Die Ukraine unterstützen. Bis zu ihrem Sieg
Von Alda Vanaga. Botschafterin der Republik Lettland
13.1.2024
Wir leben in einer Zeit, in der wir zunehmend mit Aggression, Krieg und Terrorismus konfrontiert sind. Die Zunahme von Konflikten weltweit, wie zum Beispiel in Nahost, in der Sahel-Region Afrikas oder in der Taiwanstraße, gefährdet nicht nur die Stabilität der Vereinten Nationen, sondern wirft auch grundlegende Fragen zur Geltung der globalen Ordnung auf, die auf der UN-Charta, dem Völkerrecht und dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit beruht.
Seit dem 24. Februar 2022 gibt es auch in unserer unmittelbaren Nähe einen Krieg, der nicht nur das globale geopolitische Gleichgewicht, sondern auch die Grundfesten der europäischen Sicherheit bedroht. Seit fast zwei Jahren führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine und wir müssen allestun, um der Ukraine bei der Verteidigung ihres Landes beizustehen.
Heute gehört Lettland zu den größten politischen, militärischen und wirtschaftlichen Unterstützern der Ukraine. Selten sieht man außerhalb der Ukraine so viele ukrainische Flaggen wie in Lettland. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir einen Blick auf die Geschichte Lettlands werfen.
Als am 18. November 1918 die Republik Lettland gegründet wurde, war das Schicksal unseres Landes keineswegs klar. Nur kurz davor endete der Erste Weltkrieg, was es den europäischen Ländern ermöglichte, sich auf Frieden und Wiederaufbau zu konzentrieren. Doch in Lettland dauerten die Freiheitskämpfe zwei weitere lange Jahre. Die 1920er und 1930er Jahren waren dann eine Periode wirtschaftlicher Entwicklung in der Republik Lettland, wenn auch nur von kurzer Dauer.
Als 1939 Stalin und Hitler Europa in Einflusszonen aufteilten, besetzten sowjetische Truppen im Jahre 1940 Lettland. Es folgte die deutsche Besatzung und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder eine sowjetische Besatzung, die bis 1990 andauerte. Damals haben wir die Gunst der Stunde genutzt und alle notwendigen Schritte und Reformen unternommen, um der EU und der NATO beizutreten. In diesemJahr werden wir 20 Jahre Mitgliedschaft Lettlands in der EU und der NATO feiern können.
Nach der Wiederherstellung unserer Unabhängigkeit hatten wir, Letten, keine Illusionen, was es bedeutet, neben einem Land zu existieren, das seine imperialistischen Ambitionen nicht überwunden hat.
Für Lettland bedeutete die sowjetische Okkupation Gewalt, Terror, Ungewissheit und Angst– wie zum Beispiel die gewaltsamen Deportationen von ungefähr 60 000 Lettinnen und Letten in die weitesten und kältesten Teile Russlands,nach Sibirien. Wir wissen wie grausam es ist, unter der russischen Herrschaft zu leben, deshalb sind wir bereit alles, was in unseren Kräften steht, zu tun, um die Ukraine zu unterstützen, Russland nicht den Sieg zu überlassen.
Die Ukraineverteidigt nicht nur ihre eigene Souveränität, sondern auch die von uns anderen demokratischen Ländern. Es geht in diesem Krieg um die imperialistischen Ambitionen Russlands, welche der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 zunächst gestoppt hatte. Deshalb ist der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nicht nur eine ukrainische Angelegenheit, sondern es betrifft uns alle.
Die Ukrainerinnen und Ukrainer verteidigen gerade nicht nur ihr Land, ihr Zuhause, ihre Familien. Sie kämpfen auch dafür, dass wir, alle Europäer in Frieden leben können, dass wir alle eine Zukunft haben. Sie verteidigen unsere demokratischen Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit.
Die russische Aggression hat das strategische Sicherheitsumfeld in Europa unumkehrbar verändert. Die Ukraine ist heute eine Frontlinie der europäischen Sicherheit.Die NATO ist sich dieser Herausforderungen bewusst.Die Gipfeltreffen in Madrid und Vilnius haben gezeigt, dass die Alliierten bereit sind, sichan die neue Sicherheitslage anzupassen.Das Bündnis hat die Führungsrolle bei der Gestaltung des neuen Sicherheitsumfelds übernommen und wir können sicher sein, dassdie NATO jedes Zentimeter seines Territoriums verteidigen wird.
Es freut mich besonders, dass die in Deutschland oft erwähnte „Zeitenwende“ auch im Baltikum deutlich sichtbar ist, wo Deutschland den Einsatz der NATO-Brigade in Litauen übernommen hat. Dies trägt zur Sicherheit unserer gesamten Region bei und wird die Zusammenarbeit zwischen den baltischen Staaten und Deutschland noch mehr vertiefen.
Angesichts der geopolitischen Lage kommt der EU eine immer wichtigere sicherheitspolitische Rolle zu. Die EU intensiviert derzeit ihre Anstrengungen zur Entwicklung ihrer Verteidigungsfähigkeiten, was sowohl für unsere eigene Sicherheit, als auch für die Unterstützung der militärischen Bedürfnisse der Ukraine von entscheidender Bedeutung ist. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben der Ukraine bereits mehr als 85 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, während Lettland die Ukraine mit mehr als 596 Millionen Euro im militärischen, humanitären und zivilen Bereich unterstützt hat, was prozentual auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) umgerechnet eine der höchsten Unterstützungsquoten weltweit ist. Lettland baut die entsprechende militärische und zivile Infrastruktur aus, um die alliierten Streitkräfte aufnehmen zu können. Lettland hat ab dem 1. Januar 2024 die Wehrpflicht wieder eingeführt. Unsere staatlichen Ausgaben für die Verteidigung betragen dieses Jahr 2,4 % des BIP und bis 2027 werden wir die 3% erreichen.
Die expansive Haltung Russlands gegenüber der Ukraine hat zweifellos das geopolitische Schachbrett verschoben und stellt etablierte Normen und die internationale Ordnung in Frage. Wir müssen eine umfassende Eindämmungsstrategie gegenüber Russland entwickeln und gleichzeitig unsere Widerstandsfähigkeit gegen hybride Bedrohungen, insbesondere im Bereich der kritischen Infrastruktur, rasch stärken. Um die Aggression Russlands vollständig einzudämmen, muss der Beitritt der Ukraine in die NATO ein Teil dieser Strategie sein.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Geschichte sich wiederholt, dass die politische Elite Russlands aufgrund persönlichen Machtstrebens es schafft, andere souveräne Länder rechtswidrig zu besetzen und somit gegenüber Menschen sinnloses Leid verursacht. Wir müssen die Ukraine bis zu ihrem Sieg unterstützen.