Verbot mit Erlaubnisvorbehalt

von Christian Booß1

Vor 30 Jahren verabschiedete der Deutsche Bundestag das Stasi-Unterlagen-Gesetz Der Zugang zu Geheimpolizeiakten war nicht nur in Deutschland ein Novum in der Archivlandschaft.

Beinahe wären die „Akten weggewesen“, erinnert der ehemalige Direktor der Stasi-Unterlagenbehörde, der spätere Verfassungsschutz und BND-Präsident Hans Jörg Geiger an die aufregenden Tage der Deutschen Vereinigung. Die Episode, die zeigt, wie dicht es an der großangelegten Aktenvernichtung war, ist heute vergessen, nachdem jahrelang Enthüllungen aus den Stasiakten zum fast täglichen Grundrauschen des Medienwaldes gehörte und das Stasi-Archiv seit diesem Jahr in den festen und soliden Händen des Bundesarchives ist. Doch noch 1990 stand die Aktenfrage auf der Kippe. Erst vor 30 Jahren, nachdem der Bundestag am 14. November das Stasiunterlagengesetz in lebhafter zweiter Lesung beschlossen hatte, bekam die Stasi-Akteneinsicht rechtlich soliden Grund.

Zuvor waren Ost und West aneinandergeraten. In der untergehenden DDR wollte man die Akten bewahren und ein – gemäßigtes – Akteneinsichtsrecht. Im Westen fürchtete man Massenenthüllungen, auch über die deutschen Eliten, deren Telefone die Stasi effektiv abgehört hatte. Die Bundesrepublik hatte einen Zerstörungsmechanismus ersonnen, der bis heute kaum bekannt ist. Die Innenministerkonferenz hatte vor der Vereinigung beschlossen, rechtsstaatswidrig erstellte Akten, so sie in die Hände bundesdeutscher Stellen gelangen sollten, ungelesen zu vernichten. So war es schon vor dem 3. Oktober 1990 Praxis, sofern wenn man in den Besitz von Abhörprotokollen gelangte, die offenbar von Stasi-Leuten gehandelt wurden. Mit dem Datum der deutschen Einheit wären auch massenweise weitere Akten zu vernichten gewesen.

Doch dem beredten Volkskammerabgeordneten Joachim Gauck, war es gelungen, beide Seiten runterzuhandeln. Ein Revolutionär mit Staatsräson – eine Eigenschaft, die ihm den Posten des ersten Aktenverwahrers sicherte und ihn schließlich an die Spitze der Bundesrepublik beförderte. Die Volkskammer verzichtete auf die Übernahme ihres eigenen Akten-Gesetzes in den Einigungsvertrag. Der „Westen“ schluckte das Bekenntnis zur Aktenöffnung. Nur was das konkret bedeutete, war vollkommen unklar. Gauck wurde Herr der Akten mit einem kleinen Stab von getreuen, aber bunt zusammengewürfelten Bürgerrechtlern. Ihm zur Seite stand ein Aufbaustab aus Westbeamten, allesamt keine wirklichen Spezialisten für den Osten und Archive. In den Außenarchiven in den ehemaligen DDR-Bezirksstädten saßen meist Bürgerrechtler ohne Verwaltungserfahrung; in Berlin im Archiv nach wie vor Stasileute, denen allein man zutraute, das komplexe Archiv zu durchschauen. Im Archiv saß, oft auch physisch, der damalige Präsident des Bundesarchivs, Friedrich Kahlenberg, der eine neue Ordnung in die Akten bringen sollte, aber quasi auch als Aufpasser für Gauck vorgesehen war, nachdem die Bundesregierung sich nicht mit ihrer Vorstellung hatte durchsetzen können, die Restakten dem Bundesarchiv zur Verwahrung zu geben.

Unklarheiten in der Übergangsphase nach der Deutschen Einheit 1990/91

Nur, eine Regelung wie angesichts des Kompromisses im Einigungsvertrag mit den Akten umzugehen sei, gab es nicht. Nur konträre Vorstellungen. Die einen wollten die giftigen Akten verschlossen halten und dezimieren, die anderen zur Aufarbeitung öffnen. Bundestag und Bundesregierung ließen sich Zeit, wie vom Einigungsvertrag vorgegeben, ein Gesetz zu schaffen. Was in den Monaten bis Ende 1991 in den Archiven geschah, darüber gehen die Schilderungen weit auseinander. Die einen verweisen stolz darauf, wie mit Hilfe von Soldaten der Bundeswehr und des damaligen Grenzschutzes die Akten für die öffentliche Benutzung vorsortiert wurden. Intakte Personaldossiers, meist schon an der Farbe erkenntlich, wurden aus den Aktenbergen herausgezogen und auffindbar in Regale gestellt. Selbst die 16.000 Säcke mit zerrissenen Unterlagen wurden schon einmal grob gesichtet. Andere kritisierten schon damals, dass die Akten für die Öffentlichkeit, für Bürger wie Forscher, in dieser Zeit gesperrt waren. „Wir waren draußen und die Stasileute drinnen“, schilderte eine Stasi-Auflöserin die groteske Berliner Situation. In den Monaten nach der Einheit wurde mehrere Bürgerrechtler herausgedrängt, weil die Bundesbeamten ihnen misstrauten, sie könnten den Datenschutz verletzen. Nachrichtendienste hatten schon im Frühjahr das Kanzleramt eindringlich vor den Bürgerkomitees, die im Dezember 1989 die Bezirksstellen der Stasi besetzt hatten, gewarnt und gemahnt, sie nicht an die Akten zu lassen. Diese sahen ihrerseits mit Skepsis, dass die Akten in die Hände der bundesdeutschen Verwaltung gehen würden. Sie befürchteten, dass die Bundesrepublik diese wegsperren oder gar für eigene nachrichtendienstliche Zwecke missbrauchen könne. Daher plädierten sie dafür, dass die ostdeutschen Länder die Archive übernehmen sollten. Manche Stasi-Auflöser im Süden der ehemaligen DDR, händigten rund um die Deutsche Einheit Akten und Überwachungsdossiers sogar direkt an Betroffene aus. Durchaus prominente Oppositionelle sollen auf diese Weise in den Besitz ihrer Originalakte gekommen sein und sie erst Jahre später reumütig dem Archiv überstellt haben. Bei der Aktion „jedem seine Akte“ gingen offenbar auch Papiere an Nachrichtenhändler und auf dunklen Wegen sogar an Landesverfassungsschutzämter.

Bis heute wird auch gemunkelt, dass in dieser Zeit ohnehin nachrichtendienstliches Personal, das sich offiziell als Mitarbeiter von Verwaltungsämtern ausgab, monatelang in den Akten stöberte. In den Jahren danach seien Akten aus Verfassungsschutzämtern rücküberstellt worden, von denen keiner wusste, wie sie dort hingelangt waren. Alles nur Gerüchte? Das Misstrauen war gesät und belastete auch die Diskussionen, als sich der Bundestag schließlich doch an das versprochene Akteneinsichtsgesetz machte. Das Neue Forum, vertreten durch die damals bekannte Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe, sah in dem Gesetz vorrangig den Versuch, westlichen Diensten weiterhin Zugang zu den Akten einzuräumen. Ganz falsch war der Vorwurf nicht. Laut dem späteren Gesetz durften die westlichen Dienste viele Stasi-Akten, die sie und ihre Sicherheitsinteressen betrafen, dem Archiv entnehmen, ohne das bis heute klar ist, welche genau. Aber ein Zugriff auf die Bürgerdaten ist ihnen verwehrt, abgesehen von eng umrissenen Straftatbeständen wie Terrorismus etc. Mit der einseitigen kritischen Schwerpunktsetzung verfehlte das Neue Forum die eigentliche historische Bedeutung der Aktenöffnung.

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) 1991

Das Stasiunterlagengesetz, das im November 1991 Kontur annahm, machte die umstrittenen Akten nämlich weiter auf, als es die Bundesregierung je gewollt hatte. Sie befürchtete Zerwürfnisse und Verwerfungen, wenn die Bürger erführen, wer sie bespitzelt hatte. Eine Fehleinschätzung, wie sich herausstellen sollte, für die sich der damalige Innenminister, Wolfgang Schäuble, inzwischen bei den Ostdeutschen entschuldigte. Über die damalige Entwicklung zur Aktenöffnung war nicht nur der Bundesdatenschutzbeauftragte irritiert. Ein paar Jahre zuvor hatte das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes das informationelle Selbstbestimmungsbestimmungsrecht proklamiert, das Mantra des Datenschutzes seither. Das Bundesdatenschutzrecht begrenzte in Ausformung des höchstrichterlichen Gedankens die Datensammelei des Staates und verbot die Speicherung rechtsstaatswidriger Akten. Der damalige Zeitgeist West stand dem Aktenöffnungsbegehren Ost gegenüber. Weil nicht rechtsstaatsmäßig erlangt, dürften die Akten nicht vom Staat vorgehalten werden und eingesehen werden. In einer Expertenanhörung im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens des Bundestages im August 1991 prallten die Auffassungen noch aufeinander.

Es war dann aber kurioserweise gerade ein Datenschützer, der die salomonische Lösung fand. Joachim Gauck, der Hüter der Akten, hatte sich listiger Weise an der Bundesexekutive vorbei, einen Direktor in Gestalt eines kompetenten bayerischen Datenschützers geholt: Hans-Jörg Geiger, der später Karriere bei den bundesdeutschen Nachrichtendiensten machen sollte. Geiger verwies darauf, dass die Akten für die strafrechtliche Aufarbeitung, Sicherheitsüberprüfungen im öffentlichen Dienst, die Rehabilitierung der Opfer, etc. zumindest vorübergehend unverzichtbar seien. Gerade der Datenschutz aber gebiete, dass dann betroffene Bürger ihre Akten einsehen dürften. Damit wurde der Grundstein für die persönliche Akteneinsicht gelegt, das spätere 100.000fach geübte Massengeschäft der Stasiunterlagenbehörde und die eigentliche Überraschung der Aufarbeitung. Noch die DDR-Volkskammer war restriktiver bei der Akteneinsicht gewesen, weil man Mord und Totschlag fürchtete, eine These, die übrigens von der Stasi selbst in die Welt gesetzt worden war, um die Aktenöffnung zu verhindern. Der Bundestag beschloss in einer fraktionsübergreifenden Koalition am 14. November das Stasi-Unterlagengesetz in zweiter und dritter Lesung mit der datenschutzrechtlichen Kompromissformel. Kurz zuvor noch hatten Journalisten und Verleger die Muskeln spielen lassen, mit Klage gedroht, falls ihre Akteneinsichtsrechte nicht berücksichtigt würden.

Die parlamentarische Debatte selbst verlief fast schon feierlich und stellte die „Stasi-Opfer in den Mittelpunkt“. So etwa, der kürzlich verstorbene Mainzer Abgeordnete Johannes Gerster (CDU), der damit zugleich deutlich machte, dass die Idee der Aufarbeitung inzwischen auch an der Rheinschiene angekommen war. Der sozialdemokratische Abgeordnete Rolf Schwanitz aus Plauen sah in der Aktenöffnung auch ein Mittel zur Aufdeckung von Seilschaften. Auch wenn die Bündnis90-Abgeordneten sich wegen Kritik im Detail nicht zur Zustimmung entscheiden konnten, bekannte sich der Altoppositionelle Gerd Poppe doch zur Philosophie des Gesetzes, dass die schmerzliche Wahrheit weniger zu fürchten sei als der reibungslose Übergang zu einer neuen Tagesordnung. Lediglich die Vertreterin der PDS, die Westlinke Ulla Jelpke, ätzte, das Gesetz beraube die Menschen ihrer Geschichte in der ehemaligen DDR. Mit dem Gesetz verbanden sich sicher auch Illusionen. Der in der DDR oppositionelle Pfarrer Rainer Eppelmann erhoffte sich einen Anstoß zur Täter-Opfer-Aussprache und damit zur „Versöhnung“.

Der Praxistest ab 1992

Die Ostdeutschen jedenfalls verstanden die Offerte des Gesetzgebers. Als die Behörde dann nach Inkrafttreten des Gesetzes am 2. Januar 1992 das erste Mal das Archiv für Bürger öffnete, konnte es sich des Ansturmes, damals noch in der Ostberliner Behrensstraße, kaum erwehren. Die vorbereiteten Anträge waren binnen weniger Stunden vergriffen. Es war die Bild-Zeitung, die sie spontan nachdruckte. Medial gut inszeniert, durften prominente Dissidenten und Gegängelte des SED-Staates als Erste ihre Folianten einsehen. Meldungen über die Zahl der Bände und Seiten ihrer Überwachungsakten und die Zahl der auf sie angesetzten inoffiziellen Mitarbeiter wurden in Folge fast täglich berichtet, wie heute die Corona-Inzidenzzahlen. Ähnlich dem medizinischen Schnellkurs derzeit, trainierten sich damals viele den erforderlichen Fachjargon an. Könner wussten bald den OV (Überwachungsvorgang) von der OPK (kleinerer Kontrollvorgang), den Feld-Wald-und-Wiesen IM-S (Inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit) von dem bösen IMB (mit Feind-Berührung) zu unterscheiden und nickten wissend, wenn jemand von der A-Maßnahme (Abhöraktion) gegen ihn berichtete. Sicher, ohne ein Minimum an Fachkenntnis ist das Stasi-Kauderwelsch in den Akten kaum zu dekodieren. Aber ein wenig ging man dem alten System damals auch auf den Leim, in dem jede Stasipetitesse wichtiger genommen wurde, als das Systemunrecht, was eigentlich die Staatspartei SED zu verantworten hatte. Feind-Freund-Denken, an dem schon die Stasi gescheitert war, beherrschte nun auch manchen Enthüller, dem der Sinn für Zwischentöne abhandenkam, nur eben jetzt mit umgekehrten Vorzeichen. Andererseits wurde auch beachtliches Wissen akkumuliert und übers Ganze gerechnet, auch differenziert geurteilt.

Zwischenbilanz

Die Habenseite der Aktenöffnung liegt klar auf der Hand: Opferrehabilitierung, Gewissheit v.a. der Ostdeutschen über politisch-geheimpolizeiliche Eingriffe in ihre Biographie; schon ambivalenter: die Überprüfung des öffentlichen Dienstes. Sie bot Schutz vor Seilschaften, überdiskriminierte aber vergleichsweise kleine IM gegenüber Funktionären, die ungeschoren davonkamen. Größere Versöhnungsinitiativen, fast an einer Hand abzählbar, sind wohl eher gescheitert, obwohl es sie im Privaten schon hier und da gegeben hat.

Historische Erkenntnisse gab es natürlich zuhauf. Aber die Gefahr der Stasifizierung der DDR-Geschichte war diesen Akten und ihrem Zugang von vornherein immanent. Die vom Volk gesicherten Stasi-Akten sind in Summe besser als die anderer Institutionen, die genug Zeit hatten, sie zu säubern und somit ihren Anteil an der politisch-sozialen Kontrolle der DDR-Bevölkerung zu kaschieren. Beispielhaft seien nur die Abschnittsbevollmächtigten, die Volkspolizisten vor Ort oder die Schülerakten genannt. Kurioserweise war es auch gerade der umstrittene bürokratische Zugang zu den Akten, der vielen Stasi-Akten zur Furore verhalf. Der strenge Datenschutz machte es erforderlich, dass Sachbearbeiter „der Behörde“, nicht Wissenschaftler und Journalisten, die oft mühselige Aktenrecherche erledigten. Das machte zwar den schwarzen Strich, die Anonymisierung von geschützten Informationen geradezu zum Symbol der Behörde. Aber dieser Hilfsdienst erlaubte auch schnelle Enthüllungen und damit Schlagzeilen zu wirklichen oder vermeintlichen IM, deren Akten offengelegt wurden. Das Geheimnisumwitterte faszinierte, das Skandalpotential lockte an. Auch die Wissenschaft konnte sich dieser Sogkraft nicht vollkommen entziehen. Manches wurde in den 90er Jahren als eine Art Zwei-Kampf der Stasi mit der Bevölkerung bzw. der Opposition dargestellt, was in Wirklichkeit komplexere Vorgänge waren.

Geklagt wurde gegen dieses Archiv mehr als gegen jedes andere. Die Stasi-Frage war lange Zeit ein Karrierekiller, die Motivation, gegen Aktenveröffentlichungen juristisch vorzugehen, groß. Doch trotz sogar höchstrichterlicher Entscheidungen, hat das Grundgerüst der Stasi-Unterlagengesetze gehalten.

Prominente wie der Linken-Politiker Gregor Gysi oder der seinerzeitige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe scheiterten beim Versuch, den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen mundtot zu machen und zu verhindern, dass schon Verdachtsakten an Journalisten, Wissenschaftler und Parlamentarische Ausschüsse gingen. Stasi-Mitarbeitern gelang es ebenso wenig, ihre Anonymität durchzusetzen. Im Kern blieb das „StUG“, aller bürokratischer Zugangshürden zum Trotz, ein Aufarbeitungsgesetz, wie von der Volkskammer gewollt. Einer der vielleicht schwersten juristischen Schläge jedoch war, dass das 2004 von Altkanzler Helmut Kohl erstrittene Urteil vor dem Bundesverwaltungsgericht, befand, dass unbescholtene Personen der Zeitgeschichte wie er es nicht hinnehmen müssten, dass Andere ohne ihre Zustimmung Inhalte lesen, die rechtsstaatswidrig erlangt worden waren. Damit stellte des Oberste Verwaltungsgericht noch einmal klar, dass das Stasi-Unterlagengesetz nach wie vor kein normales Archivgesetz war und ist, sondern ein Datenschutzgesetz mit archivischen Öffnungsklauseln. Ein Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt, wie Spezialisten formulieren.

Mit solchen Klauseln wurde das Gesetz über die Jahre hinweg immer mehr durchlöchert wie ein Käse. Das ursprüngliche Recht der Betroffenen, Akten teilweise zu schwärzen oder gar zu tilgen, wurde gestrichen. Sogar die Einsicht in Betroffenenakten 30 Jahre nach Tod soll es für berechtigte Anliegen jetzt geben. Ein Zugeständnis an Historiker und Hinterbliebene. Eine Novellierung mit Zustimmung der Opfer, die bei der ursprünglichen Lösung hätten fürchten müssen, dass ihre Konflikte mit dem SED-Staat a la longue in Vergessenheit geraten würden. Während anfangs nur Behördenwissenschaftler in ungeschwärzte Akten einsehen durften, können dies inzwischen auch Fachwissenschaftler tun, wenn sie zusichern bei der Veröffentlichung, wie in „normalen“ Archiven üblich, die Persönlichkeitsrechte zu respektieren.

Gelockert, aber keineswegs aufgehoben ist damit jedoch die grundsätzlich datenschutzrechtliche Konstruktion des Gesetzes. Auch bei der Novellierung des Stasiunterlagengesetzes 2020, als der Bundestag den Übergang der Akten in das Bundesarchiv beschloss, wurde das heikle Thema nicht angegangen: Wieviel Öffnungslöcher verträgt das Stasiunterlagengesetz; bzw. wann sind es so viele, dass man die Akten einem normalen Archivbestand gleichstellen kann. Die salomonische Formel, die 1991 die Stasi-Aktenöffnung mit strengen Einschränkungen möglich machte, hat bis heute keiner gewagt, anzutasten.

1Der Autor: Geboren in Westberlin. Studium Geschichte, Germanistik, FUB. Hörfunk- und Fernsehjournalist, u.a Reisekorrespondent und Hauptstadtkorrespondent für den SFB in der DDR bzw. Ostdeutschland 1989-1993, „Kontraste“, 1994 ORB „Klartext“ . Pressesprecher der Stasiunterlagenbehörde ab 2001. Forschungskoordinator in der Stasi-Unterlagen-Behörde ab 2007. Ab 2016 Vors, des Aufarbeitungsvereins Bürgerkomitee 15. Januar e.V.. Ab 2019 Forschungskoordinator Europa-Universität Viadrina. 2017 Promotion zum Dr. jur. über Rechtsanwälte und politische Prozesse in der DDR.