Kein Appeasement mit Putin

Ein Kommentar zur Friedensfrage

von Martin Böttger

 

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat der ukrainischen Regierung für einen Waffenstillstand im Krieg gegen die russischen Invasionstruppen einen vorübergehenden Gebietsverzicht nahegelegt. »Es kann sein, dass die Ukraine bei einem Waffenstillstand erst einmal hinnehmen muss, dass gewisse Territorien für die Ukraine vorübergehend nicht erreichbar sind…Kein Quadratmeter des ukrainischen Territoriums ist russisch geworden«, betonte Kretschmer. »Aber wie auch in anderen großen Konflikten wird es hier Zeit für eine endgültige Lösung.« [1]

Die jüngste Erklärung von Ministerpräsident  Kretschmer zum Ukraine-Krieg mit dem Vorschlag, ukrainische Gebiete „vorübergehend“ an Russland abzutreten, erinnert fatal an das Münchner Abkommen vom September 1938. Damals hatten Großbritannien und Frankreich Hitler dadurch zu beschwichtigen versucht, dass sie ihm gestatteten, das Sudetenland dem Deutschen Reich einzuverleiben. Diese Absicht scheiterte. Hitler eroberte trotzdem im März 1939 die so genannte Rest-Tschechei, also den Rest von Böhmen und Mähren. Ein halbes Jahr später griff er Polen an und begann damit den zweiten Weltkrieg. Seit dieser Zeit bezeichnet man das Münchner Abkommen als Appeasement-Politik und sollte aus deren Scheitern eigentlich gelernt haben.

Heutzutage würde der Versuch scheitern, wenn der Westen die Ukraine dazu bewegen würde, Teile ihres Territoriums „vorübergehend“ an Russland abzutreten. Es entstünde vielleicht ein Waffenstillstand, aber kein Frieden. Putin würde sich zwar gern die von ihm besetzten Gebiete dauerhaft einverleiben, aber er würde keine Ruhe geben, so wie Hitler 1939 keine Ruhe gab.

Aus historischer Verantwortung muss ich die Vorschläge von Michael Kretschmer zum Gebietsverzicht entschieden zurückweisen und habe dies als Vorsitzender des Martin-Luther-King-Zentrums Werdau bereits getan. Allerdings erntete ich damit in meinem Verein nicht nur Zustimmung. Einige Mitglieder finden den Kretschmer-Vorstoß gut und glauben, dass er zu einem baldigen Waffenstillstand führen würde.

Schließlich ist für mich unklar, was mit „vorübergehend“ gemeint ist. Wie lange soll für die ukrainische Regierung der Verzicht auf die besetzten fünf Provinzen dauern? So lange, bis die russischen Soldaten freiwillig abziehen? Oder etwa so lange, bis die gesamte Ukraine wirtschaftlich derart ruiniert ist, dass sie nur durch eine Wiedervereinigung mit dem Donbas saniert werden kann?

Ebenfalls unklar erscheinen Kretschmers Vorstellungen von einer „endgültigen Lösung“. Vielleicht der Sturz Putins? Vielleicht ein russischer Angriff auf Litauen als Ersatz für die nicht niederzuringende Ukraine? Vielleicht ein Agreement mit einem wieder gewählten Trump? Oder etwa so lange, bis China, Nordkorea und Iran den russischen Aggressor nicht mehr unterstützen und er deswegen die Waffen streckt?

So viele Fragen an einen Ministerpräsidenten, der es wohl allen recht machen will.

Anmerkungen


[1] SPIEGEL online vom 27.12.2024. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/russland-ukraine-krieg-michael-kretschmer-schlaegt-ukraine-voruebergehenden-gebietsverzicht-vor-a-2ecab94c-aa34-4a8d-854b-c3552981e8bc (Zugriff 1.2.2024)