte „Büro Selle“, aufzubauen. Zuständig für die Propagandaaktionen war der neu eingestellte Hans Füldner. Als dieser sich mit angeblichen Vertretern des US-Geheimdienstes treffen wollte, wurde er in den Ostsektor entführt.

Der Schauprozess gegen Füldner endete mit einer Verurteilung zu 10 Jahren Zuchthaus, von denen er sieben Jahre in Brandenburg und in Bautzen II und I absitzen musste.[12] Resultierend aus Vernehmungen von Füldner alias „Ludwig“ konnten neun Vertrauensleute in der DDR im Rahmen der "Aktion Schlag" festgenommen werden; drei wurden umgehend überworben.[13] Manche Verhaftungen führten schneeballartig zu weiteren Verhaftungen.[14] Hier passierte genau dasselbe, was fünf Jahre zuvor dem SPD-Ostbüro mehrere hunderte Festnahmen eingebracht hatte, wie die FDP ohnehin mit vier, fünf Jahren Verzögerung viele Fehler wiederholte, die die SPD gemacht hatte.

Gleichzeitig erfolgten diverse weitere Verhaftungen, die die Ostbüroleitung mit Füldners Entführung in Verbindung brachte, die jedoch tatsächlich auf einen Günter Hegewald zurückzuführen waren. Hegewald war Abteilungsleiter bei der sächsischen FDP gewesen, war als angeblicher Flüchtling von der Staatssicherheit in den Westen geschickt worden, nachdem er zuvor eine Ostbürogruppe in Dresden verraten hatte, und erhielt in West-Berlin über ein Jahr hinweg einen guten Einblick in die Arbeit des Ostbüros und des Landesverbandes. Hegewald meldete Besucher des Ostbüros an seine Auftraggeber und konnte vor allem einen Einbruch der Staatssicherheit in das Berliner Ostbüro vorbereiten.

In der Nacht vom 12. zum 13. Februar 1955 brach die Staatssicherheit in das Westberliner Ostbüro ein, zehn Monate später in die Bonner Zentrale. Der SSD konnte dadurch 23 Verbindungs-Leute (V-Leute) der FDP festnehmen[15]. Unter anderem fiel dabei auch die sogenannte X-Kartei, eine Liste mit über 300 zuverlässigen Liberaldemokraten, die bei einer Wiedervereinigung führende Positionen in Ostdeutschland wahrnehmen sollten, in die Hände des ostdeutschen Geheimdienstes.

Die FDP hatte nach diesen Aktionen kaum noch Kontaktpersonen im Osten, die Amerikaner stellten die finanzielle Hilfe weitgehend ein, die Informationsstelle in Westberlin musste geschlossen werden. Über sogenannte Geheime Mitarbeiter (GM) und Geheime Informatoren (GI), also Spitzel, blieb die Staatssicherheit bis zum Mauerbau über das Innenleben des Ostbüros gut informiert. Die GI’s sabotierten auch die Arbeit. Im April 1954 war sich das Ostbüro beispielsweise sicher, endlich einen Weg gefunden zu haben, die eigenen Propagandabriefe auch per Post sicher durch die Postkontrollen der Staatssicherheit zu schleusen. "In Zukunft haben wir die Möglichkeit, (...) die Briefe bei Postämtern aufzugeben, die bereits zur SBZ gehören. Dabei wird das Abfangen der Sendungen durch die Kontrollorgane weitgehend ausgeschaltet. (...) Der dafür neu gewonnene V-Mann hat sich bereits bestens bewährt", schrieb die Berliner Zweigstelle nach Bonn.[16] Was man weder in Bonn noch in Berlin wusste war, dass dieser Mitarbeiter für die Staatssicherheit arbeitete und die Briefe direkt dort abgab. Die Aufklärung des MfS über diese kleine Dienststelle, in der nie mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt waren, wurde nahezu lückenlos.

Anders bei der CDU. Das dortige Ostbüro war nur unwesentlich größer, aber die Durchdringung gestaltete sich als schwierig. Die Staatssicherheit der DDR, die ansonsten immer das Streben nach Geld und die Käuflichkeit westlicher Agenten in ihrer Propaganda in den Vordergrund schob, sah es beim Ostbüro der CDU als besonders perfide an, "dass keine hohen Summen vom Ostbüro der CDU an die V-Leute ausgezahlt werden", sondern nur eine Fahrtkostenerstattung. Man schloss daraus, dass "unter Ausnutzung der religiösen bzw. parteimäßigen Gebundenheit "die Arbeit dieses Ostbüros laufe. Gerade dieser Faktor erschwert die gesamte Arbeit an den einzelnen Mitarbeitern des CDU-Ostbüros und dessen Agentur-Netz."[17] "Überhaupt muss man feststellen, dass gerade auch die hauptamtlichen Mitarbeiter sehr stark religiös gebunden sind und demzufolge die Arbeit an diesen Personen erschwert wird, weil sie weniger für Geld, sondern aus Hass und christlichem Glauben ihre verbrecherische Tätigkeit ausführen", musste die Staatssicherheit noch im November 1959 vermelden.[18] Trotzdem war das Wissen über das CDU-Ostbüro bei der Staatssicherheit recht umfangreich. Dies lag an der Entführung eines Exil-CDU-Vorstandsmitgliedes aus West-Berlin sowie der Festnahme von zwei Ostbüromitarbeitern in Ost-Berlin. Der eine hatte wieder alle Anweisungen die U-Bahn unter Ostberlin genutzt und war festgenommen worden, die andere das Grab ihrer Eltern im Osten der Stadt besucht – alles noch möglich vor dem Bau der Mauer in Berlin.

Ganz anders bei der SPD: Aufgrund der Tatsache, dass allein in Berlin zeitweise mehr als 100 Personen fest, auf Honorarbasis oder gegen Unkostenentschädigung für die verschiedenen Zweigstellen des SPD-Ostbüros arbeiteten, war es für die östliche Seite relativ leicht, Agenten einzuschleusen. So kam es zu mindestens drei Fällen zum Zusammenspiel einzelner Mitarbeiter mit dem SSD. Doch die Auswirkungen blieben sehr beschränkt. Grund hierfür war die professionelle Abschottung der einzelnen Arbeitsbereiche.

Der Mauerbau von 1961 warf die gesamte Arbeit der Ostbüros von CDU und SPD um. Zwar war es schon lange nicht mehr üblich, in den Osten Kuriere zu schicken, doch ostdeutsche Parteifreunde kamen regelmäßig zu Treffen vor allem nach West-Berlin, man traf sich in Wohnungen, Restaurants oder in den Dienststellen der Ostbüros selbst. Und bei Messen in West-Berlin, etwa der Funkausstellung oder der Grünen Woche, kamen Zehntausende Ostdeutsche, um sich an besonderen Ständen auf dem Messegelände von den Ostbüros informieren zu lassen. Mit anderen Mitteln, so mit Hilfe von Großballons, hatten alle Ostbüros schon Mitte der 50er Jahre die Möglichkeit, flächendeckend Material auch über geschlossene Grenzen zu transportieren, um so keine Parteifreunde zu gefährden.

Das Ende der Ostbüros erklärt sich daher nur zum Teil aus dem Mauerbau. Allerdings ist, gerade bei der FDP, auch die Arbeit des MfS entscheidend gewesen, zum Teil waren gerade hier aber auch parteiinterne Faktoren ausschlaggebend. Denn das erste Ostbüro, das seine Arbeit einstellen musste, war das zuletzt gegründete von der FDP, und dies lange vor dem 13. August 1961. Schon nach den ersten Massenverhaftungen wurde in der Partei die Frage aufgeworfen, ob es sinnvoll sei, die Ostarbeit fortzusetzen. Das Ostbüro versuchte gegenzusteuern: Die FDP begebe sich „jeder politischen Wirkungsmöglichkeit auf die Bevölkerung der Sowjetzone gerade auch im Hinblick auf die spätere Wiedervereinigung (...)." schrieb Chef Naase an den Parteivorsitzenden Dehler. "Weder CDU noch SPD sind bisher trotz der nicht gerade sehr geringen Verluste, die ihre Freunde und Mitarbeiter in der Zone gehabt haben, auf die Idee gekommen, die Ostarbeit ihrer Ostbüros einzuschränken oder gar einzustellen. Im Gegenteil.“[19]

Bei der Staatssicherheit wusste man um diese innerparteiliche Diskussion. In der Ostpresse wurde die Agitation gegen das Ostbüro daher verstärkt; der Bezirkssekretär der LDPD von Frankfurt/Oder durfte gar von "Agenten" faseln, die "Brücken über die Oder, Verkehrs- und Versorgungsanlagen sprengen" wollten[20] - nicht gerade die Aufgabe einer bürgerlichen Partei und ihrer Widerstandszentrale.

Der Parteivorsitzende Dehler wollte Gespräche mit der LDPD-Führung, auch um sich deutschlandpolitisch von der Union abzusetzen. Frappierend deutlich ist die zeitliche Übereinstimmung der Gespräche der FDP-Spitze mit den LDPD-Abgesandten und der Einstellung der meisten Tätigkeiten des FDP-Ostbüros: Am 22. Juli 1956 fand die erste Zusammenkunft im "Golfhotel Sonnenbichl" in Garmisch-Partenkirchen statt. Kurze Zeit nach diesem ersten Treffen musste das Ostbüro seine Flugblattaktionen einstellen. Diese waren bis zum zweiten Treffen vom 5.-7. Oktober in Weimar abgeschlossen. Doch die Einstellung der Ballonaktionen war nur ein erster Schritt hin in Richtung auf die Umwandlung des Ostbüros der FDP hin auf eine reine Flüchtlingsbetreuungsstelle.

Dehler behauptete, die jetzt positiven Kontakte zur LDPD im Interesse Verhafteter Liberaler einzusetzen. Beispielsweise wurde Karl Hamann im Oktober 1956 freigelassen. Dehler sah sich bestätigt, hatte er doch kurz zuvor dem DDR-Generalstaatsanwalt Melsheimer nahegelegt, den ehemaligen LDPD-Vorsitzenden freizulassen. Doch tatsächlich hatte diese Freilassung nichts mit der Intervention Dehlers und den liberalen Deutschlandgesprächen zu tun. Schon am 3. Mai 1956 verfügte die "Kommission des Zentralkomitees der SED zur Überprüfung von Angelegenheiten von Parteimitgliedern" bereits die mögliche Freilassung des politischen Häftlings. "In der Angelegenheit des ehemaligen Ministers Hamann soll ein Vertreter des MfS in das leitende Büro der LDP gehen und nach Darlegung der Gründe für die Verurteilung Hamanns die Frage stellen, ob seine Freilassung gewünscht wird."[21]

Das FDP-Ostbüro wurde zum 1. November 1956 auf Beschluss des Bundesvorstandes der  FDP vom 28. September 1956, also eine Woche vor dem zweiten Treffen in Weimar, in Referat Wiedervereinigung umbenannt und weitgehend seiner Aufgaben beraubt.

Mit welchem Misstrauen die Mitarbeiter des FDP-Ostbüros der Annäherungspolitik der eigenen Parteiführung gegenüber standen, belegen Vermutungen, die im Vorfeld dieses Beschlusses in Berlin kreisten. Danach sollten im Vorfeld  einer etwaigen Wiedervereinigung die Mitglieder der LDPD-Führung "wie Loch, Gerlach, Täschner" und andere "salonfähig" gemacht werden. Dafür müssten "selbstverständlich nachteilige und belastende Unterlagen, die vorliegen, aus dem Wege geschafft werden. Einige groß-industrielle Unternehmen" würden diese Schritte finanziell vorbereiten.[22] Parallelen zu 1989 tun sich auf.

Das Arrangement der Großindustrie mit den Machthabern in der DDR, ja mit der Staatssicherheit, gab es übrigens schon lange vor der Entspannungspolitik, und sogar schon vor dem Mauerbau. So erfuhr das MfS durch den Einbruch in das FDP-Ostbüro, woher die Ostbüros insgesamt ihr Wasserstoffgas für die sogenannten Ballonaktionen, das massenhafte Einschleusen von Flugblättern mit Wetterballons erhielt. Die Firmen wurden unter Druck gesetzt, die Fa. Linde schloss sogar eine Vereinbarung mit der Staatssicherheit ab, die besagte, dass man dem DDR-Zoll meldet, wenn sich Anzeichen ergeben sollten, dass Wasserstoffgas des eigenen Unternehmens oder auch von Konkurrenzfirmen genutzt werde, um Flugblätter in die DDR zu liefern. Ein halbes Jahr hatten weder CDU- noch SPD-Ostbüro die Möglichkeit, an Gas zu kommen, bis man kleine Klitschen fand, die sich zur Lieferung bereiterklärten.

Der Redneraustausch, den die FDP mit der Aufgabe der eigenen Widerstandszentrale bezahlt hatte, kam nie zustande: Die Staatssicherheit hatte sich schon nach dem ersten Treffen vehement dagegen ausgesprochen. Mit der Umbenennung 1956 exerzierte die FDP eine politische Richtung vor, die später auch von der SPD mit ihrem Ostbüro (1966/67) und später von der CDU nachgeahmt wurde.

Schon im Februar 1959 war das Ostbüro der CDU formell aufgelöst und in eine gesamtdeutsche Dienststelle umgewandelt worden. Der Einfluss der Exil-CDU, in der das Ostbüro angesiedelt war, schwand rapide mit dem Mauerbau im August 1961. Bezeichnend für den Verlust an Einfluss war der erzwungene Rücktritt Ernst Lemmers, nach Kaiser Vorsitzender der Exil-CDU, im Dezember 1962. Lemmer wurde durch den kometenhaft aufsteigenden Dr. Rainer Barzel ersetzt, der zwar in keinem ursächlichen Zusammenhang zur gesamtdeutschen Politik stand, für den jedoch ein Ministerium "gefunden" werden musste. Barzel blieb nur knapp ein Jahr lang Minister und wurde dann Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der bisherige „Erbhof“ der Exil-CDU, das Gesamtdeutsche Ministerium, ging an Erich Mende von der FDP. In der Exil-CDU löste die Absetzung Lemmers große Empörung aus, man sprach von einer "Katastrophe" und von einem "Irrenhaus" in Bonn und sah doch gleichzeitig auch, dass die Stellung der Exil-CDU durch den Mauerbau stark geschwächt worden war.[23]


1967 wurde das Publikationsorgan Tag, der Geburtshelfer des CDU-Ostbüros, eingestellt , es gab im Osten nach dem Mauerbau keine Abnehmer mehr, und im Westen waren es zu wenig. Anfang der siebziger Jahre führte man lediglich noch die regelmäßige Sichtung des vorhandenen Materials, das Sammeln von historisch bedeutsamen Unterlagen[24] und das Aktualisieren der Unterlagen per Zeitungssammlung durch. Die Exil-CDU hatte sich inzwischen politisch überlebt, nach dem Besuch hochrangiger Mitglieder der West-CDU in der DDR, bei der Blockpartei gleichen Namens und bei Erich Honecker. Nach der Vermittlung eines Milliardenkredits durch den CSU-Chef an die marode DDR-Wirtschaft, der der DDR zunächst das Überleben sicherte, hatte auch die Union ihren Frieden mit dem zweiten Staat auf deutschem Boden und mit ihrer kommunistischen Schwesterpartei gemacht. 1987 teilte der CDU-Bundesgeschäftsführer Peter Radunski dem gerade gewählten Exil-CDU-Parteivorsitzenden Siegfried Dübel mit, man müsse das Berliner Büro der Exil-CDU aufgrund finanzieller Sparmaßnahmen auflösen, die Arbeit solle von Bonn aus mit dem schon vorhandenen Apparat weitergeführt werden. Die restlichen Archivmaterialien, so verfügte es die Parteizentrale, sollten an die Konrad-Adenauer-Stiftung abgeben werden. Radunski war sich sicher, dass dadurch „die Effizienz der Arbeit der Exil-CDU nur gesteigert werden kann!“[25] Die Exil-CDU wehrte sich dagegen, Johann Baptist Gradl schrieb im Januar und Februar gleich dreimal an den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl, um ihn um eine Intervention zu bitten, doch der antwortete nicht einmal. Die deutsche Frage spiele immer noch eine wichtige Rolle in der deutschen Öffentlichkeit, dies möge „für einige Mitarbeiter des Konrad-Adenauer-Hauses lästig sein“[26], meinte Gradl, und erinnerte daran, „dass die Exil-CDU expressis verbis in den Unterschriften der Gründer von Goslar steht. Das kann auch durch Verständnislosigkeit nicht ausgelöscht werden.“ Doch in der CDU galt die Exil-CDU 1987 lediglich noch auf der Kostenseite als präsent, eine politische Macht war sie lange nicht mehr.

Und doch: Die Nachfolger des CDU-Ostbüros konnten als einzige noch existierende Ost-Dienststelle der eigenen Partei im Wendeherbst 1989 helfen. „Wir haben Ende Oktober, also vor Öffnung der Mauer, beschlossen, sämtliche Orts-, Kreis- und Bezirksverbände anzuschreiben“[27] meinte ein Mitarbeiter später. Nach der Wende benötigte dann die CDU-Bundesparteileitung unter Generalsekretär Volker Rühe die Adressen, man konnte sie ihm vollständig zur Verfügung stellen.
 

Vor allem auf Herbert Wehner war es zurückzuführen, dass die Arbeit des SPD-Ostbüros eingestellt werden musste. Mit dem Mauerbau kamen keine Sozialdemokraten mehr in den Westen, weder zum Meinungsaustausch noch als Flüchtlinge. Die Ballonpropaganda und auch Propaganda per Post wurden intensiviert. Doch die Arbeit des Büros wurde innerhalb der Partei zunehmend nicht mehr als unverzichtbar angesehen und Zug um Zug eingestellt. Das offizielle Ende erfolgte 1971. Tatsächlich bestand zumindest das West-Berliner SPD-Ostbüro weiter, und zwar bis Mitte der 80er Jahre, bis zur Pensionierung der letzten Mitarbeiterin, Käthe Frädrich. Sie befragte vor allem Rentner und Übersiedler und fertigte hieraus Lageanalysen für die Bonner Parteizentrale. Diese wurden dort abgeheftet, Interessenten für die Inhalte gab es nicht mehr.

Insgesamt muss festgestellt werden, dass nicht nur der Mauerbau, sondern auch zahlreiche innerparteiliche Vorgänge die Tätigkeit der Ostbüros beschränkte, behinderte und dann letztendlich die Mutterparteien zur Auflösung zwangen. Letztendlich hat  der Mauerbau aber nur eine Entwicklung verstärkt hat, die es schon zuvor gegeben hatte: Bedingt vor allem durch die Übernahme von  Aufgaben durch den Staat und andere Organisationen, die zuvor von den Parteien vor der Gründugn der Bundesrepublik im Jahr 1949 in  einem quasi staatenlosen Zustand wahrgenommen worden waren. Von der Nachrichtenbeschaffung über die Flüchtlingsbetreuung bis hin zur Propaganda – alles konnte nach 1949 auch vom Staat und von caritativen Organisationen durchgeführt werden. Es blieb den Parteien eigentlich nur noch der Kontakt mit ihren eigenen Parteifreunden im Osten, soweit es diese überhaupt noch gab. Der allerdings wurde durch den Mauerbau in der Frontstadt Berlin unmöglich.

 

 


[1] Walter Ulbricht: Zur Strategie und Taktik der SED, in: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. III, Ost-Berlin 1953, S. 73.

[2] Erklärung Kaisers im Archiv Christlich Demokratischer Politik (ACDP), III-012-923.

[3] Vgl. Fricke, Karl Wilhelm: Opposition und Widerstand in der DDR, Köln 1984, S. 60ff.

[4] Beispiele aus Sachsen in: BStU, MfS AS 524/66, Bericht über die Tätigkeit der CDU im Land Sachsen vom 24.8.1950.

[5] BStU, AFO 267/82, Bd. 1, S. 197.

[6] BStU, MfS AOP 1539/65, Bd. I, Auskunftsbericht über das Büro für Wiedervereinigung.

[7] Vgl. Mischnick, Wolfgang: Von Dresden nach Bonn, Erlebnisse - jetzt aufgeschrieben, Stuttgart 1991, S. 201.

[8] BStU, MfS AOP 1539/65, Bd. I, Bl. 71. Manuskript vermutlich von 1955.

[9] Karl-Heinz Naase wurde 1922 geboren, war nach 1945 u.a. Jugendreferent der Thüringer LDPD und Bürgermeister von Rastenburg. Flucht 1948, 1950-1956 Hilfsdienst Ost/Ostbüro der FDP, 1980 gestorben.

[10] ACDP, Bestand III-013, Nr. 556, Schreiben Jöhren an Gesche v. 28.5.1959.

[11] Zubok, Vladislav: Der sowjetische Geheimdienst in Deutschland und die Berlinkrise 1958-1961, in: Krieger, Wolfgang u. Weber, Jürgen (Hrsg.): Spionage für den Frieden? Nachrichtendienste in Deutschland während des Kalten Krieges, München u. Landsberg a. Lech, o.J., S. 129.

[12]Telefonische Auskunft von Hans Füldner gegenüber dem Autor am 17.2.1995.

[13] BStU, MfS, Bericht, AOP 1539/65, Bd. II/5, Bl. 16ff. Zum Begriff "überworben" vgl. Der Bundesbeauftragte: Dokumente - Das Wörterbuch der Staatssicherheit, Definitionen des MfS zur "politisch-operativen Arbeit", Reihe A, Nr. 1/93, S. 407.

[14] Dies und die Aktion "Schlag" in: BStU, MfS AOP 1539/65, Bd II/5, Schreiben Abt V/6 v. 26.10.53.

[15] BStU, MfS AOP 1539/65, Bd. II/4, Bl. 5.

[16] ADL, Bd. 2531, Monatsbericht März 1954 v. 1.4.1954.

[17] BStU, MfS AFO 267/82, Bd. 1, S. 117f.

[18] Ebenda, S. 205f.

[19] BStU, MfS AOP 1539/65, Bd. I/2,3, Bl. 46, Vermerk Naase „Der Fall Ludwig“.

[20] Zit. nach: Parteibüro oder Agentenzentrale, in: DJD-Informationen, Oktober 1955.

[21] Zit. nach: Beckert, Rudi: Die erste und letzte Instanz, Goldbach 1995, S. 141.

[22] ADL, Bd. 2585, Schriftwechsel Naase/Willert vom September/Oktober 1956.

[23] ACDP, Bestand III-013, Nr. 843, Schreiben Dr. Kaltenborn an Dr. Gradl v. 13.12.62.

[24] ACDP, Bestand I 300, Bd. 003/3, Schreiben Haß an Dittert v. 22.7.1962.

[25] ACDP, Nachlaß Gradl, Bestand I 294, Bd. 069-4, Schreiben Radunski an Dübel v. 25.6.1987.

[26] Dieses und nachfolgende Zitate: ACDP, Nachlaß Gradl, Bestand I 294, Bd. 069-4, Schreiben v. 25.2.1988.

[27] Interview Jürgen Stargardt v. 7.3.1997. Vgl. auch: Dübel, Siegfried: Exil-CDU und Wiedervereinigung, in: Mayer, Tilman (Hrsg.): Macht das Tor auf, Berlin 1996, S. 261.