Zersetzung noch 1989

Der Fall des Anwalt und Oppositionellen Rolf Henrich

Der Anwalt Rolf Henrich wurde Anfang 1989 zu einem der bekanntesten Oppositionellen der DDR. Mit seinem Buch vom „vormundschaftlichen Staat“ traf er den Zeitgeist. Henrich, SED-Mitglied und bis dato etabliertes Mitglied der Anwaltschaft im Bezirk Frankfurt/Oder, dort langjähriges Parteimitglied, hatte allen ein Schnippchen geschlagen. Aus einem kleinen Freundeskreis heraus hatte er über Jahre seine kritischen Gedanken entwickelt und niedergeschrieben, ohne dass die Stasi davon mitbekommen hatte. Da Henrich in seinen wilden jungen Jahren selbst für das MfS als Im gearbeitet hatte, war die Stasi vollkommen überrascht. Da die Sache im Westen Furore machte, war der Apparat auch gegenüber seiner Auftraggeberin, der SED blamiert. Die Stasi rächte sich, in dem sie Zersetzungspläne schmiedete, sogar über den Tag der Maueröffnung hinaus. Sie blieben nicht ohne Wirkung, und träufelten Gift, in das Führungsteam der damals größten Oppositionsgruppierung, das Neue Forum. In seinen jüngsten Erinnerungen im Christoph Links Verlag blickt Henrich auf diese Zersetzungsmaßnahme zurück:

"So mancher Frosch im Dissidententeich, der, eingeschüchtert durch die schmutzigen und schwindelerregenden Erfolge der Stasi, zitterte, konnte sich so wie die Tschekisten gar nicht mehr vorstellen, dass ein heikles Buchprojekt unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der Geheimpolizei mit ein bisschen Glück durchführbar gewesen ist. Da musste einfach zwangsläufig die Firma ihre Finger mit im Spiel gehabt haben! Wie hätte das Ganze sonst gelingen können? Mir kamen solche Gerüchte erstmalig im Januar '90 zu Ohren. Ich dachte anfänglich, so was traut mir kein Mensch zu. Erst als ich dann bei meiner Akteneinsicht den letzten- nach dem Fall der Mauer - von einem Major namens Hoffmann speziell auf meine Person zugeschnittenen Zersetzungsplan der Abteilung XX/AGNF vom 14. November 1989 gelesen habe, wurde mir die Hinterlistigkeit des gegen mich gerichteten Maßnahme-Katalogs bewusst. Unter Ziffer 1 heißt es da: »Wir sehen in H. den Feind« Darüber konnte ich nicht verwundert sein. Als ich dann aber die wohldurchdachten ››Ausgangspunkte«, ››Folgerungen«, »Arbeitsschritte« und „Blickwinkel“ gedanklich für mich nachgezeichnet habe, wie sie in dem Papier ausdrücklich bezogen auf das ››Langzeitziel« hin formuliert sind, mich ein für allemal »zur Kapitulation zu zwingen«, da wurde mir doch klar, wie verheerend seinerzeit das Gift der Verdächtigungen gewirkt haben muss, welches die Operativniks gezielt versprüht haben. Einmal ausgebrütet, wurde der mich ins Zwielicht setzende Gerüchteteig um die Jahreswende 1989/90 ausgerechnet von altgedienten Bürgerrechtlern mit frischer Hefe zum Treiben gebracht - also von Leuten, mit denen ich mich freundschaftlich verbunden fühlte. Selbst Bärbel Bohley war sich nicht zu schade, Achim Maaz zu fragen, ob ich nicht vielleicht im Auftrag der Staatssicherheit geschrieben hätte. Auf die Idee, das Gespräch mit mir zu suchen, kam sie nicht. Eine Kränkung, die ich nie verwunden habe. Es ist deshalb vielleicht nicht überflüssig, für alle Fälle einiges klarzustellen.

Wie ich dem mich einstufenden Einleitungsbericht für die operative Personenkontrolle (12. Februar 1988) entnehmen muss, verdächtigten mich die Geheimen nicht etwa wegen der von mir beabsichtigten Veröffentlichung des »Vormundschaftlichen Staates«. Aufklären wollten sie lediglich, wie es um meine »wirkliche politisch-ideologische Einstellung« stand und welchen ››Charakter« die in Hammerfort und Oegeln stattfindenden Zusammenkünfte hatten. Unsere ständigen Treffen beunruhigten sie. Sie wollten herausfinden, wie sie in ihrem Bericht hervorheben, ob Achim Maaz und ich durch die veranstalteten Diskussionsrunden die Verbrechenstatbestände der staatsfeindlichen Hetze (106 StGB) und des verfassungsfeindlichen Zusammenschlusses (107 StGB) erfüllten. Strafrechtliche Vorwürfe in dieser Preisklasse waren sicher maßlos übertrieben. Angesichts der Furcht vor jeder Art Gruppenbildung ist der Vorgang jedoch verständlich. Jedes Kaffeekränzchen, bei dem Menschen aus ihrem Herzen keine Mördergrube machten und über die Verhältnisse meckerten, wurde von den Herrschaften der Sicherheit ja erforderlichenfalls zu einem verfassungsfeindlichen Zusammenschluss hochgejubelt, was zunächst nicht allzu viel besagte. Aber diese Tatbestände reichten den Schnüfflern offenkundig nicht aus. Major König und Hauptmann Bautz wollten darüber hinaus noch ermitteln, ob Maaz und ich auch die Straftatbestände des Landesverrats mit unserem Tun verletzten. Spionage und landesverräterische Agententätigkeit - mehr ging nicht!

[...]

Entscheidender als jedes strafbare Handeln, dessen ich mich […] vielleicht schuldig gemacht hatte, war in Wirklichkeit eine fundamentale Gesetzwidrigkeit! Nicht der vermeintliche verfassungsfeindliche Zusammenschluss mit Achim Maaz und auch nicht meine staatsfeindliche Hetze stellten für Major König und Hauptmann Bautz, die mir hinterherschnüffelten, das schrecklichste aller Verbrechen, die unverzeihliche Sünde wider den Geist der sozialistischen Menschengemeinschaft, dar. Es war meine Undurchsichtigkeit, die Opazität, die ihnen im Februar '88 aufgefallen ist. Eine kriminelle Eigenschaft, die ich lange Zeit durch das Amt des Parteisekretärs und mein Auftreten in der Öffentlichkeit überspielen konnte. Wie Cincinnatus in Vladimir Nabokovs Roman »Einladung zur Enthauptung« war ich undurchschaubar geworden - ››für die Strahlen der anderen und wirkte darum wie ein einsames dunkles Hindernis in dieser Welt der füreinander durchsichtigen Seelen«. Damit erfüllte ich, um es mit Nabokov zu sagen, tatbestandsmäßig gesehen den »gnoseologischen Frevel«l Und etwas Teuflischeres kannten Mielkes dienstbare Geister nicht. (Hartmut Königs vielgedudelte Bekenntnishymne »Sag mir, wo du stehst« lag ganz auf dieser Linie: »Wir haben ein Recht darauf/ dich zu erkennen/ Auch nickende Masken/ nützen uns nicht./Ich will beim richtigen Namen dich nennen/ und darum zeig mir dein wahres Gesicht.«).“

 

>Zitat nach Rolf Henrich. Ausbruch aus der Vormundschaft. Erinnerungen. Berlin 2019,S. 220 ff.