Isolierung des barbarischen Russlands?

Kommentar eines russischen Exilanten zur Lage Russlands und der russischen Opposition

Von Andrei Suslov[1]

auf Russisch s. unten

Bald ist es zwei Jahre her, dass Putin seinen groß angelegten Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. In dieser Zeit ist die Haltung vieler Länder gegenüber Russland kritischer geworden, und innerhalb Russlands ist das soft- autoritäre Regime zu einer harten Linie übergegangen. Öffentliche Aktionen der Opposition sind völlig unmöglich geworden und Oppositionspolitiker sitzen im Exil oder im Gefängnis. Unabhängige Medien können nicht legal arbeiten, unabhängige zivilgesellschaftliche Aktivitäten werden unterdrückt.

 

Ausländische Beobachter können zwei Fehleinschätzungen unterliegen: Die russische Bevölkerung unterstützt komplett das bestehende Regime; und man kann  einen schrecklichen Nachbarn mit verschiedenen Arten von Sanktionen in die Schranken verweisen.

 

Doch dies sind Fehlwahrnehmungen. Zum einen war und ist der Antikriegsaktivismus in Russland ungebrochen. Er ist nur meist nicht öffentlich und daher aus der Ferne kaum zu erkennen. Er äußert sich in der Form von zahlreichen Anti-Kriegs-Graffitis auf den Straßen und "Memes" in sozialen Netzwerken, unzensierter Verbreitung von Informationen im Internet, privaten Gesprächen, usw.. Den Höhepunkt bilden die zahlreichen offenen Antikriegsaktionen, für die Menschen zur Verantwortung gezogen wurden. Nach Angaben des Medienprojekts OVD-Info[2] gab es zwischen dem 24. Februar 2022 und dem 21. Januar 2024 insgesamt 19.850 Verhaftungen aufgrund ihrer Antikriegshaltung. Mehr als 200 Personen wurden als besonders hartnäckige Straftäter eingestuft und Strafverfahren gegen sie eingeleitet. OVD-info zählte am 18. Dezember 2023 insgesamt 794 Beschuldigte in "Antikriegs"-Strafverfahren in 78 Regionen des Landes Die Gerichte verhängte bei der Hälfte der 360 Verurteilten Freiheitsstrafen. Die durchschnittliche Strafe für kriegsfeindliche Äußerungen im Internet betrug 65 Monate.

 

Es gab zwar keine Massendemonstrationen gegen den Krieg. Aber können wir uns Antikriegsdemonstrationen in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs vorstellen? In Russland wächst der Protest inzwischen auch innerhalb der loyalen Mehrheit der Gesellschaft. Sichtbarer Ausdruck waren die Reden von Ehefrauen und Müttern mobilisierter Männer, die forderten, die Männer nach Hause zu holen. Laut Angaben von RTL hat der Telegramkanal „Put Domoi“- Weg nach Hause, 36.000 follower.[3] Ein anderes Beispiel sind im Januar 2024 die Proteste anlässlich der Verurteilung eines Umweltschützers und Kriegsgegners in der Teilrepublik Baschkortostan, an der einige tausend Menschen teilgenommen haben.

Und erst vor wenigen Tagen bildeten sich in vielen russischen Städten lange Schlangen. Die Menschen standen stundenlang an, um für die Nominierung von Boris Nadeschdin als Kandidat für das Präsidentenamt zu unterschreiben, dem einzigen Kandidaten, der sich, wenn auch sehr moderat, gegen den Krieg ausgesprochen hat. Mehr als 150.000 Russen unterschrieben zu seinen Gunsten, wohl wissend, dass Nadeschdin nicht Präsident werden wird. Aber die Menschen nutzten diese Gelegenheit, um legal zu protestieren.

 

Die zweite Illusion: Die Vorstellung, Russland könne isoliert werden: Lass die Wilden hinter einem eisernen Vorhang leben, und die zivilisierte Welt wird blühen. Aber so wird es nicht funktionieren. Der Verweis auf Nordkorea ist falsch. Russlands wirtschaftliches und militärisches Potenzial ist verhältnismäßig groß. Die politische Führung des Landes hat bereits bewiesen, dass sie bereit ist, in Europa Angriffskriege zu führen und dabei verschiedene Versionen der nationalen Interessen Russlands zu erfinden. Wenn man in die Ukraine oder in Georgien einmarschieren kann, um die Russen zu "schützen", warum kann man das nicht auch mit Moldawien oder Litauen tun? Und dann wird sich plötzlich herausstellen, dass es Russen in anderen europäischen Ländern gibt, die unter einer "Diktatur" leiden....

 

Obwohl Putin den russischen Bürgern gerne mit der militärischen Bedrohung des Westens Angst macht, erscheint das Szenario einer Besetzung Russlands eine Vorstellung absolut im Reich der Phantasie. Man kann zwar auch versuchen, einen neuen "Eisernen Vorhang" zu errichten, aber das wird nur die Scheingewissheit von Sicherheit schaffen. Er wird nicht vor militärischen Abenteuern politischer Wahnsinniger schützen, die sich der Kontrolle der Gesellschaft entziehen und zudem über Atomwaffen verfügen.

 

Es sei darauf hingewiesen, dass die absolute Abschottung gleichzeitig ein Verrat an dem Teil der russischen Gesellschaft wäre, der die Werte der Demokratie und der Menschenrechte teilt. Dies gilt auch für diejenigen, die die Unterstützung für das Regime sabotieren, auch wenn sie nicht aktiv gegen das Regime vorgehen. Und es gilt für diejenigen, die sich aktiv gegen die Diktatur stellen oder Opfern von Repressionen helfen.

 

Wenn dieser Teil der russischen Gesellschaft wächst, kann daraus ein positives Szenario mit globalen Perspektiven entstehen. Dieses Szenario lässt sich nicht einfach und konsequent verwirklichen. Denn die Diktatur ist stark: mit ihren Macht- und Finanzhebeln, mit dem Gewaltapparat, mit ihrer Propaganda. Auch weil ihre Gegner viele Schwächen haben: Es gibt keine Einheit unter den oppositionellen Kräften; ihr Einfluss auf die Gesellschaft ist gering; die Ideen von Demokratie und  bürgerlichen Freiheiten haben keine Zeit gehabt, in der russischen Gesellschaft Fuß zu fassen.

 

Dennoch können wir nur in dieser Richtung eine akzeptable Perspektive sehen. Schritte in andere Richtungen, wie die Beschwichtigung des Aggressors, die Isolierung des Aggressors, das Ignorierens der Geschehnisse (die sich angeblich nur mit internen Problemen befassen) - all dies würde in naher Zukunft noch mehr negative Folgen haben. Alles zu unterstützen, was die russische Diktatur schwächt, ist eine Art Garantie für die zukünftige Sicherheit der Europäer, wenn auch nicht zu 100 Prozent.  Wenn schon Unterstützung, wohin soll die Hilfe dann fließen? In erster Linie in die Unterstützung der Ukraine, denn eine Niederlage der Ukraine würde eine Stärkung der russischen Diktatur bedeuten und die Voraussetzungen für eine neue Aggression schaffen.

 

Die zweite Richtung besteht darin, alles zu unterstützen, was eine Alternative zum russischen Autoritarismus schafft. Dabei geht es nicht nur um die Unterstützung von politischen Emigranten und Antikriegsaktivisten in Russland. Es ist sinnvoll, alles zu unterstützen, was die Entwicklung der unterschiedlichen Erscheinungsformen bürgerlichen Engagements in Russland sowie die Ausweitung der Kontakte der einfachen Russen mit Europa und die Vertrautheit mit europäischen Werten fördert.

 

Letzteres ist nicht weniger wichtig als die Unterstützung derjenigen, die in Zukunft eine Alternative zur derzeitigen politischen Elite bilden könnten. Deshalb ist es vernünftiger, die Bildungsmöglichkeiten in Europa für junge Russen nicht zu schließen, sondern zu erweitern; die kulturellen Kontakte nicht zu verringern, sondern zu verstärken; die Visamöglichkeiten nicht zu beschränken, sondern zu erweitern, usw.. Und mehr Kanäle zu öffnen, um zu erklären, wie echte Demokratie funktioniert und warum sie trotz aller Schwierigkeiten besser ist als eine Diktatur.

 

Ist es möglich, einen Beleg für solchen Optimismus zu finden? Versuchen wir es. Im August 1968, als sowjetische Panzer in die Tschechoslowakei einmarschierten, protestierten ganze acht Menschen auf dem Roten Platz. Und fast niemand erfuhr etwas davon. Heute haben Tausende von Russen den Mut, offen zu protestieren, noch mehr tun es unausgesprochen, und es gibt viel, viel mehr Dissidenten als in der UdSSR. Diese Menschen brauchen Unterstützung, um ihren Einfluss zu vergrößern. Isolation ist nur für die Verbrecher sinnvoll, die ihren Angriffskrieg entfesselt haben und fortsetzen.

 

Foto: Anti-Kriegs street art, Moskau 2022.  Die Aufschriften auf den Müllkästen bedeuten „Wirtschaft“, „Kultur“, „friedliche Beziehungen“, „Frieden“ in Müll verwandelt wurden. Quelle: https://nowobble.net

 

 

Text auf Russisch:

 

Изоляция варварской России?

 

Скоро пройдет два года после того, как Путин развязал широкомасштабную агрессивную войну против Украины. За это время отношение многих стран к России ухудшились, а внутри России мягкий авторитарный режим стал жестким.

Публичные действия оппозиции стали совершенно невозможными, оппозиционные политики оказались в эмиграции или в тюрьме. Независимые СМИ не могут действовать легально, независимая гражданская активность подавляется.

 

У зарубежного наблюдателя могут сложиться два обманчивых впечатления: полной поддержки существующего режима в России и возможности отгородится от ужасного соседа разного рода санкциями. Но это не более, чем видимость. Антивоенная активность и была и продолжается. Она в большей части непублична, поэтому плохо видна издалека. Она пробивается в таких формах как многочисленные антивоенные граффити на улицах и «мемы» в соцсетях, неподцензурное распространение информации в интернете, частные разговоры и т.п. Вершина этого –

 

многочисленные открытые антивоенные акции, за которые к административной ответственности привлечено более 20 000 человек. (По данным медиапроекта ОВД-Инфо с 24 февраля 2022 по 21 января 2024 г. было произведено 19850 задержаний за антивоенную позицию.) Против тех, кого сочли особо злостными нарушителями, завели уголовные дела. ОВД-инфо насчитало 794 фигурантов «антивоенных» уголовных дел в 78 регионах страны на 18 декабря 2023 г. (https://ovd.info). Половину из 360 осужденных суды приговорили к лишению свободы. Средний срок за антивоенные высказывания в интернете составил 65 месяцев.

 

Да, массовых антивоенных демонстраций мы не видели. Но насколько можно себе представить массовые антивоенные демонстрации в Германии во время Второй мировой войны? Нарастает протест и у лояльного большинства. Видимым проявлением стали выступления жен и матерей мобилизованных с требованиями вернуть домой мужчин. И буквально несколько дней назад во многих городах России выстроились очереди. Люди стояли часами, чтобы поставить подпись за возможность выдвижения на выборы президента Бориса Надеждина –единственного кандидата высказывающегося, пусть очень умеренно, против войны. Более 150 тысяч россиян поставили за него подписи, понимая, что президентом Надеждину не быть, но люди использовали такую возможность для легального протеста.   

 

Вторая иллюзия: возможность изоляции России – пусть дикари живут железным занавесом, а цивилизованный мир будет расцветать. Но так не получится. Отсылки к Северной Корее некорректны. Экономический и военный потенциал России довольно велик. Политическое руководство страны уже продемонстрировало свою готовность вести агрессивные войны в Европе, придумывая разные версии национальных интересов России.

 

Если можно вторгнуться на территорию Украины или Грузии для «защиты» русских, то почему нельзя то же проделать с Молдовой или с Литвой? А потом вдруг выяснится, что и в других европейских странах есть русские, которые страдают там от «диктатуры»…Хотя Путин любит пугать российских обывателей военной угрозой Запада, сценарий оккупации России представляется абсолютно фантастическим. Выстроить новый «железный занавес» можно попытаться, но он только создаст иллюзию безопасности. И не спасет от военных авантюр неподконтрольных обществу политических маньяков, обладающих к тому же ядерным оружием.

 

Заметим, что это одновременно будет предательством по отношению той части российского общества, которая разделяет ценности демократии и прав человека. Это касается и тех, кто саботирует поддержку режима, хотя и не предпринимает активных действий против него. И это касается тех, кто активно противодействует диктатуре или помогает жертвам репрессий. Именно с ростом влияния этой части российского общества может быть связан позитивный сценарий мирового развития. Этот сценарий не может быть реализован просто и непротиворечиво. Потому что сильна диктатура с её властными и финансовыми рычагами, с аппаратом насилия, с пропагандой. Потому что у ее противников много слабостей: нет единства оппозиционных сил, мало их влияние на общество, идеи демократии и гражданских свобод не успели укорениться в обществе.

 

Тем не менее, только в этом направлении можно увидеть приемлемую перспективу. Шаги в иных направлениях, включая умиротворение агрессора, изоляцию агрессора, игнорирование происходящего (занимаемся только внутренними проблемами), - всё это в недалёком будущем вызовет еще более негативные последствия. Поддержка всего, что ослабляет российскую диктатуру для европейцев - своеобразная гарантия будущей безопасности, хотя и не 100-процентная. Если поддерживать, на что целесообразнее направлять помощь? В первую очередь на поддержку Украины, поскольку её поражение будет означать укрепление российской диктатуры и создание предпосылок для новой агрессии.

Второе направление – поддержка всего, что создает альтернативу российскому авторитаризму. И это не только поддержка политических эмигрантов и антивоенных активистов в России. Целесообразна поддержка всего, что способствует развитию различных проявлений гражданской активности в России, а также расширению контактов обычных россиян с Европой, знакомству европейскими ценностями. Последнее не менее важно, чем поддержка тех, кто в будущем может составить альтернативу нынешней политической элите. Поэтому более рационально не закрытие возможностей получения образования в Европе для молодых россиян, а расширение, не сокращение культурных контактов, а увеличение, не ограничение возможностей получения виз, а увеличение и т.д. И увеличение каналов для разъяснения того, как работает реальная демократия и почему при всех сложностях это лучше диктатуры.

 

Можно ли найти какой-либо повод для оптимизма? Попробуем. В августе 1968 года, когда в Чехословакию вошли советские танки, восемь человек вышли протестовать на Красную площадь. И об этом почти никто не узнал. Сегодня тысячи россиян находят смелость открыто протестовать, ещё больше делают это негласно, а инакомыслящих намного-намного больше, чем в СССР. Для усиления влияния этих людей нужна поддержка. А изоляция нужна только для преступников, развязавших и продолжающих агрессивную войну.

 

 


[1] Prof. Dr. Andrei Suslov. Wissenschaftlicher Referent bei der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur

[2] ovd.info

[3] putdomoi.ru