Editorial zum H-und-G.info Schwerpunkt Rechtspopulismus

Haben jene, die sich mit der historischen Aufarbeitung der DDR-Geschichte befassen, einen Rechtsdrall bei früheren politischen Verbündeten übersehen? Dieser Vorwurf liegt seit einiger Zeit auf dem Tisch, einige Indizien sprechen dafür.

Es gibt ihn wohl tatsächlich, einen „rechten Rand in der Aufarbeitungsszene“. Zu den Stammgästen von Veranstaltungen zu diesem Themenfeld gehören immer schon auch Personen, die in diese Richtung durch problematische Bemerkungen oder gar Ausfälle tendierten. Da ist jahrelang weggesehen bzw. weggehört worden – mit dem oft gemurmelten Hinweis auf die Traumatisierung der betroffenen Personen als Opfer. Aber rechtfertigen die nachwirkenden Schikanen einer Diktatur undemokratisches bzw. rechtsstaatswidriges Denken oder Argumentieren?

Schon bei mancher Widerstandshandlung gegen das SED-Regime war deutlich, dass sie vor allem aus einer rechten Denkungsart heraus motiviert war. Das bekannteste Beispiel dafür ist ein aus nationalistischen Motiven heraus durchgeführtes Sprengstoffattentat auf ein Sowjetpanzer-Denkmal in Karl-Marx-Stadt. Spätestens ab 1989 war klar, dass auch in der Friedlichen Revolution, hier v.a. im Süden der DDR, nationalistische, rechte und brutal-aggressive Töne zu hören waren, die wenig zum Adjektiv „friedlich“ passten. Bereits sehr früh bröckelte, für den, der genau hinsah bzw. sehen wollte, das Bild vom „Wir sind ein Volk“, das geschlossen und gemeinsam gegen den politischen Gegner, die SED und die Stasi, aufgestanden sei.

Heute ist es so, dass sich inzwischen Einzelne, die früher in DDR-Bürgerrechtskreisen und in der historischen Aufarbeitung aktiv waren, im Umfeld rechtsgestrickter Kreise wohl zu fühlen scheinen und kaum noch Grenzen ziehen zu jenen, die ganz offenkundig den demokratischen Rechtsstaat und den dazugehörigen Parlamentarismus verachten und beseitigen wollen. Einige hiervon vertreten sogar extrem problematische Thesen, mit denen die Bundesrepublik in die Nähe der SED-Diktatur gerückt und nolens volens ein (rechter) Widerstand gegen die heutige Bundesrepublik legitimiert wird. (Eine Widerstandslegitimation, die übrigens von den Autonomen geklaut ist.)

Die simple Wahrheit ist, dass die Hauptziele und Wege der Friedlichen Revolution von 1989 Unterschiede bei den Positionen der damaligen Akteure verdeckten. In manchen Regionen Ostdeutschland gab es beispielsweise vor 1989 nur eine rudimentäre demokratische Tradition, da auch zwischen dem ersten Weltkrieg und Hitlers Machtübernahme faktisch vor allem alte Eliten das Sagen hatten, temporär bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten und jene demokratischen Traditionen abhanden kamen oder nicht Fuß fassen konnten, die v.a. von der SPD vertreten worden waren. Manche Beobachter behaupteten in Unterschätzung diese mentalen Linien sogar, das politische Erwachen von 1989 habe Ostdeutschland demokratischer gemacht als die Altbundesrepublik, die nie eine selbstbefreiende Revolution erlebt habe. Die ostdeutschen Ereignisse habe sicher ein Erfolgserlebnis in direkter Demokratie ermöglicht, lehrten aber noch lange nicht „das Bohren dicker Bretter“ in der parlamentarischen Konsensfindung und Politikausübung. Jene Gruppierungen, die sich bereits vor 1989 in Kirchengremien, Basisgruppen oder territorialen Volksvertretungen derartige Fähigkeiten angeeignet hatten oder an runden Tischen und bei Parteigründungen 1989/90 im Schnellkurs aneigneten blieben in Ostdeutschland in der absoluten Minderheit. Anders als im Westen Deutschlands. Die Parteienlandschaft auf ostdeutschem Territorium war immer fragil und volatil.

Irgendwann, sehr spät, zu spät vielleicht, kam es angesichts unübersehbarer antidemokratischer Positionsbestimmungen bei einigen nach rechts driftenden früheren Weggefährten seitens der DDR-Bürgerrechtler zu Distanzierungen. Das seien keine wirklichen Bürgerrechtler oder 1989er und sie dürften sich auch nicht auf die friedliche Revolution berufen. Doch wer sind richtige 89er? Ein weiterer Abwehrversuch war, darauf zu verweisen, dass es auch im Westen Deutschlands Populisten und Rechte gibt. Das stimmt natürlich, aber im Osten sind es prozentual deutlich mehr. Es stimmt auch, dass viele der sich in diesem Umfeld tummelnde abgehalfterte Politiker und fragwürdige Volkstribune aus dem Westen stammen. Es bleibt jedoch die Frage, warum sie IM Osten reüssieren, während ihre Resonanz im Westen eher kläglich war. Es gibt offenbar historische und aktuelle Umfeldbedingungen in Ostdeutschland, die Populismus und rechte Haltungen begünstigen. Vielleicht hätte man im Osten mehr Gewicht auf klassische politische Bildung zu rechtsstaatlichen Institutionen und Werten legen müssen, wenn es stimmt, dass demokratische Traditionen und Erfahrungen eher dünn sind. Wahrscheinlich war es auch ein Fehler, nicht beide aufeinander folgenden deutschen Diktaturen stärker zusammenzudenken, da sie beide miteinander untrennbar verwoben waren. Die Ablehnung beider lenkt den Fokus auf verbindende Grundwerte.

Die Sowjetische Besatzungszone SBZ/die DDR bildete in der Rückschau eine deutsche Nachkriegsgesellschaft mit all ihren politischen Verästelungen, wie sie zum Ende der Weimarer Republik vorhanden waren, freilich gebrochen durch Diktatur- und Kriegserfahrungen. Die neu Herrschenden misstrauten von Beginn an einer Bevölkerung, die Hitler mit an die Macht gewählt hatten, zumal sich ein Teil nur teilweise vom völkisch-nationalistischen Denken entfernt hatte, das älter war als das NS-Reich. Die langsam und in Wellen wachsende Opposition und der Widerstand gegen das SED-Regime speisten sich aus unterschiedlichen Quellen mit verschiedensten Ansichten und Motiven. Die „1989er-Generation“ wusste darum, aber es gab in ihr ein verständliches Bedürfnis, Differenzen weitgehend auszublenden und sich in gemeinsamer Ablehnung von SED/PDS/Linke und Stasi zusammenzufinden.  Gemeinsame Tiraden gegen „die Kommunisten“ und ihre Hilfstruppen, so berechtigt sie auch sein mögen, machen jedoch noch keinen guten Demokraten aus und manches, was an Analysen und Rezepten angeboten wurde, wirkt leider wieder einmal und viel zu oft erneut schemenhaft.

Gelegentlich entsteht auf der anderen Seite der Eindruck, als wollten einige, die schon immer die DDR-Aufarbeitung verdächtigt haben, den Nationalismus, sogar den NS zu relativieren, sich vor allem selbst bestätigen, um es sich dann mit gutem Gewissen unter Gleichgesinnten gemütlich zu machen. Der Stempel „Rechts“ sitzt dann manchmal sehr locker. Schnelle Abwertung lässt Fragen nach sachlichen Beschwernissen von Bürgern manchmal gar nicht erst zu. Doch beispielsweise ist das Problem, ob und wie ein Staat und seine Bürger einen Zuzug von außen begrenzen, keine Frage von links oder rechts, sondern eigentlich eine selbstverständliche Herausforderung und konstituierende Grundbedingung jeder staatlicher Existenz. Wie der Staat und seine Bürger dies regeln, ist auch weniger eine ideologische, sondern eher eine pragmatische Frage, wie zahlreiche andere Beispiele in der Welt zeigen. Einwanderungsregeln an sich sind nicht rassistisch - ihre Begründung und Art der Durchsetzung kann es sehr wohl sein. Wer das nicht differenziert analysiert, polarisiert eher, und treibt Verusicherte in die rechte Ecke, statt sie da fern zu halten.

Die Tagung „Der rechte Rand der Aufarbeitung“ 2019 in Berlin war ein Beispiel dafür. Der linke Rand der Aufarbeitung tagte zur Abrechnung mit dem rechten oder vermeintlich rechten Rand. Die Tagung war zunächst so einseitig besetzt, dass es unter den Berliner Aufarbeitungsinitiativen nahezu einmütigen Protest gab, dass dies den pluralen Förderkriterien der Landeszentrale für politische Bildung widerspreche. Annetta Kahane, die Gastgeberin, hatte ein Einsehen, es wurden dann doch noch weitere Interessierte eingeladen. Erst dadurch konnten sogar nach manchmal klischeehaften Vorträgen interessante Diskussionen erwachsen.

Dieser Schwerpunkt kann auch nicht mehr sein als ein Versuch. Es gibt bisher schon einige Erklärungsversuche für den Rechtspopulismus (und Ansätze zur Entwicklung von Gegenstrategien). Dazu gehören auch der Zusammenbruch sozialer Existenzen und die krisenhafte Lebenswelt vor und nach 1989, der kommunistische Autoritarimus, die erlebten Abschottungen, nachwirkende Mentalitäten aus der NS-Zeit und sogar davor, aber auch Ängste vor drohenden Globalisierungsfolgen bis hin zu aktuellen Migrationsbewegungen, heutige Kränkungen und Zurücksetzungen, etc. pp. Aber dass jemand in den heutigen Umbruchszeiten sozial verunsichert oder gar deklassiert wird, heißt nicht automatisch, dass er nach rechts tendiert.

In Wahrheit sind die Menschen sehr verschieden und höchst individuell unterschiedlich sozialisiert. Ob jemand durch problematische Mentoren oder Lektüre, sozialen oder sogar persönlichen Frust, die Flüchtlingskrise oder einen Naziopa ins rechte Milieu gerutscht ist, ist irgendwie auch zufällig. Wie verfestigt solche Haltungen dann werden und ob dies mit zunehmender Gewaltbereitschaft zusammengeht oder nicht, erweitert die Palette der Unterschiede. In der politischen Bildung und Aufarbeitung, sofern sie sich so versteht, geht es selbst bei Gruppenprozessen immer um Einzelne. Neben allgemeinen Erklärungsversuchen muss gerade in der Aufarbeitung und politischen Bildungsarbeit ein der jeweiligen Situation, der Person oder Personengruppe angemessene Antwort gefunden werden. Einfache Pauschalbeurteilungen oder gar vorschnelle Verurteilungen bewirken ebenso wenig Positives wie Wegsehen oder den Problemen aus dem Wege zu gehen. Strategien sind hier gefragt, um die ehrlich Besorgten und Verunsicherten ernst zu nehmen und von jenen zu trennen, die derartige Verstimmungen zynisch für ihre zerstörerische Zwecke nutzen. Das wird kaum gelingen, wenn man von vornherein eine Unterwerfung des Gegenübers unter die eigenen politischen Anschauungen erwartet. Wer sich ehrlich bemüht, andere zu gewinnen, wird sich auch schon mal die „Hände schmutzig“ machen und mit Menschen reden müssen, dessen Anschauungen er nicht teilt, die er ablehnt, die ihm vielleicht sogar zuwider sind. Die Kunst scheint zu sein, dennoch die Grenzen der Zivilität nicht zu verwischen.

Das geflügelte Wort von Bärbel Bohley „Wir wollten die Demokratie und bekamen den Rechtsstaat“, sei es nun so von ihr gesagt oder nicht (auf alle Fälle wurde es ihr vielfach zugeschrieben), war auch schon gefährlich populistisch, wenn sie auch damit vielleicht die Enttäuschungen der Transformation zutreffend beschrieb. Dass eine Demokratie ohne rechtsstaatliche Regeln und parlamentarische Kompromissfindung schnell ins Autoritäre abgleitet, zeigen zahlreiche historische und aktuelle Beispiele. Es ist ein Wesenszug, der Rechtspopulisten im Engeren von Rechtskonservativen unterscheidet, dass sie den parlamentarisch-rechtsstaatlichen Bereich und seine Akteure verächtlich machen und sie zugunsten einer Herrschaft der scheinbar harmonischen Volksgemeinschaft für entbehrlich halten. Das ist keine harmlose Kritik von Bürgern, die einen Frust haben, das ist eine böse Strategie. Hier gilt es hier unbedingt weiter aufzuklären. Aufarbeitung, die sich diesen Problemen stellt, ist immer gefragt. Wer sich beteiligen möchte, der Schwerpunkt kann und sollte durch Debattenbeiträge ergänzt werden.

CfA. Wer will, kann eigene Artikel oder Kommentare anbieten. Hier....

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