Die drei Stadtmusikanten

Tunix-Ausbruch aus den 1970ern

von Arnulf Rating[1]

Irgendwann hing ein Plakat an der Wand mit dem „Aufruf zur Reise nach TUNIX“. Darauf stand: „Es werden kommen: Die 3 Tornados...“. Niemand hatte uns gefragt, aber das war ernst zu nehmen. Chaos gegen Staatsräson. Aufbruch gegen Frust. Die depressive Lähmung durch den Deutsche Herbst 1977 wirkte im Land nach; wir hatten die Schnauze voll von der Perspektivlosigkeit der Auseinandersetzung mit RAF, Richtern, Staatschutz, Parteipolitik, Polizei und Öffentlichkeit. Das lag wie Mehltau über der Szene. Der Kampf gegen die RAF hatte groteske Züge angenommen. Deren Bekämpfer waren oft Wehrmachtsoffiziere wie Helmut Schmidt oder Nazis, die halb Europa in Schutt und Asche gelegt hatten. Sie saßen unbehelligt in hohen Positionen in Regierung oder Justiz und spielten ihre Macht aus. Gegen die RAF machte man in kurzer Zeit Gesetze. So den Paragrafen 129a des Strafgesetzbuches zu Bildung und Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung. Kurioserweise war bis heute niemand auf die Idee gekommen, etwa die SS zur Kriminellen oder terroristischen Vereinigung zu erklären und deren Sympathisanten zu jagen. Es gab in der ganzen Nachkriegszeit kaum öffentliche Fahndung nach Kriegsverbrechern und Auschwitz-Mördern. Schon gar nicht an jeder Tankstelle, wo in den 1970er Jahren stets die aktuellen Fahndungsplakate mit den RAF-Verdächtigen aushingen.

„Komm mit, sprach der Esel, etwas Besseres als den Tod finden wir überall!“ Das kam an in einem Land, wo die gesamte freie Presse sich der staatsverordneten „Nachrichtensperre“ unterwarf. Es musste anders werden. Nicht von ungefähr war dann die Gründung der alternativen „taz“ ein Produkt des Tunix-Kongresses. Der Kongress war Nukleus für den Aufbruch einer ganzen Generation in ein neues Zeitalter, ein Signal des Auftauens eines langen Kalten Krieges. Für einen kurzen Zeitpunkt war es so: Anarchie schien machbar, Nachbar. Klar, dass wir da dabei waren.

 


[1] Kabarettist. Mitbegründer der „3 Tornados“