Das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) – Ein Datenschutzgesetz mit wachsenden Öffnungsklauseln

Diskussionsbeitrag von RA Prof. Dr. Johannes Weberling, Berlin / Frankfurt (Oder), auf der Veranstaltung „Das Unmögliche ermöglichen – 30 Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz“ am 23. November 2021

Das StUG hat insgesamt eine positive Entwicklung gemacht hat. Ich gebe freimütig zu, dass ich 1991, als das Gesetz gemacht worden ist, mit dem Gesetz in manchen Punkten nicht so richtig einverstanden war. Wir haben uns damals im Rahmen meiner politischen Tätigkeit darauf konzentriert, in den §§ 32 bis 34 StUG die Akteneinsichtsrechte für Wissenschaftler und für Medien möglichst griffig zu gestalten, damit Medienvertreter und auch Wissenschaftler tatsächlich an die Akten herankonnten. Das ist in großen Teilen auch gelungen. Im Laufe der Jahre haben sich auch die Widerstände, die Sorgen, die in der Bevölkerung bzw. gerade bei den Politikern existierten, reduziert, weil der tatsächliche Umgang mit dem StUG ein anderer als befürchtet war.

Denn Bürgerrechtler und ganz normale Menschen, die ihre Stasi-Akten gelesen haben, zogen daraus ihre persönlichen Schlüsse. Aber sie sind nicht ihren Nachbarn, ihrem Onkel oder ihrer Schwester buchstäblich „an die Gurgel gegangen“, weil diese sie bespitzelt haben. Natürlich gab es viele heftige Diskussionen. Aber die Menschen in Deutschland sind erfreulicherweise relativ friedlich und haben sich durchweg vernünftig verhalten. Nachdem man gemerkt hatte, dass die Republik durch die Öffnung der Stasi-Akten nicht in Brand geraten ist, zerstreuten sich die zunächst vorhandenen Sorgen, die jedenfalls auch nachvollziehbar waren, und das StUG wurde zunehmend liberalisiert.

Es gibt dabei aus meiner Sicht zwei große Paradigmenwechsel beim StUG. Den ersten Paradigmenwechsel verantwortete der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl. Es gilt zwar „de mortuis nihil nisi bene“. Aber Helmut Kohl hat aus meiner Sicht leider aus sehr eigensüchtigen Motiven bezüglich der Akteneinsicht in die zu seiner Person existierenden Akten einen Rechtsstreit gegen die Behörde des BStU angestrengt, der vom BVerwG 2001 zu Lasten der Behörde des BStU entschieden worden ist. Daraufhin musste das StUG geändert werden. Das ist 2002 von den Bundestagsabgeordneten immerhin maßvoll gemacht worden. Über den zweiten Paradigmenwechsel bin ich eigentlich sehr fröhlich. Durch die Novellierung des StUG Ende 2006 wurden die Möglichkeiten zur Akteneinsicht vor allem für Forscher ganz massiv erweitert. Ab diesem Zeitpunkt konnten Forscher genauso wie die Mitarbeiter der Forschungsabteilung des BStU mit Originalakten arbeiten. Das hat der Forschung über die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR einen richtigen Schub gegeben.

Ich habe damals in der von mir geleiteten Arbeitsgruppe Aufarbeitung und Recht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) selbst zwei Doktorarbeiten in Auftrag gegeben und betreut. Die Doktoranden konnten erstmals in Originalakten Einsicht nehmen, was ihnen ganz tolle neue Einsichten ermöglichte.

Vor diesem Hintergrund kann ich heute sagen: Das Gesetz ist gut. Es muss mit ihm jetzt nur noch entsprechend viel mehr gemacht werden. Es muss geforscht werden, es muss aufgearbeitet werden und es muss vor allem dafür gesorgt werden, dass die Information und Diskussion über Unwesen des Staatssicherheitsdienstes in der Schulbildung, aber auch in der Hochschulbildung zur Selbstverständlichkeit wird. Denn wir reden zu Recht über die zwölf Jahre von 1933 bis 1945. Aber wir reden viel zu wenig über das, was 1949 bis 1989 in Deutschland geschehen ist. Stasiakten dokumentieren, das hat Herr Gauck sehr eindrücklich gesagt, die gesamte Bandbreite menschlicher Niedertracht aber auch die gesamte Bandbreite menschlicher Heldentaten. Es ist alles drin. Deswegen ist es so wichtig, dass man darüber redet, dass man darüber Erfahrungen sammelt und sich mitteilt.

Mit dem heutigen StUG bin ich sehr zufrieden. Es sollte nur viel mehr zur Forschung und Bildung gerade in den Schulen genutzt werden. Notwendig ist keine Änderung des StUG, sondern dessen nachhaltige Anwendung.