MIT TRANSITVISUM DURCH DIE SOWJETUNION

von Karl-Heinz Bomberg, Februar 2013

Es war das Jahr 1978. Ich studierte Medizin in Leipzig und stand kurz vor dem Physikum.

Neben dem Studium reiste ich viel durch die kleine DDR und in die Ostblockländer. Von irgendwoher hatte ich gehört, dass man von Polen nach Rumänien oder Bulgarien durch die UdSSR mit einem Transitvisum reisen konnte. Manche der Transitreisenden blieben dann länger dort und drangen sogar weit ins Landesinnere vor. Das weckte meine Abenteuerlust und stillte mein Fernweh.

Bei einem Mittagsausflug im Januar 2013 erinnerte ich mich, wie  ich 35 Jahr zuvor an einer  Bank in dem besuchten Kiez Geld für den Sommerurlaub 1978 tauschte. Da war ein Gefühl wieder da aus Reiselust und einer gewissen Unsicherheit, einer Anstrengung.

Nach einem solchen Urlaub war ich urlaubsreif. Bei der ersten Tour weigerten wir uns von Warschau nach Kiew, Platzkarten im Zug zu nehmen, weil noch genug freie Plätze waren.

Wir wurden von Abteil zu Abteil geschickt, bis wir vor die Alternative gestellt waren Platzkarten oder Ausstieg.  Angekommen in Kiew und Odessa, erfuhren wir von DDR-Leuten, dass auch auf der Rückreise die Nutzung des Transitvisums möglich sei. Nach den Aufenthalten in Rumänien und Ungarn zögerten wir nicht lange, kauften in Budapest eine Flugzeugfahrkarte und landeten bald in Leningrad. In Warschau mussten wir umsteigen. Dabei berührten sich 2 Reisegruppen. Plötzlich wurden wir gefragt, ob wir nach Leningrad

oder Zürich fliegen. Das war hinter den Kontrollen. Der mitreisende Freund sah mich an und sagte: Was wäre gekommen, wenn wir Zürich geantwortet hätten?

Die 2. Transitreise führte mich 1979 zum ersten Mal in den Erdteil Asien. Das war aufregend.

In Kiew verpasste ich das Fugzeug  nach Taschkent. Wie ich am Folgetag erfuhr, erging es einem Bulgaren ähnlich. Die Reisegesellschaft INTOURIST, verantwortlich für ausländische Reisende, hatte auch ihn zu spät losgehen lassen. Im 2.Anlauf waren wir erfolgreich, und ich durfte am Fenster sitzen. In Taschkent verabschiedeten wir uns und wünschten uns alles Gute für die weitere Reise. Das brauchte ich, denn in der subtropischen Hitze ereiltE mich bald der obligatorische Reisedurchfall. Vorzeitig reiste ich über Bulgarien zurück und traf auf dem Flughafen eine Gruppe DDR-Studenten, die ebenfalls vorzeitig abreisten, nachdem sie in der Hitze bei Dachdeckerarbeiten dekompensiert waren.

Die Rücktransitreise  in diesem Jahr wurde mir 2 Mal verweigert: Zunächst scheiterte ich mit dem Zug an der ungarisch-ukrainischen Grenze, dann mit dem Flugzeug in Leningrad.

1980 war Sommerolympiade in Moskau. Das erleichterte möglicherweise meine Transitreise nach Sibirien. Auf der Reiseanlage für DDR-Bürger war die Mongolei durchgestrichen wie unterstreichen. Diese optische Unschärfe ließ mich bis Irkutsk am Baikalsee fliegen.  Zuvor hatte mir eine freundliche Reisesekretärin in Kiew(die vielleicht etwas für Hippies übrighatte) ein Flugzeugticket von Kiew über Moskau und Nowosibirsk nach Irkutsk ausgestellt. Mit dem Schlafsack übernachtete ich auf dem Busbahnhof. Als ich mir am nächsten Tag eine Busfahr- karte nach Listwjanka zum Baikalsee kaufen wollte, schaute die Kartenverkäuferin weg. Auch der Kontrolleur im Bus, wo ich dann bezahlen wollte, übersah mich.

Als ich nach Irkutsk zurückgekehrt war, wurde ich auf der Straße von einer Kontrolle ange- halten. Das Gespräch in der Dienstselle konzentrierte sich auf meine Reiseabsichten und schließlich die Reiseunterlagen. Wie lange, so die Frage des Offiziers dürfe ich mich eigentlich in der UdSSR aufhalten? Als ich die Antwort hinauszögerte, sagte ein anderer, in Zivil gekleideter Herr, dass auf der Reiseanlage etwas von 6 Monaten stehe. Alle zeigten sich nun zufrieden. Plötzlich fragte einer der Anwesenden, was b. w. bedeute? Nun saß ich in der Falle. Wenn ich - bitte wenden - wörtlich übersetzt hätte, dann wäre alles herausgekommen. Was nun? Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen. B. W. bedeutet – bei Visum – also wieder 6 Monate. Die Offiziere waren erneut zufrieden – keiner hatte beanstandet, dass man Visum nicht mit „w“ schreibt – und mit guten Wünschen für die weitere Reise durfte ich

gehen. Auf der Rückreise wurden wir in der Heldenstadt Kertsch ohne  negative Konse-   quenzen kontrolliert. Als wir in Jalta auf der Krim in einem wunderschönen Park unter freiem Himmel schliefen, war uns bewusst, dass das in Budapest nicht so einfach gewesen wäre.

In Sewastopol – einer für Ausländer gesperrten Stadt – stiegen 2 DDR.Tramper mit auf das Tragflächenboot nach Odessa. Zuvor hatten wir den großen Achachat gesehen, Tbilissi und

Jerewan.

Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Leipzig ging es im September 1980 gleich wieder in die UdSSR zu einem Studentenaustausch nach Moskau. Da diese Reise ganz offiziellen Charakter hatte, möchte ich lediglich erwähnen, dass ich in einem Park russische Hippies kennenlernte. Einer lud mich zu sich nach Hause ein. Seine Mutter war Dolmetscherin für Deutsch, und ich glaube Französisch. Hier entstand ein engerer Kontakt, der leider noch in den 1980iger Jahren abbrach.

Die letzte UdSSR-Transitreise brachte meine Frau und mich 1982 über Moskau nach Mittelasien: Usbekistan, Kirgisien, Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenien und weiter bis Aserbaidshan. Da wir in Moskau keine Zug- Platzkarte für Mittelasien bekamen, griffen wir zur Selbsthilfe. Als der Zug einfuhr, trugen wir Wagennummer und später den Platz selber ein. Natürlich waren die Plätze besetzt. Was tun? Ein freundlicher Waggonschaffner hatte irgendwie Verständnis. Ohne es direkt anzusprechen, handelte er. Die Oberkontrolleurin wurde von ihm überzeugt, dass alles seine Richtigkeit habe. Etwa 400 km hinter Moskau stiegen viele Fahrgäste aus. Bis dahin konnte auf Notplätzen überbrückt werden. Mit einem deutlich leereren Zug erreichten wir dann Frunse.

Wenn ich heute an diese Zeit denke, sage ich mir, dass es gut war, die Reisen so unternom- men zu haben. Die positiven Erlebnisse sind stärker als die durchlittenen Hindernisse.

In Kürze reisen wir mit ein paar Kollegen nach Sankt Petersburg. Das bürokratische Beantragen des Russland- Visum weckt Wutgefühle von früher. Vielleicht sollten wir doch wieder mit Transitvisum reisen?