Zu den Texten des Schwerpunktes Rechtspopulismus

Um das Thema aufzumachen, haben wir zwei Interviews angestoßen. Thomas Krüger (SPD), der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, geht der Frage nach, ob die Aufarbeitung etwas verschlafen hat. In wenigen Tagen wird der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) seine Antwort auf diese Frage geben, und auch seine umstrittenen Thesen zu Verhärtung des gesellschaftlichen Klimas in Ostdeutschland erläutern.

Dass Wut- oder einfach besorgte Bürger bei Pegida und in letzter Zeit bei ähnlichen Protesten gegen Corona-Regeln mit expliziten Demokratie- und Rechtsstaatsverächtern gemeinsame Sache machen, irritiert. Das sicher genauso in Stuttgart wie in Chemnitz. Entsprechend dem Profil von H-und-G.info und weil der Rechtspopulismus, z.B. verkörpert in AfD-Wählern, in Ostdeutschland deutlich ausgeprägter ist und andere gesellschaftliche Wurzeln hat, hat unser Schwerpunkt eher diesen regionalen Fokus.

Bild: Schon früher Thema in Horch und Guck

Der renommierte Berliner Rechtsextremismusexperte Hajo Funke eröffnet die hier zur Diskussion gestellten Aufsätze mit einem Beitrag, in dem er v.a. versucht, die Enttabuisierung rechtsextremen Denkens und gewalttätiger Auseinandersetzungsformen in Ostdeutschland zu erklären. Er referiert zugleich gängige Rechtspopulismus-Definitionen. Es zeigt sich, dass Experten den Begriff enger und beschreibender fassen als im öffentlichen und medialen Diskurs üblich, wo das Etikett „Rechtspopulismus“ und „Rechte“ schnell, manchmal zu schnell, und polemisch geklebt wird. Derartig überzogener Alarmismus ist analytisch unscharf und läuft Gefahr, dass sich die falsch Etikettierten dann erst recht mit wirklichen Rechten zusammengehörig fühlen. Funke sieht rechte Traditionen am Werk. Neuerdings gibt es jedoch ernst zu nehmende Positionen, die versuchen den Rechtspopulismus eher aus einer Überbetonung von persönlichen Freiheiten zu interpretieren. Der Hinweis auf derartige Publikationen soll später ergänzt werden. 

Mehrere Autoren widmen sich dem Thema, warum Bürgerrechtler in die Nähe des Rechtspopulismus gerückt sind und ob es einen rechten Rand der Aufarbeitung gibt. Dieses Thema hatte zuerst der Spiegel aufgegriffen, dann der Deutschlandfunk und die Fernsehsendung Panorama. Die Zuordnung der damals erwähnten Personen zum Rechtspopulismus wird bis heute kontrovers beurteilt. Betroffen machten die Folgen, als im Raum Dresden Boykottaufrufe gegen die Gärtnerei von Michael Beleites dessen Existenz bedrohten. Bedienen sich hier nicht antifaschistisch gerierende Aktivisten Methoden, die von 1938 bekannt sind? Es gab eine Unterstützungsbekundung von Seiten ehemaliger Bürgerrechtler, eine differenzierte Auseinandersetzung mit dessen Thesen erfolgte jedoch aus diesen Kreisen bisher kaum. 

Enrico Heitzer, einer der Mitausrichter der umstrittenen Veranstaltung zum Rechten Rand der Aufarbeitung 2019 in Berlin, weist auf problematischen Vorfälle und Einzelpersonen in der Geschichte der Opfervereinigungen und im Aufarbeitungsmilieu hin. Er zeigt, wie bei der Kritik an kommunistischen Herrschafts- und Justizpraktiken Grenzen zwischen gut Gemeint und Rechtsaußen gelegentllich verschwimmen. Er fragt, ob dies von manchen nicht sogar gewollt ist. Offen bleibt freilich die Frage, ob derartige Beispiele Ausreisser oder symptomatisch sind?   Heitzers Thesen haben auf der Tagung den Widerspruch z.B. von Dieter Dombrowski, dem Vorsitzenden der Union der Opferverbände hervorgerufen. Dieter Dombrowski stellt auch hier seine Sicht auf den Rechtpopulismus dar.  Auch Anja Thiele sieht schon in früheren Positionen von ehemaligen Bürgerrechtlern und Dissidenten „rechtes“ Gedankengut angelegt. Ihre These, dass der Gebrauch der Kennzeichnung „totalitär“ für die ideologisierten kommunistischen Diktaturen automatisch den NS und damit den Holocaust relativiere, wird kaum ohne Widerspruch bleiben. Ebenso verwiesen wird hier auf die Kritik von Thomas Klein, der vor 1989 als linker Kritiker des SED-Staates von der Stasi verfolgt wurde, an Personen, mit denen er eine zeitlang gemeinsam gegen die Verhältnisse in der DDR kämpfte.

Wir haben uns intensiv bemüht, hierzu eine Gegenmeinung auch von Personen, die selbst in der Kritik sind und zu anderen, die zu diesen Personen in kritischer Empathie stehen, einzuholen - leider vergeblich. Die Reaktionen reichten von „Habe keine Zeit“, „Habe zu wenig Ahnung“, „Bin schon im Ruhestand“, „Möchte den Medien kein Futter liefern“ über „Möchte da nicht reingezogen werden“. Oder es gab einfach gar keine Reaktion. Der Dresdener Politologe Werner Patzelt meinte sicher zutreffend erläuternd, dass man mit derartigen Analysen Gefahr laufe, entweder als „Verräter an mutigen Oppositionellen“ oder „als Weißwäscher neuer Rechtspopulisten" angesehen zu werden.

Im Aufarbeitungsmilieu hat die Medienkritik an einst gehypten ehemaligen Oppositionellen und die Boykottaufrufe gegen Michael Beleites offenbar eine Denk- und Diskussionstarre ausgelöst. Manche haben schlicht Angst, dass sich die Szene, die sich seit ihrem teilweise riskanten Engagement gegen den SED-Staat seit Jahrzehnten kennt und die vielfach auf Freundschaften beruht, untereinander zerstreiten und ihr Ansehen weiter gefährden könnte. Allerdings bewirkt ihr Schweigen möglicherweise genau das Gegenteil. Da sich die DDR-Aufarbeitung immer als Demokratie-Katalysator empfohlen hat, riskiert sie, wenn sie keine Antworten findet, genau dieses Expertentum.

Offenbar tun sich die, die im Kontext der NS-Aufarbeitung oder gegen Rechtsextremismus engagiert sind leichter bei diesem Thema. Das zeigt auch der Rücklauf an unserem Call für Articles. Allerdings hat man manchmal den Eindruck, wie seinerzeit auf der erwähnten Tagung zum „rechten Rand“ das manche aus diesen Kreisen das von ihnen kritisierte Milieu nicht immer wirklich kennen, schematische Vorstellungen haben oder mehr interpretieren, als wirklich hinzusehen und zu analysieren. Insofern ist diese Auseinandersetzung bisher oft ein etwas schräger Diskurs, was sich auch in diesem Schwerpunkt widerspiegelt. Wer sich an den hier vorgetragenen Thesen stößt, muss sich allerdings fragen lassen, warum so wenig zum Thema aus dem Lager der „Anderen“ kommt.

Immerhin hat der beherzte Beitrag des ehemaligen politischen Häftlings und Fluchthelfers Hartmut Richter, der sich schon des Öfteren zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt fühlte, den Charakter eines lauten Zwischenrufes. Wer sich berufen fühlt, eigene Sichtweisen einzubringen, kann dies ja noch tun. Ein Internetforum kann ja leicht Beiträge auch im Nachhinein einstellen.

Weil es nicht gelang, Autoren zu finden, die etwas näher an der Szene dran sind als deren vehemente Kritiker, verweisen wir auf Aufsätze von Michael Beleites und Siegmar Faust, zwei von denen, die in den erwähnten Medienbeiträgen dem rechtspopulistischen Lager zugerechnet wurden. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Positionen haben in früheren Ausgaben von H-und-G.info Stefan Hilsberg und Christian Booß geführt. Wir verlinken sie hier noch einmal. Es zeigte sich bei genauer Textanalyse, dass Siegmar Faust und Michael Beleites Argumente bzw. Argumentationsmuster übernehmen, wie sie von rechten Influencern meist über soziale Medien in die Welt gesetzt werden und auch in Medien schreiben, die diesen nahe stehen. Etwas unverständlich bleibt die gekränkte Attitüde, die bemängelt, dass man ihnen dies just vorhält.

Was ist praktisch zu tun? Das ist eine Frage, vor der politische Bildner und Aufarbeiter täglich stehen bzw. eigentlich stehen müssten, wenn sie sie nicht verdrängen. Sei es, dass sie im pädagogischen Alltag mit rechtspopulistischen oder extremen Positionen konfrontiert werden; sei es, dass das Ausfransen der demokratischen Gesellschaft an ihren Rändern eine Herausforderung für jeden ist, der für sich reklamiert, mit seiner Bildungsarbeit den demokratischen Rechtsstaat zu stabilisieren. Daher kreisen mehrere Beiträge um pädagogische Ansätze. Heike Radvan beschreibt ein interessantes Nachwendeprojekt, bei dem unter aktiver Beteiligung von Jugendlichen die regionale NS-Geschichte aufgearbeitet und in einer Wanderausstellung dargestellt wurde. Zwei Mitarbeiterinnen des Vereins „Gegen Vergessen für Demokratie“, Ruth Wunicke und Larissa Bothe, die auch selber Fortbildungen für politische Bildner anbieten, erläutern ihre Herangehensweise und einige do's and don'ts.

An Zeitereignissen orientiert, erinnern die Querelen zum Förderverein der Haft-Gedenkstätte Hohenschönhausen, bei dem mehrere prominente Mitglieder ausstiegen, so dass der Verein in Bedeutungslosigkeit versank, welche Folgen es haben kann, wenn Grundkonsense in der Aufarbeitung verloren gehen. Um genauer einschätzen zu können, wo die Grenzen von legitimer und nicht legitimer aktueller politischer Kritik verlaufen, dient der Versuch einer Analyse von Pegida-Kundgebungen und eine Rezension des in diesem Jahre erschienenen Buches von Björn Höcke mit der Frage, ob dieser Mann wirklich so harmlos ist, wie er sich gibt, oder doch eher ein Wolf im Schafspelz ist, dem man einem geflügelten Wort zufolge, nicht mal einen Gebrauchtwagen abkaufen sollte.

Unter Politologen und Soziologen besteht die Neigung, aktuelle politische Tendenzen aus relativ kurzen Zeiträumen herauszuinterpretieren. Entsprechend wird beim Thema Rechtspopulismus oft der Fokus auf die Wirren der Wende, die Deklassierung von ostdeutschen Biografien, Arbeitslosigkeit, Zurücksetzung, etc. gelegt. Bestenfalls wird auf Spätwirkungen des Lebens in einer Diktatur verwiesen. Historiker neigen dagegen dazu auch längerfristige Entwicklungen in den Blick zu nehmen. Reizvoll wäre es vielleicht sogar bis zur Reformation zurückzugehen, denn auffällig grassiert der ostdeutsche Rechtspopulismus in Regionen, wo die Glaubensstreitigkeiten teilweise antietatistisch und keineswegs immer zivilisiert ausgetragen wurden – Antijudaismus eingeschlossen. Aber man muss nicht so weit zurückgehen, um Spuren von Mentalitätskontinuitäten zu suchen. Harry Waibel erinnert an nationalistische Töne, wie sie sogar in der deutschen kommunistischen Partei am Ende der Weimarer Republik propagiert wurden und im Sozialismus in den Farben der DDR - allem propagandistischen Internationalismus zum Trotz - wieder auflebten. Christian Booß hat in einer Wahl-Analyse der untergehenden Weimarer Republik feststellt, dass es in manchen Regionen Ostdeutschlands eine frappante Übereinstimmung von rechtspopulistischen Wahlergebnissen und den Wahlerfolgen der Rechten von 1932 gibt. Damit soll auf keinen Fall gesagt werden, dass AfD-Wähler Neo- oder Altnazis sind. Aber auch die Mehrheit der NSDAP-Wähler wählten weder den Holocaust noch den zweiten Weltkrieg, sondern waren „nur“ völkisch und demokratiemüde, was dem Rechtspopulismus schon ziemlich nahekommt. Über der Forschung zur SED-Diktatur ist die zum NS im Osten Deutschlands lange Zeit zu kurz gekommen. Das ist nicht unbedingt die Folge einer Relativierung, sondern vielmehr einer Fehlwahrnehmung. Traditionell sah die (bundesdeutsche) Wissenschaft die Hochburgen des aufsteigenden NS in den protestantischen Regionen in der späteren Altbundesrepublik. Übersehen wurde, dass die Nationalsozialisten in „Ostelbien“ zusammen mit den Deutschnationalen, die es im Westen so nicht gab, ein Potential hatten, dass teilweise noch höher war. Mitteldeutschland war eben alles andere als das Bild vom einst roten Mitteldeutschland suggeriert. Erst in jüngeren Jahren widmet sich die Forschung verstärkt diesem Phänomen, wie Clemens Vollnhals in seinem Aufsatz über den NS in Sachsen zeigt.

Der ungarische Schriftsteller Györgi Dalos zeigt nicht nur am ungarischen Beispiel die europäischen Dimensionen des Problems auf.  

Unserem Aufruf, persönliche Erlebnisse im Umgang mit Rechtspopulisten aufzuschreiben, sind nur wenige gefolgt, obwohl es nachweislich derartige Probleme gerade auch in politischen Bildungseinrichtungen gibt. Uns erreichten aber bisher vereinzelte Beiträge, die auf sehr unterschiedliche, aber eindringliche Art und Weise ihre persönliche Sicht und Erfahrung widerspiegeln. Auch wer vielleicht nicht mit den unterschiedlichen Grundpositionen der Autoren übereinstimmt, könnte dadurch vielleicht zum Nachdenken angeregt werden.

Ergänzt wird diese Ausgabe von H-und-G durch Einzelbeiträgen und Rezensionen zu aktuellen Publikationen, die uns ohne direkten Bezug zum Hauptthema, erreichten. Aus aktuellem Anlass haben wir den Berliner Lateinamerika-Kenner, Hannes Bahrmann, um seine Einschätzung zur Lage in Kuba gebeten. Angesichts der neuen außenpolitischen Bündnispartner ist er skeptisch, was grundsätzliche Veränderungen in dem Karibikstaat angeht.

Noch ein Wort zur Machart. Wir treiben für H-und-G.info (bisher) wenig Aufwand für Illustrationen und Graphik. Das liegt überwiegend daran, das H-und-G.info bisher vollkommen ohne finanzielle Förderung auskommen muss. Bisher wurden entsprechende Anträge, warum auch immer, nicht bewilligt.

Die Beiträge geben die Auffassung und den Kenntnisstand der jeweiligen Auoren wieder. Alle Beiträge wurden, wie in den bisherigen Ausgaben auch, ohne Honorar gefertigt. Dafür gilt allen Autoren, so kontrovers ihre Beiträge vielleicht auch aufgenommen werden, ausnahmslos unser Dank. Auch die redaktionellen Vorüberlegungen, die Autorengewinnung, die Textredigierung und der Internetupload wird fast ausschließlich von ehrenamtlichen Mitgliedern der Herausgebervereine und ihres Umfeldes erledigt. Von daher bitten wir um Nachsicht, wenn das eine oder andere nicht optimal ist. Wir haben auch auf eine Homogenisierung von Schreibweisen und Fußnoten verzichtet und sie weitgehend der Entscheidung der Autoren überlassen. Das betrifft auch das textliche Gendern.

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Berlin, August 2021 Christian Booß