Der Berliner Härtefallfonds für Verfolgte der SED-Diktatur – eine zusätzliche Entschädigung?
Yvonne Laue1
In diesem Artikel möchte ich den Härtefallfonds beim Berliner Aufarbeitungsbeauftragten im Sinne eines Arbeitsberichtes vorstellen. Sie finden die Zwischenbilanz der Jahre 2020 bis 2023. Die Daten für 2024 sind aufgrund der noch laufenden Antragsverfahren nicht enthalten. Am Ende möchte ich kurz der Frage nachgehen, ob der Härtefallfonds ein zusätzliches Entschädigungsverfahren ist.
Warum wurde der Härtefallfonds eingerichtet?
Der Berliner Senat hat im Januar 2020 die Einrichtung eines Härtefallfonds für politisch Verfolgte der DDR beschlossen und beim Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB) angesiedelt. Unterstützung aus dem Härtefallfonds sollen politisch Verfolgte der sowjetischen Besatzungszone oder der DDR erhalten, die nach den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen (SED-UnBerG) rehabilitiert sind, sich in einer besonderen wirtschaftlichen Notlage befinden und ihren Wohnsitz in Berlin haben. Durch die Bereitstellung von Sachhilfen sollen bis heute anhaltende Folgen politischer Repressionen gemindert werden.
Die Beratungspraxis und ein erster Forschungsbericht im Auftrag des Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit Zur sozialen Lage der Opfer des SED-Regimes in Thüringen aus 20082 haben gezeigt, dass Menschen mit Haft- und Verfolgungserfahrungen bis heute unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen leben. Diese sind teilweise durch gesundheitliche Folgeschäden aus der Haftzeit bedingt. Das heißt, die Betroffenen sind anhaltend in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt. Auch Brüche in der Berufsbiografie, erlittene Repressalien im Beruf wie Versetzung in niedrigqualifiziertere Positionen oder verweigerte Schulabschlüsse, Berufsausbildungen oder Studiengänge führen zu geringeren Altersrenten.
Die besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17 a Strafrechtlichem Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), Ausgleichsleistungen nach § 8 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) oder einmalige Entschädigungsleistungen nach § 1 a Abs. 2 Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) für Zersetzungsopfer können diese wirtschaftlichen Härten nicht auffangen. Der Härtefallfonds soll hier gezielt Verbesserung anbieten.
Neuere Studien aus Brandenburg,3 Berlin4 und Thüringen5 bestätigen die wirtschaftlichen Einschränkungen.
Inzwischen gibt es in allen ostdeutschen Bundesländern bei den Aufarbeitungsbeauftragten etablierte Härtefallfonds. Vorreiter war im Jahr 2015 das Land Brandenburg, Sachsen folgte 2019, Thüringen und Sachsen-Anhalt richteten den Fonds im Jahr 2022 ein. Seit Mai 2024 gibt es auch einen Härtefallfonds in Mecklenburg-Vorpommern.
Für den Berliner Fonds standen in den ersten beiden Haushaltsjahren (2020 und 2021) jährlich je 100.000 € zur Verfügung. Für das Folgejahr 2022 wurden 200.000 € und für 2023 100.000 € bereitgestellt.
Bislang unberücksichtigt sind Betroffene mit Wohnsitz in den alten Bundesländern. Hier wird eine Umsetzung der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag – die Einrichtung eines bundesweiten Härtefallfonds – angestrebt.
Wer kann einen Antrag stellen?
Zugang zum Härtefallfonds des BAB haben Menschen, die ihren Wohnsitz in Berlin haben.
Weiterhin muss eine Rehabilitierung nach einem der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze (strafrechtlich, beruflich oder verwaltungsrechtlich) oder eine Bescheinigung nach § 10 Abs. Häftlingshilfegesetz (HHG) vorliegen. Hier ist nicht entscheidend, ob Leistungen auf Grund der Rehabilitierung gezahlt werden. So erhält jemand mit einer rehabilitierten Haft- oder Heimzeit unter 90 Tagen zwar keine Zuwendung nach § 17a StrRehaG, ist aber antragsberechtigt im Härtefallfonds. Auch der Bezug von Unterstützungsleistungen der Häftlingshilfestiftung schließt eine Antragstellung im Härtefallfonds nicht aus.
Aktuell ist der BAB bemüht, den Zugang zum Fonds auch für anerkannte Dopingopfer zu ermöglichen.
Die Höhe des Einkommens ist ebenfalls nachzuweisen. Dazu gehören Altersrenten, Erwerbsminderungsrenten, ergänzende Sozialleistungen, Wohngeld, Gehälter oder freiberufliche Einkünfte. Nicht angerechnet werden die Entschädigungszahlungen, wie z.B. die Besondere Zuwendung nach § 17 a StrRehaG oder dem BerRehaG. Betroffene, die verheiratet sind, in Partnerschaften oder Bedarfsgemeinschaften leben, müssen auch das Einkommen der Partnerin oder des Partners mit angeben.
Betroffene, die nach § 16 Abs. 2 StrRehaG, § 17 a Abs. 7 StrRehaG oder § 4 BerRehaG verstoßen, erhalten keinen Zugang zum Fonds.
Wie sind die Rahmenbedingungen für die Hilfegewährung?
Die Unterstützung erfolgt in Form von Sachhilfen, das bedeutet, es werden finanzielle Mittel zur Anschaffung von Hilfen bereitgestellt. Es wird kein Bargeld ausgezahlt.
Der Härtefallfonds will unterstützen, ohne jedoch bestehende Hilfesysteme zu ersetzen. Das bedeutet, Leistungen, für die z.B. Jobcenter, Krankenkassen, Teilhabeämter, Pflegekassen, private Zusatzversicherungen oder Rentenversicherungen zuständig sind, werden nicht aus dem Härtefallfonds bedient. Bei jeder Hilfe wird geprüft, ob es andere vorrangig zuständige Stelle im Rahmen der Regelversorgung gibt. Ggf. sind Ablehnungsbescheide einzuholen.
Hilfen werden in der Regel nur einmalig gewährt, das heißt, es kann nur einmal ein Antrag im Härtefallfonds gestellt werden.
Antragsteller, die bereits in einem anderen Bundesland Hilfen aus einem Härtefallfonds erhalten haben, können in Berlin nicht erneut einen Antrag stellen.
Die Hilfen sollen nachhaltig sein und möglichst eine Problemlage beenden.
Laufende Kosten, wie z.B. Miete oder Internetgebühren, Schuldenübernahme oder Gebühren für rechtsanwaltliche Unterstützung können aus dem Härtefallfonds nicht abgedeckt werden.
Da es sich um einen Fonds handelt, besteht kein Rechtsanspruch auf Unterstützungsleistungen.
Wie die Unterstützungsleistungen gewährt werden, ist in einer Richtlinie festgelegt. Diese gilt galt rückwirkend ab dem 1. Januar 2020.
Um möglichst vielen Menschen zu fördern zu können, werden die Hilfen auf den Höchstbetrag von 5.000 € begrenzt.
Über die Vergabe der Fondsleistungen entscheidet der Berliner Aufarbeitungsbeauftragte unter Mitwirkung eines Beirats. Er wird durch den Aufarbeitungsbeauftragten berufen. Ihm gehören aktuell Evelyn Zupke (SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag) und Mario Röllig (ehemaliger politischer DDR-Häftling) an.
Die Gewährung der finanziellen Hilfen erfolgt nach § 53 (Billigkeitsleistungen) Landeshaushaltsordnung (LHO).
Welche Hilfen sind möglich?
Hilfen können in den Bereichen Aus- und Fortbildung, Gesundheit, die Schaffung und den Erhalt von selbstbestimmten Wohn- und Lebensmöglichkeiten, technische Alltagshilfen, die Verbesserung der Mobilität oder Kommunikationshilfen beantragt werden.
Im Bereich Aus- und Fortbildung können dies z.B. ergänzende Kurse oder Ausstattungen sein, die eine berufliche Integration fördern können und für die die Arbeitsagentur die Kosten nicht übernimmt.
Im Bereich Gesundheit können z.B. Kostenübernahmen für Brillen, benötigte Hilfsmittel oder Eigenanteile bei Zahnbehandlungen beantragt werden, wenn die Krankenkasse und private Zusatzversicherungen dies nicht übernehmen.
Im Bereich Wohnen können dies Anschaffungen für Mobiliar, Renovierungskosten oder alters- oder behindertengerechte Umbauten sein.
Technische Alltagshilfen sind Geräte wie Waschmaschinen, Staubsauger oder Kühlschränke. Zur Mobilität gehört die Anschaffung oder Reparatur von Fahrrädern, E-Bikes oder Motorrollern.
Wie ist der Verfahrensablauf im Härtefallfonds?
Der BAB hat sich für ein Beratungsverfahren entschieden und nicht für ein klassisches Antragsverfahren. Das hat den Vorteil, dass Betroffene nicht erneut (wie im Rahmen ihrer Rehabilitierungsanträge) eine Vielzahl anonymer Formulare ausfüllen müssen, sondern individuell informiert und beraten werden können. Die wenigen notwendigen Formulare füllt die Beraterin nach den Gesprächen aus und versendet sie lediglich zur Unterschrift an die Antragsteller.
Interessenten melden sich in der Regel telefonisch oder per E-Mail in der Geschäftsstelle des BAB oder direkt bei der Beraterin. Zunächst wird ein Anmeldebogen versandt, der die notwendigen persönlichen Angaben erfasst. Mit dem Anmeldebogen sollen Nachweise über eine Rehabilitierung und das aktuelle Einkommen eingereicht werden. Liegen alle Unterlagen vor und sind alle Zugangsvoraussetzungen erfüllt, wird ein Beratungstermin vereinbart. Dieser kann persönlich oder telefonisch in Anspruch genommen werden. Wenn Betroffene nicht mobil sind oder aus gesundheitlichen Gründen ihr Umfeld nicht verlassen können, kann auch ein Hausbesuch vereinbart werden.
Im Beratungsgespräch werden zuerst weitere Daten abgefragt und die wirtschaftliche Bedürftigkeit geprüft. Diese ergibt sich entweder aus dem Bezug von Sozialleistungen oder wird anhand von Bemessungsgrenzen ermittelt. Dazu gehören Angaben zur Miethöhe und notwendiger Basis-Versicherungen. Vom Einkommen werden diese Angaben abgezogen. Liegt das bereinigte Einkommen bzw. die Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes über dem dreifachen Bürgergeldsatz (aktuelle Höhe 563 € mal drei = 1.689 €), ist die Person im Sinne des Härtefallfonds nicht in einer wirtschaftlichen Notlage und kann keinen Antrag stellen. Die Zuwendung nach § 17a StrRehaG oder die Ausgleichsleistungen sowie die Grundrente nach dem SGB XIV – Soziale Entschädigung nach dem BerRehaG werden nicht als Einkommen angerechnet!
Im Weiteren werden die Hilfebedarfe individuell besprochen. Hier wird dann gemeinsam mit der Beraterin sortiert, welche Hilfebedarfe in die Unterstützungskategorien des Fonds passen und welche Bedarfe durch andere Stellen gedeckt werden können. Für bestimmte Hilfen sind Ablehnungsschreiben von Kostenträgern notwendig.
Beispiel: jemand benötigt den behindertengerechten Umbau seines vorhandenen PKW. Grundsätzlich ist dies eine Leistung nach dem SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Deshalb muss zunächst der Antrag auf Hilfe beim zuständigen Teilhabeamt gestellt werden. Wenn diese Behörde die Leistung nachvollziehbar ablehnt, kann eine Antragstellung im Härtefallfonds erfolgen.
Oder jemand unterzieht sich einer zahnärztlichen Behandlung, die eine Versorgung mit einer Zahnprothese umfasst. In der Regel erstellt der Zahnarzt einen Heil- und Kostenplan, der letztendlich immer einen Eigenanteil für den Betroffenen vorsieht. Viele Menschen wissen nicht, dass sie aufgrund ihres geringen Einkommens auch eine Härtefallregelung im Rahmen des § 55 Abs. 2 SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung beantragen können (vollständige Übernahme der Behandlungskosten). Die Beraterin unterstützt die Betroffenen in diesen Fällen besonders.
Um den Gesamtbedarf an finanzieller Hilfe für jeden Einzelnen zu ermitteln, müssen unter Umständen auch Kostenvoranschläge eingeholt werden. Wenn jemand zum Beispiel eine Renovierung eines oder mehrerer Wohnräume benötigt, muss zwingend ein Kostenvoranschlag durch eine Fachfirma erfolgen.
Sind alle Angaben vorhanden, vorrangige Leistungsträger geprüft und die Hilfebedarfe mit den entsprechend notwendigen Höhen der finanziellen Mittel konkretisiert, füllt die Beraterin den Antrag im Härtefallfonds aus. Dieser wird den Antragstellenden zur Unterschrift zugeschickt.
In einem Votum wird jede einzelne Hilfe begründet. Das Votum wird von der Beraterin erstellt und den Antragstellern bei Bedarf und Interesse vorgelegt.
Die Voten, welche biografische Angaben, Informationen zur Rehabilitierung und zur aktuellen Lebenssituation sowie die begründeten Hilfebedarfe enthält, bilden die Entscheidungsgrundlage für den Beirat. Der Beirat trifft sich unter Leitung des Berliner Aufarbeitungsbeauftragten und mehrmals im Jahr und bespricht die vorliegenden Voten. Die Entscheidung trifft der Aufarbeitungsbeauftragte nach Beratung in diesem Gremium.
Nach der Beiratssitzung wird den Antragstellern zeitnah die Entscheidung mitgeteilt. Dies übernimmt ein Mitarbeiter der Verwaltungsabteilung. Er unterstützt die Betroffenen bei der Umsetzung der Hilfen und bearbeitet die eingehenden Rechnungen.
Zuerst wird eine Vereinbarung erstellt. Diese ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nach § 54 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Die Vereinbarung ist zweiseitig und wird demzufolge von den Antragstellern und vom BAB unterzeichnet. Die Antragsteller können nun im lokalen Handel oder bei anderen Leistungserbringern ihre Hilfen erwerben. Die Rechnungen werden vom BAB in der Regel direkt an den Leistungserbringer ausgezahlt.
Sind alle Unterstützungsbedarfe beschafft und bezahlt, erhält der Antragsteller eine Abschlussnachricht und ggf. Originale seiner Rechnungen zurück.
Im Beratungsverfahren werden über die Schritte hinaus, die für den Fonds notwendig sind, auch andere Lebensumstände in den Blick genommen. Erhält die Person alle Sozialleistungen, die sie beanspruchen kann? Erwähnenswert ist hier besonders das Wohngeld, welches seit der Wohngeldreform am 1.1.2023 deutlich aufgestockt und um Heizkosten ergänzt wurde.
Manchmal ergeben sich in den Gesprächen Hinweise auf eine starke seelische Belastung. Auch hier kann die Beraterin Unterstützungsangebote empfehlen. Wird Beratung zu spezifischen Fragen seitens der Betroffenen gewünscht, gibt es hier ebenfalls Vermittlungsempfehlungen.
Auch hinsichtlich weiterer Rehabilitierungen, z.B. nach Gesetzesänderungen und anderer Entschädigungsmöglichkeiten wird beraten oder vermittelt. Dies kann auch intern in die Beratungsabteilung des BAB sein.
Wie ist die Zwischenbilanz?
Im Berichtszeitraum wurden 74 Anträge positiv entschieden. Die Gesamtsumme aller Hilfen betrug 214.000 €. Das entspricht einem durchschnittlichen Unterstützungsbedarf von 2.982 € pro Antrag.
2020 konnte die zur Verfügung stehende Summe von 100.000 € innerhalb von zwei Monaten nicht ausgereicht werden. Im Jahr 2021 wurden 36 Anträge genehmigt. Die zur Verfügung stehenden 100.000 € waren im Oktober 2021 bereits verplant. 2022 waren Beratungen wegen der noch ausstehenden Haushaltszusage des Berliner Senates der nach Wiederholungswahl erst ab dem Spätsommer möglich. In zwölf Fällen wurden Hilfen ermöglicht. Von den zur Verfügung stehenden 200.000 € konnten nur knapp 30.000 € vergeben werden. In 2023 wurden 20 Vereinbarungen über Hilfen mit einem Volumen von fast 70.000 € bewilligt.
Wie ist die Einkommenssituation der Antragstellenden?
Die Betroffenen haben eine sehr viel diversere Einkommenssituation als zunächst vermutet. Neben Bürgergeld, Erwerbsminderungsrente und Altersrente gibt es in vielen Fällen ergänzende Grundsicherung oder Wohngeld. Einige Betroffene sind in Bildungsmaßnahmen tätig und beziehen ein Grundgehalt, einige Antragsteller sind nebenbei freiberuflich tätig.
Einen Überblick gibt die folgende grafische Tabelle (Abbildung 1). Die Abbildung ist nach Einkommensarten sortiert. Im oberen Bereich grau markiert sind Einkommen aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit, welche insgesamt die kleinste Gruppe (4 Personen) darstellt.
In 19 Fällen erhalten die Antragsteller Bürgergeld (Bezeichnung seit 1.1.2023, zuvor Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II) oder Arbeitslosengeld.
23 Personen beziehen Erwerbsminderungsrenten (grün dargestellt) und stellen damit die zweithäufigste Einkommensgruppe dar.
Blau markiert sind alle Varianten im Bereich der Altersrente (28 Personen) und damit die häufigste Einkommensform.
Welche Hilfen werden am meisten benötigt?
Der größte Unterstützungsbedarf bei den Betroffenen im Zeitraum 2020 bis 2023 war die Ausstattung mit technischen Geräten. Das waren vor allem Waschmaschinen, Kühlschränke, Fernsehgeräte, Geschirrspüler, Staubsauger und andere Elektrokleingeräte. Im Regelsatz des Bürgergeldes sind zwar anteilig ca. 30 € monatlich für solche und ähnliche Anschaffungen vorgesehen. In der Praxis reicht der Bedarfssatz dafür meist nicht aus. Das Amt würde im begründeten Einzelfall eventuell mit einer Kostenübernahme helfen, welche von den Betroffenen aber nach Anschaffung in Raten an das Amt abzuzahlen ist und damit monatlich zusätzlich vom Regelsatz fehlt. Erwerbsminderungs- und Altersrentner können aufgrund ihrer begrenzten Eigenmittel nur Ratenzahlungsangebote wahrnehmen.
Die zweitgrößten Hilfebedarfe finden sich im Bereich der Mobilität. Das betrifft die Ausstattung mit Fahrrädern, E-Bikes, Elektrorollern und ähnlichen Fahrzeugen. Im Alter und durch körperliche Einschränkungen sind die Menschen weniger mobil und sind verstärkt auf Erleichterungen angewiesen.
An dritter Stelle stehen Hilfen im Bereich Gesundheit. Hier geht es um Kosten für Brillen, die Übernahme von Eigenanteilen im Rahmen von Zahn- und Zahnersatzbehandlungen, von IGeL-Leistungen oder auch von individuellen Gesundheitsangeboten, deren Kosten nicht von der Krankenkasse übernommen werden.
Der Bereich Wohnen liegt an vierter Stelle. Hier geht es um Ausstattung mit Mobiliar, Übernahme von Renovierungskosten oder kleinen Umbaumaßnahmen, für die der Vermieter nicht zuständig ist.
Soziale Teilhabe und Kommunikation meint die Ausstattung mit Mobiltelefonen und anderen digitalen Geräten (z.B. Notebooks). Diese Hilfen liegen an fünfter Position.
Am wenigsten nachgefragt sind Unterstützungen im Bereich berufliche Qualifizierung und Fortbildung, was wiederum mit dem hohen Anteil an Erwerbsminderungs- und Altersrenteneinkommen korreliert.
Wie alt sind die Antragstellenden?
Der jüngste Antragsteller im Zeitraum 2020 bis 2023 war 46 Jahre alt, der älteste 79 Jahre.
Seit die Rehabilitierungsmöglichkeiten für Betroffene, die in Spezialheimen und Jugendwerkhöfen waren, ausgeweitet wurden, sind ca. zwei Drittel der Antragstellenden unterhalb des Renteneintrittsalters. In allen Altersstufen finden sich Menschen, die aus politischen Gründen inhaftiert waren, im schulischen oder beruflichen Bereich verfolgt waren oder Opfer von Zersetzungsmaßnahmen wurden. In einigen Fällen waren Personen, die sowohl im Heim waren, später erneut Opfer politischer Repressalien oder Haft.
Ist der Härtefallfonds eine zusätzliche Form der Opferentschädigung?
NEIN: Aus der Perspektive der Errichter des Fonds soll es dies nicht sein, sondern eine individuelle und ergänzende Einzelfallhilfe zur Abmilderung anhaltender wirtschaftlicher Beeinträchtigungen aufgrund politischer Repression in der SBZ/DDR. Der Fonds hat auch keine gesetzliche Grundlage, somit gibt es auch keinen Rechtsanspruch auf Leistungen.
JA: Aus der subjektiven Perspektive der Betroffenen stellt es aber häufig eine zusätzliche Entschädigung dar. Sie fühlen sich mit ihrem Schicksal gewürdigt und sind sehr dankbar.
Braucht es einen Härtefallfonds für politisch Verfolgte? Sollte dieser verstetigt werden?
Die aktuellen Antragszahlen in den ostdeutschen Bundesländern sprechen für eine dauerhafte Einrichtung solcher Hilfsfonds. Die Hilfebedarfe sind vorhanden, die Nachfrage spiegelt das wider. Die Nachfrage von politisch Verfolgten, die in den westdeutschen Bundesländern leben, erfordert die Einrichtung des bundesweiten Härtefallfonds.
Andererseits wäre es auch eine Folgerung, vorhandene staatliche Hilfesysteme so ausbauen und finanziell zu unterlegen, dass die Grundlagen zum Lebensunterhalt für alle ausreichend sind. Auch die Höhe der Entschädigungsleistungen nach den SED-UnBerG sollten aufgestockt und vom Einkommen abgekoppelt werden.
1 Yvonne Laue, Sozialarbeiterin (MA) und Fachberaterin für Psychotraumatologie; seit November 2020 beim BAB in der Bürgerberatung, Beraterin für den Härtefallfonds
Telefon 030 270492-43; yvonne.laue@aufarbeitung-berlin.de
2 Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit (2008). Zur sozialen Lage der Opfer des SED-Regimes in Thüringen.
3 Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAkD); Berliner Institut für Sozialforschung GmbH (BIS) (2020). Sozialstudie. Studie zu aktuellen Lebenslagen von Menschen aus dem Land Brandenburg, die in der SBZ/DDR politisch verfolgt wurden oder Unrecht erlitten und deren mitbetroffenen Familien. Potsdam
4 Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB) (Hrsg.) (2022). Empirische Studie zur Bestandsaufnahme und Bewertung von Maßnahmen für politisch Verfolgte der SED-Diktatur in Berlin im Zeitraum von 1990 bis 2020. Sachstandsbericht zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Berlin – Teil I. Berlin
5 Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (2023). Geteilte Erfahrungen – Fortschreibung des Berichtes zur sozialen Lage der Opfer des SED-Regimes in Thüringen. Erfurt