Geht Putin der Saft aus?

Das System Putin ist verwundbarer als es auf den ersten Blick erscheint.

Von Christian Booß

Stand 7.4.2024

 

Anfang April trafen ukrainische Drohnen Energieverarbeitungsanlagen in Tartastan. Die autonome russische Republik liegt etwa 800km östlich von Moskau im West-Ural und immerhin fast 1700 km von Kiew entfernt. Mit ihren Erdöl –und Gasvorkommen und ihren Verarbeitungsanlagen wie den getroffenen in Nischnekamsk ist sie ein wichtiges Zentrum der russischen russischen Treibstoff- und Energiekomplexes.

Dieser Angriff ist einer in einer Serie von rund einem dutzend, mit dem die Ukraine der russischen Energiewirtschaft inzwischen zusetzt. Sie zeigen, Russland scheint verwundbarer, als es die Daten einer stabilisieren Wirtschaft und die derzeitigen Fortschrittsmeldungen von der ukrainischen Front suggerieren. Sanktionen, Kriegsausgaben und neuerdings die Angriffe der Ukraine auf die Energieinfrastruktur Russlands machen Putin zu schaffen. Russland droht mittelfristig eine Finanzkrise, die das bisherige System untergräbt.

Die Angriffe auf russische Raffinerien hunderte von Kilometern im Landesinneren hinterlassen inzwischen deutliche Spuren bei der Versorgung mit Raffinerieprodukten. Deutliches Symptom: Putins Russland- eigentlich Energiexporteur- musste im März Benzin aus Belarus importieren. Laut Institute for the Study of war (ISW) Februar 590 Tonnen, Anfang März fast 3000 Tonnen. [1] Schon Anfang des Jahres musste ein halbjähriger Exportstop für Benzin und Diesel verhängt werden.

In den russischen Nachrichten werden die Folgen der ukrainischen Luftangriffe zwar üblicherweise kleingeredet. Der Brand in Tartastan sei nach 20 Minuten gelöscht worden, hieß es. Aber das ist offenbar nur die halbe Wahrheit. Die viele russische Ölverarbeitungsanlagen wurden mit Hilfe westlicher Technologie errichtet. Auf Grund der Sanktionen sind Schäden daher nicht schnell zu beheben. Laut Kiev Independent haben die ukrainischen Drohnen-Angriffe rund 12 Prozent von Russlands Ölverarbeitungskapazität beschädigt.[2] Offenbar gibt es immer wieder Engpässe. Denn auch der Eigenverbrauch der Armee ist hoch und auch frontnahe Öllager- etwa im Oblast Beogorod- wurden immer wieder getroffen. Schon im vergangenen Sommer mussten zeitweise Exportverbote verhängt werden, weil es wegen Treibstoffmangels regionale Probleme bei der Getreideernte gab. Diese Mängellage könnte sich verschärfen, wenn die Ukraine weiterhin derart effektiv mit Drohnen angreift.  Es ist ein klassischer David gegen Goliath-Vorteil: Diese Lufttransportmittel sind –nicht zuletzt wegen des Verbotes Waffenhilfen gegen Russland einzusetzen- selbstgemacht.  Sie werden in kleinen Serien gefertigt. Abwehrmaßnahmen sind daher schwer planbar. Die Maßnahmen, nach denen Kriegsblogger inzwischen alarmistisch rufen- von  einfachen Flugabwehr-Maschinengewehrinstallationen an den Energieanlagen-Anlagen und auf Pickups und die Schaffung eines funktionierenden Benachrichtigungssystems[3] wirken daher auch eher hilflos, um die Energieindustier eines Landes von der Größe Russlands vor Drohnen zu schützen.

Die Beunruhigung der Kriegsblogger über die verwundbare Stelle Russlands ist berechtigt. Wenn Putin weniger Kraftstoffe exportieren kann und phasenweise sogar einkaufen muss, drückt das auf die Staatsfinanzen. Die großen wiederverstaatlichten Gas- und Öl-Firmen sind das finanzielle Rückgrat des Putinismus. Ihre Einnahmen ließen nach den wilden Jelzin-Jahren die Staatseinnahmen gesunden. Dies war die finanzielle Basis für stabile Beamtengehälter, Renten, Wirtschaftswachstum und den Ausbau der Armee. Der Gas- und Ölexport wurden jedoch  nach Beginn des Angriffskrieges durch westliche Sanktionen gedrosselt, auch wenn es bei Öl, anders als bei Gas, nur relative Sanktionen auf Seiten der Ukraine-Unterstützer gibt. Russland konnte sein Öl unter der Hand weiter an Indien und China verkaufen. Der veränderte Markt und die Sanktionsdrohungen im Hintergrund  veranlassten diese Kunden jedoch die Preise zu drücken. Inzwischen muss Putin sein Rohöl für wohl 50$ pro Barrel verramschen, die Hälfte nach dem kurzfristigen Preisanstieg nach Kriegsbeginn.[4]  Indien könnte wegen der US-Drohungen demnächst sogar als Abnehmer ausfallen. Die internationalen Rohölpreise blieben daher nach vorübergehendem Anstieg lange relativ niedrig, trotz der Auseinandersetzungen im Nahen Osten.

Putins Staatshaushalt ist daher in der Klemme. Die Kosten steigen und die Einnahmen sinken. Die Kriegsbedingten Kosten sollen sich verdoppelt haben. Im  Angriffsjahr lag das Staatsdefizit nach offiziellen Angaben von 2% des BIP, für 2023 rechnen internationale Experten mit einer Erhöhung in Richtung  einer Verdoppelung. Die Löcher im Staatshaushalt werden aus Rücklagen finanziert, die Putin langfristig hatte anlegen lassen. Dem sogenannten Nationalen Vermögensfonds entnahm die Regierung im Jahr 2023 umgerechnet etwa 5,7 Milliarden Dollar. [5] Inzwischen dürfte Russland aber fast die Hälfte dieses Notgroschens aufgebraucht haben. Laut Analyse von Bloomberg Economist sollen die liquiden Mittel des russischen Nationalvermögensfonds von Januar 2022 bis Dezember 2023 um 44 Prozent gesunken sein. Die Gesamtsummes des Fonds sank kriegsbedingt um zwölf Prozent.[6] Wenn die Staatsdefizite sich weiterentwickeln wie bisher, vor allem die Einnahmen aus fossilen Brennstoffexporten niedrig bleiben, dürfte die Notreserve in spätestens zwei Jahren aufgebraucht sein.  

Auch andere Fonds, wie der Sozialfonds (Rentenfonds) ist unter Druck. Stabile Renten und Sozialausgaben sollten das Volk im Wahljahr bei Laune halten und zeigen, dass der Ukraine Krieg dem gemeinen Volk nicht schadet. Zudem belasten die Kosten für die Schwerverletzten und Gefallenen aus dem Krieg die Sozialkosten. Putin erstickt Proteste gegen das Verheizen seiner männlichen Bevölkerung nicht nur mit Repression, sondern auch  mit hohen Ausgleichszahlungen an die Invaliden bzw. Hinterbliebenen.[7]

Momentan puffert Putin die Probleme mit seinen Rücklagen noch weg. Aber die Spielräume werden auch auf Grund der neuen Strategie der Ukraine enger. Laut Militäranalysen ist das Angebot an Benzin und Diesel derzeit auf Grund der Ausfälle in den Raffinerien um 10%  knapper.[8] Nach Nowaja Gaseta  liegen die Kosten für russisches Benzin derzeit wieder bei über 600 €uro pro Tonne, einem historischen Höchstwert.[9]

Die alarmierten russischen Analysten warnen vor folgendem Szenario: „Der Anstieg der Kraftstoffpreise treibt die Preise aller anderen Waren, einschließlich Einzelhandelswaren, in die Höhe, was die wirtschaftliche Lage verschlechtert und die Lage im Land destabilisiert.[10]

Momentan dürfte es Putin wie bisher mit Hilfe von Markteingriffen und Rücklagen gelingen, die Wirkungen der Luftschläge abzufangen. Die Frage ist jedoch, wie lange noch?

Halten die Angriffe auf die Raffinerien der Ukrainer an, so dass Russland nur noch weniger Raffinerieprodukte verkaufen kann, und bleiben die Preise auf dem internationalen Markt für die russischen Exporte insgesamt eher niedrig, ist es eine Frage der Zeit, dass Putins Reserven erschöpft sind, Russlands Staatshaushalt Richtung Pleite rutscht. Putin könnte sich dann nur mit Steuererhöhungen, Sonderopfern und/oder einer Inflation retten. Angesichts der Verblendung und Loyalität der russischen Bevölkerung muss das noch nicht zwangsläufig zum Zusammenbruch des Systems Putin führen.

Mit der Illusion, dass der imperiale Krieg  mit Prosperität und sozialen Wohltaten in Russland Hand in Hand geht, wäre es dann aber vorbei. Rein finanziell wäre es das Ende des Putinismus. Die Frage ist allerdings, ob die Ukraine angesichts von Munitions- und Luftabwehrmangel so lange überhaupt durchhalten könnte.

 


[1] Nach https://www.n-tv.de/politik/Russland-braucht-offenbar-Benzin-aus-Belarus-article24839554.html

 

[2] Nach www.fr.de/politik/ukraine-krieg-russland-oel-gas-putin-energiepolitik-benzin-angriff-drohnen-zr-92905499.html

[3][3]

[4] The Economist nach www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/russlands-wirtschaft-kann-langem-krieg-standhalten-aber-keinem-intensiveren_id_192329336.html

[5] https://www.manager-magazin.de/finanzen/russland-haushaltsdefizit-nimmt-deutlich-zu-a-2d361562-5659-4902-9927-c8c5ec86a88b

[6] The Ecolonmist nach: www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/russlands-wirtschaft-kann-langem-krieg-standhalten-aber-keinem-intensiveren_id_192329336.html

[7] www.fr.de/politik/verluste-offensive-tote-ukraine-krieg-regierungsakten-zahlen-russland-zr-92579846.html

[8] Rybar 2.4.2024

[9] Nach www.fr.de/politik/ukraine-krieg-russland-oel-gas-putin-energiepolitik-benzin-angriff-drohnen-zr-92905499.html

[10] Rybar 2.4.2024