Kindheitserinnerungen

Von Hartmut Richter

Oft war ich als Kind, 1948 geboren, in Ferienlagern, habe in Nachtgeländespielen mit der Volksarmee als Jungpionier die "DDR" gegen Bonner Ultras verteidigt, NATO-Käfer von Feldern gesammelt. Ich war aber auch bei Verwandten in West-Berlin aber auch bei meinen Großeltern väterlicherseits in Hennigsdorf. Als einziger Enkel hatte ich dann bestimmt, wohin es zu gehen hat. Da war das "Haus des Kindes" in der Stalinallee. In der obersten Etage war ein kleines Karussel. Danach ging es dann in den Tierpark nach Friedrichsfelde. Eines Tages stellte ich fest, dass das überdimensionale Stalindenkmal verschwunden war. "Oma, wo ist denn das Mörderdenkmal geblieben?" Ich erinnere, dass meine liebe Oma kreidebleich wurde und mir den Mund zuhielt. Menschen im Umfeld schienen auch plötzlich erstarrt. In der U-Bahn schaute Oma sehr beunruhigt in die Runde. Erst im Tierpark hatte sie sich etwas beruhigt, fragte aber, als wir etwas aßen im Tierparkrestaurant, ob der Mann mit dem grünen Lederolmantel und stechendem Blick am Tisch gegenüber schon in der U-Bahn gewesen wäre. Erst später konnte ich mir die damalige Reaktion meiner Oma erklären. Wenn bei Familienfeiern mit viel Alkohol komische Lieder, die wir im Kindergarten nicht sangen, gesungen und diskutiert wurde, wie der Krieg hätte gewonnen werden können, war immer nur von Stalin, dem Verbrecher und Mörder die Rede. Gezwungenermaßen wurden 1956 Straßen umbenannt, Stalinstadt wurde zu Eisenhüttenstadt, die Dimension der Verbrechen Stalins wurde aber erst nach der Implosion des Sowjetsystems durch Werke wie das "Schwarzbuch des Kommunismus" bekannt. Im Ostblock vorher sowieso nicht, und auch im Westen hat man sich seit Beginn der Entspannungspolitik nicht mehr damit befassen wollen. Hätte dies doch den komplizierten Prozess des "Wandels durch Annäherung" gefährden können. Alten Genossen, die sich einst als "Avantgarde des Proletariats", Vorhut der Arbeiterklasse, sahen, ist diese noch heute vorhandene Unwissenheit in weiten Teilen sehr recht. Können sie doch gegenüber Kindern und Enkelkindern ihre Verbrechen schönreden und relativieren. Das Nachsehen haben ehemals Verfolgte, die um Anerkennung ihrer durch das SED-Regime zugefügten Beschädigungen streiten müssen.