Gegen „den Besitz dunkel rumorender Macht“

Kontroversen über die Partei- und Geheimdienstakten der früheren DDR

von Prof. Dr. Annette Weinke, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Nicht ohne Grund eilt der Bundesrepublik der Ruf voraus, Ideen und Praktiken der Transitional Justice weltweit salonfähig gemacht zu haben. Wie die australische Germanistin und Literaturwissenschaftlerin Alison Lewis vor einiger Zeit treffend festhielt, ermöglichte der Beitritt der kleineren DDR zur größeren Bundesrepublik, dass sich im vereinigten Deutschland eine „Grammatik der transitionalen Justiz“ etablieren konnte.1 Damit sei der deutsche Umgang mit dem diktatorischen Erbe erstmals vergleichend und mit einem Fokus auf das Verhältnis von Erinnerung und Recht betrachtet worden. Zudem hätten Grundbegriffe eines transnationalen Menschenrechtsdiskurses – Frieden, Gerechtigkeit, Wahrheit und Versöhnung – zunehmend die deutschen Debatten über spätsozialistische Repressionspraktiken durchdrungen. Demgegenüber sei das nationalgeschichtliche Vokabular der „Bewältigung“ und „Aufarbeitung“, das lange die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen und anfangs auch der kommunistischen Vergangenheit bestimmt habe, allmählich in den Hintergrund getreten, so der Befund aus der Außenperspektive.2

 

Nicht nur innerhalb Europas stehen die Metaphern „Friedliche Revolution“ und „Ostdeutscher Herbst“ daher heute für zwei Aspekte des Umbruchs von ‘89: Einerseits für den erfolgreichen Versuch, eine Diktatur von innen heraus mit friedlichen Mitteln überwinden zu können; andererseits als modellbildendes Beispiel einer juristischen und historischen Auseinandersetzung mit diktatorischem Unrecht, die in der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU), der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und den Enquete-Kommissionen des Bundestags auch eine institutionelle Verankerung gefunden hat. Als bemerkenswert gilt im internationalen Vergleich vor allem die ungewöhnlich rasche Öffnung der Partei- und Geheimdienstakten. Darin wird ein „einmaliger Fall“ gesehen, der sich durch das beharrliche Auftreten der Bürgerrechtsbewegung und die Besonderheit des völligen Verschwindens des ostdeutschen Staats erklärt.3 Die Zugänglichmachung der DDR-Akten sei verantwortungsvoll und transparent abgelaufen, aber auch alternativlos gewesen, weil sich frühere Täter und Helfer zumeist einer öffentlichen Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung entzogen hätten, so das Argument.

 

Angesichts so viel Lobes wirkt es aus heutiger Sicht zuweilen so, als sei es beim Aktenstreit ausschließlich um die Frage der Öffnung gegangen, für die schließlich mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) eine konsensuale Lösung gefunden werden konnte. Dass sich mit der damaligen Kontroverse jedoch auch ein grundsätzlicher geschichtspolitischer Paradigmenwechsel verband, der in seiner eigentümlichen Mischung aus transnationaler Modernität und Retraditionalisierung4 zum Teil auch ambivalente Ergebnisse hervorbrachte, spielt in der zeithistorischen Diskussion eine eher untergeordnete Rolle.5 Zudem fehlt es bislang an Forschungen, die die Entstehungsgeschichte des StUG in einem größeren (rechts-) kulturgeschichtlichen Kontext beleuchten, in dem sowohl die längere Geschichte des bundesdeutschen Umgangs mit personenbezogenem Datenmaterial als auch die teils parallel stattfindenden Auseinandersetzungen über das ehemalige SED-Parteiarchiv mit in den Blick genommen werden. Das folgende Essay möchte dazu beitragen, das Thema für künftige Forschungen weiter zu erschließen. Auf der Grundlage eines vorläufigen Überblicks sollen hier Schneisen geschlagen werden, die dabei helfen können, das StUG stärker als bisher geschehen in einer längeren deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte und einer Geschichte der deutschen „Wiedervereinigungsgesellschaft“ zu situieren.6

I. Vom Volkszählungsurteil zum Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG)

 

Wie der Jurist und ehemalige schleswig-holsteinische Datenschützer Thilo Weichert vor Kurzem hervorhob, führten der politische Umbruch von 1989 und die nachfolgenden Kontroversen über den Umgang mit den Akten des früheren DDR-Staatssicherheitsdienstes im vereinigten Deutschland kurzzeitig zu einem beträchtlichen archivpolitischen Modernisierungsschub. Laut Weichert kam es im Zuge der Debatte über das spätere StUG nicht nur zu einer deutlich liberaleren Handhabung bei der gesetzlichen Regelung des Zugangs auf hoheitliche Informationen, verbunden mit partiellen Einschränkungen beim persönlichkeitsrechtlichen Datenschutz,7 sondern auch zu einer grundlegenden Neuabwägung des schwierigen Verhältnisses von „Privatheit“ und „Öffentlichkeit“.8

 

Historisch gesehen fristeten das Recht auf Informationsfreiheit und das damit verknüpfte Datenschutzrecht in der alten Bundesrepublik lange ein Schattendasein. Anders als in den Vereinigten Staaten, wo die Regierung Lyndon B. Johnsons aufgrund zivilgesellschaftlichen Drucks schon 1966 ein Gesetz auf Akteneinsicht unterzeichnete, kamen ähnliche Entwicklungen in der Bundesrepublik erst mit großer Verzögerung in Gang. Zudem liefen die Dinge dort anfangs in eine völlig andere Richtung als in den USA. Aufgrund weitreichender personeller Kontinuitäten in Politik, Justiz, Wissenschaft und Kultur erwiesen sich persönlichkeitsrechtliche Entscheidungen westdeutscher Gerichte oftmals als Schutz der Täter und Mitläufer vor persönlicher Aufdeckung und öffentlicher Skandalisierung.

 

Ein besonders bekanntes und zugleich drastisches Beispiel für diese Tendenz war das de facto-Verbot von Klaus Manns Erfolgsroman „Mephisto“, der aufgrund einer Patt-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 1971 zehn Jahre lang nicht legal in der Bundesrepublik erscheinen konnte. Maßgeblich für die höchstrichterliche Entscheidung war ein Menschenwürdeverständnis, das die postmortale „Würde“, die „Ehre“ und das „Ansehen“ des prominenten NS-Künstlers Gustaf Gründgens höher veranschlagte als die klaren anti-nationalsozialistische Bekenntnisse des Emigranten Klaus Mann. Die Botschaft, die von der Erfindung und Anwendung eines solchen „postmortalen Persönlichkeitsschutzes“ für einen exponierten Angehörigen des NS-Kulturlebens ausging, war somit klar: Ungeachtet der Tatsache, dass der Menschenwürdebegriff des Grundgesetzes dem Wesen nach der Abgrenzung vom Nationalsozialismus diente,9 konnten sich nach Meinung der höchsten deutschen Richter im Konfliktfall auch Täter und Mitläufer des „Dritten Reichs“ auf einen solchen berufen. Sowohl das Grundrecht auf Kunstfreiheit als auch das öffentliche Interesse an Aufklärung und freier Meinungsbildung hatten im Zweifel dahinter zurückzustehen.10

 

Der erste Entwurf für ein Bundesdatenschutzgesetz wurde im Dezember 1971 eingebracht, bereits ein Jahr zuvor hatte das Bundesland Hessen das weltweit erste Datenschutzgesetz beschlossen. Ausgehend von einer sich damals verstärkenden Grundskepsis gegenüber staatlichen Institutionen trat das erste Bundesdatenschutzgesetz 1977 (BDSG) in Kraft.11 Ein Höhepunkt in der bundesdeutschen Debatte um Informationsfreiheit und Datenschutz war schließlich 1983 erreicht, als das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil die „Freiheit des Einzelnen“ zum Umgang mit seinen Daten hervorhob und im Übrigen das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ in den Rang eines Verfassungsrechts erhob.12 Die Urteilsbegründung spiegelte eine weit verbreitete gesellschaftliche Stimmung in der späten Bundesrepublik wider, nach der sich – anders als noch bei der Volkszählung von 1970 – mittels moderner Computertechnologien nicht mehr nur anonyme statistische Daten, sondern individuelle „Persönlichkeitsbilder“ von Bürgern und Verbrauchern generieren ließen, die der Orwell‘schen Dystopie eines „1984“ zumindest recht nahe zu kommen schienen. Angesichts solch weitreichender Möglichkeiten des Staats sahen es die Richter des Ersten Senats als unumgänglich an, die Sammlung und den Austausch personenbezogener Daten stärker zu reglementieren.13

 

Die widersprüchliche bundesdeutsche Aneignung des Datenschutzes sollte spätestens nach den ersten freien Volkskammerwahlen auch die ostdeutschen Kontroversen über den Umgang mit den Stasi-Akten beeinflussen. Bereits im Dezember 1989 war nicht mehr zu übersehen, dass sich das Thema in der DDR zu einem Politikum und einem umkämpften Streitpunkt zwischen der Regierung und Teilen der Opposition entwickeln würde. So tauchte am 4. Dezember erstmals eine Delegation von Bürgerrechtlern in den Diensträumen von Mielkes Nachfolger Wolfgang Schwanitz auf, um ihn wegen der laufenden Aktenvernichtungen zur Rede zu stellen.14 Parallel dazu besetzten einige mutige Bürger die Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) und verhinderten so, dass weitere Aktenbestände zerstört oder abtransportiert wurden.15 Am 7. Dezember brachte die Oppositionsbewegung die Problematik auf der Sitzung des Zentralen Runden Tischs (ZRT) in Ost-Berlin zur Sprache. Im Namen von „Demokratie Jetzt“ stellte Ulrike Poppe den Antrag, das MfS unverzüglich aufzulösen und die Bestände des Geheimdiensts vor weiteren mutwilligen Aktenvernichtungsaktionen zu schützen.16 Die Verhandlungen vom 15. Januar 1990, die in einer Großdemonstration gegen Aktenklau vor dem Ost-Berliner MfS-Hauptquartier kulminierten, unterstrichen nochmals die Bedeutung, die Angehörige der Bürgerrechtsszene den Geheimdienstakten zumaßen. Mit ihrem Vorschlag, einzelne Gebäudeabschnitte an der Normannenstraße für die Einrichtung einer Forschungs- und Gedenkstätte zu nutzen, wo am Aktenmaterial geforscht werden sollte und betroffene DDR-Bürger ihre Akten hätten einsehen dürfen, drangen sie jedoch zunächst nicht durch. Stattdessen behielten in dieser Phase diejenigen Kräfte die Oberhand, die für eine rasche Vernichtung von Magnetbändern, Disketten, Wechselplatten und Kassetten votierten. Zudem wurde im Einvernehmen mit dem DDR-Ministerrat die stufenweise Vernichtung personenbezogener Akten ins Auge gefasst.17

 

Am 12. März, wenige Tage vor den entscheidenden Volkskammerwahlen, nahm die Arbeitsgruppe Sicherheit des ZRT nochmals zur Problematik der Geheimdienstakten Stellung. Berichterstatter war Werner Fischer von der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM), seit Februar einer der Regierungsbeauftragten für die AfNS-Auflösung. Dieser kündigte zunächst die Erarbeitung einer eigenen Archivbenutzungsordnung und eines DDR-Datenschutzgesetzes an. Dazu solle eine Kommission aus Juristen, Archivwissenschaftlern und Historikern gebildet werden. Der zweite Teil seiner Ausführungen richtete sich explizit an diejenigen, die – wie er es nannte – die „Herausgabe der eigenen Akte“ wünschten. Fischer warnte in diesem Zusammenhang vor einem „Verdächtigungsklima“, in dem Misstrauen und Selbstjustiz gedeihen würden. Statt für eine Offenlegung der Akten plädierte er für „Einzel- und Gruppengespräche in absoluter Vertraulichkeit“. Im Austausch mit Psychologen, Juristen und Pfarrern sollte offiziellen und inoffiziellen ehemaligen Mitarbeitern des MfS/AfNS die Möglichkeit einer „persönliche[n] Rehabilitation“ angeboten werden. Angesichts der Tatsache, dass der ehemalige Geheimdienst nicht mehr arbeitsfähig sei, sei es verfehlt, dem Bedürfnis nach Vergeltung und Strafe nachzugeben: „Die Geschichte muss aufgearbeitet werden. Das braucht Zeit und setzt voraus, dass uns Bewältigung der Vergangenheit wichtiger ist als Bestrafen, Verdrängen. Echte Bewältigung kann nur unter Beteiligung von Tätern und Opfern erfolgen.“18

 

Auch wenn der Runde Tisch kurze Zeit später aufgelöst wurde und dessen Empfehlungen zum weiteren Umgang mit den schriftlichen Hinterlassenschaften der Stasi letztlich eine Momentaufnahme blieben, lassen sich aus den Diskussionen zu Beginn des Jahres 1990 Rückschlüsse auf die weiteren historischen Entwicklungen gewinnen. Während Darstellungen zum letzten Jahr der DDR zuweilen den Eindruck erwecken, als ob es sich bei der Bürgerrechtsszene um einen monolithischen Block gehandelt habe, der in großer Geschlossenheit aufgetreten sei, zeigen die Auseinandersetzungen über das Akten-Thema, dass sich deren führende Köpfe in dieser eminent wichtigen Frage nicht immer einig waren. Rückblickend spricht somit einiges dafür, dass sich Angehörige der Bürgerkomitees und Bürgerrechtsgruppen während dieser Phase noch in einem intensiven Prozess der Meinungsbildung und internen Selbstverständigung befanden. Angesichts allgemeiner Unübersichtlichkeit, die manch einen auch überfordert haben mag, ging es zu diesem Zeitpunkt noch eher um die Suche nach geeigneten Argumentationsstrategien als um den Austausch mehr oder weniger ausformulierter Positionen. Obwohl bis zum Frühjahr die meisten Beteiligten von einem Fortbestehen der DDR ausgegangen sein dürften, variierten deren jeweilige Perspektiven auf die Aktenproblematik zum Teil ganz erheblich.

 

Auf der anderen Seite zeichnete sich die frühe Diskussionsphase dadurch aus, dass sich die Kontroverse um die Geheimdienstakten zu einem Verstärker und Katalysator für die Verhandlung übergeordneter demokratie- und geschichtspolitischer Grundsatzfragen entwickelte. Dabei drehte sich die Debatte keinesfalls nur um den Umgang mit dem physischen Nachlass der Stasi und verschiedene, mitunter nur vorgestellte Optionen des „Öffnens“, „Wegschließens“ oder „Vernichtens“ von Akten. Vielmehr reichte der seinerzeit einsetzende Selbstverständigungsprozess insofern deutlich darüber hinaus, als erörtert werden musste, welchen Stellenwert man der schon damals unüberhörbaren emanzipatorischen Forderung nach individueller Wiederaneignung von missbräuchlich erlangtem Herrschaftswissen in der SED-Diktatur zumessen wollte. So kam in dem massenhaft ertönenden Ruf „Freiheit für meine Akte“ auch ein fundamentaler kultureller Wandlungsprozess zum Ausdruck, der viele Gesellschaften der hochindustrialisierten Moderne bereits in unterschiedlichem Ausmaß verändert hatte und in den folgenden Jahren noch weiter verändern sollte.

 

Bemerkbar machte sich dieser Wandel zum einen im Aufstieg des Konzepts vom modernen Selbst und dessen Anspruch auf Autonomie und (Subjekt-)Authentizität als wichtige Neuerung der 1970er und 1980er Jahre.19 Mit gewisser Verzögerung schlugen sich derartige kulturelle Verschiebungen auch in der späten DDR nieder. Nach 1989 beeinflussten sie insofern den Zugang zur DDR-Vergangenheit, als der dogmatischen kommunistischen Geschichts- und Erinnerungspolitik ein „authentischer“, tendenziell befreiender Umgang mit der eigenen Biographie und, davon abgeleitet, der eigenen Akte gegenübergestellt wurde. Mit der Öffnung hin zu einer subjektivierten, an historischer Authentizität und Identität orientierten Geschichts- und Erinnerungskultur war zudem ein anderes transnationales Phänomen verknüpft, das in der Literatur zumeist als opferzentrierte Erinnerung oder, in der Formulierung Charles S. Maiers, als „Narrativ moralischer Gräueltaten“ bezeichnet wird.20 Dahinter steht die verstärkt nach Ende des Kalten Kriegs einsetzende Tendenz in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit, das wechselvolle 20. Jahrhundert als ein Jahrhundert der Massengewalt zu betrachten, mit einer Schwerpunktsetzung auf dem Holocaust und den stalinistischen Verbrechen der 1930er und 1940er Jahre. Auch dieser Übergang zu einem neuen Geschichtsverständnis, das statt des historischen Fortschritts vermehrt die katastrophischen Abgründe der Geschichte in den Blick nahm, wirkte auf Teile der ostdeutschen Gesellschaft, insbesondere auch auf die Intellektuellen der Bürgerrechtsszene zurück und prägte zunehmend deren Lesart der universellen Menschenrechte.21 Sowohl der aufkommende memory boom als auch eine damit verbundene „Juridifizierung“ von Geschichte schlugen sich in einer spezifischen Wahrnehmung spätsozialistischer Repressionspraktiken nieder, in deren Mittelpunkt die Zersetzungs- und Überwachungspraktiken der Stasi standen.22

 

Anders als es etwa die Kulturwissenschaftlerin Cornelia Vismann in Anlehnung an Michel Foucault und den DDR-Philosophen Hans-Peter Krüger postuliert hat, stellte die Parole „Ich will meine Akte“ somit nicht in erster Linie eine Reaktion auf einen „protestantischen Sozialismus“ und eine in der DDR kultivierte „Pastoraltechnologie zur Menschenführung“ dar.23 Vismann ging seinerzeit davon aus, eine für die späte DDR typische Mischung aus obrigkeitsstaatlichem Allwissenheitsanspruch und protestantischer Individualisierung – die sie als „sozialistische Pastoralmacht“ bezeichnete – habe dazu geführt, dass sich die dadurch entstandene Verbindung aus „Akte“ und „Individuum“ noch über das Ende des SED-Staats hinaus habe behaupten können. In gewisser Weise seien damit die Machttechniken des Spätsozialismus von den Demonstranten des Herbsts 1989 verinnerlicht und im Verbund mit Pastor Joachim Gauck in die Transformationszeit überführt worden. Die Öffnung und bürokratische Zugänglichmachung der Akten sei dementsprechend in eine „zweite Phase der Individualisierung“24 gemündet: „Nach 1989 konzentrierte sich das Interesse der Staatsangehörigen der ehemaligen DDR daher nicht zufällig auf die Akten der Staatssicherheit. Ihre Inbesitznahme versprach Orientierung in Umbruchzeiten, waren sie doch zum Inbegriff des registrierten Selbst geworden.“25 Auch wenn Vismanns These überzogen klingen mag, nach der das StUG dem „evangelischen Ideal eines sich fortwährend korrigierenden Lebens auf geordneter Aktengrundlage“ entsprochen habe,26 beruht sie dennoch auf einer kaum bestreitbaren Prämisse: Ungeachtet der ebenso in der DDR wie in anderen modernen Gesellschaften stattfindenden Säkularisierungs- und Entkirchlichungsprozesse lassen sich die erinnerungskulturellen Veränderungen, die dem zunächst ostdeutschen, dann gesamtdeutschen Modell einer postkommunistischen Aufarbeitung zugrunde lagen, ohne das auch religionsgeschichtlich begründete Element (post-)moderner Subjektivität kaum angemessen erklären.27

 

Mit den ersten freien Volkskammerwahlen vom 18. März 1990, bei denen die Allianz für Deutschland unter Lothar de Maizière (CDU) mit deutlichen 48 Prozent durchs Ziel ging, änderten sich die Koordinaten der Akten-Debatte gleich in mehrfacher Hinsicht. Unter den Vertretern der Bürgerrechtsbewegung, die für ihre Haltung in der Wiedervereinigungsfrage von der ostdeutschen Wählerschaft unverhältnismäßig hart abgestraft worden war, überdachten nun einige Protagonisten ihre bis dahin vertretenen Positionen im Bereich der Akten- und Geschichtspolitik. Vor dem Hintergrund der Skandale um hochrangige IM-Fälle räumte der Regierungsbeauftragte Fischer gegenüber der Zeitung „die andere“ ein, dass ihm die Dinge entglitten seien. Befragt auf seine Meinung zu den Geheimdienstakten, verteidigte er einerseits seine zuvor vertretene Forderung nach unterschiedsloser Vernichtung von „sechs Millionen Personendossiers“. Andererseits ließ er aber nun seine Bereitschaft erkennen, Angehörige der Regierung und der Volkskammer auf eine frühere MfS-Mitarbeit hin überprüfen zu lassen. Zudem setzte er sich für eine gesetzliche Regelung zur Sicherung der Akten ein, die aus seiner Sicht möglichst unter internationale Kontrolle zu stellen seien.28

 

Zwar schlugen die Enthüllungen über die beiden Volkskammerabgeordneten Wolfgang Schnur (DA) und Ibrahim Böhme (SPD) auch im Westen Deutschlands hohe Wellen, die Meinungsbildung über das Akten-Problem hatte dort allerdings gerade erst begonnen. Insofern war es ein geschickter Schachzug, als Joachim Gauck von Bündnis 90/ Grüne Mitte April in der liberalen Wochenzeitung „Die Zeit“ einen Artikel platzierte, in dem er emphatisch für eine Öffnung der Stasi-Akten plädierte.29 Der Beitrag trug in dreifacher Weise dazu bei, den Weg zum späteren StUG zu ebnen. Erstens wurde der Verfasser kurze Zeit später zum Vorsitzenden des VK-Sonderausschusses berufen. Zweitens war sein Plädoyer insofern ein gelungenes Beispiel für eine erfolgreiche politische Mobilisierung über innerdeutsche Grenzen hinweg, als er die Akten-Frage zu einem gesamtdeutschen Thema machte und sich zu diesem Zweck gezielt an eine links-liberale Leserschaft im Westen wendete. In einer Situation, in der es offenkundig darum gehen musste, einer sich formierenden Ost-West-Allianz aus Aktenvernichtungsbefürwortern ein Ost-West-Bündnis aus Gegnern entgegenzusetzen, appellierte Gauck an das kritische Geschichtsbewusstsein eines aufgeklärten Bürgertums und deren generelle Skepsis gegenüber einer Politik des Verdrängens und Vergessens. Schließlich bediente sich der Beitrag drittens einer Sprache, die geradezu prototypisch den sich damals etablierenden Diskurs der Transitional Justice aufgriff, indem er die Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten an eine authentische Erinnerung und einen transparenten Umgang mit Opfer- und Täterbiographien knüpfte. Anders als im Osten, wo die Leistung der DDR im Umgang mit dem Nationalsozialismus eher positiv beurteilt wurde, war im Westen eine Mehrheit von einer „zweiten Schuld“ der Bundesrepublik überzeugt.

 

Zwar setzte Gaucks Aufruf für eine aktengestützte Aufarbeitung einen neuen Ton in der Debatte, die mannigfaltigen Probleme der praktischen Umsetzbarkeit waren damit jedoch noch nicht gelöst. Doch auch hier sollten die Dinge nun unversehens in Bewegung geraten, als sich im Frühjahr führende Vertreter bundesdeutscher Datenschutzbehörden in die Kontroverse einzuschalten begannen. Dies war insofern eine etwas überraschende Wendung, als sich der Datenschutz, der in der alten Bundesrepublik lange im Zustand eines Dornröschenschlafs verharrt hatte, bis dahin kaum mit der Tätigkeit kommunistischer Geheimdienste und Fragen der Diktaturaufarbeitung beschäftigt hatte. Angesichts der Tatsache, dass die Volkskammer nun vor der Herausforderung stand, MfS-Verstrickungen ihrer Mitglieder überprüfen zu müssen, meldete sich Anfang April der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka beim Ost-Berliner Volkskammerpräsidium. Konkret bot er an, bei der Entwicklung einer eigenen datenschutzrechtlichen Gesetzgebung behilflich zu sein und empfahl dazu, die Übernahme des westdeutschen Vorbilds einer unabhängigen Datenschutzbehörde zu prüfen. Auch wenn die Analogien nicht jedermann eingeleuchtet haben dürften, unterstrich er die Kompetenzen westdeutscher Datenschutzschutzbeauftragter bei der Kontrolle westlicher Geheimdienste und verwies in diesem Zusammenhang auf die Ausspähungspraktiken des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz gegenüber der „Alternativen Liste“ und der linken „tageszeitung“, die seine Behörde zuvor scharf kritisiert hatte.30

 

Im weiteren Verlauf der Debatte avancierten die Vertreter des westdeutschen Datenschutzes zu den wichtigsten strategischen Verbündeten der ostdeutschen Öffnungsbefürworter. Dies ist insofern erklärungsbedürftig, als eine solche Nähe politisch und inhaltlich nicht unbedingt erwartbar war. Wie Garstka zwei Jahre später auf dem deutschen Historikertag selbst einräumte, waren die Diskrepanzen zwischen datenschutzrechtlichen Grundprinzipien und den Regelungen des schließlich verabschiedeten StUG enorm.31 Ein Teil der Wissensbestände, Erfahrungswerte und auch Rechtsgrundsätze des bundesdeutschen Datenschutzes musste zunächst beiseite geräumt werden, um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das das Bundesverfassungsgericht erstmals 1983 mit Blick auf die sich damals abzeichnende Informationsgesellschaft entwickelt hatte, für die Nutzung der MfS-Akten operabel zu machen. Trotz der zum Teil erheblichen Einwände, die vor allem vonseiten der linken Rechts- und Politikwissenschaft gegen die eigenartige Symbiose aus Datenschutz und Aufarbeitung erhoben wurden, gab es nur wenige, die grundsätzlichere Zweifel an der Legitimität und demokratiepolitischen Bedeutung des Projekts äußerten. Auch wenn die Gründe dafür noch genauerer Erforschung bedürfen, lässt sich daher vorläufig festhalten, dass der Rückhalt durch tendenziell eher links stehende Datenschützer und Juristen den ostdeutschen Befürwortern einer Aktenöffnung erheblich dabei geholfen hat, den ebenso paternalistischen wie hermetischen Sicherheitsdiskurs der Kohl-Regierung nach und nach aufzuweichen.

 

Maßgeblich dafür war unter anderem die Vorstellung, mit der individuellen Akteneinsicht und gesetzlich geregelten Erforschung eines geheimdienstlichen Überwachungs- und Unterdrückungsapparats so etwas wie einen ersten Pflock einzurammen, um daran quasi exemplarisch die Verhaltensweisen „dunkel rumorender Macht“ zu studieren.32 Die Überzeugung, die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen nicht energisch genug eingefordert zu haben, dürfte diese Sichtweise ganz entscheidend verstärkt haben. Hinzu kam die Sozialisation mehrerer Generationen von linken Akademikern und politisch Engagierten, die inzwischen ihren Frieden mit der alten Bundesrepublik gemacht hatten. Deren „innere und äußere Distanz gegenüber dem Programm des demokratischen Verfassungsstaats“, so formuliert es Tine Stein, „hatte sich in dem Maße abgebaut, wie die Träger dieser kritischen Haltung mehr und mehr selbst die Politik der Bundesrepublik nach den Regeln der Verfassung mitgestalteten. In gewisser Weise hat 1989 den Anstoß für eine neue Selbstverortung der Linken als republikanische Demokraten mit Westbindung gegeben, überzeugt von dem demokratischen Rechtsstaat.“33

 

Auch später machte sich die immer wieder aufflammende Kritik nicht an der Aktenöffnung als solcher, sondern an der spezifischen rechtlichen Ausgestaltung des StUG fest, die als widersprüchlich und wenig handhabbar eingeschätzt wurde. Linke Jurist:innen wie Ilse Staff, eine Koryphäe der kritischen Rechtsgeschichte in der alten Bundesrepublik, nahmen etwa daran Anstoß, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des StUG in lebensfremder Weise an den Grenzen der alten DDR habe enden lassen und dadurch die „intensiven Kontakte“ zwischen Ost und West künstlich ausgeklammert habe: „Politisch ist der Ausschluss bundesdeutscher Materialien verfehlt“, schrieb Staff, werde doch so bei ehemaligen DDR-Bürgern der Eindruck erweckt, als würde die ostdeutsche „Geschichte von westdeutscher Seite als völlig isolierte gesehen“.34 Ausgeprägte Vorbehalte gegen die politischen, wirtschaftlichen und psychosozialen Rahmenbedingungen des deutschen Einigungsprozesses und eine grundsätzliche Aufgeschlossenheit für die Offenlegung der ostdeutschen Geheimdienstakten liefen bei somit bei einer Kritikerin wie Staff Hand in Hand.

 

 

 

II. Ein Kompromiss von vergangenheitspolitischer Brisanz: Der „Einbringungsvertrag“ zwischen PDS und Bundesarchiv

 

Im Frühjahr 1992 wies SPD-Justizsenatorin Jutta Limbach die Berliner Staatsanwaltschaft und Polizei an, Hausdurchsuchungen bei mindestens 19 früheren Mitgliedern des SED-Politbüros durchzuführen. Auf Limbachs Weisung nahm sich die Arbeitsgruppe „Regierungskriminalität“ unter ihrem damaligen Chef Christoph Schaefgen auch das Zentrale Parteiarchiv vor. Nach damaliger Rechtsauffassung der Senatsverwaltung für Justiz (SfJ) befanden sich dessen Bestände noch immer in der Obhut der SED-Nachfolgepartei PDS.35 Da sich die Strafermittler zum damaligen Zeitpunkt nicht nur mit Straftaten an der innerdeutschen Grenze, sondern auch mit dem Phänomen einer verschleierten Parteijustiz gegen so genannte Ausreiseantragsteller im Gefolge der KSZE-Abschlussakte beschäftigten,36 befürchtete man, in der unsicheren Übergangsphase zwischen noch bestehender Verfügungsgewalt durch die SED-PDS und staatlicher Archivverwaltung könnten Akten auf unkontrollierte Weise dem Zugriff der Ermittler entzogen werden. Klaus Oldenhage, seit Oktober 1990 Leiter der Abteilung III des Bundesarchivs in Potsdam und Leiter der „Projektgruppe Archive“, die seit Sommer 1991 mit der Parteiführung über den weiteren Verbleib des PDS-Archivs verhandelte,37 vertrat im Gegensatz dazu die nicht näher begründete Einschätzung, das Archiv stehe bereits vertraglich unter dem Schutz des Bundesarchivgesetzes (BArchG), wodurch die Akten abschließend für die Wissenschaft und Zwecke der staatlichen Amtshilfe gesichert seien.38

 

Am frühen Morgen des 31. März 1992 begann die einwöchige Razzia im ehemaligen IML, einem markanten Eckgebäude an der Ost-Berliner Torstraße. Mit einem Großaufgebot von 15 Staatsanwälten, 50 Kriminalbeamten und 300 Polizeibeamten verschaffte man sich Zutritt zu den Räumlichkeiten des historisch einzigartigen Archivs – es war das größte zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung – und durchsuchte dessen Bestände nach Beweismitteln. Beschlagnahmt wurden dabei unter anderem 13 Ordner mit Tagungsordnungspunkten von Politbürositzungen und 40 Ordner mit Sitzungsprotokollen des ZK-Sekretariats, die für die Ermittlungen gegen Verantwortliche des DDR-Grenzregimes ausgewertet wurden. Darüber hinaus waren die Ermittler auf der Suche nach einem Bestand, der in der Sprache der DDR-Opposition „Schubladenrecht“ genannt wurde. Es handelte sich dabei um geheime Richtlinien zur Rechtsprechung in Arbeitsrechtssachen, mit denen das Oberste Gericht (OG) die unteren Instanzen in den 1970ern und 1980ern angewiesen hatte, die Klagen von Ausreiseantragstellern gegen ihre – auch nach DDR-Recht rechtswidrigen Kündigungen – abzuweisen.39

 

Während die Besetzung der MfS-Hauptzentrale in der Ost-Berliner Normannenstraße und der angedrohte Hungerstreik, mit dem 12 Besetzer:innen um Bärbel Bohley, Jens Reich, Christine Grabke und Ingrid Köppe im September 1990 gegen die dort andauernde Anwesenheit von MfS-Offizieren und die geplanten Verlagerungen von Stasi-Akten protestiert hatten, durchaus auf gewisse Sympathien gestoßen war,40 traf auf die in den Medien so bezeichnete „Berliner Polizeiaktion“ das Gegenteil zu. Angesichts laufender Debatten über die Folgen staatlicher Willkürherrschaft und die Beschneidung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in der untergegangenen DDR entfaltete die Beschlagnahmeaktion eine fatale Symbolik, die von einer sensibilisierten gesamtdeutschen Öffentlichkeit entsprechend negativ quittiert wurde.

 

In einer Art anti-etatistischem Reflex hagelte es Kritik an Limbach und den angeblichen Polizeistaatmethoden der Berliner Justiz. Laut Gregor Gysi, der sich Ende 1989 binnen weniger Monate vom DDR-Altanwalt und Nomenklaturkader an die Spitze der SED-„Erneuerer“ katapultiert hatte,41 handelte es sich bei der Besetzung um einen „politisch motivierten Raubzug“ gegen seine Partei. Er äußerte darüber hinaus den Verdacht, Staatsanwaltschaft und Polizei hätten sich bewusst als „Wahlkampfhelfer der Regierungskoalition“ von CDU und SPD („Senat Diepgen III) betätigt, um befürchtete Stimmenzuwächse für die PDS abzuwenden.42 Dass ihm Limbach erst kurze Zeit vorher anlässlich des Finanzskandals um das verschobene SED-Parteivermögen bescheinigt hatte, für die illegalen Geldtransfers in Millionenhöhe keine persönliche Verantwortung zu tragen, erwähnte er nicht.43 Auch die langjährige Archivleiterin Inge Pardon kam ausführlich zu Wort. Jene störte sich zwar an den unerwünschten „Hinterlassenschaften“ der Berliner Polizeihunde, schwieg sich aber über die Hintergründe der Durchsuchungen aus.44 PDS-Sprecher Hanno Harnisch – er wurde einige Jahre später als IM „Egon“ enttarnt45 – wurde unwidersprochen mit den Worten zitiert, Ziel der Aktion sei nicht – wie offiziell behauptet – die „Sicherung von Beweismitteln“ gewesen. Vielmehr sei es um die „Kriminalisierung“ seiner Partei im laufenden Berliner Wahlkampf gegangen.46

 

Obwohl Beschlagnahmungen von Unterlagen zu den üblichen Amtshandlungen von Strafverfolgungsbehörden gehören, geriet die Aktion der Berliner Justiz zu einem öffentlichkeitspolitischen Fiasko.47 Zwar boten sowohl der Zeitpunkt als auch die konkrete Vorgehensweise der Ermittler einigen Anlass für Kritik. Doch fällt rückblickend auf, dass die Medienberichte die Bedeutung der Vorgänge um das frühere SED-Parteiarchiv eher herunterzuspielen suchten. Mit der Skandalisierung war somit auch eine Tendenz zur Banalisierung verbunden. Zudem wies der Diskurs erklärungsbedürftige Leerstellen auf. Dazu gehörte, dass niemand die Frage aufwarf, welche strukturellen und inhaltlichen Gründe eigentlich den Durchsuchungsbeschluss nötig gemacht hatten. Statt auf die macht- und ideologiepolitischen Implikationen einzugehen, die sich aus dem ungehinderten Zugriff auf frühere Herrschaftsakten durch die ehemalige Staatspartei ergaben, fand der Umstand, dass die PDS trotz ausgebliebenem Neugründungsbeschluss auch im zweiten Jahr der deutschen Einheit an ihren Eigentumsansprüchen am ZPA festhielt, in der Medienberichterstattung so gut wie keinen Niederschlag.48

 

Jene geltend gemachten Eigentumsansprüche an den Akten erstreckten sich keinesfalls nur auf die „Parteiüberlieferung“, einer für DDR-Verhältnisse ohnehin wenig passenden Kategorie. Vielmehr betrafen sie auch die nicht eben unerheblichen Teilbestände mit eindeutig staatlichem Bezug. An dieser Position, so der Hinweis von Christoph Stamm, habe die PDS auch noch nach der Unterzeichnung des so genannten „Einbringungsvertrags“ mit dem Bundesarchiv im Dezember 1992 festgehalten.49 Obschon der SPD-Abgeordnete Gerd Wartenberg in der abschließenden Lesung zum ergänzten Bundesarchivgesetz zu Recht festhielt, die parteinahen Stiftungen der beiden Regierungsparteien CDU und FDP hätten in ähnlicher Weise auf ihre Besitzansprüche an den Archiven der früheren DDR-Blockparteien gepocht,50 änderte diese Relativierung nichts daran, dass die getroffene Einigung mit der PDS von einiger vergangenheitspolitischer Brisanz war.

 

Fragwürdig daran war vor allem, dass die damaligen Verhandlungsführer des Bundesarchivs aufgrund pragmatischer Erwägungen die anmaßenden Rechtsansprüche nicht etwa bestritten, sondern sie vielmehr vollumfänglich anerkannten. Infolge der Umstände des Einigungsprozesses, durch den die ehemals mächtige DDR-Staatspartei auf das normale, von der Verfassung vorgesehene Format einer Vereinigung zur politischen Willensbildung heruntergeschrumpft worden war, wurde die beanspruchte Verfügungsgewalt über die Archivbestände – darunter auch das per Parteibeschluss angelegte „Erinnerungsarchiv“ – nach den Maßstäben des Bürgerlichen Gesetzbuchs behandelt. Auch wenn dies aufgrund der notwendigen Materialsicherung und aus Fürsorge für das frühere IML-Personal geschah,51 ignorierte dieser Schritt die Tragweite des revolutionären Bruchs und die traditionell herausgehobene Bedeutung von Archiven nach politischen Systemwechseln. Vor allem aber war der geschlossene „Einbringungsvertrag“ aus Sicht der PDS-Oberen geeignet, den verfehlten Eindruck zu vermitteln, als ob es sich bei der PDS um eine Partei wie alle anderen handeln würde.

 

Aufgrund der bekannten Fixierung auf die Stasi-Problematik, überwiegend zustimmender Stimmen aus der Geschichtswissenschaft52 und einer legalistischen Verhandlungsführung, die implizit die SED-Führungsrolle in Staat und Gesellschaft anerkannte,53 wurde der gefundene Kompromiss – dieser beruhte paradoxerweise auf einem „Einigungszwang“ – auch danach nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt und in modifizierter Form in das novellierte Bundesarchivgesetz von 2017 übernommen.54 Noch in seinen 2017 erschienenen Memoiren verteidigte der langjährige Parteivorsitzende den Deal mit dem Bundesarchiv gegen innerparteiliche Kritiker. Zwar liege die Verantwortung für ehemalige ZPA der SED nun „beim Bundesarchiv, [es] gehört aber weiterhin der Partei, und wir haben ein besonderes Zugriffsrecht. Bezahlen aber muss alles die Bundesregierung“, so Gysis Bilanz ein gutes Vierteljahrhundert später.55

 

 

 

Fazit

 

Wie die französische Kommunismusforscherin und DDR-Expertin Sonia Combe vor einigen Jahren festhielt, neigen Staaten prinzipiell dazu, im Umgang mit sensitiven Akten eine Taktik des „ein Schritt voran, zwei Schritte zurück“ zu praktizieren. So seien archivgesetzliche Regelungen, die vordergründig eine Liberalisierung bei den Zugangs- und Nutzerrechten signalisieren, faktisch oftmals mit neuen Restriktionen verknüpft. Archivar:innen, Historiker:innen, unabhängige Forscher:innen und Journalist:innen stellten die Aufrechterhaltung einer solchen Kultur der Geheimhaltung und beschränkten Transparenz jedoch zumeist nicht in Frage. Trotz des darin liegenden Verstoßes gegen die Bürgerrechte werde eine solche Archivpolitik akzeptiert, solange damit den eigenen Interessen gedient sei.56

 

Anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und der historisch außergewöhnlichen, weitreichenden Öffnung aller früheren DDR-Partei- und Staatsarchive stellt sich heute die Frage nach den langfristigen Veränderungen für die bundesdeutsche Geschichts- und Aufarbeitungskultur. Hat die „Archivrevolution“57 der frühen 1990er Jahre einen grundlegenden archivpolitischen und geschichtskulturellen Wandel bewirkt, hin zu mehr Offenheit und Transparenz und einer generell gewachsenen Sensibilität für Menschenrechtsverletzungen in diktatorischen und demokratischen Systemen? Auf den ersten Blick lässt sich diese Frage wohl bejahen. So kam es infolge der Aktenöffnungen zu einer intensiven Erforschung der DDR-Herrschafts- und Gesellschaftsgeschichte, der wir es maßgeblich verdanken, dass wir heute über ein weitaus differenziertes Bild der DDR verfügen als noch 1989. Auf der anderen Seite mag jene Forschungskonjunktur ihren Teil dazu beigetragen haben, dass sich ein eigener Forschungszweig seit nunmehr fast zwanzig Jahren mit den „braunen Wurzeln“ bundesdeutscher Ministerien und Institutionen befasst.

 

Nichtsdestotrotz gibt es auch Gründe, an der Erzählung einer fortlaufenden Liberalisierung zu zweifeln. So ist einerseits festzustellen, dass Archivfragen im Diskursraum der deutschen Wiedervereinigungsgesellschaft von Anfang an eng an die Stasi-Problematik geknüpft waren, ohne dass es zu einer Selbstverständigungsdebatte darüber gekommen wäre, wie nach dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit der Umgang mit sensiblen (personenbezogenen) Beständen in Ost und West gehandhabt werden sollte. Eine vergleichbar breite Diskussion über erleichterte Zugangsregelungen für die Akten der zahllosen Täter und Mitläufer der NS-Diktatur blieb daher seinerzeit aus, obgleich eine spezifische Auslegung des Persönlichkeitsschutzes in der alten Bundesrepublik eine kritische Erforschung blockiert hatte. Andererseits wurde es anlässlich der kürzlich erfolgten Übernahme der Stasi-Akten durch das Bundesarchiv erneut versäumt, die rigorose Zweckbindung des StUG, die eine Erweiterung von Forschungsthemen weitgehend ausschließt, aufzuheben oder wenigstens deutlich abzuschwächen. Zudem hat das jüngst novellierte Bundesarchivgesetz die künftige Erforschung der Arbeit westdeutscher Geheimdienste eher erschwer denn erleichtert. All dies spricht dafür, dass die Archivpolitik des vereinigten Deutschlands von einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, bestehend aus (selektiver) Offenheit und Geheimhaltung, bestimmt ist.

 

1 Alison Lewis, Confessions and the Stasi Files in Post-Communist Germany: The modest Scales of Memory and Justice in Traitor to The Fatherland, in: Australian Humanities Review 59 (2016), S. 209-222; vgl. auch Elizabeth Hankins Wolgast, The Grammar of Justice, Ithaca: Cornell University Press 1987.

2 Zur Bedeutung dieser nationalgeschichtlichen Begrifflichkeiten für den Umgang mit kommunistischem Unrecht nach 1989/90 vgl. auch Annette Weinke, Gewalt, Geschichte und Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016, S. 267-290.

3 Sonia Combe, Zu den Eigenschaften von Polizei- und Geheimdienstarchiven. Der Fall der Stasi-Unterlagen, in: The International Newsletter of Communist Studies XVII (2011), no. 24, S. 120-125, S. 121.

4 In der Literatur wird der Beginn einer gouvernmentalen Erinnerungs- und Geschichtspolitik zum Teil mit einer Rückkehr zu den antikommunistischen Narrativen des frühen Kalten Kriegs gleichgesetzt; vgl. Gerhard Sälter, Aufarbeitung und Antikommunismus. Die Produktion eines öffentlichen Bildes der DDR nach ihrem Ende, in: Martin Sabrow/Tilmann Siebeneicher/Peter Ulrich Weiß (Hrsg.), 1989. Eine Epochenzäsur?, Göttingen 2021, S. 287-302.

5 Vgl. dazu Thomas Lindenberger, Affirmative action. Zur politischen Philosophie des Stasiunterlagengesetzes und ihren Folgen für die wissenschaftliche Erforschung der DDR-Geschichte, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 53 (2003), S. 338-344; Manuel Becker, Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Ein spezifisches Instrument deutscher Vergangenheitspolitik, in: Deutschland Archiv, 14.7.2014, Online-Fassung; http://www.bpb.de/188290 (letzter Zugriff: 01.12.2021); Annette Weinke, Der Umgang mit der Stasi und ihren Mitarbeitern, in: Helmut König et al. (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Sonderheft der Zeitschrift Leviathan 18/1998, Opladen 1998, S. 167-191.

6 Eine gute konzeptionelle und inhaltliche Einführung in das entstehende Forschungsfeld bieten Thomas Großbölting, Wiedervereinigungsgesellschaft. Aufbruch und Entgrenzung in Deutschland seit 1989/90, Bonn 2020 sowie Marcus Böick/Constantin Goschler/Ralph Jessen, Die deutsche Einheit als Geschichte der Gegenwart. Einleitung, in: Diess. (Hrsg.), Jahrbuch Deutsche Einheit, Berlin 2020, S. 9-23.

7 Nach Auffassung führender bundesdeutscher Datenschützer waren die im StUG enthaltenen Regelungen einer partiellen Suspendierung des Datenschutzes gerechtfertigt, weil es um die Aufarbeitung eines „totalitären“ Herrschaftssystems ging. So kritisierte beispielsweise der ehemalige hessische Datenschutzbeauftragte Spiros Simitis jene Stimmen, die sich mit Verweis auf den Datenschutz gegen eine Öffnung der Stasi-Akten aussprachen, mit dem Argument, Datenschutzgesetze seien nicht als „Handlungsanleitungen für einen kollektiven Gedächtnisverlust“ zu verstehen; Spiros Simitis, Diskussionsbeitrag, in: Winfried Hassemer/ Karl Starzacher, Datenschutz und Stasi-Unterlagen. Verdrängen oder Bewältigen? Baden-Baden 1993, S. 37.

8Thilo Weichert, Archivzugang und Datenschutz: de lege lata und de lege ferenda, in: Dieter Deiseroth/Annette Weinke (Hrsg.), Zwischen Aufarbeitung und Geheimhaltung. Justiz- und Behördenakten in der Zeitgeschichtsforschung, Berlin 2021, S. 157-168, S. 162.

9 Die Unantastbarkeit des grundgesetzlichen Menschenwürdebegriff ging auf den frühen GG-Kommentar des Staatsrechtlers Günter Dürig und seines Kollegen Theodor Maunz zurück, die dem Artikel eine solitäre, jenseits staatlicher Verfügungsgewalt liegende Stellung zugewiesen hatten; Max Steinbeis/Marion Detjen/Stefan Detjen, Die Deutschen und das Grundgesetz, S. 195;

10 Außer Wiltraut Rupp-von Brünneck verfasste auch Richter Erwin Stein, dessen jüdische Frau das Dritte Reich nicht überlebt hatte, eine ablehnende Stellungnahme gegen den „Mephisto“-Beschluss; Justin Collings, Democracy’s Guardian. A History of the German Federal Constitutional Court, 1951-2000, Oxford 2015, S. 121; der Beschluss und die abweichenden Stellungnahmen finden sich unter: https://openjur.de/u/31670.html (letzter Aufruf: 27.12.2021).

11Markus Goldbeck, Akten als Problem?, in: Ilko-Sascha Kowalczuk/Frank Ebert/Holger Kulick (Hrsg.), (Ost)Deutschlands Weg. 45 Studien & Essays zur Lage des Landes. Teil I – 1989 bis heute, Berlin-Bonn 2021, S. 597-606, S. 600.

12 Das Urteil zwang den Gesetzgeber, das seit langem überfällige Vorhaben eines Bundesarchivgesetzes, das noch 1977 anlässlich des BDSG vom Bundesinnenministerium abgelehnt worden war, wieder aufzugreifen; Andrea Hänger, Eine Behörde – zwei Gesetze: Die Zugangsregelungen von Bundesarchivgesetz und Stasi-Unterlagen-Gesetz, in: Forum, Das Fachmagazin des Bundesarchivs: Die DDR im Archiv (2020), S. 35-43, S. 36.

13 Collings, Democracy’s Guardian, S. 192-197.

14 Roland Lucht, „Ablagen liquidieren – ‚spezifische‘ Vorgänge tragfähig gestalten.“ Schriftgutvernichtungen des MfS während der „Wende“ und der Auflösungsphase der Staatssicherheit, in: Dagmar Unverhau (Hrsg.), Hatte „Janus“ eine Chance? Das Ende der DDR und die Sicherung einer Zukunft der Vergangenheit, Münster 2003, S. 81-98; Silke Schumann, Vernichten oder Offenlegen? Zur Entstehung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Eine Dokumentation der öffentlichen Debatte 1990/1991, Berlin 1995 (Wiederabdruck: 2020), S. 8.

15 Wie Christian Booß aufgrund seiner Analysen hervorhebt, handelte es sich bei der Erfurter Aktion „um die einzige authentische Besetzung“ einer MfS-Dienststelle, während bei anderen MfS-Objekten staatliche Kräfte involviert waren. So wurde die Frage der „Aktensicherung“ alsbald zum zentralen Bestandteil einer Strategie der „Stasi-Sicherheitspartnerschaft“, die Hans Modrow und Markus Wolf in dieser Phase aus Legitimitätsgründen vorantrieben. Mit diesen Befunden relativiert Booß die von Thomas Lindenberger geprägte Formulierung der Stasi-Besetzungen als ostdeutsche „Bastillen“; Christian Booß, Vom Mythos der Stasi-Besetzungen, in: Deutschland Archiv 1 (2010), S. 44-52.

16Wolfgang Ullmann, Das Stasi-Unterlagen-Gesetz. Eine Demokratieinitiative der Friedlichen Revolution, in: Siegfried Suckut/Jürgen Weber (Hrsg.), Stasi-Akten zwischen Politik und Zeitgeschichte. Eine Zwischenbilanz, S. 45-80.

17 Schumann, Vernichten oder Offenlegen? S. 10; zu vermuten ist, dass das AfNS die Entscheidungsfindung der AG Sicherheit durch die Einschleusung hochrangiger IM’s wie den SPD-Abgeordneten Ibrahim Böhme beeinflusste; Weinke, Umgang mit der Stasi, S. 177.

18 Bericht der Arbeitsgruppe Sicherheit vor dem Zentralen Runden Tisch der DDR am 12. März 1990, in: David Gill/Ulrich Schröter, Das Ministerium für Staatssicherheit. Anatomie des Mielke-Imperiums, Berlin 1991, S. 235-252, S. 247.

19 Achim Saupe, Authentizität, in: Frank Bösch/Jürgen Danyel (Hrsg.), Zeitgeschichte. Konzepte und Methoden, Göttingen 2012; Randall Hansen/Achim Saupe/Andreas Wirsching/Daqing Yang (Hrsg.), Authenticity and Victimhood after the Second World War: Narratives from Europe and Asia, Toronto 2021.

20 Charles S. Maier, Consigning the Twentieth Century to History: Alternative Narratives for the Modern Era, in: The American Historical Review 105 (2000), H. 3, S. 807-831, S. 826.

21Siehe dazu Susanne Buckley-Zistel/Daniel Stahl, Lebensgeschichtliches Interview mit Ulrike Poppe, 20.03.2014 und 8.05.2014, in: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, herausgegeben vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, URL: www.geschichte-menschenrechte.de/ulrike-poppe/ (letzter Zugriff: 29.12.2021).

22 Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit, S. 15.

23 Cornelia Vismann, Autobiographie und Akteneinsicht, in: Unverhau (Hrsg.), Hatte „Janus“ eine Chance?, S. 173-189, S. 175; Myriam Naumann, Das Leben in Stasi-Akten. Pastoralmacht und Archivpraktiken zwischen 1950 und 2000, in: Pascal Eitler/ Jens Elberfeld (Hrsg.), Zeitgeschichte des Selbst. Therapeutisierung – Politisierung – Emotionalisierung, Bielefeld 2015, S. 163-224.

24 Vismann, Autobiographie und Akteneinsicht, S. 182.

25 Ebd., S. 181.

26 Ebd., S. 184.

27 Vgl. Klaus Große Kracht, Religionsgeschichte, in: Docupedia; docupedia.de/zg/Grosse_Kracht_religionsgeschichte_v1_de_2018 DOI: dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.1153.v1 (letzter Zugriff: 29.12.2021).

28 Stasi – nur abgetaucht? Interview Reinhard Weißhuhn mit Werner Fischer, in: die andere vom 29.3.1990 (abgedruckt in Schumann, Vernichten oder Offenlegen? Anhang: Dok. 4).

29 Der Beitrag war eine Reaktion auf einen kurz zuvor erschienen Artikel des stellv. Chefredakteur Robert Leicht, der irritierenderweise den Eindruck erweckte, als sei die Bundesrepublik vor dem Hintergrund ihrer NS-Bewältigungsgeschichte dazu prädestiniert, die Aufgabe einer Aufarbeitung von DDR-Unrecht anzutreten; Robert Leicht, Unter bösem Fluch, in: Die ZEIT vom 6.4.1990.

30 Hansjürgen Garstka an Präsidium der Volkskammer vom 3.4.1990, Volkskammer 10. Wahlperiode; Schriftwechsel mit Ausschüssen der VK; BArchB, DA1 17476.

31 Hansjürgen Garstka, Probleme des Datenschutzes beim Umgang mit Stasi-Akten, in: Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.), Wann bricht schon einmal ein Staat zusammen! Die Debatte über die Stasi-Akten auf dem 39. Historikertag 1992, München 1993, S. 49-56.

32 Wolf Krötke, Von der Konspiration zur Öffentlichkeit – Die Bedeutung der MfS-Akteneinsicht für die Zukunft der Demokratie in Deutschland, in: Klaus-Dietmar Henke/Roger Engelmann (Hrsg.), Aktenlage, Die Bedeutung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die Zeitgeschichtsforschung, Berlin 1995, S. 241-244, S. 244.

33 Tine Stein, Vergangenheitsbewältigung im Medium der Verfassungspolitik? Die deutsche Verfassungsdiskussion nach 1989 zwischen Vergangenheit und Zukunft, in: König et al. (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung, S. 136-166, S. 147.

34 Ilse Staff, Wiedervereinigung unter Rechtsgesetzen. Ein Beitrag zur Verfassungskonformität des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 25 (1992), H. 12, S. 462-469, S. 464; vgl. auch Thilo Weichert, Von der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 25 (1992), H. 7, S. 241-243.

35 Nach dem Ausschluss führender SED-Politiker hatte sich die Partei im Februar 1990 in einem hochumstrittenen Erneuerungsakt in „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS) umbenannt; Großbölting, Wiedervereinigungsgesellschaft, S. 325.

36 Zur Ausreisebewegung vgl. Christian Halbrock/ Ilko-Sascha Kowalczuk, Ausreisebewegung, Bekämpfung der, in: MfS-Lexikon; https://www.stasi-unterlagen-archiv.de/mfs-lexikon/detail/ausreisebewegung-bekaempfung-der/ (letzter Zugriff: 01.12.2021).

37 Zu den komplizierten Verhandlungen um den Verbleib und die Eigentumsrechte am Zentralen Parteiarchiv der SED siehe Christoph Stamm, Die Sicherung des Zentralen Parteiarchivs der SED nach 1990 und die Gründung der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen“ im Bundesarchiv, in: Forum, Das Fachmagazin des Bundesarchivs: Die DDR im Archiv (2020), S. 97-103.

38 Zit. nach Christoph Stamm, Wem gehören die Akten der SED? Die Auseinandersetzung um das Zentrale Parteiarchiv der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands nach 1990, Düsseldorf 2019, S. 112.

39 Die späte DDR-Rechtskultur unter Honecker war durch ausgefeilte Verschleierungstaktiken geprägt, die teilweise bizarre Züge annahmen; vgl. dazu die Beispiele bei Inga Markovits, Diener zweier Herren. DDR-Juristen zwischen Macht und Recht, Berlin 2020, S. 183.

40 Stasi-Akten bleiben in der DDR, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.9.1990.

41 Laut Christian Booß verdankte Gysi seinen kometenhaften Aufstieg unter anderem einem Fernsehinterview, in dem er sich zum neuen DDR-Reisegesetz geäußert hatte; Christian Booß, Im goldenen Käfig. Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess, Göttingen 2017, S. 711.

42 Zit. nach Stamm, Wem gehören die Akten der SED?, S. 113.

43 Andreas Malycha/ Peter Jochen Winters, Geschichte der SED. Von der Gründung bis zur Linkspartei, Bonn 2009, S. 387.

44 Laut Erzählungen ehemaliger DDR-Archivare verhinderte Pardon noch Anfang der neunziger Jahre die Übernahme nicht-linientreuer Mitarbeiter in das Zentrale Parteiarchiv; „Für einen Archivar echte Abenteuer“ – die Wende im Berufsleben gelernter DDR-Archivare, in: Forum. Das Fachmagazin des Bundesarchivs (2020), S. 104-123, S. 111.

45 Glühender Sozialist, in: Der Spiegel vom 12.1.1997.

46 Gesamte frühere DDR-Spitze durchsucht, in: die tageszeitung vom 1.4.1992.

47 Eine Konsequenz der damaligen Kontroverse war, dass sich die Justiz fortan stärker um einen Schulterschluss mit der Geschichtswissenschaft bemühte und etwa bei der Suche nach archivischen Beweismitteln professionellen Rat einholte. Auch bei der Ende 1991 geschaffenen Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen wurde es üblich, dass Verwaltungsfachleute, Datenschützer und Historiker – weniger allerdings ausgebildete Archivare – auf den Feldern der Aktenerschließung und Forschung zusammenwirkten.

48 Von Seiten früherer hochrangiger DDR-Justizfunktionäre wurde die Legitimität der Durchsuchungsaktion nicht rückblickend nur bestritten, sondern als zusätzlicher Beweis herangezogen, um den Vorwurf eines angeblich verfassungs- und gesetzeswidriger staatsanwaltschaftlichen Verfolgungseifers zu untermauern; Günther Sarge, Im Dienst des Rechts: Der oberste Richter der DDR erinnert sich, Berlin 2013.

49 Stamm, Die Sicherung des Zentralen Parteiarchivs der SED, S. 102.

50 Zit. nach Stamm, Wem gehören die Akten der SED? S. 113.

51 So ist in dem Beitrag von Angelika Menne-Haritz in Bezug auf die Zeit nach 1989/90 lediglich von Herausforderungen die Rede, ohne die archivpolitischen Entscheidungen dieser Zeit kritisch zu reflektieren; Angelika Menne-Haritz, Fragen zu einer Archivgeschichte der DDR, in: Ulrich Mählert (Hrsg.), Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, S. 139-147, S. 139.

52 Die Einrichtung einer unselbstständigen Stiftung SAPMO unter dem Dach des Bundesarchivs wurde in den folgenden Jahren immer wieder als wichtiger „Erfolg“ für die DDR-Forschung gewürdigt. Zu den Wissenschaftlern, die sich rückblickend positiv zu der Stiftungslösung äußerten, gehörten neben Martin Buchholz, Hermann Weber auch der Bochumer Historiker Bernd Faulenbach; Stamm, Wem gehören die Akten der SED? S. 137.

53 Vgl. dazu Hartmut Weber, Zum Geleit, in: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv 10 (2002) 1, S. 3.

54 Vgl. Stamm, Wem gehören die Akten der SED? S. 101f.

55 Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie, Berlin 2017, S. 333.

56 Sonia Combe, Confiscated Histories. Access to ‘Sensitive’ Government Records and Archives in France, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 10 (2013), H. 1, URL: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2013/4435 (letzter Zugriff 27.12.2021).

57 Ilko-Sascha Kowalczuk, Bemerkungen zur Zukunft der Historischen Kommunismusforschung in Deutschland, in: in: Forum, Das Fachmagazin des Bundesarchivs: Die DDR im Archiv (2020), S. 53-67, S. 53.