Kriegs kritische Texte aus Russland

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Texte:

„Offener Brief russischer Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten gegen den Krieg mit der Ukraine“ veröffentlicht am 24. Februar. Stand 2. März 2022 mehr als 6100 Unterzeichner*innen.[1] 

In dem Text heißt es:

"Wir, russische Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten, erklären unseren entschiedenen Protest gegen die kriegerischen Handlungen, die von den Streitkräften unseres Landes auf dem Territorium der Ukraine begonnen wurden. Dieser fatale Schritt führt zu großen menschlichen Opfern und erschüttert die Grundlagen, die dem System der internationalen Sicherheit zugrunde liegen. Die Verantwortung für die Entfesselung eines neuen Krieges in Europa liegt vollständig auf Russland.

Für diesen Krieg gibt es keine vernünftigen Begründungen. […] Es ist vollkommen klar, dass die Ukraine keine Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes darstellt. Der Krieg gegen sie ist ungerechtfertigt und offensichtlich sinnlos.

Die Ukraine war und ist ein Land, das uns sehr nahe ist. Viele von uns haben in der Ukraine Verwandte, Freunde und Kollegen. Unsere Väter, Großväter und Urgroßväter haben gemeinsam gegen den Nationalsozialismus gekämpft. Die Entfesselung eines Krieges aufgrund der geopolitischen Ambitionen der Führung der RF [Russischen Föderation RK], die von fragwürdigen historischen Phantasien geleitet wird, ist ein zynischer Verrat an ihrem Andenken.

Wir respektieren die ukrainische Staatlichkeit, die sich auf funktionierende demokratische Institutionen stützt. Wir haben Verständnis für die Entscheidung unserer Nachbarn für Europa. Wir sind davon überzeugt, dass alle Probleme in den Beziehungen unserer Staaten friedlich gelöst werden können. […]

Indem Russland den Krieg entfesselt hat, hat es sich selbst zur internationalen Isolation verurteilt und sich in die Position eines Paria-Landes begeben. Für uns Wissenschaftler bedeutet das, dass wir unsere Arbeit nicht mehr in der gewohnten Weise fortsetzen können, denn wissenschaftliche Forschung ist ohne die umfassende Kooperation mit Kollegen aus anderen Ländern nicht denkbar. Die Isolierung Russlands bedeutet die weitere kulturelle und technologische Degradierung unseres Landes ohne jede positive Perspektive. Der Krieg mit der Ukraine ist ein Schritt ins Nichts.

[…] Wir fordern, dass die Souveränität und die territoriale Integrität des ukrainischen Staates respektiert werden. Wir fordern Frieden für unsere Länder."  

 

Einen Offenen Brief russischer Historiker gegen den Krieg mit der Ukraine haben bis zum 2. März 2022 mehr als 550 Personen unterschrieben; jeweils auch mit ihrer institutionellen Affiliation. In dem Schreiben heißt es:

"Wir, russische Historiker – Wissenschaftler, Dozenten, Studenten, Doktoranden und Absolventen historischer Fakultäten – erklären unseren entschiedenen Protest gegen die kriegerischen Aktivitäten, die russische Streitkräfte auf dem Gebiet des souveränen Staates Ukraine.

In der Vergangenheit sind viele vernichtende Kriege und aggressive Handlungen mit dem Hinweis auf die historische Unzulänglichkeit anderer Staaten und Völker begründet worden. Im 21. Jahrhundert ist eine solche Manipulation der Geschichte unannehmbar. Streitfragen müssen in Diskussionen, bei diplomatischen Verhandlungen und wissenschaftlichen Konferenzen gelöst werden, aber nicht auf dem Schlachtfeld.

Alle Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zeigen, dass Kriege mit Katastrophen für alle Beteiligten enden. Der Einsatz von Waffen führt zu Opfern in der Zivilbevölkerung, zur Zerstörung von Gebäuden und Kommunikationseinrichtungen und am Ende zu einer humanitären Katastrophe. […]

Die Ukraine war und ist für Russland ein wirkliches Bruderland, mit dem uns verwandtschaftliche, freundschaftliche und berufliche Beziehungen verbinden, unsere gemeinsame historische Erfahrung. Wir sprechen über das Heldentum unserer Völker während des Großen Vaterländischen Krieges. […]

In der Zukunft werden wir auf die Fragen unserer Kinder und Enkel nach den Gründen der Katastrophe antworten müssen, die sich vor unseren Augen abspielt. Uns allen, der russischen Gesellschaft, steht die große Aufgabe bevor, unserer Verantwortung für diese Ereignisse gerecht zu werden.

Wir fordern die sofortige Beendigung des Krieges." 

 

Direkt an Vladimir Putin wenden sich die „Absolventen, Studenten, Doktoranden und Mitarbeiter des MGIMO“.
Beim MGIMO handelt es sich um die Kaderschmiede des russischen Außenministeriums; praktisch alle russischen Diplomaten werden dort ausgebildet. Auch ihrem Selbstverständnis nach gehören Absolventen des MGIMO zur Elite des russischen Staatsapparates. Dies macht diesen Text so bemerkenswert. Am 2. März haben bereits mehr als 1200 Personen unterschrieben.

"Wir, Absolventen, Studenten, Doktoranden und Mitarbeiter des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen MGIMO des Außenministeriums der Russischen Föderation, die diesen Aufruf unterzeichnet haben, lehnen die Militäraktionen der Russischen Föderation auf dem Territorium der Ukraine kategorisch ab.

Wir halten es für moralisch inakzeptabel, zur Seite zu treten und zu schweigen, während Menschen in einem Nachbarstaat sterben. Sie sterben durch die Schuld derer, die Waffen der friedlichen Diplomatie vorgezogen haben.

In seiner Geschichte hat Russland hat sich immer wieder für die Verteidigung der Schwachen eingesetzt und sie unterstützt, auch wenn dies einen hohen Preis erforderte. Die Führer unseres Staates haben trotz aller ideologischen Differenzen selbst die schwierigsten Krisensituationen friedlich gelöst. Wir fordern, dass diese außenpolitische Tradition auch heute fortgeführt wird: Truppen vom Territorium der Ukraine müssen abziehen, die Bombardierung ukrainischer Städte muss enden und ein ehrlicher Verhandlungsprozess muss beginnen – ohne Ultimaten und Kapitulationsforderungen an die andere Seite. […]

Wir sind für das Leben und Arbeiten in einer offenen Welt ausgebildet. Wir bereiten uns darauf vor, Repräsentanten eines Landes zu sein, für das die ganze Welt offen steht – und Russland ist offen für die ganze Welt. Uns wurden Diplomatie, internationales Recht, journalistische Standards beigebracht, uns wurde der Wert internationaler Zusammenarbeit erklärt, von Kooperationen, kulturellem Austausch. Besonderer Wert wurde immer auf die Bedeutung internationaler Anstrengungen zur Schaffung einer internationalen Übereinkunft zur Reduzierung von Atomwaffen gelegt.

Die Handlungen der russischen Streitkräfte auf dem Territorium der Ukraine haben Bedingungen geschaffen, angesichts derer die Umsetzung der Werte, die uns im Laufe unseres Studiums beigebracht wurden, unmöglich erscheint.

Wir, die Absolventen, Studenten, Doktoranden und Mitarbeiter des MGIMO, streben danach, die traditionellen außenpolitischen Werte Russlands zu bewahren: Sicherheit, friedliche Zusammenarbeit und Dialog. Aber wenn diese Werte in der gegenwärtigen Situation von der offiziellen Position des Außenministeriums und des Staates insgesamt abweichen, haben wir keine Scheu uns offen zu ihnen zu bekennen."
 

 

 [1] Deutsche Textausschnitte zitiert nach Robert Kindler https://zeitgeschichte-online.de/node/58630 (Zugriff 4.3.2022)

Das russische Original des Textes inklusive aller Unterschriften ist hier zu finden (letzter Zugriff: 2.3.2022).

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„Das Jüngste Gericht wartet auf alle“ – Antikriegsstimmen aus Russland aus der Orthodoxen Kirche

zit. nach Russland.ru  1. März 2022

Am sechsten Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine erheben sich immer mehr Stimmen in Russland gegen den Krieg.

Priester und Diakone der Russisch-Orthodoxen Kirche haben einen Appel mit der Aufforderung des sofortigen Waffenstillstandes unterzeichnet. „Wir, die Priester und Diakone der Russisch-Orthodoxen Kirche, appellieren in eigenem Namen an alle, in deren Namen der Bruderkrieg in der Ukraine gestoppt wird, um Versöhnung und einen sofortigen Waffenstillstand.

Das Jüngste Gericht wartet auf alle. Keine irdische Autorität, kein Arzt, kein Wächter wird uns vor diesem Gericht schützen. (…) Wir beklagen den Leidensweg, dem unsere Brüder und Schwestern in der Ukraine unverdientermaßen ausgesetzt sind.

Wir erinnern daran, dass das Leben eines jeden Menschen ein unbezahlbares und einzigartiges Geschenk Gottes ist, und wünschen daher allen Soldaten, sowohl den russischen als auch den ukrainischen, dass sie unversehrt in ihre Heimat und zu ihren Familien zurückkehren.

Mit Bitterkeit denken wir an die Kluft, die unsere Kinder und Enkelkinder in Russland und der Ukraine überbrücken werden müssen, um wieder Freunde zu werden, sich gegenseitig zu respektieren und zu lieben. (…) Wir rufen alle Kriegsparteien zum Dialog auf, denn es gibt keine andere Alternative zur Gewalt. Nur die Fähigkeit, den anderen zu hören, kann Hoffnung auf einen Ausweg aus dem Abgrund geben, in den unsere Länder in wenigen Tagen gestürzt wurden. Lasst uns die Fastenzeit in einem Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe beginnen. Beenden Sie den Krieg.“

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Остановить войну с Украиной!

online-Petition 1.185.090 haben unterschrieben. 

www.change.org/p/%D0%BE%D1%81%D1%82%D0%B0%D0%BD%D0%BE%D0%B2%D0%B8%D1%82%D1%8C-%D0%B2%D0%BE%D0%B9%D0%BD%D1%83-%D1%81-%D1%83%D0%BA%D1%80%D0%B0%D0%B8%D0%BD%D0%BE%D0%B9-2ce0a2d7-b957-4e23-981a-c67a26e2b0b7

(Zugriff 5.3.2022)

Лев Пономарев hat diese Petition gestartet

22 февраля вооруженные силы России пересекли границу и вошли на территорию восточных областей Украины.

24 февраля ночью были нанесены первые удары по украинским городам.

О категорическом неприятии войны, об ее гибельности для страны публично высказывались самые разные люди в России. От интеллигенции до отставных генерал-полковников и экспертов Валдайского форума.

Разными голосами звучала одна эмоция – ужас от самой мысли о возможности нового витка войны между Россией и Украиной. Ужас, вызванный пониманием того, что это может произойти на самом деле.

И вот это произошло. Путин отдал приказ о начале военной операции против Украины, несмотря на страшную цену, которую несомненно заплатят за эту войну и Украина, и Россия, несмотря на все голоса разума, звучавшие в России и за ее пределами. 

Официальная риторика России утверждает, что это делается с целью «самозащиты». Но Историю не обманешь. Поджог Рейхстага был разоблачен, а сегодня разоблачения не требуются – все очевидно с самого начала. 

Мы, сторонники мира, действуя во имя сохранения жизней граждан России и Украины, в целях остановки начавшейся войны и предотвращения ее перерастания в войну планетарного масштаба: 

- объявляем о начале формирования антивоенного движения в России, и поддержки любых мирных форм антивоенного протеста;

требуем немедленного прекращения огня со стороны Вооруженных сил России, и их немедленного вывода с территории суверенного государства Украина;

- считаем военными преступниками всех, кто принимал решение о начале боевых действий на востоке Украины, санкционировал агрессивную и оправдывающую войну пропаганду в российских медиа, зависимых от власти. Мы будем добиваться привлечениях их к ответственности за их деяния. 

Мы обращаемся ко всем здравомыслящим людям в России, от действий и слов которых что-то зависит. Становитесь частью антивоенного движения, выступайте против войны. Сделайте это хотя бы для того, чтобы показать всему миру, что в России были, есть и будут люди, которые не примут подлости, творимой властями, превратившими само государство и народы России в орудие своих преступлений.

www.change.org/NetVoyne

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„Es ist unsere Schande“: Immer mehr Russen protestieren gegen den Krieg

zitiert aus  http://www.russland.news/es-ist-unsere-schande-immer-mehr-russen-protestieren-gegen-den-krieg/

27. Februar 2022

„Ich wünschte, alles wäre wie früher! Als 2005 der Eurovision Song Contest in Kiew stattfand und die Kastanien blühten“, schrieb eine russische Sängerin auf Instagram. Ihr Wunsch wird höchstwahrscheinlich nur ein Wunsch bleiben.

Am 27. Februar, dem vierten Tag der „Militäraktionen“ in der Ukraine, erheben immer mehr Russen ihre Stimme gegen den Krieg, obwohl dies für viele mit großen Risiken verbunden ist.

So beschloss das Team des Garage Museum of Contemporary Art die Arbeit an den Ausstellungen zu unterbrechen und sie zu verschieben, bis die menschliche und politische Tragödie in der Ukraine ein Ende hat. „Wir können vor dem Hintergrund der Ereignisse nicht die Illusion von Normalität aufrechterhalten. „Die Garage“ war schon immer eine internationale Institution, die offen für verschiedene Stimmen ist, und wir sind kategorisch gegen Aktionen, die spalten und isolieren. Wir sehen uns als Teil einer größeren Welt, die nicht durch Krieg geteilt ist“, heißt es auf der Website des Museums.

„Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, ist eine Schande. Es ist unsere Schande, aber leider werden auch unsere Kinder, eine Generation sehr junger und noch nicht geborener Russen, die Verantwortung dafür tragen müssen. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in einem Aggressor-Land leben und sich dafür schämen müssen, dass ihre Armee einen unabhängigen Nachbarstaat angegriffen hat. Wir rufen alle Bürger Russlands auf, Nein zu diesem Krieg zu sagen.

Wir glauben nicht, dass eine unabhängige Ukraine eine Bedrohung für Russland oder einen anderen Staat darstellt. Wir glauben nicht an Wladimir Putins Äußerungen, dass das ukrainische Volk unter der Herrschaft von „Nazis“ steht und „befreit“ werden muss.

Wir fordern ein Ende dieses Krieges“, diese Erklärung einer Reihe von russischen Schriftstellern, Schauspielern und einfachen Menschen wurde auf Livejournal veröffentlicht.

Die Erklärung wurde von auch im Westen bekannten Schriftstellern wie Boris Akunin, Dmitry Bykow, Dmitry Glukhovsky und auch von dem mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Journalisten Dmitri Muratow unterzeichnet.

Mehr als 1.000 russische Ärzte, Krankenschwestern, Krankenpfleger und Sanitäter haben Präsident Wladimir Putin gebeten, die Militäraktionen in der Ukraine einzustellen. Der offene Brief wurde auf dem Telegram-Kanal der Initiativgruppe veröffentlicht. „Wir haben einen Eid geschworen, allen Menschen zu helfen, unabhängig von ihrer Nationalität, Religion oder politischen Einstellung. Aber jetzt reicht unsere Hilfe nicht mehr aus. Der Krieg wird so viele Menschenleben fordern und so viele Schicksale verkrüppeln, dass wir keine Zeit haben werden, mit all unseren Bemühungen zu helfen. Jede Granate oder Kugel, selbst wenn sie ihr Ziel nicht erreicht und jemanden getötet hat, bringt immer noch Angst, Panik und Schmerz mit sich. Schmerzen, die das Herz schmerzen lassen. Die Herzen der Zivilbevölkerung schmerzen in diesem Moment. Soldaten. Mütter und Ehefrauen von Soldaten. Kinder. Niemand hat diese Angst verdient“, heißt es in dem Aufruf.

Inzwischen hat die Petition „Stoppt den Krieg mit der Ukraine!“ auf der russischen Webseite change.org bereits mehr als 930.102  Unterschriften (Stand 27. 02.2022, 21:30 Uhr Mitteleuropäischer Zeit) von russischen Bürgern gesammelt. „Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand durch die russischen Streitkräfte und ihren sofortigen Rückzug aus dem Gebiet des souveränen Staates Ukraine“, heißt es in der Petition. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass man auch mit der Unterschrift unter diese Petition ein Risiko eingeht, da sie nicht anonym erfolgen kann.

Am Tag der Ermordung des Oppositionspolitikers Boris Nemzow finden zum siebten Mal in Folge Gedenkveranstaltungen auf der Bolschoi-Moskworezki-Brücke in Moskau und anderen russischen Städten statt. In diesem Jahr kommen die Menschen vor allem im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine. Augenzeugen berichten, dass die Menschen einfach schweigend auf der Brücke stehen. Es ist verboten, Plakate mitzunehmen, also schreiben sie „Nein zum Krieg“ auf ihren Gesichtsmasken. Die Polizeiautos sind so verteilt, dass sich die Menschen nicht zu einem allgemeinen Strom zusammenschließen können, um den Eindruck zu erwecken, dass gar nicht viele gekommen sind.

An der Stelle, an der der Politiker getötet wurde, legen Menschen Blumen und Zettel nieder. Ein Plakatträgt die Aufschrift: „Vergib uns, Du hattet Recht“.

Hier weitere Appelle aus der russischen Zivilgesellschaft:

Russische Komiker

Russische Designer und Illustratoren

Vertreter der russischen Mode- und Schönheitsindustrie
HSE-Absolventen und -Mitarbeiter

Vertreter der russischen IT-Branche

Vertreter der Podcast-Branche

Psychologische und psychiatrische Gemeinschaft Russlands

Arbeiter in der Spielindustrie

Junge Wissenschaftler Russlands und separat Wissenschaftler-Ökonomen

Mitglieder des Rates der Bundesrechtsanwaltskammer Russlands

Russische Rechtsanwälte