Auszug:

„Wäre wirklich schlimm, wenn es nur einen Riss gäbe. Gesellschaften sind durch viele Risse, Widersprüche, Gegensätzlichkeiten geprägt, nur die Risse bringen uns weiter. Der Widerspruch ist des Fortschritts Ansporn. Eine Gesellschaft muss aber auch erlernen, mit diesen inneren Spannungen umzugehen, sie produktiv zu nutzen. Dafür bedarf es in der freiheitlichen Demokratie keiner Vorbilder, schon gar keiner verordneten. Wessen es bedarf, sind für Freiheit und Demokratie engagierte Menschen – ob nun mit oder ohne Widerstandserfahrung. Denn über eines sollte dann bei aller produktiv-spannungsgeladenen Uneinigkeit vielleicht Einigkeit herrschen: In einem demokratischen Gemeinwesen zählen die Verdienste in der Vergangenheit weniger als das Engagement in der Gegenwart.“ Ilko-Sascha Kowalczuk

 

„Die heutige AfD ist keine Widerstandshaltung aus den West-Ost-Verhärtungen nach 1989, wie Klaus Wolfram behauptet, sondern sie erntet, was die PDS gesät hat. Statt die Verantwortung für Diktatur, Staatsbankrott und verheerende Wirtschaftspolitik zu übernehmen, hat die PDS Begriffe in Umlauf gebracht, die wie Phantomschmerzen wirken und sich als empfundene Benachteiligung ausgebreitet haben. Zum Beispiel die angebliche Kohlonialisierung, die mal als "Übernahme" oder "Anschluss" den gewollten Beitritt verbrämt. Oder die besagten Bürger zweiter Klasse. Dabei war es doch die Krux, dass die Bürgerrechtler einen demokratischen Aufbruch bewirkt haben und sämtliche Bürgerrechte errungen wurden, die heute garantiert sind. Bürger zweiter Klasse gab es in der DDR. Das waren diejenigen, die keinen Reisepass, kein Westgeld hatten. Deren Kinder wegen ihrer sozialen Herkunft benachteiligt waren. Die kein Verfassungsgericht kannten, nur die Möglichkeit einer Eingabe an die Obrigkeit. Feudales Gnadenrecht, staatliche Willkür.“ Werner Schulz

„Zuerst waren die Revolutionäre von einst hoch geschätzt, auch in den westlichen Bundesländern. Das nehme ich heute kaum mehr wahr. Vielleicht war es für die etablierten Eliten in Westdeutschland insgeheim schwer zu ertragen, dass ausgerechnet dem Osten etwas so Herausragendes wie die erste erfolgreiche demokratische Freiheitsrevolution gelang? Manchmal sage ich halb im Scherz: Viele im Westen haben uns "Ossis" die Revolution nie verziehen.“ Matthias Rößler

„Zum Bürgerrechtler wurde ich erst nach 1990, als ich Fraktionschef von Bündnis 90 im Brandenburger Landtag war: Ich wurde Gegenspieler Manfred Stolpes im Stasi-Untersuchungsausschuss, und Medien und Spindoktoren suchten ein passendes Framing für mich. Ich wollte, dass Stolpes Rolle in der DDR aufgeklärt wird. Ich wollte vor mir selbst ehrlich bleiben. Für mich lag der Fall klar. Aber Stolpe war zu beliebt, als dass eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit ihm möglich gewesen wäre. Elite sieht dann aus wie Platzeck. Die uns gestellte Frage nach der "Elite" oder ob wir "bessere Vorbilder" hätten sein können, ist nicht einfach und nicht eindeutig zu beantworten, aber ich sage: eher nein. Wir (also Widerspenstige, Bürgerrechtler oder Oppositionelle) wussten schon vor 1989, weil wir uns kannten: Wenn sich hier etwas ändert, sitzen wir nicht auf derselben Seite im Parlament. Trotzdem kämpften wir gemeinsam für den Sturz der SED-Diktatur.“ Günter Nooke

„Spätestens seit der freien Volkskammerwahl 1990 war klar, dass die "Nomenklaturkader" der SED ihre leitenden Positionen verlieren würden. Dabei handelte es sich um Zehntausende, vielleicht sogar um Hunderttausende Menschen. Das hätte geradezu automatisch die Frage aufwerfen müssen, wer an ihre Stelle treten sollte. Allerdings ist so von den Revolutionären nicht gefragt worden. Zwangsläufig entstand ein Elitenvakuum. Aktive Bürgerrechtler und Oppositionelle, die sich im Vorfeld der Revolution gegen die Diktatur stellten, hatte es wenige Tausend gegeben, wirkliche Aktivisten einige Hundert. ...Spätestens nach der "Übergabe" Ostdeutschlands waren altbundesdeutsche Qualifizierungskriterien für die Besetzung von Führungspositionen verbindlich. Für die Oppositionellen war das – bis auf wenige wie Theologen und Naturwissenschaftler – ein Grund für die Verhinderung eines beruflichen Aufstiegs.“ Rainer Eckert

„Ich war 1992 zu Besuch in Sofia. Das bulgarische Fernsehen übertrug täglich die Parlamentsdebatten, gefühlt verfolgten alle das Ringen um die Bewertung der Vergangenheit und die Zukunft. Bulgarien befand sich damals in einem erschütternd desolaten Zustand. Dennoch befiel mich Neid. In einem Land ohne Wiedervereinigung konnte ich einen emanzipatorischen Prozess erleben, in dem alte und neue mafiotische und demokratische Auffassungen offen stritten. Solche Entwicklungs- und Streiträume gab es für Ostdeutsche nur bis zur Währungsunion.“ Petra Morawe