Geschichte der SED-Opferentschädigung – Ihr Ursprung liegt in der ersten frei gewählten DDR-Volkskammer

Von Hans-Joachim Hacker[1]

Vor 35 Jahren, am 6. September 1990, hat die demokratische Volkskammer in der DDR das Rehabilitierungsgesetz verabschiedet. Nach Jahrzehnten schweren Rechtsbeugungen in der SBZ und in der DDR war in der friedlichen Revolution der Ruf nach Beseitigung von politischem Unrecht und Wiedergutmachung erhoben worden. Diese Forderungen verstärkten sich im Jahr 1990, als nach der Volkskammerwahl am 18. März ein freies demokratisches Parlament die Arbeit aufnahm.

Es lohnt sich heute, wo auf Bundesebene Diskussionen zu einer abschließenden Regelung offener Fragen aus den SED- Unrechtsbereinigungsgesetzen geführt werden, einen Rückblick auf die Historie dieser in der deutschen Geschichte einmaligen Rechtssetzung zu werfen.

Die ersten Diskussionen über die Aufhebung von politischen Unrechtsurteilen kamen bereits unmittelbar vor dem Fall der Mauer am Beispiel der Verurteilung von Walter Janka auf, der in den 1950er Jahren wegen angeblicher konterrevolutionärerTätigkeit in der DDR verurteilt worden war. Der Begriff „Rehabilitierung“ fand Eingang in die Forderungen. Das war der Ausgangspunkt für Überlegungen im DDR-Justizministerium zur Schaffung einer Rechtsgrundlage zur Aufhebung von Unrechtsurteilen.

Das DDR-Justizministerium vollführte in dieser Umbruchzeit damit einen Salto Mortale, nachdem es über Jahrzehnte bei der Ausgestaltung von politischer Willkür die führende Rolle der SED im Justizbereich verwirklicht hatte.

Es dauerte bis zum 20. Juli 1990 - die Regierung de Maizière hatte einen Gesetzesentwurf erarbeitet - als in der Volkskammer die 1. Lesung des Rehabilitierungsgesetzes erfolgen konnte. In der Plenardebatte gab es zahlreiche kritische Anmerkungen zu den vorgeschlagenen Regelungen, nicht nur von Vertretern der Oppositionsfraktionen. Federführend für die weitere Bearbeitung des Entwurfs war der Rechtsausschuss, der im Sommer 1990 dazu eine Anhörung durchführte. Opfergruppen und ihre Verbände aber auch Einzelpersonen berichteten über Schicksale politischer Verfolgung und erhoben Forderungen auf Nachbesserung der vorgeschlagenen Regelungen. Bei dieser Anhörung wurde das Ausmaß der politischen Willkür deutlich, die über Jahrzehnte angewandt worden war. Auch Opfer meldeten sich zu Wort, deren Schicksal den meisten Abgeordneten bislang nicht bekannt war. Dazu zählten die Zwangsausgesiedelten bei den Maßnahmen im DDR-Grenzgebiet 1952 und 1961 ebenso wie die Zwangsdeportierten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die 1945 in die Sowjetunion verschleppt worden waren.

Am 6. September 1990 wurde das Rehabilitierungsgesetz von der Volkskammer verabschiedet und erschien am 18. September 1990 im Gesetzblatt der DDR.

An dieser Stelle ist auf eine Besonderheit hinzuweisen: Die Erklärung der Volkskammer zum Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes erfolgte am 23. August 1990. Der Einigungsvertrag wurde in der Folgewoche am 31. August von den Vertretern der beiden deutschen Regierungen unterschrieben. Zu diesem Zeitpunkt liefen in den Ausschüssen der Volkskammer noch die Beratungen zum Entwurf des Rehabilitierungsgesetzes. Es war Wille der Volkskammerabgeordneten, dass die Rehabilitierungsgesetzgebung nach der deutschen Einheit weiter geltendes Recht werden sollte. Dazu hätte das Gesetz jedoch in die Anlage 2 des Einigungsvertrages aufgenommen werden müssen, die fortgeltendes Recht der DDR auswies. Wegen des dargestellten zeitlichen Ablaufes bei der Gestaltung der Rechtsgrundlagen für die deutsche Einheit konnte das am 6. September 1990 verabschiedete Rehabilitierungsgesetzes keinen Eingang in die Anlage 2 finden und wäre mit Wirksamwerden des Beitritts der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 erloschen. Diese Rechtswirkung konnte nur durch entsprechende Vereinbarung gemäß Art. 9 Abs. 3 des Einigungsvertrages abgewendet werden. Mit der Vereinbarung vom 18. September 1990 der beiden deutschen Regierungen wurde das Rehabilitierungsgesetz - mit deutlichen Einschränkungen - nachträglich in die Anlage 2 zum Einigungsvertrag aufgenommen. Auf jeden Fall wurde damit ein deutliches Zeichen gegenüber dem künftigen gesamtdeutschen Gesetzgeber gesetzt und die Regelung im Art. 17 (Rehabilitierung) des Einigungsvertrages verstärkt.

Nach der Wiedervereinigung stand die Aufgabe, den Auftrag zu erfüllen, der sich aus Art. 17 Einigungsvertrag und dem betreffenden Passus in der Anlage 2 ergab. Nicht zuletzt die Opferverbände forderten die Politik auf, diesem Auftrag nachzukommen. Die parlamentarische Opposition - die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD im Deutschen Bundestag - wurden mit parlamentarischen Initiationen aktiv, so die SPD- Bundestagsfraktion mit dem Antrag vom 13. Mai 1991 „Rehabilitierung der Opfer des SED- Unrechtsstaates“.

In der Folge legte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf für ein erstes SED- Unrechtsbereinigungsgesetz vor. Kern des Gesetzesentwurfes war das im Art. 1 aufgeführte Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz. Nach der 1. Lesung am 5. Dezember 1991 beantragte die SPD-Fraktion im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 11. Dezember 1991 die Durchführung einer Anhörung zum Gesetzesentwurf. Die Anhörung in Halle/Saale, bei der Betroffene, Verbände und Sachverständige zu Wort kamen, verlief kontrovers und endete wegen der massiven Kritik am Gesetzesentwurf mit dem „Protest von Halle“ seitens der Opferverbände. Nach parlamentarischen Auseinandersetzungen wegen der Regelungsdefizite wurde der Gesetzentwurf am 17. Juni 1992 zwar vom Deutschen Bundestag angenommen, fand aber im Bundesrat keine Zustimmung. Die neuen Länder verlangten bessere materielle Regelungen für die Opfer der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen. Im Ergebnis der Beratungen im Vermittlungsausschuss wurde das Gesetz mit geringfügigen Änderungen gegenüber dem Entwurf verabschiedet und am 3. November 1992 im Bundesgesetzblatt verkündet. Zentraler Kern des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) waren die Rehabilitierung und Entschädigung für Strafurteile, Entscheidungen und Maßnahmen der DDR-Gerichte und -Behörden, soweit Personen Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaatswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden waren.

Die Kritik an diesem Gesetz setzte im Wesentlichen bei den materiellen Leistungen an, die den Geist des Bundesfinanzministeriumsatmeten. Hierbei wurde insbesondere die Höhe der Kapitalentschädigung genannt, die im Osten und Westen unterschiedlich geregelt war. Weitere Kritikpunkte waren die zu geringe Mittelausstattung für die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge und unzureichende Regelungen für Hinterbliebene der SED-Opfer. Im Übrigen fehlten die erwarteten Regelungen zur verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierung. Diese Regelungslücke wurde erst geschlossen, als das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz (2. SED-UnBerG) am 23. Juni 1994 verabschiedet wurde.

Das 2. SED-UnBerG regelte die Voraussetzungen der Rehabilitierung für die Opfer schwerwiegenden Verwaltungsunrechts (Art. 1 des 2. UnBerG: Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz, VwRehaG) und erheblicher politischer Benachteiligung im beruflichen Bereich (Art. 2 des 2. UnBerG: Berufliches Rehabilitierungsgesetz, BerRehaG).

Nach Verabschiedung der beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze sah die Bundesregierung in der 1. Legislaturperiode nach der deutschen Einheit den Auftrag aus Art. 17 des Einigungsvertrages als erfüllt an. Demgegenüber standen jedoch begründete Forderungen und Erwartungen der Opfer an die Politik, die offenkundigen Defizite zu beseitigen.

Mit dem Zweiten Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen DDR wurden nach dem Regierungswechsel 1998 Schritte zur Beseitigung dieser Defizite eingeleitet. Das am 17. Dezember 1999 verabschiedete Gesetz verlängerte die Frist für die Antragsstellung auf gerichtliche Rehabilitierung bis zum 31. Dezember 2001, die später erneut mehrmals verlängert wurde. Im Weiteren erfolgte eine Vereinheitlichung bei der Höhe der Kapitalentschädigung ab 1. Januar 2000 auf 600 DM pro angefangenem Haftmonat, wodurch die nicht nachvollziehbaren Unterschiede zwischen Antragsstellern in Ost und West aufgehoben wurden. Die Erwartungen der Angehörigen, die Familienmitglieder durch rechtsstaatswidrige Maßnahmen verloren hatten, wurden durch eine deutliche Aufstockung der Mittel für die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge erfüllt. Beispielhaft für diese Fallgruppe stehen die Todesschüsse an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze sowie die Erschießungen auf dem Moskauer Friedhof Donskoje zwischen 1950 und 1953 nach den Urteilen sowjetischer Militärtribunale in der SBZ/DDR.

Diese Verbesserungen waren auch der Versuch, die von den Opfern und ihren Angehörigen empfundene Ungleichbehandlung von materiellen Ansprüchen im Bereich der sogenannten offenen Vermögensfragen (Restitution nach dem Vermögensgesetz) und der Ansprüche nach Aufhebung von Unrechtsurteilenin Verbindung mit der Gewährung von finanziellen und sozialen Leistungen aufzuheben. Dass dies nicht in jeder Hinsicht gelungen war, wird durch die Tatsache belegt, dass weitere Nachbesserungen der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze in den danach folgenden Jahren vorgenommen wurden.

Zu hoffen ist, dass der Bundesgesetzgeber noch in dieser Legislaturperiode die Kraft aufbringt, um in einem vermutlich letzten Akt weitere Verbesserungen für die Opfer der SED-Diktatur zu regeln. Hierbei muss aus meiner Sicht zwingend eine Lösung für die unbefriedigende Situation bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden gefunden werden. Da hier die Zuständigkeit der Länder berührt ist, sollten sie in den Prozess der Suche nach einer gerechten Lösung rechtzeitig einbezogen werden.

Vorschläge von Experten für Lösungswege zur Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden (z.B. posttraumatische Schäden und sogenannte Brückenschäden) liegen seit Jahren auf dem Tisch. Eine Hilfe wäre beispielsweise die Umkehr der Beweislast für den Nachweis der Ursachen heutiger Gesundheitsschäden bei SED-Opfern.

Fazit:

Auf die Frage, ob die berechtigten Forderungen der Opfer der SED-Diktatur in Bezug auf Gerechtigkeit - was zunächst einmal eine subjektive Erwartung ist - erfüllt wurden, kann keine einfache Antwort gegeben werden. Anzumerken ist, dass sich die Volkskammer dieser historischen Verantwortung gestellt hatte und der Gesetzgeber nach der deutschen Einheit in mehreren Schritten hierzu Regelungen getroffen hat. Diese waren anfangs durch fiskalische Engherzigkeit gekennzeichnet und standen im Kontrast zu den Regelungen zum Ausgleich von Vermögensschäden. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Aufarbeitung einer vier Jahrzehnte dauernden Diktatur mit einer Vielzahl von unterschiedlichen rechtsstaatswidrigen Eingriffen für die Handelnden im Parlament und inder Regierung eine große Herausforderung darstellte, der sich die Verantwortlichen jedoch gestellt haben.


[1] Ehemaliger Abgeordneter der 1990 frei gewählten Volkskammer aus Schwerin und Vorsitzender des dortigen Rechtsausschusses. Von 1990 bis 2013 Mitglied des deutschen Bundestages (SPD).