Erste Opferberatung - noch in der DDR

Von Martin Montag[1]

0. Beginnende Beratung nach der Besetzung der Bezirksbehörde des MfS in Suhl am 04.12.1989

Am 14.12.89, um 12.45 Uhr, besucht Fritz R. aus Oberschönau die Kommission zur Auflösung des MfS (späteres Bürgerkomitee) in Suhl. Er bittet darum, dass die Kommission dafür sorgt, dass keinerlei Akten vernichtet werden, die später für den Vorgang der Rehabilitierung und Wiedergutmachung ehemaliger politischer Häftlinge benötigt werden.

Gleichzeitig schildert er die Vorgänge, die zu seiner politischen Inhaftierung geführt haben: Er hat im Privatbetrieb Fa. H. Recknagel gearbeitet (14 Angestellte), der sich weigerte, VEB zu werden. Am 02.12.1960 sollte kollektiviert werden. Am 06.12.1960 erhielt er eine Vorladung zur Abt. Industrie, Inneres. Unterwegs wurde er von der VP gestoppt und zugeführt wegen Klärung eines Sachverhaltes -  "sie haben auf der Autobahn unterwegs ein Armeefahrzeug zusammengefahren und Fahrerflucht begangen". 17.00 Uhr in der Stasi U-Haft in Suhl – ausziehen – auf die Waden geschlagen. Die nächsten Tage sind geprägt durch Nachtverhöre,  ins Gesicht spucken, Würgegriffe am Hals, mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen, (evtl. Major Nestler). Von Febr/ März 1961 bis Aug 1961 inhaftiert in der Psychiatrie Waldheim. Abgeurteilt nach §15-20 Strafrechtsergänzungsgesetz.

Die Kommission (BK) gründet daraufhin aus sich heraus eine Arbeitsgruppe Menschenrechte, die mögliche Fälle strafrechtlicher Rehabilitierung annimmt, aufbereitet und sie mit der Bitte um Rehabilitierung an den Bezirksstaatsanwalt in Suhl weiterleitet.

Fritz R. übermittelt dem BK allein bis März 1990 über 350 Fälle, die strafrechtlich rehabilitiert werden sollen. Das ist der Beginn einer mittlerweile andauernden 35-jährigen Beratung und gleichzeitig der Impuls zur intensiven Mitarbeit an der Gesetzgebung und an den Novellierungen der Reha-Gesetze im Lauf der kommenden Jahre. 

1. Die aktuelle Debatte

Verklärungsversuche einer diktatorischen Phase der deutschen Geschichte, ob dies die NS-Diktatur, die Phase der SMAD[2] oder der SED-Diktatur gewesen ist, blenden immer Unrechtsverhältnisse aus dem Gedächtnis[3] aus. Demgegenüber stehen häufig Rechtfertigungsversuche, dass es ja auch in einem diktatorischen System immer noch Formen des Rechtsstaates gegeben habe[4]. Wenn es politisch erlaubt ist, in dieser Weise das Unrechtssystem der SED-Diktatur zu relativieren, bahnen wir einerseits einem Links- und Rechtsradikalismus den Weg, der nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, und öffnen gleichzeitig auch der Relativierung der NS-Diktatur und ihrer Verbrechen, des Stalinismus und anderer – auch gegenwärtiger - Staatsdiktaturen Tür und Tor[5]. Nein, „die DDR war nach allen denkbaren Definitionen kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“.[6] Dies lässt sich vor allem auch schlüssig beweisen im Blick auf die Opfer der SMAD und der SED-Diktatur, die das Bürgerkomitee des Landes Thüringen e.V. (BK) seit 1989 berät und begleitet auf dem Weg zu Rehabilitierung und Wiedergutmachung. So soll im Folgenden zunächst die Geschichte der Opfer der SMAD und des SED-Regimes anhand einiger Fallbeispiele[7] nachgezeichnet werden, die zum einen die brillante Lernfähigkeit der Täter der SMAD und der SED-Diktatur aus dem Terror des Stalinismus seit den 20er Jahren und dem Terror des NS-Regime erkennen lässt, als auch schlüssig die Frage nach dem DDR-Unrechtsstaat[8] beantwortet.

2. Die Zeit der SMAD 1946-1949

Frau L. (19) übertritt im Jan. 1947 illegal die Demarkationslinie und macht sich in Meiningen auf die Suche nach ihrem spurlos verschwundenen Vater. Nach mehreren Nachfragen bei Behörden und der SMAD wird sie verhaftet und in das Gefängnis nach Weimar verbracht. Nach vielen Verhören wird ihr dort an ihrem 20. Geburtstag die Möglichkeit eingeräumt, ihren Vater im Konzentrationslager Buchenwald zu besuchen, der dort vor ihren Augen erschlagen wird. Wochen später, im Sonderlager Sachsenhausen (KZ Sachsenhausen) erhält sie das Todesurteil wegen Spionage. Ein dort ebenfalls inhaftierter japanischer Arzt bescheinigt ihr Syphilis und eine Schwangerschaft, das bewahrt sie auf der einen Seite vor Vergewaltigung und auf der anderen Seite vor der Vollstreckung des Todesurteils. Dieses wird später in der Lubjanka in Moskau umgewandelt in 25 Jahre Zwangsarbeit. Sie erlebt den GULAG in den Kohlegruben in  Workuta bis 1955, als sie mit den letzten Kriegsgefangenen und Verschleppten nach dem Besuch des Bundeskanzlers Adenauer in Moskau wieder in die Freiheit entlassen wird.

In Eisfeld werden 1945 über 30 Jugendliche abgeholt und unter dem Verdacht, der Organisation ‚Werwolf’ anzugehören, vermutlich in Konzentrationslager verbracht, vielleicht auch zur Zwangsarbeit in den GULAG. Bis heute gibt es keinen Hinweis über ihren Verbleib.

Herr N. (16) wird 1945 gemeinsam mit vielen anderen Frauen und Männern aus Siebenbürgen nach Sibirien zur Zwangsarbeit deportiert. Grund: Kollaboration des rumänischen Staates mit dem NS-Regime während des 2. Weltkrieges. Rumänen werden nicht deportiert, sondern nur Volksdeutsche.[9] Aufgrund der Schwerstarbeit in den Kohlengruben und der Mangelernährung sterben dort die Menschen reihenweise an Typhus. Er überlebt dank der Fürsorge einer russischen Krankenschwester, wird 1949 nach Rumänien entlassen und siedelt in den 70er Jahren aufgrund der Repressalien der Ceausescu-Diktatur in die Bundesrepublik über.

Der Vater von Frau K. wird 1945 aufgrund der unwahren Denunziation eines Kommunisten, er habe in seinem Betrieb einen russischen Zwangsarbeiter geschlagen, in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht und kommt dort ums Leben. Die Familie wird unter Sequester gestellt, das heißt, Betrieb und Haus werden entschädigungslos enteignet. Nach dem 3. Okt. 1990 wird ihnen zwar das Haus zurückgegeben, nicht aber der Betrieb aufgrund des Investvorranggesetzes.

Im Zusammenhang mit der Zwangsvereinigung der KPD und SPD zur SED 1946 werden führende Genossen der SPD, die dieser Zwangsvereinigung gegenüber Widerstand leisten, in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Fünfeichen verbracht und gehen dort jämmerlich zugrunde.  

3. Zeit des Stalinismus und der Ulbricht-Ära in der SED-Diktatur 1949-1971

Der DDR-Unrechtsstaat erlässt eine Buntmetallverordnung[10] und nutzt diese nebenher zur Enteignung von Privatbetrieben. Herr P. wird unmittelbar nach dem Erlassen dieser Verordnung nach dem Durchsuchen seines kleinen Metallbetriebes verhaftet und zu 7 Jahren Haft wegen Wirtschaftsverbrechen verurteilt, sein Betrieb wird entschädigungslos enteignet.

Bei den Waldheimer Prozessen 1950 werden in drei Monaten 3.300 Menschen abgeurteilt, die von den Sowjets den DDR-Behörden aus den Speziallagern übergeben wurden. Hohe Haftstrafen wurden verhängt, viele lebenslange Urteile gefällt, 32 Todesurteile ausgesprochen.

Am 6. Juni 1952 beginnt eine neue Terrorwelle, aufgrund einer Verordnung[11] wird willkürlich der Raum 5 km entlang der innerdeutschen Grenze von unliebsamen Personen gesäubert. Bei der Aktion Ungeziefer 1952 und Kornblume 1961, im Zeitraum dazwischen und auch danach bis 1983 werden ca. 12.000 Menschen aus

den Sperrgebieten ins Hinterland der DDR zwangsausgesiedelt. Einige Gründe für die Zwangsaussiedlung[12]: „Familie St. aus Dietzenrode; sie sind Besitzer einer Gastwirtschaft. Gesamte Familie sehr reaktionär eingestellt und hetzen gegen unsere Entwicklung.“ „W. aus Ershausen. Geschäftsmann. Handelt mit allem. Als Schieber bekannt.“ „D. aus Burgwalde. Ist stark gegen unsere Entwicklung eingestellt und ist Gegner der VP. Bei Versammlungen macht er höhnische Bemerkungen über die SED. Er ist als illegaler Grenzverletzter bekannt.“ „D. aus Lengenfeld/St., er zeigt eine negative Einstellung zu unserem Staat und verherrlicht laufend  die Verhältnisse in Westdeutschland. D. bildet einen Unsicherheitsfaktor im Grenzgebiet.“ „K. aus Diedorf. Er zeigt eine äußerst negative Haltung zu unserem Staat. K. erhält unter einer Deckadresse ständig Pakete aus Westdeutschland. Aufgrund der angeführten Fakten bildet er einen Unsicherheitsfaktor im Grenzgebiet.“

Nicht nur der Thüringer Wald ist seit jeher geprägt von Wilddieberei. Der Besitz von illegalen Jagdwaffen ist fast selbstverständlich. In Steinbach wird an einer Gruppe von Männern ein Exempel statuiert: sie werden als sog. Ulbricht-Attentäter zu Haftstrafen von 10 und mehr Jahren verurteilt.

Die weitaus größte Gruppe politischer Häftlinge aus dieser Zeit wurde verurteilt wegen Hetze und Propaganda. Sie verbüßen meist Haftstrafen nicht unter drei Jahren und müssen diese häufig in Bautzen oder Waldheim verbüßen.   

4. Die Honecker Ära 1971-1989

Seit der Errichtung des Sperrgebietes an der innerdeutschen Grenze, spätestens aber seit dem Mauerbau im August 1961 ist die Abwanderung bzw. die Republikflucht eines der Hauptfelder des politischen Strafrechts[13]. Spätestens ab 1957 wird Republikflucht ein eigener Straftatbestand, der mit bis zu 3 Jahren Haft geahndet wird. Der § 213 des Strafgesetzbuches von 1986 sieht eine Strafandrohung von bis zu 2 Jahren vor, in der Verschärfung des Abs. 3 von 1979 im „schweren Fall“ bis zu 8 Jahren. In den 60er Jahren gab es in manchem Jahr bis zu 10.000 strafrechtliche Verfahren, in den 70er und 80er Jahren pro Jahr 1.800 bis 2.000 Fälle. Bis 1989 sind an der innerdeutschen Grenze und an der Berliner Mauer 1.065 Todesopfer (aktuelle Statistik des BK nach den Forschungsarbeiten im BArch-MA Freiburg: ca. 1.400) zu beklagen[14].

Die KSZE Konferenz in Helsinki bringt noch einmal deutliche Veränderungen. Die Möglichkeit, einen Ausreiseantrag aus der DDR zu stellen, wird oft geschickt verzögert und verhindert und zieht beim mit Nachdruck geäußerten Wunsch oft Haftstrafen nach sich. Wer im Zusammenhang damit Schreiben an eine Institution in der BRD schickt, kann wegen staatsfeindlicher Hetze oder ungesetzlicher Verbindungsaufnahme mit bis zu 5 Jahren Haft verurteilt werden. Vielfach haben Menschen öffentlich, wenn auch still protestiert; sie wurden wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit mit Haftstrafen bis zu 2 Jahren belegt.

Seit 2003 berät die Beratungsinitiative im Freistaat (BI) und das BK Menschen, die einen Teil oder ihre gesamte Kindheit und Jugend im Heimsystem des Ministeriums für Volksbildung erbracht haben. Es wiederholt sich die Erfahrung aus der Beratung anderer Gruppen, die Opfer politischer Verfolgung waren, dass Menschen oft Jahrzehnte benötigen, um sich anderen öffnen zu können. Im Zuge der Beratung wird deutlich, wie hoch die Quote systematischer, physischer und psychischer Misshandlungen ist: allein die Quote sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen liegt bei etwa 20%. Dies wird ab 2010 an einem eigenen Runden Tisch Heimerziehung im Freistaat Thüringen thematisiert. Er widmet sich in zwei Arbeitsgruppen sowohl der Prävention/ Intervention, als auch der Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem System der Spezialheim – Spezialkinderheime, Sonderheime, Jugendwerkhöfe und auf den Durchgangsheimen. Eine mögliche Rehabilitierung bzw. Entschädigung ist sehr ungewiss, selbst für die relativ kleine Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die den Eltern nach versuchter R-Flucht zwangsentzogen wurden. Erst später kommen auch Heime in Verantwortung des DDR-Gesundheitswesens, insbesondere Kinder- und Jugendpsychiatrien, Behinderten- und Pflegeeinrichtungen, in den Blick.

Schließlich seien auch noch die vielen Kinder und Jugendlichen  in den Kinder- und Jugendsportschulen erwähnt, die ohne ihr Wissen einem systematischen Doping unterworfen waren und die z.T. schwere physische und psychische Schäden davongetragen haben.

Das Unrechtshandeln des MfS innerhalb der SED-Diktatur, wie die operative Personenkontrolle (OPK), der Operativvorgang (OV) sowie die Zersetzungsmaßnahmen in den unterschiedlichsten Bereichen, sollen hier nicht eigens betrachtet werden, sie bedürfen einer eigenen untersuchenden Beurteilung.

5. Das Gesetz zur Nichtverjährung von SED-Verbrechen

Bereits unmittelbar nach dem gesellschaftlichen Umbruch 1989/90 war deutlich geworden, wie hoch das Ausmaß der Verbrechen der SED-Diktatur gewesen ist. Sollten die Opfer einer Diktatur zuschauen, wie die Täter ungeschoren davonkommen? Nach Bildung der ersten Landesregierung in Thüringen gab es einen fruchtbaren Dialog zwischen dem BK und dem Justizminister Herrn Dr. Jentsch über das rasche Zustandekommen von Rehabilitierungsgesetzen, auch über die Frage der möglichen strafrechtlichen Ahndung von SED-Verbrechen. Hier stand allerdings das Problem der Verjährung. Ein befreundeter Anwalt Dr. Kaschkat (Würzburg), gab uns damals den Hinweis, wir sollten doch den gleichen Weg gehen, den 1946 einige Länderregierungen in Bezug auf die Verbrechen des NS-Regimes gegangen sind. Alle anderen Möglichkeiten, die das geltende Strafrecht der Bundesrepublik geboten hätten, wären so etwas wie „Siegerjustiz“ gewesen.

Rückgreifend auf diesen Weg von 1946 in Deutschland entstand so über eine Bundesratsinitiative Thüringens das Gesetz zur Nichtverjährung[15]. Es besagt in einem Satz: Das Ruhen der Verjährung setzt voraus, dass eine während des SED-Unrechtsregimes begangene Tat entsprechend dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen der Staats- und Parteiführung der DDR aus politischen oder sonst mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlich rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbaren Gründen nicht geahndet wurde.

„Landesfürst“ Hans Albrecht (1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Suhl), war einer der ersten, die in den Genuss dieses Gesetzes kamen – Gründe für seine strafrechtliche Verurteilung waren unerlaubter Waffenbesitz und Unterschlagung, vor allem aber seine Mitarbeit im Nationalen Verteidigungsrat, hier speziell die Zustimmung zu den Bestimmungen über den Schusswaffengebrauch 76/61 vom 06.10.1961 (sog. Schießbefehl), zudem wegen Anstiftung zum Totschlag (Schießbefehl, Tote und Verletzte an Mauer und Grenze, Minenfelder und Selbstschussanlagen),  zu 5 Jahren und 1 Monat (nach Berufung).[16] Der ehemalige Minister für Nationale Verteidigung Heinz Kessler erhielt die Höchststrafe, 7 ½ Jahre für Totschlag.[17]

Die Höchststrafe in den Mauerschützenprozessen erhielt der Todesschütze Rolf-Dieter Heinrich für den Mord an Walter Kittel am 18.10.1965. Er wurde zunächst vom Potsdamer Bezirksgericht wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt, der Bundesgerichtshof hebt im Oktober 1993 die Entscheidung auf und verurteilt H. wegen Mordes zu der nach DDR-Recht zulässigen Mindeststrafe von zehn Jahren.[18]    

6. Der mühsame Weg zu Rehabilitierung und Wiedergutmachung

Bereits im September 1990 hatte die erste frei gewählte Volkskammer der DDR ein Rehabilitierungsgesetz verabschiedet, das allerdings infolge des Einigungsvertrages so viele Streichungen erfuhr, dass es nie wirksam wurde. Erst 1992 wurde das erste Rehabilitierungsgesetz[19] vom deutschen Bundestag verabschiedet, das vielen Gruppierungen politisch Inhaftierter den Weg zu Rehabilitierung und Wiedergutmachung eröffnete. In den Folgejahren wurden das berufliche[20] und das verwaltungsrechtliche[21] Reha-Gesetz verabschiedet.

Gleichzeitig signalisierte auch der Generalstaatsanwalt Russlands die Möglichkeit, dass Opfer der SMAD, auch verschleppte Volksdeutsche anderer Länder, einen Antrag auf Rehabilitierung in Moskau einreichen können. Zudem öffnete Moskau die Archive, sodass viele Angehörige jetzt Nachricht bekamen über den Verbleib ihrer bis dahin verschwundenen Angehörigen.

Seit 2002 gibt es in Thüringen die Beratungsinitiative (BI) zur Beratung von Opfern des SED-Regimes. Träger der BI waren über fast 20 Jahre das BK und der CV für das Bistum Erfurt, derzeit ist mit 3 Stellen der ThLA Träger der BI.

Seit Gründung des BK 1990 betreibt das BK eine eigene Beratungsstelle. Von 1994-2001 war Frau U. Hein Beraterin, danach Frau Chr. Bärwolf, seit 2006 führt Frau R. Weiss die Beratungsstelle.[22]

Erst nach langem Ringen wurde 2007 das StrRehaG dahingehend geändert[23], dass politisch inhaftierte Opfer des SED-Regimes eine monatliche Opferrente zugesprochen bekamen in Höhe von 250,00 €, allerdings mit der Sperrklausel, dass die Haftzeit länger als 6 Monate gedauert haben muss. Ein wesentlicher Fortschritt für die oft schlechte soziale Lage der langjährig inhaftierten Opfer, alle anderen o.g. Opfergruppen gingen bei dieser Regelung allerdings leer aus. Durch verschiedene Novellierungen des StrRehaG ist mittlerweile ein zeitlich unbefristeter Zugang zu diesem Gesetz möglich, die Sperrklausel als Zugang zur Opferrente wurde verringert auf 3 Monate, und andere Gruppen von Opfern, wie z.B. ehemalige Heimkinder, die in Spezialkinderheimen, Durchgangsheimen und Jugendwerkhöfen untergebracht waren, haben Zugang zur Opferrente.

Unbefriedigend bleibt die Lage der Zwangsausgesiedelten aus den Sperrgebieten und anderen Orten[24] der ehemaligen DDR. Nachdem 1994 in Thüringen eine Stiftung ins Leben gerufen wurde und eine Entschädigungssumme von 4.000 DM gezahlt wurde, ist im Grunde als Sozialleistung nichts mehr geschehen. 2015 unternahm das BK einen erneuten Versuch, um über den Begriff Verfolgungszeit für diese Personengruppe einen Zugang zur Leistungen nach dem BerRehaG und StrRehaG zu erreichen.[25]

Die persönlichen Folgen der Zwangsaussiedlung der beiden großen Wellen 1952 und 1961, sowie der andauernden Einzelaktionen bis in die 1980er Jahre lassen den Rückschluss zu, dass es eine andauernde Verfolgungszeit (auch ohne Inhaftierung) vom Zeitpunkt der Zwangsaussiedlung bis zum 02.10.1990 gegeben hat.[26] Den Betroffenen der Zwangsaussiedlungen eilte an ihren Ankunftsort immer gezielt ein Ruf voraus, der sie und alle Angehörigen ihrer Familie kriminalisierte.

Zudem waren einige Familien an ihrem Ankunftsort über längere Zeit oder andauernd durch Zersetzungsmaßnahmen des MfS belastet. Der Begriff Verfolgungszeit muss bezüglich der Zwangsausgesiedelten auch eng verknüpft werden mit dem Begriff Traumatisierung, denn das Geschehen des Verlustes von Haus, Hof und Heimat, sowie der Verlust wichtiger Sozialbeziehungen, vom Verlust des beruflichen Umfeldes ganz zu schweigen, hatte eine psychische Tiefenwirkung, die bei den weitaus meisten Betroffenen (generationenübergreifend) bis zum heutigen Tag unauslöschlich nachwirkt. 

Insofern müsste im § 2 BerRehaG der Begriff Verfolgungszeit bezüglich der Betroffenen der Zwangsaussiedlungen noch einmal neu gefasst werden, bzw. die Blockadewirkung der dreijährigen Verfolgungszeit als Zugangsschwelle gelöscht werden. Der sinnvollere Weg in diesem mittleren Lösungsansatz wäre, im § 1 VwRehaG einen unmittelbarer Zugang zu Leistungen analog § 8 BerRehaG zu setzen.


[1] Vorsitzender des Bürgerkomitees des Landes Thüringen e.V. Meiningen, 05/2024

[2] Sowjetische Militäradministratur 1945-1949

[3] „Im Zeitalter universellen Gedächtnisverlustes haben wir zu realisieren, dass volle Geistesgegenwart nur auf dem Boden einer lebendigen Vergangenheit möglich ist. Je tiefer die Erinnerung geht, umso freier wird der Raum für das, dem all unsere Hoffnung gilt: der Zukunft.“, Christa Wolf, Kindheitsmuster, S. 202, Berlin 1976.

[4] Vgl. Fr. Prof. Gesine Schwan, die darauf verweist, dass es in der DDR eine Straßenverkehrsordnung gegeben habe und dass man auch rechtsgültig heiraten konnte.

[5] Auch während der NS-Diktatur hat es Rechtsformen gegeben, die nach dem Zusammenbruch des Systems ihre Gültigkeit behielten.

[6] Vgl. Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident des BVG, Rede im Thüringer Landtag am 24.04.2009, S.2f.

[7] anonymisiert, die Akten befinden sich im Archiv des Bürgerkomitees des Landes Thüringen e.V.

[8] zum Thema Unrechtsstaat vgl. auch Interview in der STZ mit Oberstaatsanwalt Dr. Hans-Jürgen Grasemann, Braunschweig vom 02.03.2009.

[9] Vgl. auch Herta Müller, Atemschaukel, München 2009.

[10] Verordnung über das Erfassen, Sammeln und Aufbereiten von Eisen-, Stahl- und Buntmetallschrotten vom 02.02.1950.

[11] Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands vom 26.05.1952

[12] Vgl. Terror über den niemand spricht. Zwangsaussiedlungen im Eichsfeld. Zella-Mehlis 2009, S. 18f. und 30ff.

[13] Gesetz zur Änderung des Passgesetzes der DDR, § 8 vom 11.12.1957.

[14] Vgl. Museum Haus am Checkpoint Charlie, 137. Pressekonferenz am 13.08.2004, Bürgerkomitee des Landes Thüringen e.V., Lexikon der innerdeutschen Grenze, 3. Aufl. 2020, S. 332ff.

[15] VerjährungsG vom 26.03.1992.

[16] Urteil Bundesgerichtshof vom 26.07.1994.

[17] Urteil Landgericht Berlin vom 16.09.1993, am 26.07.1994 vom Bundesgerichtshof bestätigt. Kessler hatte immer die Existenz des sog. Schießbefehls geleugnet.

[18] Vgl. Grafe, Deutsche Gerechtigkeit, S. 260f.

[19] Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet,  StrRehaG vom 29.10.1992.

[20] Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet, BerRehaG vom 23.06.1994.

[21] Gesetz über die Aufhebung grob rechtsstaatswidriger Verwaltungsmaßnahmen im Beitrittgebiet, VerwRehaG vom 23.06.1994.

[22] Freies Wort, Interview und Artikel über die Beratungsstelle, 10.12.2014

[23] Änderung des § 17a StrRehaG vom 13.06.2007.

[24] Z.B. Oberhof.

[25] Vgl. Arbeitspapier 3 für das Gespräch mit Min. Tiefensee: Rehabilitierungsbemühungen für Zwangsausgesiedelte aus den Sperrgebieten der ehemaligen DDR – Zugangsberechtigung zu Leistungen nach VWRehaG und BerRehaG, Zella-Mehlis, 22.05.2015.

[26] Vgl. Terror, über den niemand spricht, Zella-Mehlis, 2009, 40ff, sowie eine Fülle von Zeitzeugenberichten, Archiv des BK des Landes Thüringen.