Verpasste Chancen

Abschirmung der militärischen Nachrichtendienste

-ein internationale Zwischenruf

von Thomas Wegener Friis1

Die sogenannten „Räume der besonderen Aufmerksamkeit“ des Nachrichtendienstes der Nationalen Volksarmee der DDR auf der jütländischen Halbinsel waren während des Kalten Kriegs folgende:

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Dieses Detail der Militärgeschichte dieser Ära wird wohl leider für die Nachwelt verborgen bleiben. Sein Schicksal war, dass es im Archiv der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) landete und ebendort Schwärzungen zum Opfer fiel, als die ostdeutsche Militärspionage aufgearbeitet werden sollte.

Der Hintergrund ist, dass die Bestände des Militärischen Nachrichtendienstes der DDR nur in sehr geringem Umfang die Umbrüche des Revolutionsjahres 1989/90 unbeschadet überstanden haben. Während das Schwesterorgan des KGB in der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit, auf einmal in aller Munde war, vergaß die Welt, dass auch der sowjetische Nachrichtendienst, GRU, in Ostdeutschland einen Ableger hatte. Abseits dieses Fokus arbeiteten die Nachrichtendienstler der Nationalen Volksarmee bis zur Deutschen Wiedervereinigung weiter. Ihr Ministerium änderte zwischenzeitig den Namen in Ministerium für Abrüstung und Verteidigung und ihr Chef war kein kommunistischer Militär mehr, sondern Rainer Eppelmann, ein ehemaliger evangelischer Pfarrer − die Hauptaufgabe blieb jedoch die gleiche: Vernichtung möglichst vieler Spuren der fast 40-jährigen Spionagetätigkeit. Am Ende blieben im Wesentlichen nur noch die sogenannte „Final Intelligence“, also Analysen und Berichte über den Gegner NATO, übrig.

Die NVA-Aufklärungsoffiziere hatten jedoch bei der Aktenvernichtung ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn es blieben viele Spuren zurück. Die DDR hatte nämlich keinen eigenständigen militärischen Abschirmdienst. Diese Aufgabe übernahm die Hauptabteilung I des Ministeriums für Staatssicherheit unter der Bezeichnung „Verwaltung 2000“. Gerade in dem Verantwortungsbereich des Militärischen Nachrichtendienstes der DDR nahmen die Kollegen vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ihre Aufgabe besonders sorgfältig wahr, denn in den operativen Abteilungen des NVA-Dienstes ging etwa jeder dritte Offizier einer „Nebentätigkeit“ als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Nachbarministeriums nach. Dadurch entstand ein umfassendes Spiegelbild der nachrichtdienstlichen Arbeit der NVA. Eine glückliche Wende für der HistorikerInnen, könnte man denken.

Nur eine letzte Bastion stand zwischen diesem Spiegel und der Aufarbeitung der DDR-Spionage: Die Behörde der BStU. Während jeder IM einer Kreisdienststelle des MfS als Täter behandelt wurde, galten selbst hochrangige Offiziere des GRU-Tochterdienstes als eine Art „Opfer des SED-Regimes“; ein Schicksal, das sie beispielsweise mit Agenten des KGB teilten. Auch wenn das MfS im Grunde genommen der NVA einen Service leistete, könnte man auch die Interpretation anlegen, dass die NVA-Funktionsträger ungerechterweise von den Genossen der Verwaltung 2000 überwacht wurden. Um diesen NVA-Aufklärungsoffizieren den vollen Schutz des deutschen Rechtsstaates zu gewährleisten, standen Scharen von BStU-Sacharbeiter bereit, um deren Identität oder gar die Information, über die sie für das MfS erfasst waren, zu schützen. Bewaffnet mit sehr viel Zeit und der Lizenz zu schwärzen, steht diese Gruppe seit 30 Jahren in gewisser Weise schützend vor den Genossen des Bereichs Militärische Aufklärung, des KGB oder der GRU. Opfer der dienstlichen Beflissenheit der BStU wurden eben auch die „Räume der besonderen Aufmerksamkeit“ auf Jütland.

Die Nachwelt wird sicherlich auch ohne solche Details über den Beitrag der DDR zur Kriegsvorbereitung der Warschauer Vertragsstaaten leben können. Dennoch enthält diese kleine Anekdote im Kern wichtige Elemente, die einen Forscher durch seine lange und zwangsweise sehr langwierige Wanderung durch die Korridore der Deutschen Archiv-Bürokratie erwartet. Diese Reise wird maßgeblich durch den Einfluss der Sachbearbeiter, die Auslegung und fehlende Reformierbarkeit des Stasi-Unterlagenapparats und den Eindruck, die Aufarbeitung der Spionage im Westen sei im besten Fall zweitrangig, geprägt.

Eine Novellierung des Stasiunterlagengesetzes von 2011 ermöglichte es, dass immerhin die Verwechslungen von Personen und Orten mit vormals geschwärzten Namen verhindert werden konnten. Bei bestimmten Voraussetzungen durften Teile der Akten nämlich Wissenschaftlern zunächst entanonymisiert vorgelegt werden. Auch wenn Kopien von Akten immer noch geschwärzt herausgegeben wurden, machte diese Erleichterung in manchen Fällen überhaupt erst möglich, Akten sinnvoll zu lesen. Noch wichtiger war es wahrscheinlich, dass die Änderung des Aktenzugangs es erleichterte, dass Forscher Erkenntnisse zu denselben Personen und Themen aus verschiedenen Archiven abgleichen konnten.

 

Die große Leistung

Bei allen Mängeln und Schwächen, die das System der BStU aufweist, dürfen sie nicht die großen und einzigartig wichtigen Errungenschaften, die die Etablierung des Archivs mit sich brachten, überschatten. Seine Bedeutung für das heutige Verständnis für Nachrichtendienste kann kaum überschätzt werden.

In Europa besaßen die Nachrichtendienste – West wie Ost – zu Ende des Kalten Krieges ein sehr komfortables Informationsmonopol über sich selbst. Es war allgemein akzeptiert, dass ihre Akten entweder vernichtet oder unter Verschluss gehalten werden sollten. Deshalb war eine unabhängige Forschung zum Thema Nachrichtendienste kaum möglich. Experten konnten nicht auf der Basis eigener Fragen Akten einsehen, sondern sie waren letztendlich davon abhängig, dass ihnen die Dienste der einen oder der anderen Seite im Kalten Krieg Informationen zuspielten. Ihre Agenda war nicht die Aufklärung − und schon gar nicht die Förderung unabhängiger und kritischer Expertise − sondern entweder die eigene Imagepflege oder die Desavouierung des Gegners. Dies war schlecht für diejenigen, die sich thematisch mit den Nachrichtendiensten befassten, denn sie begaben sich unweigerlich in eine zwielichtige Welt. Der größte Verlierer in diesem Spiel war jedoch die demokratische Öffentlichkeit, die eher als manipulierbar, dann unmündig zurückstehen musste.

Ein Ende dieser bedauerlichen Lage läuteten die Menschen der Bürgerbewegung in der DDR ein. Durch die dramatische Besetzung der Stasi-Zentrale(n) entrissen sie der Staatsmacht die Kontrolle über das Fundament ihrer Macht: die Information. Dass die Bürgerbewegung auch noch in der Lage war, diese Kontrolle innerhalb des deutschen Einigungsprozess aufrechtzuerhalten und in der Gründung eines Archivs münden zu lassen, das zum Teil öffentlich blieb, bleibt einer der wichtigsten Vermächtnisse der Friedlichen Revolution. Es gab ansonsten nreichlich Akteure in Ost und in West, die lieber die Stasi geschreddert oder hinter dem Mond versteckt, als in Bürgerhand sehen wollten. Argumente dafür wurde genug geliefert: Vielleicht würden die Stasi-Akten eine „Nacht der Lange Messer“ auslösen oder vielleicht sogar im internationalen System und bei Drittländern für Unfrieden sorgen. Die meisten Argumente wurden glücklicherweise von der Hand gewiesen; lediglich die Hauptverwaltung A des MfS und der Militärische Nachrichtendienst der DDR waren in der Lage, die Bürgerrechtler so geschickt für sich zu gewinnen, dass sie weiterhin ungehindert ihre Akten vernichten konnten.

 

Ambivalente Praxis

Das Ergebnis dieses Prozesses war das Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und die Einrichtung des mächtigen Apparats der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die jährlich Abermillionen D-Mark und später Euro verschlang. Ein Kerngedanke hinter diesem Konstrukt war die Überzeugung, dass die Akten den Forschern nicht völlig ungehindert offenstehen sollten. Deshalb schuf man ein Korps von Aktenhütern, die dafür sorgten, dass die Forschung nur das bekam, was ihr zustehen sollte nach dem Prinzip der „Sachbezogenheit“. Diese Instanz sortierte dann Jahrzehnte lang die Akten vor ihrer Herausgabe.

Dieser Arbeitsvorgang erwies sich als ein grober Fehler, wenn denn eine historische Aufarbeitung gewünscht war. Schlussendlich weiß jeder Historiker, dass man viel Material durchsehen muss, das einem lediglich bedingt spannend noch wirklich relevant vorkommt, bevor man auf wirklich Bedeutsames stößt. Jeder, der eine Bibliothek besucht hat, weiß, dass neben dem Buch, was man eigentlich sucht, oft ein genauso wichtiges steht – oder vielleicht eines, das zu neuen Fragen ermuntert. Dieses grundlegende Werkzeug eines jeden Informationssuchenden externen Nutzers wurde durch die BStU genommen.

Weiterhin haben sicherlich die meisten auch die Erfahrung gemacht: je genauer man eine Sache kennt, desto besser schätzt man ein, was zur Sache gehört. Mit anderen Worten: Die Beurteilung von „Sachbezogenheit“ ist von Kenntnissen und Engagement der Aktenhüter abhängig. Manche waren gut, manch andere vielleicht nicht gerade nobelpreis-verdächtig. Selbst habe ich hervorragende Sachbearbeiter und sehr engagierte Menschen, vor allem in den Außenstellen der BStU, erlebt. Natürlich gab es vereinzelt auch das Gegenteil, bei dem man den Eindruck gewann, der Kaffee oder die ersehnte Rente hatten Vorrang vor jeder wissenschaftlichen Erkenntnis.

Das Problem bei diesem sturen bürokratischen Rahmen sind aber bei weitem nicht nur die Einzelpersonen, die diesen stellen, sondern die Tatsache, dass die Struktur kaum reformierbar war. Der Apparat wurde zum Selbstzweck. Die Unfähigkeit zur Reformierung scheint ein spezifisch deutsches Problem zu sein. In den anderen zentral- und osteuropäischen Ländern entstanden ähnliche Archive, wie etwa in Polen das Institut für Nationale Erinnerung (IPN). Das IPN entschied sich anfangs für ein Modell, das dem deutschen ähnlich war. Als sich in der Praxis zeigte, dass dieses System wissenschaftsfremd war, wurde es liberalisiert. Die Ressourcen, die in Deutschland in den bürokratischen Leerlauf gingen, konnten am IPN anderswo eingesetzt werden. Daher überstiegen der wissenschaftliche Output sowie die Geschwindigkeit der Digitalisierung in Polen bald das einstige deutsche Vorbild.

 

Ostdeutsche Lokalgeschichte oder europäisches Kulturerbe?

Die BStU hat sich bei ihrer Arbeit vor allem auf Ostdeutschland fokussiert. Es folgten Publikationen zu der Struktur von Hauptabteilungen und Abteilungen, zu Stasi in Kreis X oder Y, Stasi in der Bürgerrechtsbewegung, Stasi in der LPG oder im Betrieb, und nicht zuletzt Stasi und der Bundesbeauftragte. Unmittelbar war dies nur logisch, schlussendlich waren es doch die Ostdeutschen, die hinter der Mauer des SED-Regimes gefangen waren. Mancher würde sogar behaupten, dass dies ihre persönliche Geschichte sei und sie gehe andere gar nichts an.

Dieser Ansatz baute jedoch an der Mauer in den Köpfen weiter bzw. erhielt sie. Sie trug ungenügend zum Verständnis bei, dass die DDR und die deutsche Teilung Teil eines viel größeren geschichtlichen Zusammenhangs der Europäischen Teilung ist. Auch wenn die Menschen in Westeuropa meist in demokratischen Gesellschaften aufwuchsen: Die kommunistischen bzw. sozialistischen Diktaturen jenseits des Eisernen Vorhangs betrafen auch sie. Man könnte sogar behaupten, die Geschichte der Diktaturen ist ein Europäisches Kulturerbe. Ohne sie zu verstehen, ohne die Geschichte des ganzen Kontinents zu erfassen, bleibt das Verständnis des eigenen Horizontes ungenügend. Dabei hätte man auch zurecht große Erwartungen an die BStU als einer der reichsten Institutionen Europas auf dem Gebiet der Zeit-Geschichte stellen können. Aber statt in der Champions League der Zeitgeschichte mitzuspielen, gab die Behörde sich öfters mit der DDR-Oberliga zufrieden. Auch die Hoffnung, dass ein Bundesbeauftragter, der über Erfahrungen in West wie Ost verfügte, zu einem Engagement jenseits der „Zonengrenze“ führen würde, verpuffte bald.

Bezeichnend für die niedrige Ambitionsschwelle der BStU war der Auftritt eines damaligen Bundesbeauftragten bei der Jubiläumstagung anlässlich des 15ten Jahrestages der polnischen Schwesterbehörde. Für die deutschen Vertreter wurde die gesamte Tagung in Gänze und simultan ins Deutsche übersetzt. Diese Geste und Mühe hätten sich die polnischen Kollegen sparen können, denn viel wurde von diesem Angebot nicht in Anspruch genommen, da nach dem eigenen Auftritt der Gast aus Deutschland als bald wieder das Weite suchte. Er schaffte er es lediglich, die Leistungen der eigenen Behörde ausgiebig zu loben.

Eine praktische Hinderung der internationalen Begegnungen und Zusammenarbeit war und ist selbstverständlich die Sprachbarriere. Denn außerhalb des engen deutschen Sprachraums wird in der Regel auf Englisch kommuniziert, eine Sprache, die nicht jeder beherrscht. Aber die BStU hatte 30 Jahre und Milliarden von Euro zur Verfügung; sicherlich wäre es möglich gewesen, die Lingua Franca der heutigen Zeit zu erlernen, falls denn Interesse an die Welt außerhalb der Grenzen der einstigen DDR besteht.

Bezeichnend für dieses Scheitern des Dialogs auf europäischer und internationaler Ebene war die Tagung der International Intelligence History Association 2019, die in Ostberlin also direkt vor der Haustür der Zentrale der Behörde stattfand. Die Forscher tagten zwar auf Englisch und sogar von Freitagnachmittag bis Sonntag; dennoch glänzte der BStU durch seine Abwesenheit. Wie konnte es sein, dass sich unter etwa 1300 Mitarbeiter kaum jemand für diese Geschichte interessierte. Redner reisten aus der Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden oder Kroatien an, um über nachrichtendienstliche Tätigkeiten in Berlin und der DDR zu referieren, aber niemand von der BStU schaffte die vier Kilometer Entfernung von ihrem Hauptquartier zur Tagungsstätte, um die Ergebnisse ihrer drei Jahrzehnte andauernden Tätigkeit zu referieren.

Wichtige potenzielle Anknüpfungspunkte für die Aufarbeitung wären Außenpolitik, Spionage zwischen Ost und West und Militärische Planung gewesen. Diese Themen böten die Möglichkeit, sich auch der westdeutschen und westeuropäischen Öffentlichkeit zu öffnen und sich als relevante Partner westlicher Forschung zu präsentieren. Einzelforscher der Forschungsabteilung der BStU haben in den vergangenen Jahren auch wichtige Beiträge zu Themen wie KSZE, Aktive Maßnahmen oder die Geschichte der Hauptverwaltung A des MfS geleistet. Falls sich hinter dem Einsatz dieser Einzelkämpfer institutionelle Unterstützung und Rückhalt verborgen haben sollte, war dies gut versteckt. In der Aufarbeitung der nachrichtendienstlichen Tätigkeit der DDR im Ausland lieferte die BStU in den vergangenen Jahren statt Anregungen für die Forschung viel zu oft vor allem internen Streit.

Dabei wäre ein aktives Interesse der BStU an der Aufarbeitung der Westarbeit der ostdeutschen Nachrichtendienste begrüßenswert gewesen. Die Nachrichtendienstler des MfS, der NVA, des KGB und der GRU hatten zwar oft verbrannte Erde hinterlassen, aber selbst unter den gegebenen Bedingungen wäre man in 30 Jahren weiter gewesen, hätte sich dieser zentrale Akteur für transnationale Themenkomplexe ehrlich interessiert.

Eine letzte persönliche Anekdote meiner eigenen ersten Erfahrungen mit der BStU, die, obwohl sie mehr als zwanzig Jahren zurück liegen, sich in die Erinnerung eingeprägt haben. Mein erster Antrag an diese Behörde betraf die nachrichtendienstliche Arbeit der DDR in meinem Heimatland Dänemark. Der erste Kontakt mit der Behörde stellte ein Anruf einer Referatsleiterin dar, die mir ein Angebot machte. Statt diesem irrsinnigen Antrag in Gänze zu entsprechen, wäre sie bereit, eine Art Fertiggericht zum Thema Auslandsspionage anzubieten: einen IM-Fall – schon Enttarnungsbereit, denn sonst müssten „meine Mitarbeiter sich Jahre mit ihrem Thema befassen“. Sicherlich war das ein gut gemeinter Rat, aber auf einen jungen Wissenschaftler, der vor allem die Welt der Nachrichtendienste verstehen wollte, machte dies den Eindruck eines geradezu mephistolischen Angebotes. Es deutete eine fehlende Bereitschaft von behördlicher Seite, das Thema der Auslandsspionage anzupacken, deutlich an.

 

Neue Perspektiven im Bundesarchiv?

Das Fazit einer Außenwahrnehmung nach 30 Jahren ist gemischt. Die Öffnung der Akten war ein einzigartig mutiger Schritt, der historische Anerkennung verdient. Bei der praktischen Umsetzung stellte die Bundesrepublik sich jedoch auf dem Weg bürokratische Beine, verpasste Chancen der multilateralen Aufarbeitung und der Digitalisierung. Dies passierte gewiss nicht in böser Absicht, sondern weil man sich auf unbekanntes Terrain begab und weil man außerstande war, den Kurs des sich jetzt in Bewegung befindlichen Akten-Supertankers noch zu ändern. Viele Mitarbeiter haben in den Jahren individuell ihr Bestes gegeben und als Nutzer freue ich mich auf das Engagement und die Kompetenz, die es auch in diesem Haus gibt. Leider bot die BStU keine ausreichenden Rahmenbedingungen, die es vermochten, das Engagement von vielen HistorikerInnen hinreichend zu nutzen.

Ob der Wechsel ins Bundesarchiv die Entbürokratisierung fördern wird, ist eine offene Frage. Ein normalisierter Zugang zu den Stasi-Akten wäre auf jeden Fall begrüßenswert. Mit der DDR in mittlerweile beträchtlicherem zeitlichem Abstand sollte einer Historisierung hoffentlich nicht mehr allzu viel im Wege stehen und somit einhergehend auch eine Reformierung des Apparates möglich sein.

Internationale Impulse sind nicht länger zu erwarten. Dieser Zug war bereits von Jahren abgefahren, während der Bundesbeauftragte immer noch im Wartezimmer saß und sein Social Media Profil aktualisierte. Für die deutsche Forschungslandschaft ist es aber lange nicht zu spät. Deutschland hat viele fähige ForscherInnen, die massenweise Ergebnisse und Erkenntnisse erbringen, die für Europa interessant und relevant sind. Manchmal muss man sich aus Berlin heraus und in die weite Welt wagen, um dem eigenen Horizont gerecht zu werden – den sprichwörtlichen Blick über den Tellerrand.

1 Associate Professor, am Department of History und am Centre for Cold War Studies an der Universität auf Süddänemark

2 Die xxx stehen für die schwarzen Striche, die das Stasiarchiv auf der Aktenkopie hinterlassen hat. BA: MfS HA I 1653: Aufklärungsobjekte in Dänemark/folgende laufende AM-Vorgänge, 1988.