Namen nennen?

Die juristische Sicht

Immer wieder kam es auch zu Rechts-Streitigkeiten über der Frage, ob man Namen von Verantwortlichen der SED-Diktatur im Rahmen der Aufarbeitung nennen kann. Inzwischen gibt es dazu eine differenzierte, relativ liberale Rechtsprechung. Hier ein Handbuchauszug:[1]

Nach dem BVerfG hat eine Person zwar einen Anspruch darauf, nicht unbegrenzt mit früheren Handlungen, Positionen und Äußerungen konfrontiert zu werden. Das Zurücktreten vergangener Sachverhalte eröffnet dem Einzelnen die Chance zum Neubeginn in Freiheit. Zur Zeitlichkeit in Freiheit gehört die Möglichkeit des Vergessens. ,,Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt aber kein Anspruch, alle personenbezogenen Informationen, die im Rahmen von Kommunikationsprozessen ausgetauscht werden, aus dem Internet entfernen zu lassen. Insbesondere gibt es kein Recht, öffentlich zugängliche Informationen nach freier Entscheidung und allein eigenen Vorstellungen zu filtem und auf die Aspekte zu begrenzen, die Betroffene für relevant oder dem eigenen Persönlichkeitsbild angemessen halten“.

Für den Grundrechtsausgleich zwischen einem Presseverlag, der seine Berichte in einem Online-Archiv bereitstellt, und dem durch die Berichte Betroffenen ist außerdem zu berücksichtigen, wieweit der Verlag zum Schutz des Betroffenen die Erschließung und Verbreitung der alten Berichte im Internet, insbesondere deren Auffindbarkeit durch Suchmaschinen bei namens—bezogenen Suchabfragen — tatsächlich verhindern kann (vgl. BVerfG K&R 2020, 51 f.). Die grundsätzliche Zulässigkeit von Online-Archiven der Medienhäuser steht daher nicht mehr in Streit  (vgl. BVerfG AfP 2020, 218ff und 302 ff;  K&R 2020, 600), Welche die Grundsatzentscheidungen weiter konkretisieren).

Keine Prangerwirkung hat regelmäßig eine Namensnennung im Zusammenhang mit Berichten über Vorgänge aus der NS- bzw. SED-Zeit. NS ,,Größen“ mit Führungspositionen dürfen auch wenn sie heute zurückgezogen leben, mit  ihrer damaligen Funktion und ihrer heutigen Position namentlich erwähnt werden (vgl. BGH NIW 1966, 2353; LG Berlin NIW 1996, 1143). Gleiches gilt heute auch für SED—,,Größen“. Auch bezüglich Personen, die in der NS-bzw. SED—Zeit nur im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen oder Vorgängen Bedeutung erlangt haben, kann ein öffentliches Interesse insbesondere im Kontext der Aufarbeitung der Vergangenheit des NS— und des SED—Regimes bestehen. Das berechtigte Interesse an der Berichterstattung gerade über die Untaten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bzw. des SED-Regimes ist gegen das Privatinteresse des Betroffenen im Hinblick auf die eher untergeordnete geschichtliche Bedeutung besonders abzuwägen (vgl. OLG Frankfurt a.M. AfP 1980, 52 f). Diese Abwägung wird bei allen Fällen von öffentlichem Interesse, vor allem an der bisher nicht abgeschlossenen Aufarbeitung einzelner Bereiche des früheren Unrechtsregimes, dazu führen, dass die Erwähnung des Ereignisses und die Namensnennung noch lebender Beteiligter zulässig ist. Das gilt insbesondere dann, wenn es um Personen geht, deren heutige Stellung so exponiert ist, dass für

deren Beurteilung ihre Vergangenheit von Bedeutung ist. So durfte die NS—Vergangenheit eines bekannten Fernseh-Showmasters erwähnt werden, wobei zu berücksichtigen war, dass Fernseh—darsteller oftmals Leitbilder sind (LG München AfP 1971, 103).

Sachlich zutreffende Berichte über historische Vorgänge sind grundsätzlich unter namentlicher Nennung der verantwortlichen Akteure zulässig (vgl. BVerfG NIW 2000, 2413 (2415). Verlautbarungen des Bundesbeauftragten für die Stasi—Unterlagen darf die Presse dabei ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen  BGH K&R 2012, 260). Die Wahl einer personalisierten Darstellung und der damit regelmäßig verbundenen Wirkungssteigerung ist Teil der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit des Äußernden (vgl. BVerfG ZUM—RD 2011, 147; KG Berlin NJW—RR 2010, 1567 5.; OLG München AfP 2011, 275 f; LG Dresden AfP 2010, 293115.; Soehring/Hoen Rn. 19.42; Weberling (2009) S. 19 ff ; Ladeur AfP 2009, 449 f.; Starke AfP 2008, 354 ff). Selbst über eine nicht final belegte, allerdings gravierende Begebenheit (,,Doping in der DDR“) kann unter Namensnennung berichtet werden, sofern alle bestehenden Recherchemöglichkeiten ausgeschöpft wurden und die verbleibende Unsicherheit hinsichtlich der angenommenen Begebenheit deutlich gemacht wird (vgl. BVerfG NIW 2016, 330). Denn ,,es ist nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären“ (vgl. BVerfG NIW 2000, 2413 (2415)).

 

 


[1] Weberling Johannes; Ricker, Reinhart: Handbuch des Presserechts. G.H. Beck. München 2021