MEINE STASI – eine Spurensuche zwischen Profession und Privatem

Akteneinsicht mit der Kamera

von Hans-Jürgen Börner1

Stasi – das Wort hatte schon mit dem Beginn meiner Tätigkeit als ARD-Korrespondent in der DDR von 1986-89 eine besondere Bedeutung. Als Fernsehmann fielen mir die sich merkwürdig desinteressiert gebenden männlichen Personen auf, die an allen Straßenecken Ost-Berlins herumlungerten, unauffällig in plastefarbene Blousons gekleidet und mit Knirps und Dederon-Beutel an den Handgelenken.

Bei Dreharbeiten rückten sie dann näher und bei Situationen, die nicht vorher angemeldet waren, schritten sie auch ein: Drehverbot, Aufforderung den Platz oder die Straße zu verlassen. Manchmal gab es offizielle Abmahnungen vom Stasi-Offizier in besonderem Einsatz, getarnt als journalistischer „Betreuer“ im Außenministerium. Mehr als ein Dutzend informelle Mitarbeiter waren auf mich angesetzt, wie sich später herausstellen sollte. Es gab keinen Lebensbereich, der nicht durch Zuträger der Stasi infiltriert und ausgespäht wurde. Das waren die äußerlichen Bedingungen, die zum Alltag eines Fernsehkorrespondenten in der anderen Deutschen Republik gehörten.

20 Jahre später im Frühjahr 2008, zum Ende meiner festangestellten Tätigkeit im NDR, wollte ich es noch mal genauer wissen mit der Stasi. Ich hatte rund 1800 Seiten meiner Stasi-Akten studiert, erfahren, dass ich unter „Titus“ geführt worden war. Über meine Akten wollte ich einen Film produzieren, unter dem Titel „Meine Stasi“.

Dieses Filmvorhaben erleichterte die damit verbundene Aufgabe, Menschen, die mich bespitzelt hatten, aufzusuchen und um ein klärendes Gespräch zu bitten. Erst einmal ohne und dann auch mit Kamera. Denn die Möglichkeit, sich vor der Kamera zu erklären und damit indirekt zu entschuldigen, haben die intelligenteren unter „meinen“ IM zu nutzen gewusst.

So äußert sich die ehemalige Pressesprecherin der Meißener Porzellanmanufaktur Bettina Schuster zu ihrer Stasivergangenheit:

Warum war ich´s denn gerade? Ja! Die Frage kann ich mir nicht beantworten. Die stelle ich mir tausend Mal. Warum war ich´s gerade? Vielleicht war ich geil auf diesen Job! Vielleicht! Und wollte ihn partout behalten.“

Es ist grotesk, wenn man im Gespräch erfährt, was der Anlass der Spitzel-Berichte war. Bettina Schuster hatte ein Satz in meinem früheren Bericht über die Porzellanmanufaktur missfallen:

Neben der Form und dem harmonischen Dekor gibt es ein drittes Element, was die Schönheit des Porzellans für viele erklärbar macht. Die Farbe Blau; die auch in sozialistischer Zeit nicht durch Rot ersetzt worden ist.“

Ironie als ein Angriff auf den Sozialismus? Bettina Schuster erklärte es mir so:

Eben diese, beispielsweise eben diese Geschichte mit dem Blau-Rot. Das gehörte meines Erachtens da nicht hin! So! Und insofern muss ich sagen, hab‘ ich mir da auch irgendwo Frust vom Herzen geschrieben.“ Zitat aus den IM-Akten von Frau Schuster als IM „Fuchs“: Natürlich bedeutet jeder Tag weitere Drehzeit ein mehr an Risiko. Andererseits ist die Möglichkeit, dass Börner einen großen Eimer Dreck über uns auskippt, eine große Gefahr.“

Auch der ehemalige Leiter der Palucca-Tanzschule Dresden, Rainer Walter, bekennt offen, dass er für die Stasi gearbeitet hat, um die berühmte Palucca zu schützen - dafür zu sorgen, dass die Palucca in der DDR bleibt, nicht in den Westen geht:

Zitat aus den IM-Akten „Tom“:

B. wirkt offensichtlich auf die Palucca ein, um sie zum Verlassen der DDR zu inspirieren und nutzt dabei den Charakter der P., und ihr hohes Alter aus. Ausgehend davon ist eine Reaktion der Palucca im o.g. Sinn nicht auszuschließen.“

Walter im O-Ton 2008 dazu:

Um sie zu schützen. Um zu sagen, das ist die Palucca. Und die ist hier. Und die bleibt hier.“ Der Stasi-Spitzel Walter überstand die Wende. Er wurde als Direktor der Palucca-Schule noch bis 1994 gebraucht.

In Bad Elster, dem berühmtesten Kurbad der DDR, spricht ein IM dann offen über seine Not und darüber, wie er zur Stasi-Zusammenarbeit gezwungen wurde: Ein Freund hatte Flugblätter zum Prager Frühling verteilt, die Stasi unterstellte Mitwisserschaft und drohte mit Gefängnis und Enteignung. Also spitzelt IM „Klaus Fichte“, beobachtet genau, wie der Korrespondent arbeitet und was der so vorhat: „Börner verwies darauf, dass sie ein Lebensmittelgeschäft filmen wollten, dies aber nicht sofort konnten, weil der Geschäftsführer erst die Regale auffüllen wollte.“

Ernst Brüch, ein verantwortlicher Sekretär des Rates des Kreises, IM „Rudolf“, gesteht heute: „Ich bin mir heute bewusst, tief im Herzen bewusst, dass diese Tätigkeit teuflisch war.“

Der hauptamtliche Stasi-Hauptmann, Manfred Mohr, der mich besonders im Visier hatte, überwachende Maßnahmen veranlasste, die Spitzel-Berichte der IM auswertete, schrieb Dossiers über mich:

Das subversive Wirken des Börner… die Berichterstattung des Börner ist teilweise durch unsaubere und oberflächliche Recherche und tendenziöse Texte bzw. Auswahl der Interview- bzw. Umfragepartner gekennzeichnet. – Gezeichnet Mohr, Hauptmann.“

Im Frühjahr 2008 finde ich ihn in Zossen. Es kommt zu einem kurzen Wortwechsel vor der Kamera:

Mohr: „Für mich ist das jetzt zwanzig Jahre her. Die Sache ist für mich abgeschlossen. Und ich stehe für ein Gespräch nicht zur Verfügung. Guten Tag!

- Nee, Sie können doch nicht einfach der Vergangenheit ausweichen, Herr Mohr. Das können Sie nicht machen. Das geht nicht! Das ist Geschichte! Man muss doch Geschichte aufarbeiten!

- Wenn Sie das möchten, bitte – ich nicht! Auf Wiedersehen!“

Manfred Mohr, und das gehört zu den eindringlichsten Erfahrungen aus der Beschäftigung mit meinen Stasi-Akten, Manfred Mohr arbeitet nach der Wende als freier Sportjournalist bei der Märkischen Allgemeinen in Zossen. Sein Arbeitgeber ist Bolko Bouché, Inhaber einer Presseagentur. Durch Recherche kommt heraus, dass auch Bouché IM war. Erst von mir vor der Kamera mit dieser Tatsache konfrontiert, gesteht er – und hakt es als unfreundliches Kapitel ab:

Ich wurde als Student 1985 eingeladen. Und ich wusste eigentlich nicht so richtig, um was es bei dieser ganzen Geschichte geht. Das erfuhr ich erst kurz vor Abschluss des Studiums. Es war nämlich vorgesehen, dass ich mich nach dem Studium absetzen sollte in den Westen, um dort in einer Zeitung – oder wie auch immer – zu arbeiten. Möglichst schnell Karriere zu machen. Ich habe in dieser Zeit auch Berichte über Leute geschrieben.

- Wie sehen Sie das heute?

Tja, Fehler!“

Die Verantwortlichen der Zeitung hatten zwar ein Problem mit der Tatsache, dass der ehemalige Stasi-Hauptmann Mohr für sie indirekt arbeitet, aber andererseits, so argumentierte der zuständige stellvertretende Chefredakteur Lothar Mahrla im Jahr 2008, hätten die Menschen 1989 gerufen „Stasi in die Produktion!“

Persönlich werden die Erfahrungen durch die Beschäftigung mit „meinen“ Stasi-Akten durch die Entdeckung, dass ein Freund, der Puppenspieler Günter Gerlach, mich bespitzelt hat, um seine Karriere zu befördern und ins Ausland reisen zu können. Auch der Ehemann meiner Cousine hat mich und meine Eltern verraten, um seinen Job als Direktor einer Magdeburger Großwäscherei abzusichern. Meine Cousine Martina aus Magdeburg hat sich von ihrem Mann getrennt, nachdem die Stasi-Tätigkeit bekannt geworden war. Sie bringt das Problem mit der Stasi-Spitzelei auf den Punkt:

Weil das ne freiwillige Sache ist. Ich kann nämlich NEIN sagen. Das habe ich im Nachhinein auch erfahren. Dass man keine Verwandten bespitzeln muss. [bei Nachbarn] weiß ich nicht, ob Du da auch ...NEIN sagen kannst. Aber normalerweise kannst Du auch Schriftstücke verfassen, die sind so allgemein, da kannst Du gar nichts draus sehen. Aber Verwandtschaft muss nicht. Da kann man von vorneherein sagen: NEIN – das weiß ich. Und das ist das Verwerfliche!“

Mit der Erkenntnis meiner Cousine ist gleichzeitig das boshafte, das menschenverachtende System eines Staatssicherheitsdienstes in einem Unrechtsstaat erlebt und beschrieben: Die Privatsphäre existiert hier nicht. Jeder Bürger ist ein potenzieller Feind des Sozialismus und der muss im Zweifel nicht nur bekämpft, sondern ausgeschaltet werden. Die Freiheit des Einzelnen ist durch das System Staatssicherheit bedroht! Das muss sich jeder ins Bewusstsein rufen, der sich mit Stasi-Akten beschäftigt. Da gibt es keinen Schlussstrich und die Auseinandersetzung mit der Stasi stellt sich immer neu. Auch 30 Jahre, nachdem die Stasi-Akten in der Unterlagen-Behörde zugänglich geworden sind.

 

1 Hans-Jürgen Börner, geboren 1945 in Göttingen, studierte Politische Wissenschaften, Germanistik und Theaterwissenschaften in Hamburg. Seine journalistische Karriere begann 1970 mit einem Volontariat bei der Deutschen Wochenschau. 1973 ging er zum Norddeutschen Rundfunk und arbeitete zunächst als Redakteur bei der Tagesschau. Von 1974 bis 1976 lebte er im Sultanat von Oman und baute als stellvertretender Chefredakteur das Fernsehprogramm auf. Zurück in Hamburg war er als Redakteur und Reporter beim NDR-Zeitgeschehen, bei Panorama, extra-drei und in der Feature-Abteilung. Er moderierte seine ersten Live-Sendungen. Von September 1986 bis August 1989 wohnte Hans-Jürgen Börner u.a. in Ost-Berlin und berichtete als ARD-Korrespondent aus der DDR. Nach seiner Rückkehr in den Westen wurde er Leiter und Moderator des Politmagazins extra-drei, das er zum ersten deutschen Satire-Magazin weiterentwickelte. Ab 1991 leitete er zusätzlich die Programmgruppe Aktuelles und Magazine und entwarf die Sendung DAS!, das erste Boulevardmagazin im deutschen Fernsehen. Verantwortlich war Hans-Jürgen Börner außerdem für NDR-vor-acht, für N3-aktuell und für Talk-vor-Mitternacht, eine politische Diskussionssendung, in der er als Moderator Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft empfing. In der Zeit von 1996 bis 2004 war er zusätzlich stellvertretender Chefredakteur des NDR-Fernsehens, Programmbereich Zeitgeschehen. Danach wirkte Hans-Jürgen Börner am Aufbau der Abteilung Dokumentation und Reportage mit und arbeitete bis zu seiner Pensionierung im Sommer 2008 als Sonderkorrespondent. In freier Tätigkeit ist Hans-Jürgen Börner als Medienberater, Producer, Autor und Dozent tätig. Er ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Jesteburg, südlich von Hamburg.