Ausgebürgert- Nach Kreuzberg

Ausgebürgert- Nach Kreuzberg

Freya Klier1 interviewt und bearbeitet von Margit Miosga

Wir sind damals, im Februar 1988, gegen unseren Willen direkt aus dem DDR-Knast nach Bethel in NRW gefahren worden, ein Pfarrer des Stephanus-Stifts konnte uns dort unterbringen.2 Wir, das waren Stephan Krawczyk, meine damals 15-jährige Tochter Nadja und ich. Wir wollten unbedingt in der DDR bleiben, das war ja unser ‚Arbeitsplatz‘! Stephan und ich traten in Kirchen und als das verboten wurde, in Wohnungen mit unserem Programm ‚Pässe Parolen‘ auf. Aber als wir getrennt in U-Haft saßen, uns Stasispitzel mit Falschinformationen in die Irre geführt hatten, beschlossen wir, doch das Land zu verlassen.

Von Bethel sind wir bald nach Hannover ausgebüxt, unser Ziel war ja letztlich Westberlin. Dort sind wir zuerst bei der Schwester der DDR-Liedermacherin Bettina Wegner, Claudia Wegner, untergekommen. Dann zogen wir nach Kreuzberg, denn Roland Jahn hatte uns angeboten, so lange in seiner Wohnung zu wohnen, wie er mit seiner Freundin durch Südamerika reisen würde.

Genau in der Zeit wurde dort eingebrochen: Stephan und ich waren in München bei meinem Verlag, um über mein Buch ‚Abreißkalender‘ zu sprechen und Nadja in der Schule. Es sollte so aussehen, als ob es Penner oder Drogenabhängige waren, denn sie stahlen nicht nur alle elektronischen Geräte von Roland, sondern auch eine Flasche Sekt und eine Rolle Klopapier! Von uns kam nichts weg, unsere wichtigen Papiere und Aufzeichnungen trugen wir immer bei uns. Ich verdächtigte gleich die Stasi, Roland hat das später in den Akten recherchiert und bestätigt. Als er von seiner Reise zurückkam, sind wir ausgezogen. Wir hatten mittlerweile zwei Wohnungen gefunden, quasi Tür an Tür in der Oranienstraße, eine für Stephan und eine für Nadja und mich.

Man kann nicht sagen, dass wir Westberlin ‚aufgerollt‘ hätten, wir waren relativ vorsichtig. Wir trafen uns vor allem privat, kaum je in Kneipen. Es lebten ja zahlreiche Freunde in der Stadt, beispielsweise ‚Blase‘3, der Dicke, der war einer der vielen aus Jena, auch Doris Liebermann kam dazu, Roland4 natürlich. Wir haben keine Partys gefeiert, sondern ohne Ende über alles diskutiert, was aktuell im Osten lief. Wir verfolgten sehr genau, was auf der anderen Seite passiert.

Ich habe mich ausschließlich für DDR-Themen interessiert. Im Grund hatte ich meine Insel mitgenommen, mitsamt den Freunden. Das heiße Berliner Nachtleben ging an uns vorbei, ebenso wie die erste Love Parade in der Stadt 1989.

Als dann die Mauer fiel, habe ich mich, anders als viele meiner Freunde, nicht an einen der Runden Tische gesetzt, bin auch in keine Partei eingetreten, habe keine weitere Initiative oder Gruppe gegründet. Ich wollte frei sein und mich als Freya Klier zu Wort melden.

In Westberlin gab es eine linke Szene, die die DDR toll fand, die haben wir gemieden, sie uns aber auch. Die waren absolut SED-hörig. Ich habe sie gar nicht als ‚links‘ eingeordnet, sondern nur als dämlich. Es gab natürlich wirkliche Linke, die meine ich nicht, es waren wenige, sehr kritisch gegenüber der DDR.

Mir gefiel am besten, frei zu sein, zu tun und zu sagen, was ich wollte. In der DDR konnte man sich nur in kleinen, eingeschworenen Zirkeln äußern. Sehr gut gefiel mir auch Nadjas Schule, die Lehrer waren toll. Da waren Kinder aus der SU, aus Polen und aus der DDR. Wir hatten diese Schule gewählt, weil dort Russisch unterrichtet wurde. Nadja selbst litt vor allem unter der Trennung von ihrer Freundin in Ostberlin, darüber hat sie später selbst geschrieben

Wovon haben wir gelebt? Wir bekamen anfänglich als Flüchtlinge finanzielle Unterstützung, begannen aber bald zu arbeiten und selbst zu verdienen. Stephan tourte und gab Konzerte, ich habe geschrieben. Ich hatte das starke Bedürfnis, das Erlebte, die letzten Jahre in der DDR, zu verarbeiteten. Und das ging mit Schreiben am besten. Dabei habe ich auch den Umgang mit dem Computer gelernt. Als erstes kam der ‚Abreißkalender – ein deutsch-deutsches Tagebuch‘ raus. Anschließend ‚Lüg Vaterland‘, 1990 auch bei Kindler, ein Buch über das Erziehungswesen oder -unwesen in der DDR, dazu hatte ich noch in der DDR verschiedene Materialien gesammelt.

Nach Veröffentlichung des Buches wurde ich in Schulen eingeladen, um vor Klassen von unserer Jugend in der DDR zu erzählen. Die Einladungen kamen bald aus dem ganzen Land. Es wurde neben dem Schreiben und Inszenieren mit den Jahren so etwas wie ein dritter Beruf. Viele Angebote vermittelte die Adenauer Stiftung, häufig sprachen mich Schulen direkt an. Ich ging aber nur zu den Älteren, den Klassen ab dem 9. Schuljahr. Für sie waren meine Erzählungen spannend wie ein Krimi, denn ich berichtete, wie wir bespitzelt und verfolgt worden waren.

Aus der DDR gaben es gegen uns publizistische Attacken, aber das kannte man schon seit 1976, seit Biermann gegangen worden war. Diese Stasi-Kampagnen trafen alle, die die DDR verlassen hatten, nach dem Motto: Die leisten sich jetzt das volle Luxusleben im Westen. Das funktionierte teilweise über Zeitungen, vor allem aber via ‚Buschfunk‘. Wir haben das ignoriert, denn wir wussten, woher es kam.

Es kamen nach dem Fall der Mauer nach und nach andere berufliche Angebote. Beispielsweise eine Einladung nach Alma Ata an das dortige Theater, das habe ich abgelehnt. Später lud mich das Theater in Schwedt ein, Intendantin zu werden. Das habe ich auch nicht gemacht. Ich fing an, Dokumentarfilme zu drehen, als ersten 1993 ‚Verschleppt ans Ende der Welt‘, ein Film über drei von einer halben Million Frauen, die am Ende des Krieges nach Sibirien deportiert worden waren. Die Recherche, die Kontakte, das Filmen haben mir großen Spaß gemacht.

Wenn ich Verabredungen im ‚Westen‘ hatte, also nicht in Kreuzberg wo wir und die meisten Freunde lebten, ging ich am liebsten an den Ku’damm ins Café Kranzler, da war ich besonders gerne. Ich habe mich sehr wohl gefühlt, nach einem halben Jahr war ich heimisch und wollte nicht mehr zurück.

Anmerkungen:

1Regisseurin und Publizistin aus der DDR. Seit ihrem Schlaganfall im Herbst 2021 schreibt Freya Klier nicht mehr selbst über ihre Jahre in der DDR.

2Freya Klier und der Liedermacher Stephan Krawcyk gehörten 1988 zu den DDR-Oppositionellen, die im Zusammenhang mit einer Protestaktion auf der sogenannten Luxemburg-Liebknecht-Demonstration der SED festgenommen und unter Druck gesetzt wurden, die DDR zu verlassen.

3Peter Rösch

4Roland Jahn, aus Jena, später Journalist und Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen