„Wir freuen uns sehr, damit einen kleinen Beitrag in der humanitären Katastrophenlage zu leisten.“
Wie sind Geflüchtete aus der Ukraine in Westsachsen angekommen?[1]
Von Dr. Sebastian Liebold, IHK Chemnitz
Wirtschaft in Westsachsen leistet humanitäre Hilfe in der Ukraine und gewinnt inzwischen durch Eigeninitiative Flüchtlinge als Arbeitskräfte. Die letzte Aktion der IHK war eine Jobbörse auf dem Chemnitzer Weihnachtsmarkt 2023.
Oleksandr Milashov arbeitet als Zuschneider in der Textilproduktion bei Seidel Moden in Schreiersgrün.
Für Axel Seidel ist es fast wie ein Hauptgewinn im Lotto. Lange Zeit hatte der Chef von Seidel Moden im vogtländischen Treuen vergeblich nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesucht. Nun arbeiten fünf Geflüchtete bei dem Hersteller von Damenoberbekleidung und besetzen bislang freie Stellen.
Möglich wurde das durch Eigeninitiative. Zwei langjährige, russischsprachige Mitarbeiterinnen unterstützten innerhalb der Community in den ersten Wochen Neuankömmlinge aus der Ukraine und haben sie direkt für einen Job in der Textilfirma angesprochen. Mittlerweile arbeiten fünf Geflüchtete aus der Ukraine im Unternehmen. Eine Mitarbeiterin hat sogar 15 Jahre Erfahrung in der Modebranche. „Ein Glücksfall“, sagt Seidel. Sprachbarrieren sind kein Problem: Entweder übersetzen andere Mitarbeiter oder es wird auf Übersetzungs-Apps zurückgegriffen. Doch das ist immer seltener nötig, da die Sprache im Alltag erlernt wird. Beider Komsa AG in Hartmannsdorf arbeitet seit dem 1. Juni 2022 ein Ukrainer als Logistic Operator. Auch das lief über Eigeninitiative: der Kontakt kam über die Empfehlung einer Kollegin zustande. Da bereits Sprachkenntnis-se vorhanden waren, war der Einstiegkurzfristig möglich. Wenn es komplizierter wird, unterstützt eine polnische Kollegin beim Übersetzen.
Ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine
Der Kriegsbeginn in der Ukraine vor einem Jahr hat eine der größten Fluchtbewegungen in Europa in den letzten Jahrzehnten ausgelöst. Viele der Geflüchteten sind dabei nach Südwestsachsen gekommen. Es sind zumeist Frauen mit Kindern und ältere Menschen. Männer dürfen die Ukraine nur unter gesonderten Bestimmungenverlassen, beispielsweise wenn sie mindestens drei Kinder haben.
Die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr ist mittlerweile der Erkenntnis gewichen, sich auf einen längeren Aufenthalt einstellen zu müssen. Die Massenzustromrichtlinie ermöglichtes den Geflüchteten, eine Arbeit aufzunehmen. Dennoch ist aus vielfältigen Gründen bisher nur ein geringer Teil der Angekommenen in Beschäftigung. Die Frauen sind gut ausgebildet undverfügen häufig über gute Englischkenntnisse. Deutsche Sprachkenntnisse sind dagegen seltener.
Das ist zugleich eine der größten Hürden bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Insbesondere in ländlichen Regionen sind Sprachkurse rar und oft nur über weite Strecken zu erreichen. Fehlt auch noch ein Kinderbetreuungsplatz, ist die Teilnahme an Sprachkursen in Präsenz kaum möglich. Hinzu kommt ein gravierender Mangel an Sprachlehrkräften, der den Kursbeginn verzögert.
Eigeninitiative, pragmatische Lösungen und Willkommenskultur
Die Unternehmen haben grundsätzlich Interesse daran, Geflüchtete aus der Ukraine einzustellen und überbrücken wie bei Seidel Moden und bei Komsa die Sprachbarrieren. In den meisten Fällen jedoch gab es bisher weder Bewerbungen von Ukrainern noch Vermittlungsvorschläge der Jobcenter.
Wo innerhalb einer kurzen Zeit ein Berufseinstieg gelungen ist, waren persönliche Empfehlungen und Kontakteausschlaggebend. Mit einer größeren Anzahl Vermittlungen ist erst dann zurechnen, wenn das vorgegebene Procedere durchlaufen wurde und eine Vielzahl von ukrainischen Geflüchteten die Integrationskurse mit mindestens 700 Stunden Dauer absolviert haben. Neue Herangehensweisen sind nötig, um die Frauen und Männer schneller in Arbeit zu bringen. So könnten die Integrationskurse in Teilzeit neben einem Berufseinstieg absolviert und die neuen Sprachkenntnisse direkt in alltäglichen Situationen angewendet werden.
Hilfstransport für die Ukraine –eine Aktion der IHK Chemnitz[2]
Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine an. Von der Krim aus rückten russische Kräfte u.a. nach Melitopil vor –die Stadt wurde bereits am 26. Februar okkupiert. Ivan Fedorov, der ehrgeizige Bürgermeister mit dem Willen, internationale Firmen anzusiedeln, arbeitete weiter und kümmerte sich um Schutz und Versorgung der Bevölkerung. Am7. März 2022 erreichte uns ein Hilferufaus dem Rathaus der südostukrainischen Stadt: Arznei und Lebensmittelwürden knapp.
Sofort fragte die IHK Chemnitz nach, ob ein möglicher Transport die Chance hätte, trotz der Wirren „durchzukommen“ und den Menschen in der Stadt, insbesondere Älteren und Kranken, die nichtfliehen können, dringend benötigte Güter zu bringen.
Als wir uns umhörten, sagten die meisten Hilfsorganisationen, sie schickten ihre LKW nur bis nach Ostpolen – von der Grenze holten ukrainische Transporte die Güter ab. Wir konnten eine sächsische Firma mit Zweigniederlassung in der Westukraine finden, die den ersten Teil der Reise sicherstellt. Mit großem Enthusiasmus sammelten Mitarbeiterder IHK Chemnitz Geld und Sachspenden, in einem Büro im Servicebereich stapelten sich Spendengaben und Einkäufe. Auch Vereine, die Mitarbeiterangesprochen hatten, gaben ihren Teil dazu – u.a. die Wasserwacht des DRK und die Johanniterhilfe. Viele schleppten Kisten und Säcke.
Zwischendurch erreichte uns die Nachricht, dass der Bürgermeister von russischen Kräften gekidnappt wurde –durch einen Gefangenenaustausch kam er einige Tage später wieder frei. Wir wissen, es herrscht Krieg, die Mittel sind niederträchtig. Umso wichtiger war es uns, keine Zeit zu verlieren. Wir gewannen den Verein Ukraine Chemnitz Europa e.V., EDEKA und das Feuerwehrdepot der Stadt Chemnitz als Partner. Am15. März konnten wir schließlich einen großen LKW mit unseren Hilfsgütern auf die Reise schicken. Auch wenn wir vierStunden für die Zollanmeldung brauchten – die Mühe hat sich gelohnt, alle Beteiligten freuten sich über den guten Start des LKW.
Vom Zwischenlager aus macht sich der Transport auf die weitere Reise. Es braucht furchtlose Fahrer, die die Hilfsgüter quer durchs Land bringen. Wir freuen uns sehr, damit einen kleinen Beitrag in der humanitären Katastrophenlage zu leisten.
[1] Mit freundlicher Genehmigung des Autors aus: IHK: Südwestsachsen April 2022, S. 32. https://www.ihk.de/blueprint/servlet/resource/blob/5768400/90fe7bdbb1084d99062c8a535598a4dc/wirtschaft-suedwestsachsen-04-2023-data.pdf (Zugriff 31.1.2024)
[2] Mit freundlicher Genehmigung des Autors aus: IHK: Südwestsachsen April 2022, S. 23. https://www.ihk.de/chemnitz/servicemarken/presse/wirtschaft-in-suedwestsachsen/archiv-2022-4684440 (Zugriff 31.1.2024)