Opferberatung in Sachsen – persönlicher Rückblick eines Opferberaters
Von Utz Rachowski
Es kommen zu meinen Sprechstunden in die Rathäuser und Landratsämter der Städte Sachsens ehemals beruflich Verfolgte und politisch Gemaßregelte oder solche, die durch einen rechtsstaatswidrigen Verwaltungsakt zu Zeiten der DDR geschädigt wurden, man denke hierbei an politisch motivierte Enteignungen, und es sprechen vor in Vielzahl ehemalige politische Häftlinge, Menschen, die ihrer Überzeugungen wegen ins Gefängnis kamen. Man schätzt deren Zahl in vierzig Jahren DDR auf eine Viertel Million Menschen, von denen etwa einhunderttausend noch am Leben sind. – In Kamenz zum Beispiel kam ein großer wuchtiger Mann zu mir ins Landratsamt, ich tippte sofort auf einen Bauern, dicke braune Cord-Hosen und ein Holzfällerhemd, breite Hosenträger darüber, er blieb gleich noch in der Tür stehen und fragte: „Sind Sie noch von früher wie alle hier, oder kann man offen sprechen?“. Schöner Klartext, denke ich… Und im Rathaus in Niesky stellte sich ein Ehepaar zur Sprechstunde bei mir ein, bei dem sich herausstellte, dass der Mann erst in der Nacht vor diesem Termin, seiner Frau erzählt hatte, dass er, bevor sie sich kennenlernten, noch als junger Mann, einst politisch inhaftiert war. Auffallend bei vielen, den meisten Vorsprechenden, anfangs deren ungebrochener, ja unverwüstlicher Glaube, dass ihnen Recht geschehen werde in der heutigen Zeit, jetzt, an diesem Tag, da sie zu mir gekommen sind. Dass es an dem für die Mehrzahl nicht so ist, dass auch ich ihnen nur ein paar wenige Wege weisen kann, oft gerade nur diese, wie sich bei weiterem Gespräch herausstellt, die sie aus eigenen Kräften schon gegangen sind und oft erfolglos, weist, um es zusammengefasst zu sagen, hin auf die Ohnmacht, ja die Unmöglichkeit, für ein sogenanntes rechtsstaatliches System, die juristischen und schon gar nicht die menschlichen Folgen einer Diktatur aufzuarbeiten, mitunter nicht einmal zu mildern.
Ich blicke zurück auf über 20 Jahre überregionaler Bürgerberatungen in Sachsen. Um ein freier Autor zu sein, bin ich angestellt mit einem Werkvertrag bei einer Behörde, die sich – nachdem Lutz Rathenow das Amt 2021 an Nancy Aris übergab – „Sächsische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ nennt. In deren Auftrag bin ich im Frühjahr und Herbst unterwegs als Bürgerberater für die Opfer des DDR-Regimes, deren ideologischer Basis, der Einheits-Partei, der SED, und deren „Schild und Schwert“, des Staatssicherheitsdienstes, der „Stasi“.
Diese Geheimpolizei hinterließ 111 Kilometer laufende Akten über Bürger, die sie bespitzelte. Davon sind 51 Kilometer bereits von der Stasi archiviert worden und sind personenbezogen zugänglich. Weitere 60 Kilometer wurden 1990 unsortiert in den Büros der Stasi gefunden und sind seither derzeit zu über 90 Prozent erschlossen. Bei der Bundesbehörde für die „Stasi“-Unterlagen arbeiten 1.571 Beschäftige an 14 Standorten, oftmals in denselben Häusern der ehemaligen Kreis- und Bezirksdienststellen dieser Anfang 1990 aufgelösten Geheimpolizei.
Die Öffnung dieser Akten war nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands schwer umstritten, und wurde erst möglich durch Besetzungen der ehemaligen Stasi-Hauptquartiere durch Bürgerrechts-Gruppen. Die Regierenden der westdeutschen Seite hatten vor allem befürchtet, dass nach Bekanntwerden der Inhalte dieser brisanten Akten es zu Rachehandlungen der betroffenen Bürger kommen werde, Lynchjustiz eingeschlossen. Aber nichts davon trat davon später ein. Ab dem 2. Januar 1992 konnte jeder Bürger Deutschlands, also auch Westdeutsche, einen Antrag dahingehend stellen, ob eine Akte von der „Stasi“ über ihn angelegt war und er bespitzelt wurde oder nicht.
Hier gleich ein Rückblick auf das Jahr 2007, als die sogenannte „Opferrente“ für ehemalige politische Häftlinge der DDR eingeführt wurde, ich schrieb damals: So sprechen die in diesen Tagen anlässlich der beabsichtigten Einführung einer Ehrenpension für ehemalige politische Häftlinge der DDR bekannt gewordenen Zahlen eine fatale Sprache: Die Regelung betrifft lediglich sozial bedürftige Menschen unter ihnen, und die Opferrente wird nur bei etwa 16 Tausend von ihnen wirklich ankommen. Das wird etwa 48 Millionen Euro kosten, während allein im Jahr 2006 (laut Angaben des Arbeitsministeriums) für die Systemträger der untergegangenen Diktatur rund vier Milliarden Euro, davon allein 1,6 Milliarden für ehemalige Angehörige der Stasi, des Zoll, der „Volksarmee“ und der „Volkspolizei“ an Versorgungs- und Rentenleistungen erbracht wurden. Zurzeit bekommen in Sachsen 7000 Menschen die „Opferpension“.
Dies ist, so denke ich, die direkte Folge einer nach 1990 sehr bewusst verfolgten „Burgfrieden-Politik“, die, um etwaigen sozialen Spannungen in den „Gründerjahren“ der neuen Bundesrepublik zu vermeiden, vor allem um die ehemaligen Eliten des alten Systems besorgt schien, und in der Folge-Zeit wie nebenbei alle ihre vorher gegeben und möglichen Zeichen gegenüber den Millionen von Menschen, die von diesem System versklavt, gedemütigt und verfolgt wurden, eben nicht in Wirklichkeit zu übersetzen. Und dabei, gewollt oder nicht, eine seit dem 19. Jahrhundert klar erkennbare Traditionslinie deutscher Politik fortsetzte, dass eben das Eintreten des einzelnen Bürgers mit seinem Leben und seiner Gesundheit, mit seinem Verzicht auf Karriere und auch dem Festhalten an seinem Glauben, in Deutschland wiederum bestraft wird, als, wie so sehr erhofft, sozial anerkannt. Und dies zur unbeschreiblichen Enttäuschung weiter Bevölkerungsteile, die sich von nun an betrogen fühlten von einer Gesellschaft und einem Staat, der sich über Jahrzehnte hinweg, als Gegenbild der real existierenden Diktatur, als Bewahrer der so dringlich vermissten Grundrechte in ihren Köpfen verankert hatte.
Der verinnerlichte Glaube und das folgerichtige Eintreten für diese Rechte, der staatsbürgerliche Mut des Einzelnen, und das über Jahrhunderte darauf aufbauende Vertrauen auf den erwiesenen und gelebten Erfolg eines zivilen Ungehorsams und des Menschenrechts auf gewaltfreien Widerstand sind nach Jahren dieser Politik seit 1989 eines neuen wiedervereinten Deutschlands bei den Betroffenen tief verschüttet. Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen 2024 weisen darauf hin, und auch ich nahm diesen Umschwung der Stimmung unter meiner Klientel schon seit Jahren wahr.
Ich habe in den Jahren meiner Bürgerberatungen mit etwa 12000 betroffenen Bürgern allein nur in Sachsen gesprochen. Dabei fiel mir eine Personengruppe auf, Menschen, die, so erscheint es mir, eine besondere Haltung bewahren konnten, einen natürlichen Gestus innehatten und aufrechterhielten, wenn sie bei mir vorsprachen. Sie wussten offensichtlich schon, dass sie nichts zu erwarten hatten, hoffend auf nichts, schon gar nicht, wenn es „von oben kommt“. Sie nämlich hatten und haben allesamt ein anderes „Oben“. Es waren dies gläubige Menschen, die gleich zu Beginn unseres Gespräches darauf beharrten, dass sie keineswegs hofften, irgendwie irdisch „belohnt“ zu werden für zerstörtes Leben, mühsamste Um- und Irrwege und das für sie ausgefallene Glück. Sie kamen meistens am späten Nachmittag zu mir, hatten die Arbeitskleidung noch übergezogen und brachten die Spuren ihrer Arbeit an den Händen mit. Manche hatten erst kurz noch ihre Tiere versorgt und entschuldigten sich bei mir für ihr spätes Kommen. Sie sagten mir, dass sie gar nicht erst versucht hatten, damals in alten Zeiten, Teil des Systems zu werden, Abitur zu machen, eine Karriere anzustreben. Fragten meistens auch kaum für sich selbst nach, eher nach Möglichkeiten einer Rehabilitierung für ihre Kinder, für Bekannte, wollten nur mal sehen, wie ihre Position, ihr Wert, ihr moralisches Gewicht zu Buche schlüge in so einer Sprechstunde für SED-Opfer, in der ihnen der Staat in Gestalt meiner Person gegenübersitzt, in den alten angst-kontaminierten Gebäuden der Landratsämter und Rathäuser Sachsens. Aufgrund der juristischen Lage, den bestehenden Gesetzen, jedem einzelnen von diesen Menschen musste ich Auskunft und damit sein Recht geben: Sie haben vom irdischen „Oben“ fast nichts zu erwarten. – Manchmal, an Tagen, an denen bei mir noch Kraft übrig ist, gebe ich ihnen ein Trostwort mit auf ihre Wege, von denen meine Dienstvorschriften nichts wissen.
Ich gehöre, das macht es manchmal leichter, manchmal auch schwerer sich in die Lage der Ratsuchenden hineinzuversetzen, selbst zu der Gruppe, jener, die im Konflikt mit dem Staat lebten. Ich wurde 1954 im sächsischen Vogtland geboren. Schon in der Oberschule hatte ich erhebliche Probleme – aus politischen Gründen. Mit ein paar Schulkameraden gründete ich außerhalb der Schule einen Literatur- und Philosophiezirkel aus Frust über die uns im Unterricht immer wieder verabreichten ideologischen Zwangsthemen und vor allem wegen des zunehmenden militaristischen Klimas an der Schule. Wir lasen zum Beispiel auf eigene Faust Bücher des Kölner Schriftstellers Heinrich Böll, der als Antifaschist galt und deshalb auch in der DDR verlegt wurde. Unser Verhalten und die Fragen, die wir von dort mit in den Unterricht brachten, riefen bald die allmächtige und angstmachende Parteileitung der Schule, Teile der Lehrerschaft und schließlich die politische Polizei, die „Stasi“, auf den Plan. Die über mich angelegte Stasi-Akte hatte im Herbst 1989, also bis zum Mauersturz, über 3000 Seiten und begann mit einem Bericht meines Klassenlehrers, der ein Spitzel war. Mit 16 Jahren erlebte ich das erste Verhör durch einen Stasi-Offizier, der hieß, nomen est omen, Kummer. Ich wurde bald der Schule, deren Direktor übrigens Übel hieß, verwiesen, als „Rädelsführer“ eben dieses Literaturzirkels. In dieser Zeit begann ich zu schreiben und habe bis heute 15 Bücher verfasst. Als ich 25 Jahre alt war, wurde ich verhaftet und von demselben Stasi-Offizier Kummer nach elf Stunden Verhör ins Gefängnis gebracht. Später wurde ich zu 27 Monaten wegen „staatsfeindlicher Hetze in Versform“ (Zitat der Anklage) verurteilt. Das meinte fünf meiner Gedichte.
Jährlich in 25 bis 30 Städten werden, seit 2020 ca. in 20 Städten Sachsens – überwiegend in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der sächsischen Außenstellen des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (jetzt beim Bundesarchiv angegliedert) – von mir als Berater der Behörde der Landesbeauftragten einen Tag lang vor Ort im jeweiligen Rathaus bzw. Landratsamt einer Stadt Hilfe und Beratung angeboten. Anfangs (2003) kamen zu diesen Sprechstunden rund 500 Bürgerinnen und Bürger pro Jahr, inzwischen bewegen sich die Zahlen der Rat suchenden Menschen bis zu 1000. Durch die Corona-Bedingungen wurden es seit 2020 deutlich weniger, aber die Zahlen steigen wieder an.
Das Spektrum am Beratungsangebot der Sächsischen Landesbeauftragten besteht darin, dass es sich an alle von der einstigen DDR-Diktatur betroffenen Bürger wendet und ebenso wahrgenommen wie genutzt wird. Schwerwiegende Verfolgungen, wie Haft, massive Zersetzungsmaßnahmen des MfS und Eingriffe in die Gesundheit mit Folgeschäden, können bei den Sprechstunden vor Ort ebenso angesprochen werden wie berufliche Schädigungen, politisch bedingte materielle Verluste oder zum Beispiel religiöse Verfolgung bei ehemaligen Schülern der DDR. Die Menschen werden in der Beratung auf ihre Rechte hingewiesen, eine Rehabilitierung für ihren Fall anzustreben. Ebenso besteht während dieser Sprechstunden die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen auf Einsicht auf eventuelle Akten im Stasi-Unterlagen-Archiv bzw. auf einen Antrag des neu erschlossenen Akten-Materials, wenn bereits, wie es oft vorkommt, schon einmal ein Antrag gestellt wurde.
Im Gegensatz zu mehreren, auch in Sachsen existierenden lokalen Beratungsmöglichkeiten, die meist in den Großstädten Leipzig und Dresden zu finden sind oder sich an spezielle Opfergruppen zu wenden, besteht das Angebot des Beraters der Landesbeauftragten in einem umfassenden Angebot für alle Opfergruppen.
Seit 2003 war in den von der Behörde durchgeführten externen Bürgerberatungen vor Ort ein leichter Anstieg von Problemfällen zu Fragen der Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz zu verspüren, wobei ebenfalls auch psychische Störungen von vorsprechenden Bürgern besonders auffällig waren.
Ebenfalls ansteigend war die Zahl von Bürgern, die wegen noch nicht gestellter Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vorsprachen. Obwohl die sogenannte „Opferrente“ bereits seit August 2007 von den dazu berechtigten Bürgern (aktuell: mit mehr als 90 Tagen politischer Haft in der DDR) in Anspruch genommen werden kann, suchen verstärkt in den letzten Jahren Bürger die Beratungen auf, um erste Auskünfte zu erhalten. Dies liegt vor allem daran, dass manche dieser Leistungen einkommensabhängig ist und viele der möglichen Berechtigten noch in Arbeit sind und über der Einkommensgrenze liegen. Auffallend ist in diesen letzten Jahren, dass viele Menschen die Beratungen aufsuchen, die kürzlich in Rente gingen oder bald in Rente gehen werden, weil sie Lücken in ihrer Rentenberechnung bemerken. Teilweise haben zum Beispiel ehemalige politische Häftlinge enorme rechtliche Ansprüche auf noch nicht eingeforderte Haftentschädigung und ab dem Eintritt in die Rente auch auf die SED-Opferrente.
Seit Beginn der Beratungen stellte die Problematik der Opfergruppe „verfolgte Schüler“ einen besonderen Schwerpunkt in den Beratungen dar. Für die Betroffenen gab es bis 2020 noch immer keine konkrete Gesetzesregelung, die auch Ansprüche nach sich ziehen würde. Seitdem aber können diese Betroffenen, wenn sie wirtschaftlich bedürftig sind, einen Antrag auf Ausgleichsleistungen stellen. Ebenfalls können von Zersetzungsmaßnahmen Betroffene eine leider sehr niedrige und einmalige Ausgleichszahlung erhalten.
Seit Januar 2020 können nun auch ehemalige Heiminder, die in Jugendwerkhöfe und Spezialkinderheime verbracht wurden, einen Antrag auf Entschädigung und Opferpension stellen, über den dann je nach Lage des Falls entschieden wird. Offenbar hatte hier auch die seit 2012 geschaffene Ansprechstelle für Heimkinder äußerst effektiv gewirkt. Dies ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie der Gesetzgeber zielgruppengerecht auch bei den oben genannten Problemen wirkungsvoll handeln könnte. Vor allem bei den beruflich und gesundheitlich Betroffenen steht dies allerdings spürbar noch aus.
Die weitere Notwendigkeit von Beratungen in der Behörde und flächendeckend durch die Behörde mittels Außenberatungen liegt auf der Hand. Sie ergänzen sich mit den Beratungen in der Behörde selbst, Vor-Ort-Beratungen und den längeren telefonischen Beratungen. Die Menschen wollen wissen, woran sie sind. Beratungen, Ausdeutungsrecherchen, Hinweise zu Anträgen oder weitere Beratungen bilden eine Einheit. Besonders auffallend besteht dieser Bedarf weiter in meist mittleren Städten, wo zu Zeiten der DDR-Diktatur eine starke Industrie, eine große kirchliche Gemeinde und eventuell ein militärischer Apparat bestanden. Beispiele dafür sind Plauen, Niesky, Freital, Kamenz. Dort ist das gesellschaftliche Leben auch heute noch unübersehbar überschattet von Konflikten aus diesen Konstellationen der Vergangenheit. Als Gegenbeispiel sind in Städten wie Freiberg und Mittweida, die eher geprägt waren und sind von wissenschaftlichen Instituten und Einrichtungen diese offenbaren Konfliktpotenziale nicht mehr so deutlich zu spüren, was sich auch in den Besucherzahlen der Bürgerberatungen niederschlägt.
Bei den von der DDR-Diktatur Betroffenen handelt es sich nach über 30 Jahren Wiedervereinigung folgerichtig um überwiegend ältere und sehr alte Menschen, die das externe Beratungsangebot der Behörde der Landesbeauftragten annehmen, aber kaum die Energie und Kraft aufbringen würden, von ihren kleineren Heimatorten nach Chemnitz, Dresden oder Leipzig zu kommen, um ihre Rechte wahrzunehmen.
Es gibt immer wieder Stimmen von außen, durch Politik, politischer Wissenschaft und anderen, die den Beteiligten fachlich und im Detail – auch den Betroffenen also und den engagiert helfenden Beratern beider Behörden – vor allem den Sachbezügen einer solchen Beratung fernstehen. Sie zweifeln und fragen immer wieder nach dem Interesse der Menschen, dem Sinn oder dem Nutzen dieser Tätigkeit. Ich würde diese dem Thema fernstehenden Zweifler gern einmal einladen, um nur ein einziges Mal die Atmosphäre, die aufgeladene Stimmung, die Emotionalität zwischen Erwartung und Dankbarkeit der vorsprechenden Menschen, an einem solchen Tag mitzuerleben. Ich würde es so formulieren wollen: Es ist wie in Goethes „Osterspaziergang“ – ins Freie kommen! Ein Durchatmen. Gelebte Demokratie also, die so oft als tote Floskel herbeizitiert wird.
Natürlich gibt es durchaus auch Städte, wo lediglich eine Handvoll Bürger nachfragen. Das hat unterschiedliche Ursachen. Selten habe ich als Berater „das Gefühl“, eine Stadt sei wirklich „umgehend versorgt“ mit dieser Art von Beratung. Meist liegt das Ausbleiben von Bürgern auch daran, dass die Stadtverantwortlichen kaum Interesse am Thema selbst haben oder sogar ablehnend unserer Arbeit gegenüberstehen. Immer wieder ist leider festzustellen, dass die von unserer Behörde lange im Vorfeld der Beratungen verschickte Ankündigung per Presseerklärung (mit Ort, Straße, Stockwerk, Nummer des Raumes, Telefonnummer) durch Mitarbeiter der Stadt nicht oder nicht genügend bekannt gemacht wird bzw. auch nicht an die lokale Presse weitergeleitet wird. Sollte dort in der Redaktion dazu noch ein dem Thema gegenüber widerwillig eingestellter Journalist sitzen, wird er die Ankündigung unter den Tisch fallen lassen. Das geschah in den Jahren der Außenberatungen nicht gerade selten.
In Hoyerswerda sprach eine Frau vor, die seit Jahren ihre berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung betreibt, wegen fehlender Unterlagen (Betriebsakten) aber immer wieder von den Reha-Behörden abgewiesen wurde. Es gibt auch keinerlei Hinweise in den Akten der BStU auf eine Einflussnahme ihres beruflichen Werdegangs durch das MfS. Trotzdem schien mir vor Ort der Fall schlüssig zu sein. Ich gab diesen an die Behörde der Landesbeauftragten nach Dresden weiter, wo der Fall und auch die Frau beratend eng begleitet wurden. Leider ohne Erfolg, sie zog wegen mangelnder Unterlagen ihren Entschluss auf eine Klage gegen den negativen Bescheid der Reha-Behörde vor Gericht zurück.
Dieser Fall ist beispielhaft für berufliche Rehabilitierungen, die oftmals aus gleichen Gründen abgelehnt werden, lediglich weil die Unterlagen fehlen, obwohl die Schilderungen der Betroffenen äußerst logisch und glaubhaft sind. Das kommt so häufig vor, dass man beinahe von Regelmäßigkeit sprechen kann.
Nicht selten kommen zu den externen Beratungen ehemalige politische Häftlinge, die allerdings noch in Arbeit sind und ein Einkommen haben, um sich ausrechnen zu lassen, ob sie berechtigt sind und eine Chance haben, die Opferpension ganz oder teilweise zu erhalten. Sie bringen dann Unterlagen zu ihren Einkommensverhältnissen mit und ich mache ihnen vor Ort eine Hochrechnung, ob ein Antrag sinnvoll sei oder nicht.
Auffällig ist die Zunahme von Bürgern, die offensichtlich psychisch verwirrt sind und bei den Beratungen vorsprechen, so in Zittau: von 31 Personen gab es einen „Ufo-Forscher“ (natürlich mit MfS-Bezug als Opfer), mehrere Frauen mit „Strahlen-Problematik“ (MfS-gesteuert), ein „Radar“-Opfer und einen Herrn, der einen völlig soliden Eindruck machte und vortrug, das MfS habe ihm einen tropischen Erreger eingepflanzt. An solchen Tagen und vor allem wegen des zeitlichen Drucks in der Sprechstunde kommt dann natürlich der Berater auch an die Grenzen seiner Möglichkeiten, muss er doch in diesen und anderen Situationen gleichzeitig Jurist, Psychologe und Pfarrer sein.
Die beschriebene Arbeit bleibt, gerade in Bezug auf die flächendeckenden Beratungen vor Ort für die Bürger in Sachsen, darunter das Angebot von Hilfen für alle Opfergruppen, äußerst wichtig. Im Unterschied zu einzelnen Initiativen, die sich lediglich und meist nur in den Großstädten für einzelne Opfergruppen einsetzen, wie zum Beispiel für ehemalige politische Häftlinge, wird damit ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Erfüllung der Ansprüche und Rechte der gesamten Bevölkerung bereitgestellt. Ohne diese Möglichkeiten der Beratungstätigkeit würde es nicht möglich sein, die vom Gesetzgeber erlassenen und ermöglichten Rechtsansprüche für die Bevölkerung bekannt zu machen und zu gewährleisten. Die ländliche Bevölkerung wäre regelrecht ausgeschlossen von der Wahrnehmung ihrer Rechte, durch eine Ungleichstellung aufgrund des Wohnortes. Die Praxis und der Erfolg der Beratungsarbeit sind zwingende Indizien für einen Fortbestand des seit vielen Jahren Bewährten.
Einige konkrete Problemstellungen und Entwicklungen in den letzten 20 Jahren:
Seit 2003 war, wie gesagt, in den von unserer Behörde durchgeführten externen Bürgerberatungen vor Ort ein leichter Anstieg von Problemfällen zu Fragen der Rehabilitierung nach dem BerRehaG zu verspüren, wobei ebenfalls auch psychische Störungen von vorsprechenden Bürgern besonders auffällig waren.
Ich schätze jedoch ein, dass die Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden völlig ungenügend durch das Vw-RehaG (verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz) ermöglicht wird und in der Praxis beinahe wirkungslos bleibt. Um nur ein Beispiel zu nennen. In Schwarzenberg sprach ein Bürger vor, der in den 50er Jahren aus politischen Gründen inhaftiert war und in Haft schwerste Arbeit in einer Galvanik-Abteilung eines Werkes in Gefängnis-Nähe leisten musste. Durch Einwirkung von Giftstoffen wurde er schwer magenkrank. Nach seiner Entlassung verlor er ein Drittel seines Magens. Heute wird er vom Versorgungsamt aufgefordert, nachzuweisen dass er seine gesundheitlichen Beschwerden durch die Haft erlitten hat. Diese absurden Hürden sind Alltag im Umgang mit Betroffenen, die einen Rehabilitierungsantrag nach dem VwRehaG stellen und gesundheitliche Haftfolgen vortragen. Ich als Berater der Landesbeauftragten verfolge seit Jahren diese Problematik, begleitete manchen schweren Fall über Jahre hinweg. Als Beispiel sei ein Bürger aus Bautzen angeführt, der nach einer Rehabilitierung durch das StrRehaG auch einen Antrag auf Anerkennung von gesundheitlichen Folgeschäden durch die erlittene langjährige Haft stellte. Dieser wurde mehrmals von den zuständigen Behörden abgelehnt. Durch meinen Anruf vor Ort in Bautzen bei der zuständigen und behandelnden Psychiaterin des Betroffenen wies ich diese darauf hin, dass bei dem Betroffenen Bürger offenbar eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegen könnte. Die Antwort kam in einem Satz: „Na, die hat er ja schon!“. In ihrem früheren Gutachten jedoch stand davon kein einziges Wort, so dass der Antrag des Betroffenen immer wieder abgelehnt wurde. Dieses Beispiel ist auch ein typisches für die Gutachter-Praxis, zumindest in der Provinz. Es fehlt ihnen an Kenntnissen über das Haft-System in der DDR sowie an Kenntnissen über den Stand der Wissenschaft zu dieser Problematik. Sie besagt, dass das Risiko eines ehemaligen DDR-Häftlings eine posttraumatische Belastungsstörung zu erleiden FÜNFMAL höher ist, als für einen ehemaligen Wehrmachtssoldaten, der aktiv an Kriegshandlungen teilgenommen hat.
Ebenfalls ansteigend war die Zahl von Bürgern, die wegen noch nicht gestellter Rehabilitierung nach dem StrRehaG vorsprachen. Obwohl die sog. "Opferpension" bereits seit August 2007 von den dazu berechtigten Bürgern (damals: mit mehr als 180 Tagen politischer Haft in der DDR) in Anspruch genommen werden kann, diese bekamen eine monatliche Ehrenrente von 300 Euro (zurzeit 330 Euro), suchen verstärkt in den letzten Jahren Bürger die Beratungen auf, um allererste Auskünfte zu erhalten. Dies liegt vor allem daran, dass diese Leistung wie schon beschrieben einkommensabhängig ist und viele der möglichen Berechtigten noch in Arbeit sind und über der Einkommensgrenze liegen. Diese Betroffenen konnten sich aufgrund ihrer bisherigen guten Einkommensverhältnisse noch nicht um diese ihre Rechte kümmern oder z. B. wegen jahrelangen Arbeitsaufenthaltes im Ausland nicht kümmern können. In den nächsten Jahren wird u. a. auch diese Opfergruppe für die Beratungen relevant werden. Erfreulich ist, dass die Rentenstellen neuerdings gezielt und verstärkt darauf hinweisen, dass es bei Renten-Lücken die Möglichkeit eines Rentenausgleiches durch politische Rehabilitierung der Betroffenen gibt.
Seit Beginn der Beratungen stellt die Problematik der Opfergruppe "verfolgte Schüler" einen besonderen Schwerpunkt in den Beratungen dar. Für die Betroffenen gab es bis 2020 fünfundzwanzig Jahre lang nach Einführung der Reha-Gesetze noch immer keine wirkliche Gesetzesregelung, die auch Ansprüche nach sich ziehen würde, wie z. B. einen rentenrechtlichen Ausgleich. „Verfolgte Schüler“ erkennt man oft erst durch Antragstellung auf Einsicht in die Stasi-Akten, wenn sie ihre Lebensgeschichte darstellen – diese betroffenen Bürger kamen dann seit Jahren nicht mehr, um sich kundig zu machen über ihre Rechte als „verfolgte Schüler“ – offenbar hatten sie resigniert. Der Berater der Landesbeauftragten riet ihnen in der Regel dennoch, einen Reha-Antrag als „verfolgter Schüler“ zu stellen, da sich die Gesetzeslage auch ändern könnte, d.h. dass sie in der Zukunft evtl. doch einen Rentenausgleich erhalten würden, wenn der Gesetzgeber auf diesen dringenden Mangel der Nichtversorgung dieser Opfergruppe reagieren würde. 2020 ergab sich wiederum kein Rentenausgleich, aber die Möglichkeit für „Ausgleichsleistungen“.
Die inzwischen bewährten externen Beratungen des Landesbeauftragten in Zusammenarbeit mit den Außenstellen des Bundesbeauftragten erfreuen sich bei den Menschen vor Ort besonderer Beliebtheit und Aufmerksamkeit, was aus zahlreichen Worten des Dankes der Bürger während der Sprechstunden hervorgeht. Schon mehrere Male geschah es, dass Bürger schon lange vor der Eröffnung des Beratungs-Tages mich vor dem jeweiligen Rathaus erwarteten, um ihren Dank für die Hilfe auszusprechen, die ich ihnen geben konnte beim letzten Mal, als ich in ihrer Stadt weilte, was teils schon mehrere Jahre lang her war.
Beispiel-Bericht aus der externen Beratungspraxis vor Ort sowie Besonderheiten und Entwicklungen.
Die Jahre 2015 bis 2020 (vor Beginn der Pandemie) überraschten mit ungewöhnlich hohen Besucherzahlen. So kam es, um stellvertretend nur ein Beispiel zu nennen, in dem kleinen Ort Naunhof bei Leipzig am Beratungstag, den der Beauftragte des Landes mit einer Kollegin des Bundesarchives durchführte, zu einem in neun Stunden kaum zu bewältigenden Besucherandrang. Die von unseren beiden Behörden für jede Beratung im Vorfeld herausgegebene Pressemitteilung hatte offenbar ihre Wirkung getan, hing im Rathaus lange vor dem Termin aus und wurde auch in der lokalen Zeitung („Leipziger Volkszeitung“) veröffentlicht. Die Bürger waren wie vielerorts verunsichert, ob die Akten bei der Bundesbehörde noch lange zugängig sein würden. So sprachen überwiegend Antragsteller vor, die zum ersten Mal ihr Interesse vorbrachten. Dies begründeten sie auch mit ihrem Gefühl, dass jetzt nach vielen Jahren der Wiedervereinigung für sie eine überraschend persönlich negativ bewegende Information in den Akten, für sie nicht mehr psychisch belastend wäre. Viele Bürger sagten: „Für mich ist das jetzt alles lange her und nur noch geschichtliches Interesse, die Wut über die Spitzel ist raus aus mir“.
Das Geschehen des abgelegenen Städtchens Naunhof ist beispielhaft zu nennen. Viele Bürger wollten neben dem Erstantrag auf Akteneinsicht auch Auskunft über ihre bereits verstorbenen Verwandten erhalten. Zunehmend kommen daher auch jüngere Menschen mit dieser Problematik zu den Beratungen. Dabei wurden sie von den Mitarbeitern der Behörden des Landes und des Bundes allerdings unterrichtet, dass dies lediglich möglich sei bei einem doch vorrangigen speziellen Interesse und eines tieferen Grundes für diese Art von Antrag und dass ein rein familiengeschichtliches Interesse nicht ausreiche. Um diesen Grund zu erkennen, müssen die Mitarbeiter beinahe immer längere Zeit zu den Biografien der Verstorbenen nachfragen: Ob es Verhöre oder Verhaftungen gab; außergewöhnliche Vorkommnisse; Enteignungen; plötzliche Veränderungen – alles was auf eine Einflussnahme durch die „Stasi“ hinweisen könnte. Im Beispiel des Örtchens Naunhof kamen an zwei Tagen 260 Personen zur Beratung. Das sind beinahe 30 Personen in einer Stunde. Geht man davon aus, dass wie auch in Naunhof noch Bürger über ihre Rechte informiert und beraten werden möchten, die in Zusammenhang mit einer politischen Rehabilitierung stehen, dann hat jeder Berater theoretisch vier Minuten Zeit für eine Person. In Naunhof erhielten zwei Bürger jeweils eine Beratung zur strafrechtlichen Rehabilitierung. Ein weiterer Bürger war von einem sowjetischen Militärtribunal verurteilt worden und wurde vom Berater des Landesbeauftragten detailliert darüber unterrichtet, welchen anderen Weg gegenüber den durch DDR-Gerichte Verurteilten, er muss seinen Antrag auf Rehabilitierung nämlich in Moskau stellen, er für eine politische Rehabilitierung anstreben muss. Ein weiterer Bürger stellte einen Antrag auf berufliche Rehabilitierung. Dies alles geschah in neun Stunden pro Tag.
Gründe für das Ausbleiben von Bürgern zu einem Beratungstag sind das Wetter und andere sehr äußerliche Umstände. Es gibt auch Gründe für das Ausbleiben von Bürgern zu den Beratungen, die ohne weiteres nicht zu erklären sind. Ein Beispiel aus Plauen/Vogtland, wo schon mehrmals und regelmäßig zielgerichtete Beratungen zu den Gesetzen auf politische Rehabilitierung durchgeführt wurden, wechselnd auch in Zusammenarbeit mit der Chemnitzer Außenstelle der Bundesbehörde. So kamen in dieser Stadt regelmäßig bis zu 100 Personen, plötzlich in einem Jahr Ende der 90er nur noch ca. zehn Bürger, aber zwei Jahre später dann wieder weit über 100 Interessierte. Die Ursachen hierfür sind nicht endgültig zu klären, die Pressearbeit war durchgehend vorbildlich organisiert.
Großen Erfolg hat seit Jahren die regelmäßige Beteiligung des externen Beraters in Zusammenarbeit mit den Außenstellen der Bundesbehörde am „Tag der Sachsen“, das ist eher ein Volksfest und wir stehen dort in einem Zelt, sowie am „Chemnitzer Behördenfest“. Zu diesen Gelegenheiten kommen nicht nur besonders viele Antragsteller auf Akteneinsicht bei der Bundebehörde, sondern auch zahlreiche Menschen fragen nach Möglichkeiten von politischen Rehabilitierungen. Die Gesamtzahl der so versorgten Bürger liegt zum Beispiel beim dreitägigen „Tag der Sachsen“ von Jahr zu Jahr bei weit über 300 bis 500 Menschen, anlässlich des „Chemnitzer Behördenfest“ an einem Tag regelmäßig bei 50 bis 80 Leuten.
In den allermeisten Fällen gibt der Berater schwere oder langwierige Fälle natürlich an die Behörde in Dresden weiter, wo sie bearbeitet werden und die Bürger dann auch einen dauerhaften Ansprechpartner bei den Mitarbeitern, auch verschiedener Behörden finden. Dabei spielen die Rehabilitierungsbehörde, die Landgerichte und das Sozialministerium in Zusammenarbeit mit unserer Behörde eine entscheidende Rolle.
Einige Tendenzen und Fallbeispiele, die bei den Außenberatungen anfallen und dann von unserer Behörde weiter begleitet werden:
- Zunehmende Tendenz: Häftlinge, die in der Haft bzw. nach der Haft als IM angeworben wurden. Häufig in persönlich aussichtsloser Situation unterschrieben hatten – dann in den 90er Jahren ohne Überprüfung die Kapitalentschädigung erhielten (das ist die Haftentschädigung: für jeden Monat der Inhaftierung 306 Euro). Als sie nach 2007 einen Antrag auf die Opferpension stellten, wurde jedoch eine Überprüfung durchgeführt – jetzt müssen sie die Kapitalentschädigung zurückzahlen, was oftmals zum Zusammenbruch ihrer gesamten persönlichen Situation führt.
Bei der Bewertung von IM-Unterschriften und deren Berichten müsste mehr Augenmerk auf die Situation gelegt werden, in der die Werbung – meist unter existenziellem Druck (!) – stattfand.
Schwarze Akten
Präambel: Die meisten Besucher kommen und sind sicher, dass die schwarzen Stellen in ihren Akten Menschen betreffen, von denen sie bespitzelt wurden.
- etwa 30% davon hoffen aber bei einer weiteren Nachfrage an die Behörde, diese Schwärzungen aufgehoben zu bekommen.
- Wenn man ihnen sagt, dass es sich dabei um Menschen handelt, die nichts mit ihnen als Betroffene zu tun haben, also Kollegen, Freunde, auch Familienmitglieder, reagieren sie äußerst ungläubig!
- Manchmal sind diese Schwärzungen auch wirklich unsinnig. Ein Mitarbeiter des Bundesarchivs einer sächsischen Außenstelle sagte mir wörtlich: In der Behörde benötigen manche alle zwei Monate einen neuen schwarzen Filz-Stift und andere kommen mit einem ein ganzes Jahr aus.
- Extreme Situationen: Ein Ehepaar aus Ölsnitz/Vogtland kam wütend herein und schrie sofort laut und los: Ihr seid die Stasi in der Stasi!!! Hier genau sieht man das! - Sie zeigten ihre Akten… zwei Seiten pro Mann und Frau. Dort waren nur ihre Namen und ihre DDR-Adresse NICHT geschwärzt, also zwei Zeilen nicht, die anderen Zeilen über zwei Seiten völlig schwarz. Ich weiß nicht, ob man das so seitens der BStU in dieser Weise herausgeben sollte. – Oftmals auch Beschimpfungen am Telefon: Seid ihr schon wieder da, um die Leute auszuhorchen!!! So in Wurzen. Und weiter: Ich komme nicht vorbei, weil die Spitzel von Euch schwarz gemacht sind in meinen Akten, wieso schützt ihr die!??
- Zusammenfassung: Auffallend die Überzeugung, dass die schwarzen Stellen die Spitzel schützen sollen, kaum einer weiß, dass diese als Decknamen (meist!) offengelassen werden. Von den Betroffenen so nicht erkannt, werden sie erst in den Beratungen darauf hingewiesen, dass sie die Decknamen entschlüsseln lassen können. Unverständnis wiederum dabei, warum die Behörde dies nicht gleich mit der ersten Aktenauskunft macht. Darüber werden sie dann informiert (weil vielleicht nicht jeder Betroffene die ganze Wahrheit, den Namen also seines Spitzels erfahren möchte).
Die Informationen über die Schwärzungen in Betroffenen-Akten kamen seit 1992 nicht bei der Bevölkerung an, das wird sich nicht ändern.
Deutlich seltener seit Beginn der externen Beratungen werden Probleme aus verwaltungsrechtlichen Ansprüchen angesprochen. Es kommen aber noch immer einige Bürger mit Nachfragen zu noch bestehenden ungelösten Dingen, z.B. dem Wegerecht. Sehr selten wurden die Fälle, die Geld- oder Exmatrikulations-Probleme beinhalten – jedoch extreme Probleme, die aus gesundheitlichen Ursachen aufgrund von politischer Verfolgung resultieren werden immer wieder vorgetragen. Hier gibt es offenbar auch nach zwei Jahrzehnten noch immer kein wirkliches Funktionieren des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes.
Weitere und abschließende Informationen
Zurzeit liegt ein Gesetzesentwurf vor, der für die Betroffenen folgende Regelungen und Verbesserungen schaffen soll:
- Die „Opferrente“ soll an die Dynamik der allgemeinen Rentenentwicklung angeschlossen werden. Das heißt, dass die seit Jahren auf der Höhe von 330 Euro pro Monat stagnierende Zuwendung dann jeweils um wenige Prozente erhöht werden würde. Gegen dieses „Zuckerbrot“ laufen Opferverbände bereits Sturm!
- Die sogenannten „sozialen Ausgleichsleistungen“, die nur wenige sozial sehr schwache Antragsteller erhalten werden für Altersrentner jetzt auch auf 240 Euro angehoben, wie für Berechtigte, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben. Rentner bekamen vorher nur 180 Euro. Sehr wichtig und angemessen dabei, dass das Einkommen von Ehepartner nicht mehr angerechnet werden soll, wie vorher sonst üblich bei der Sozialhilfe. Solche Anträge können bei den Sozialämtern gestellt werden, was aber von vielen Berechtigten als Erniedrigung erlebt wird.