Ein unterschätzter Haftort: Die Untersuchungshaftanstalt Magdalenenstraße in Berlin

Von Peter Erler und Sebastian Stude,
zusammengefasst und bearbeitet von Christian Booß und Uta Gerlant[1][2]

Mit seinem Buch »Magdalena« hat der Dissident Jürgen Fuchs der Haftanstalt in Berlin-Lichtenberg ein Denkmal gesetzt.[3] Doch bis heute steht der jetzige Frauenknast im Schatten des ehemaligen großen Stasi-Haftkomplexes in Berlin-Hohenschönhausen. Zu Unrecht, wie neue Studien zeigen. Die Hafteinrichtung in der Magdalenenstraße war ein zentraler Ort der umstrittenen stalinistischen Nachkriegsjustiz im besetzten Deutschland. Als Untersuchungshaftanstalt II (UHA II) war es neben Hohenschönhausen das wichtigste Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit. Was lange übersehen wurde: Die UHA I im Sperrbezirk von Hohenschönhausen bildete mit der UHA II in der Magdalenenstraße eine Funktionseinheit.

Ursprung in der Kaiserzeit

Die Außenfassade lässt bis heute den Ursprung des Gebäudes in der Kaiserzeit erkennen. Als Lichtenberg noch ein Vorort von Berlin war, wurde das Gefängnis in der Magdalenenstraße als Gefängnis des neuen Amtsgerichts Lichtenberg errichtet - nicht zuletzt wegen der industrialisierungsbedingt rapide wachsenden Bevölkerung.[4] Am 1. Juni 1906 nahm das preußisch-königliche Amtsgericht Lichtenberg den Justizbetrieb auf.[5] Das viergeschossige Gefängnis befand sich hinter dem Gerichtsgebäude.[6] Es hatte Zellen für 125 Insassen, die sich alle auf der Innenhofseite der Anlage befanden, so dass von der Straße aus kein Blick- oder Rufkontakt mit den Gefangenen möglich war. Auch ein großer Betsaal war hier integriert.

Im Jahr 1936 ging der bis dahin kommunale Justizkomplex auf das Reich über, das ihn weiter als Männer-Gefängnis nutzte.[7]

Ab 1940 wurde die Haftanstalt als »Frauenjugendgefängnis Lichtenberg«[8] für Minderjährige und Frauen unter 21 Jahren genutzt, die aus dem Berliner Frauengefängnis in der Barnimstraße 10 ausgegliedert wurden. Die wenigsten waren kriminell, viele waren nach damaliger Zeitauffassung der Prostitution beschuldigt. [9]

Zu den Insassinnen gehörten neben deutschen Delinquentinnen auch minderjährige Polinnen und Zwangsarbeiterinnen aus der Sowjetunion.[10]

Am 9. März 1944 wurde der Dachstuhl durch alliierte Fliegerangriffe erheblich zerstört. Zur Reparatur wurde auch ein Arbeitskommando aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden eingesetzt, darunter der Dachdecker Erich Honecker und sein Haftkamerad, der Maurer Erich Hahnke. Beiden politischen Häftlingen gelang am 6. März 1945 in einer tollkühnen Aktion die Flucht. Der spätere SED-Chef Honecker fand jedoch keinen sicheren Unterschlupf in Berlin. Mit Hilfe von Gefängnispersonal gelang es ihm, unentdeckt wieder in den Strafgefangenenbautrupp aufgenommen zu werden, um zu überleben.[11]

Als Gefängnis Nr. 6 unter sowjetischer Verwaltung (1945 bis 1953)

Zum Kriegsende requirierten die sowjetischen Besatzungsorgane die Haftanstalt und integrierten sie in ihr Repressionssystem. Schon vor der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht in Berlin eroberten und besetzten am 22. April 1945 Verbände der Roten Armee den Stadtbezirk Lichtenberg.[12] Kurz danach nahmen nachrückende Einheiten der militärischen Abwehr Smersch (»Tod den Spionen«) und des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) die leer stehende[13], an der Magdalenen- und Albrechtstraße gelegenen Haftanstalt in Beschlag. Noch vor Beendigung der letzten Kampfhandlungen in Berlin begannen die vorher instruierten NKWD- und Smersch-Einheiten mit der »Säuberung des Hinterlandes […] von feindlichen Elementen«[14]. Sie inhaftierten zahlreiche deutsche Zivilisten, die beruflich dem NS-Regime gedient oder sich für dieses weltanschaulich exponiert hatten; auch Angehörige des Vollzugspersonals der Lichtenberger Haftanstalt waren davon betroffen.

Die Geheimpolizei NKWD nutzte die Verwahranstalt zunächst als ein sogenanntes Etappengefängnis (»Peresylnaja Tjurma«)[15]. Dort wurden Marschkolonnen von Häftlingen zum Abtransport in die sowjetischen Speziallager Weesow und Hohenschönhausen zusammengestellt.[16]

Der Lichtenberger Gewahrsamsort wurde ab August 1945 als »Gefängnis Nr. 6« geführt. Faktisch wurde er von der Untersuchungsabteilung des geheimpolizeilichen Bereiches des NKWD und ab 1946 des Ministerium für Staatssicherheit (MGB) kontrolliert und als Gerichts- bzw. Tribunalgefängnis sowie als Etappengefängnis benutzt.[17] Dort befand sich der zentrale Gerichtsstandort des Sowjetischen Militärtribunals (SMT) der Berliner Garnison. Neben den von der Geheimpolizei festgesetzten Personen saßen hier auch verurteilte Strafgefangene, die nach ihrer Verurteilung auf den Abtransport in ein Speziallager oder in ein Straflager in der Sowjetunion warten mussten. Das Gefängnis diente also nicht nur der Untersuchungshaft, sondern war auch Gerichts- und teilweise Vollzugsort.

Im ersten Nachkriegsjahr war das Gefängnis völlig überbelegt. Nach Angaben einer Gefangenen mussten sich Mitte Juni 1945 in ihrer Zelle fünf Frauen eine Pritsche teilen. »Bei den Männern [war die Belegungssituation] oft noch schlimmer«.[18]

Die Haftanstalt wurde nun mit einer Kapazität von 400 Plätzen[19] ausgewiesen, war aber mit zeitweise 620 Personen (1946) deutlich überbelegt. Danach ging die Zahl der Anstaltsinsassen auf durchschnittlich 170 meist männliche Gefangene zurück.[20] Bei allen Unwägbarkeiten ist nach Quellenlage von einer Gesamtbelegung von ungefähr 8.000 bis 9.000 Personen auszugehen.[21]

Bemerkenswert ist der Anteil von ausländischen Insassen.[22] Er lag im November 1946 bei rund 51 Prozent.[23] Die größte nichtdeutsche Gruppe stellten Russen und Angehörige anderer im Moskauer Imperium lebender Völker, Emigranten, die Russland nach 1917 verlassen hatten und sogenannte »Vaterlandsverräter«, die auf der Seite des Kriegsgegners gekämpft hatten, ferner Soldaten und Offiziere der Roten Armee, die auf unterschiedliche Art straffällig geworden waren, sowie einzeln oder gruppenweise aus der Sowjetunion in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) eingesickerte Kriminelle.

Im Vergleich zu den sowjetischen Speziallagern in der SBZ war die Sterberate im Gefängnis mit durchschnittlich 0,5 Prozent gering, was wohl auf die relativ kurze Verweildauer zurückzuführen ist.[24] Gleichwohl gehörten in Berlin-Lichtenberg Schikanen und Willkürhandlungen, so u. a. Diebstahl persönlicher Gegenstände und von Bekleidungsstücken[25] sowie tätliche Übergriffe gegenüber den Insassen zum Haftalltag.[26] Dabei nahmen die Aufseher »keine Rücksicht auf Kranke oder auf werdende Mütter«.[27] Vergewaltigungen durch die häufig betrunkenen Wärter waren an der Tagesordnung.[28] Während eines Ausbruchsversuches am 10. Oktober 1946 starben vier Häftlinge. Ein weiterer Gefangener und ein Wärter wurden schwer verletzt.[29]

Das Gefängnis lag mitten in einem Wohngebiet und war durch einen für sowjetische Militärobjekte typischen olivgrünen Bretterzaun mit mehreren hölzernen Wachtürmen, auf denen jeweils ein großer Scheinwerfer montiert war, von der Außenwelt abgeriegelt.[30] Die Offiziere des Gefängnispersonals wohnten in der unmittelbaren Nachbarschaft in beschlagnahmten Wohnhäusern.

Militärtribunalpraxis bis 1947

Das Sowjetische Militärtribunal (SMT) tagte seit Mai 1945 im ehemaligen Betsaal im Westflügel des Anstaltsgebäudes, dessen Wände mit roten Tüchern drapiert waren.[31] Das Militärgericht der sowjetischen Garnison von Berlin tagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Strafen waren hart; oft wurde in kurzen Prozessen die Höchststrafe – also Tod durch Erschießen - verhängt. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand verurteilte das SMT bis Januar 1947 mindestens 98 Deutsche - darunter eine Frau - zum Tode.[32] Soweit erkennbar wurden den Angeklagten konkrete Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, andere NS-Delikte sowie bewaffnete Widerstandshandlungen gegen die sowjetische Besatzungsmacht vorgeworfen. Bei weiteren Betroffenen begründeten die Militärjuristen die Verhängung der Höchststrafe mit deren allgemeinen politisch-ideologischen, beruflichen oder militärischen Aktivitäten für das NS-Regime.[33] Unter ihnen waren ehemalige Gestapomitarbeiter und deren Zuträger, Aufseher aus Konzentrationslagern, Zivilisten, denen die Misshandlung von Zwangsarbeitern oder die Beteiligung an der Deportation jüdischer Bürger vorgeworfen wurde, sowie Autoren antisowjetischer Schriften. In einigen Fällen wurden Personen zum Tode verurteilt, die kritischer Äußerungen, des Waffenbesitzes und sogenannter Werwolf-Aktivitäten[34] bezichtigt wurden. Die Beschuldigten hatten keine Möglichkeiten, sich zu verteidigen. Sie erhielten keine Akteneinsicht und hatten keinen Verteidiger. Sie konnten lediglich Begnadigungsanträge in Moskau stellen, die zumeist abgelehnt wurden. Erst ab 1953 war es Deutschen möglich, Berufung gegen die SMT-Urteile einzulegen.[35]

Es sind daher weniger die Vorwürfe gegen NS-Täter als die gravierenden Rechtsstaatsdefizite, die die SMT-»Rechtsprüche« als eklatante Unrechtsurteile erscheinen lassen.

Über die Hinrichtungsorte der zum Tode Verurteilten[36] gibt es nur vage und schwer verifizierbare Angaben. Für die Behauptung, dass Personen auf dem Gelände des Gefängnisses Nr. 6 erschossen wurden,[37] gibt es keine Quellenbelege. Hinweise legen nahe, dass sie außerhalb Berlins erschossen worden sind.[38]

Die Zäsur im Jahr 1947

1947 gerieten in der SBZ und in Berlin bereits im zeitlichen Umfeld der Zwangsfusion von KPD und SPD zunehmend Einzelpersonen und organisierte Personengruppen, die eine offen oppositionelle oder kritische Haltung zur politischen Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) einnahmen, in die Fänge der sowjetischen Sicherheitsorgane. Zu denen, die sich gegen die schrittweise konstituierende ostdeutsche Parteiendiktatur und das undemokratische Besatzungsregime auflehnten, gehörten neben Liberaldemokraten CDU-Mitglieder, illegal agierende Sozialdemokraten und Angehörige studentischer Widerstandsgruppen. Aber auch als unzuverlässig angesehene Mitglieder der SED, ehemalige Mitglieder der KPD oder kommunistischer und linkssozialistischer Splittergruppen sowie andere Antifaschisten, darunter auch solche, die schon unter Hitler in Gefängnissen oder Konzentrationslagern eingesessen hatten, gerieten ins Visier der sowjetischen Geheimpolizei. Mit dem Zerfall der Antihitlerkoalition und dem Ausbruch des Kalten Krieges kamen auch immer mehr Gefangene nach Berlin-Lichtenberg, die für westliche Geheimdienste tätig waren oder aus anderen, oft fadenscheinigen Gründen unter Spionageverdacht geraten waren.

Daher hatten ab etwa 1947 die Einlieferungen in ihrer übergroßen Mehrheit einen politischen Hintergrund[39] und betrafen nach sowjetischem Rechtsverständnis »konterrevolutionäre Verbrechen«, die im Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik unter Paragraph 58 zusammengefasst waren. Sogenannte Nazi-Täter traten zu dieser Zeit als Insassen des Gefängnisses Nr. 6 nur noch selten in Erscheinung.[40] Bedeutend blieb dagegen der Anteil der ursprünglich aus Russland bzw. der Sowjetunion stammenden Häftlinge, darunter mehrheitlich Armeeangehörige und andere Mitarbeiter des Besatzungsapparates. Auch bei ihnen dominierte nun der Spionagevorwurf.[41]

Am 26. Mai 1947 wurde durch Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets die Todesstrafe vorübergehend aufgehoben. Sie wurde durch die neue Höchststrafe, eine 25-jährige Lagerhaft, ersetzt. 1950 wurde die Todesstrafe wieder eingeführt.

Für die Verhängung der Höchststrafe war allein das SMT 48240 zuständig, das nun in der Magdalenenstraße tagte. Bis 1952 führte es auch Gerichtsverfahren an anderen Orten der DDR durch. Das SMT 48240 war in der DDR das oberste sowjetische Militärgericht und agierte zudem als Einspruchs- und Kontrollinstanz gegenüber den untergeordneten Armeetribunalen.[42] Es verurteilte über eintausend deutsche Männer und Frauen zum Tod durch Erschießen.[43] Im Gefängnis Nr. 6 selbst fällte es mindestens 105 Todesurteile, von denen 87 vollstreckt wurden.[44] Über 90 Prozent der Todeskandidaten wurde »Spionage« als Hauptdelikt unterstellt. In der übergroßen Mehrzahl der erfassten Todesfälle führte das neu gebildete MfS die Festnahme und auch die Erstvernehmungen durch.

Die Exekutionen wurden ab 1950 zentral in Moskau durchgeführt. Die letzten in Moskau vollstreckten Todesurteile von in Berlin-Lichtenberg verurteilten Inhaftierten betraf nach gegenwärtigem Kenntnisstand Heinz Schnoor (verurteilt am 29. Dezember 1952) und Paul Kober (verurteilt am 15. Januar 1953). Beide wurden am 31. März 1953 in Moskau hingerichtet.[45]

Übergabe des Gefängnisses an das MfS

Nach Gründung der DDR 1949 reduzierte die sowjetische Geheimpolizei allmählich ihre Tätigkeit in Ostdeutschland und übergab immer mehr Aufgaben den DDR-Behörden. In Stalins Todesjahr 1953 verminderte sich die Anzahl der Verurteilungen deutscher Staatsangehöriger durch SMTs im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Viertel.[46]

Am 20. September 1953 trat das sowjetische Innenministerium MWD die Verwaltungshoheit über die Haftanstalt auf dem Grundstück Magdalenenstraße 14/Alfredstraße 11 an das MfS ab. Eine dafür ausgefertigte Urkunde in russischer Sprache trägt die Unterschrift des damals zweiten Mannes in der DDR-Geheimpolizei, Staatssekretär Erich Mielke.

Die »Freunde«, wie die sowjetischen Organe im MfS genannt wurden, gaben das Verwahrgebäude in Berlin-Lichtenberg jedoch noch nicht vollständig ab. Die sowjetischen Geheimpolizisten und Militärjuristen brachten weiterhin Verhaftete in den Zellen 104 bis 130 in der vierten Etage des Gefängnisgebäudes unter und nutzten den umfunktionierten Betsaal weiterhin als Gerichtssaal. Für den Zeitraum Ende September 1953 bis Herbst 1955 sind 78 weitere Einweisungen von deutschen Frauen und Männern durch die sowjetische Geheimpolizei in das Gefängnis in Berlin-Lichtenberg namentlich belegt.[47] Der Großteil von ihnen gelangte von dort in ein DDR-Zuchthaus[48] oder in sowjetische Haftarbeitslager.

»Magdalena« in MfS-Regie (1959-1989)

Für die praktische Umsetzung ihres politischen Generalauftrages – die Absicherung der SED-Herrschaft – unterhielt die Stasi in der Hauptstadt Ost-Berlin zwei zentrale Untersuchungshaftanstalten – die Untersuchungshaftanstalt I in Berlin-Hohenschönhausen und die Untersuchungshaftanstalt II in Berlin-Lichtenberg, sowie eine für die Berliner Bezirksverwaltung zunächst in Prenzlauer Berg und dann in Pankow.[49] Betrieb, Sicherung und Kontrolle der Stasi-Untersuchungshaftanstalten lagen in den Händen der Abteilung XIV (Haftvollzug), wobei Mitarbeiter der Unterabteilung XIV/3 für die Sicherung und Kontrolle der UHA II in Berlin-Lichtenberg zuständig waren. Von Oktober 1967 bis Dezember 1989 leitete Rolf Donath (*1931) die Einrichtung. Für die Strafermittlungen war das Untersuchungsorgan, die Hauptabteilung IX, zuständig. Sie unterstand seit ihrer Gründung 1950 bis 1989 durchgängig Erich Mielke, was ihre Bedeutung unterstreicht.[50]

Die UHA II war ab 1954 der zentrale Standort der DDR-Staatssicherheit für die Untersuchung von Militärstraftaten. Für die Bearbeitung der entsprechenden Vorgänge war die Abteilung 6 der Hauptabteilung IX zuständig. Zu Beginn der 1950er Jahre lag die Verantwortung für Aufklärung von Delikten bei den Verbänden der Kasernierten Volkspolizei noch bei der Untersuchungsabteilung der Hauptabteilung I. Ursprünglich war diese Abteilung auf dem Gelände der UHA I in Berlin-Hohenschönhausen angesiedelt. 1954 wurden ihr als neues Standortquartier Räumlichkeiten im Verwaltungstrakt des Gefängnisses Magdalenenstraße zugeteilt. Ab diesem Zeitpunkt erfolgte auch die Untersuchungshaft für die Mehrzahl der sogenannten Militärstraftäter und von Personen, die der Militärspionage verdächtigt wurden, in der UHA II.

Wie aus diversen »Vermerken« über Dienstbesprechungen mit den Leitungskadern der HA I aus den Jahren 1954 und 1955 ersichtlich ist, stand die Untersuchungsabteilung I/9 bei der Bekämpfung von »Zersetzungserscheinungen« und Spionageaktivitäten sowie der Eindämmung von Befehlsmissachtungen und Disziplinverstößen in den militärischen Polizeiverbänden an vorderster Front. Dabei konzentrierte sich die Repressionspraxis auf zurückkehrende Deserteure, Offiziere und deren Angehörige mit sogenannten Westverbindungen, auf Personen aus West-Berlin oder der Bundesrepublik, die Kontakt zu Angehörigen der Kasernierten Volkspolizei (KVP) suchten oder bereits hatten, sowie auf Prostituierte in der Nähe von Kasernen. 1954 übergab die Abteilung I/9 die Unterlagen von über 300 Untersuchungsgefangenen an die zuständigen Staatsanwaltschaften zur Anklageerhebung. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der aufgedeckten Spionagefälle weiter an.[51] Daraus leitete Staatssekretär Ernst Wollweber auf einer Dienstberatung der HA I am 4. April 1955 ab, dass »die KVP [...] für den Gegner das wichtigste Objekt in der DDR« sei. Weiter referierte er: »Wir müssen auch dann handeln, wenn von vornherein noch nicht immer klar ist, ob alle juristischen Formalitäten für die Übernahme für den Staatsanwalt vorhanden sind. [...] Wir werden diejenigen Leute verhaften, wo wir der Meinung sind, daß sie ins Gefängnis müssen.«[52] 1958 wurde die Abteilung I/9 umbenannt und als Abteilung 6 der Hauptabteilung IX unterstellt.

Eine DDR-weit herausgehobene Aufgabe nahm die zentrale Untersuchungshaftanstalt II in Berlin-Lichtenberg dadurch ein, dass hier außerdem alle Sprechkontakte der Untersuchungsgefangenen der UHA I mit Angehörigen und Verteidigern und spätestens seit Mitte der 1970er Jahre fast sämtliche Besuche inhaftierter Ausländer durch Botschafts- und Konsulatsmitarbeiter stattfanden. Durch diese Konzentration sollte eine weitestmögliche »Konspiration und Geheimhaltung« des Systems der Stasi-Untersuchungshaft sowie »eine qualifizierte Absicherung der Diplomatenbesuche« erzielt werden. Leitend zuständig für dieses Verfahren war die Abteilung IX/10; wenigstens einer ihrer Mitarbeiter nahm an diesen Besuchstreffen teil, überwachte sie und fertigte Notizen sowie einen schriftlichen Bericht dazu an. Ausnahmen galten für sowjetische und polnische Inhaftierte, die zusätzlich auch in den Stasi-Untersuchungshaftanstalten in Rostock, Leipzig und Karl-Marx-Stadt diplomatische Besuche empfangen durften. Alle übrigen ausländischen Inhaftierten wurden zu den »Sprechern« mit Diplomaten, Rechtsanwälten oder Familienangehörigen kurzzeitig nach Berlin-Lichtenberg gebracht.[53]

Die überlieferten Registrierbücher (Indexe) dokumentieren für den Komplex Magdalenenstraße im Zeitraum von 1953 bis 1989 insgesamt 8.471 Häftlingseingänge. Die in den Büchern fortgeschriebenen Häftlingsnummern belegen zudem, dass bereits am vorherigen Standort der UHA II in der Kissingenstraße bis September 1953 1.808 weitere Untersuchungsgefangene inhaftiert waren. Vergleicht man die einzelnen Einträge in den Ein- und Abgangsbüchern der UHA I und der UHA II, so wird deutlich, dass sich beide Anstalten in großem Maße zueinander wie kommunizierende Röhren verhielten.

Die übliche Bezeichnung »Untersuchungshaftanstalt« deckt nicht alle Aufgaben der UHA II ab. Denn in dem Komplex zwischen Magdalenenstraße und Alfredstraße fanden auch Befragungen von verdächtigen Personen sowie von Zeugen statt. Entgegen anderslautenden Annahmen[54] waren hier auch Strafgefangene während des Vollzugs ihrer Freiheitsstrafe aus »Gründen der Gewährleistung der Konspiration«, »Sicherheitserfordernissen« oder »politisch-operativen Gründen« untergebracht. Das konnten ehemalige Angehörige des Staatssicherheitsdienstes oder anderer Schutz- und Sicherheitsorgane sowie deren Familienangehörige, ehemalige politisch-operative Funktionsträger sowie deren Familienangehörige, Geheimnisträger, Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi und andere politisch-operativ bedeutsame Personen sein. Die Betroffenen mussten organisiert in zwei kleinen Strafgefangenenarbeitskommandos (SGAK) als Handwerker und Reinigungskräfte diverse Arbeiten für den Erhalt der UHA II durchführen.

Die Haftanstalt lag in der unmittelbaren Nachbarschaft des Ministeriums für Staatssicherheit und grenzte im Norden direkt an das Stadtbezirksgericht Lichtenberg am Roedeliusplatz 1. Die Magdalenenstraße war für den Autoverkehr gesperrt, aber für Fußgänger offen. Als Besucheradresse fungierte die Alfredstraße 11. Das Wohngebäude in der Magdalenenstraße 12 bewohnten Mitte der 1980er Jahre ausschließlich Stasi-Offiziere der Abteilung XIV mit ihren Familien. Mit Maschinenpistolen und einem Kampfsatz Munition bewaffnete Wach-, Einlass-, Sicherungs- und Kontrollpassierposten bewachten die Anlage. Zudem gehörten Mauern, Postenturm, Überwachungskameras, elektronische Antennen als Bewegungsmelder, Stacheldraht und Sichtblenden bis Ende der 1980er Jahre zu den Sicherungsanlagen nach außen und nach innen. Eines der schärfsten Sicherungsmittel war die Anwendung der Schusswaffe entsprechend der Schusswaffengebrauchsordnung der Stasi. Als Schusssektoren eines Turmpostens an der Alfredstraße galten dabei das Geländeinnere hinter der äußeren Gefängnismauer und der Dachbereich des Verwahrhauses. Die Sicherungsposten der Untersuchungshaftanstalt waren Ende der 1980er Jahre bei besonderen Umständen wie beispielsweise einem Brand angewiesen, »sofort von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, wenn Verhaftete beziehungsweise Strafgefangene den Versuch unternehmen, die Außensicherung zu überwinden«.[55]

Da Teile des Gefängnisses Magdalenenstraße auch von (ausländischen) Besuchern in Augenschein genommen werden konnte, war es der SED wichtig, dass hier vorbildliche Bedingungen herrschten. »In dieser Vollzugseinrichtung wird insgesamt beispielgebend demonstriert, wie die im Strafvollzugsgesetz gestellten Aufgaben und damit die humane Ausführung des Vollzugs von Strafen mit Freiheitsentzug verwirklicht werden.«[56] Aussagen Inhaftierter aus den 1980er Jahren bestätigten, dass die Haftbedingungen in der Magdalenenstraße hinsichtlich Unterbringung und Verpflegung besser waren als in anderen Stasi-Untersuchungshaftanstalten.[57]

Die Lichtenberger Häftlingseingänge können als Seismograph für die politischen Stabilisierungsversuche der SED-Diktatur interpretiert werden.

Auf Befehl des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke aus dem Frühjahr 1988 wurde das Gefängnis in der Magdalenenstraße auch zu einem »zentralen Zuführungspunkt« des MfS. Ohne Haftbefehl oder andere rechtliche Grundlagen sollten hier »bei politisch-operativer Notwendigkeit (…) zugeführte Personen sicher verwahrt und die gegen sie vorliegenden Verdachtsgründe gewissenhaft geprüft« werden können.[59] Die Regelung dürfte in Zusammenhang mit vorausgegangenen Ereignissen – dem MfS-Überfall auf die Umweltbibliothek in der Zionskirche im November 1987 sowie Verhaftungen am Rande der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 1988 – gestanden haben. Der »Zuführungspunkt« sollte in Vorbereitung von »insbesondere (…) Spannungssituationen im Zusammenhang mit politischen und weiteren Großveranstaltungen, Demonstrationen u. ä.« bereit sein. Bis zu 24 Stunden sollten hier - von der Öffentlichkeit möglichst unbemerkt - bis zu 150 Personen festgehalten werden können.[60]

Anlässlich der offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 wurde daher auch die Magdalenenstraße zur Einschüchterung von staatskritischen Demonstranten genutzt. Damals setzten die staatlichen Sicherheitskräfte rund um die Protestveranstaltungen gegen die SED-Führung in der gesamten Republik knapp 2.100 Personen fest.[61] In die Magdalenenstraße wurden zwischen 22.40 Uhr und dem folgenden Morgen gegen 4.40 Uhr insgesamt 91 Personen (20 Frauen und 71 Männer) verbracht.[62] Im Stile politischer Schnellverfahren wurden im Laufe des 8. Oktobers 85 Personen wieder aus dem »Zuführungspunkt« entlassen und gegen sechs der Männer durch richterlichen Strafbefehl Haftstrafen zwischen drei und sechs Monaten erwirkt. Vier dieser Haftstrafen ergingen durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg. Es verhängte ferner gegen drei Frauen und zwölf Männer Strafbefehle in Höhe von 1.000 bis 3000 Mark. Sämtliche Strafen bezogen sich auf den Paragraphen 215 des DDR-Strafgesetzbuches (Rowdytum). Zusätzlich wurden gegen zwölf Frauen und 25 Männer Ordnungsstrafen zwischen 100 Mark und 500 Mark verfügt sowie gegen zwei Frauen und sechs Männer Ordnungsgeldverfügungen über je 20 Mark, die die Volkspolizeiinspektion Berlin-Lichtenberg aussprach. Mit diesen abgestuften Strafen sollte ein Exempel gegen die aufkommende öffentliche Protestbewegung statuiert werden, um die SED-Herrschaft aufrechtzuerhalten.[63]

Die Geschichte der UHA II als Gefängnis der politische Geheimpolizei MfS im SED-Regime endete mit ihrer Eingliederung in den Bereich Strafvollzugwesen des MdI der DDR im Januar 1990.

Fazit

Die Haftanstalt Magdalenenstraße in Berlin Lichtenberg gehört wegen ihrer zentralen Rolle sowohl bei der Absicherung der Nachkriegsordnung der sowjetischen Besatzer als auch als unverzichtbarer Teil des Untersuchungskomplexes des Berliner Ministeriums für Staatssicherheit zu den wichtigsten Einrichtungen der politischen Strafverfolgung und politischen Justiz der SBZ/DDR. Die sowjetische Militärgerichtsbarkeit verhängte hier im Zusammenspiel mit der sowjetischen Geheimpolizei Dutzende von Todesurteilen und Tausende rigorose Langzeitstrafen. Als Teil des zentralen Untersuchungskomplexes des MfS wurden hier seit 1953 weitere Tausende politische Gefangene durchgeschleust. 1989 sollte der Haftort als »Zuführungspunkt« helfen, Aufbegehrende in der aufkeimenden Revolution mundtot zu machen und durch Verhaftungen und Schnellstrafen einzuschüchtern.
Die Bedeutung dieser Haftanstalt wird bis heute unterschätzt. Sie wurde – inzwischen saniert - als Frauenhaftanstalt weitergeführt. Auch im Rahmen des sogenannten Campus’ für Demokratie, der das Stasi-Gelände nebenan aufwerten möchte, spielt der Ort der Justizopfer erstaunlicherweise keine Rolle.

Blick von der Magdalenenstraße auf die UHA II ca 1970er Jahre
Quelle: BStU

Tabelle: Häftlingseingänge zentrale Stasi-Untersuchungshaftanstalt II, 1953-1989[1]

Gedenktafel Alfredstraße
Foto P. Erler

Innenhof UHA II ca 1970er Jahre
Quelle: BStU


[1] Der Aufsatz über die beiden wesentlichen Zeitabschnitte der Haftanstalt beruht auf Gutachten, die Peter Erler (für die Zeit 1900-1953) und Sebastian Stude (für 1953-1989) im Jahr 2019 im Auftrag des Bürgerkomitees 15. Januar e.V. schrieben. Symptomatischerweise waren dies die ersten grundlegenden Recherchen zum Thema, insbesondere für die MfS-Zeit. Die Gutachten bildeten die Basis für einen Diskussionsprozess zum Denkmal am Roedeliusplatz. Die überarbeiteten Texte sollen demnächst in Langform in einem Buch erscheinen.

[2] Peter Erler ist Historiker. Er ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gedenkstätte im ehemaligen Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen tätig. Sebastian Stude ist promovierter Historiker und arbeitet in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Christian Booß ist promovierter Historiker, Journalist und Herausgeber von HundG.info. Uta Gerlant ist Historikerin.

[3] Jürgen Fuchs: Magdalena. MfS, Memfisblues, Stasi, Die Firma, VEB Horch und Gauck – ein Roman, Berlin 1998

[4] Die Einwohnerzahl der Landgemeinde Lichtenberg im Kreis Niederbarnim stieg von ca. 3.200 im Jahr 1871 auf ca. 55.000 im Jahr 1905, was schließlich dazu führte, dass dem Berliner Vorort am 15. Oktober 1907 das Stadtrecht verliehen wurde.

[5] Redemanuskript zum hundertjährigen Bestehen des Amtsgerichts Lichtenberg 2006, (Archiv des Autors).

[6] Jan Eik: Die Stätten meiner Kindheit, in: Horch und Guck, Heft 6/1993, S. 2.

[7] Landesarchiv Berlin (LAB) A Pr. Br. Rep. 042, Nr. 1710, Verhandlungsniederschrift vom 12. Februar 1941.

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Justizvollzugsanstalt_für_Frauen_Berlin (zuletzt abgerufen am 9.11.2024). Siehe auch: Berliner Adreßbuch 1943, Zweiter Band, Teil III, S. 21.

[9] Zu den Delikten siehe Erich Hahnke: Erinnerungen eines Illegalen, Berlin 1974, S. 209.

[10] Ebenda; Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) 9409/1/157, Bl. 86; 9409/1/353, Bl. 87.

[11] Am 21. April 1945 rückte das Arbeitskommando mit Erich Honecker aus dem Gefängnis Barnimstraße endgültig ab und traf nach einem Zwischenaufenthalt im Zuchthaus Plötzensee zwei Tage später wieder in Brandenburg-Görden ein. Martin Sabrow: Erich Honecker. Das Leben davor 1912-1945, München 2016, S. 409.

[12] Siehe z. B.: Die Befreiung Berlins 1945. Eine Dokumentation, Hrsg. und eingeleitet von Klaus Scheel, Berlin 1975, S. 91 ff.

[13] Jan Eik: Zur Topographie und Geschichte des Lichtenberger Stasi-Komplexes, in: Die Zentrale. Das Hauptquartier des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg, hrsg. v. ASTAK e.V. Berlin o. D., S. 24.

[14] https://www.dokst.de/main/sites/default/files/u7/Befehl des NKWD Nr 00315.pdf (zuletzt abgerufen am 9.11.2024). Siehe auch: Plan zur Organisierung der operativen Gruppen der Verwaltung Gegenspionage »Smersch« der 1. Weißrussischen Front für Berlin und seiner Vororte vom 22. April 1945, in: Die Organe der Staatssicherheit der UdSSR im Großen Vaterländischen Krieg. Sammlung von Dokumenten, Bd. 6, Moskau 2014 (russisch), S. 411/12.

[15] Staatliches Archiv der Russischen Föderation (GARF) 9409/1/395, Bl. 98.

[16] Am 25. Mai 1945 wurde z. B. eine Gruppe von 100 internierten Zivilisten nach Werneuchen verlegt. GARF 9409/1/324, Bl. 38. Einen LKW-Transport von »etwa 80 Mann« Mitte Juni 1945 nach Weesow beschreibt Hermann Just: Die sowjetischen Konzentrationslager auf deutschem Boden 1945 – 1950, Hrsg. Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1952, S. 59. Siehe auch: GARF 9409/1/327, Bl. 77; Vorgang Marga Billerbeck, Zeitzeugenarchiv Gedenkstätte Hohenschönhausen (ZGH); Vorgang Friedrich Wilhelm Kurze, ZGH.

[17] Im internen Schriftverkehr wurde die Anstalt auch als »Gefängnis oder Lichtenberger Gefängnis des BOS« – Abkürzung für den Berliner Operativsektor des MGB – bezeichnet. Z. B.: Schreiben von Tschernow an Swiridow vom 25. September 1946, GARF 9409/1/134, Bl. 22; Siehe auch: Brief von Swiridow an Serow vom September 1946, GARF 9409/1/132, Bl. 33.

[18] Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (AdSD), Bestand Ostbüro, Akte 0421 (Haftberichte), Innerpolitische Information Nr. 71 vom 8. September 1949, S. 2.

[19] Angaben von Mitte August 1945 und März 1947. Zwischenzeitlich wird in der Speziallagerstatistik die Aufnahmekapazität mit 600 Plätzen angegeben. Peter Erler: Der Lagerstandort Frankfurt an der Oder und das Gefängnis Nr. 6 in Berlin-Lichtenberg, in: Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945-1950, Hrsg. Sergej Mironenko, Lutz Niethammer und Alexander von Plato, Bd. 1, Berlin 1998, S. 450; Brief von Swiridow an Serow vom 22. März 1947, GARF 9409/1/133, Bl. 63. Die Erhöhung der Aufnahmekapazität erreichte die Gefängnisleitung durch eine radikale Überbelegung der Hafträume und die Umwidmung von Arbeitssälen und anderer Funktionsräume in Gruppenzellen.

[20] Erler, Lagerstandort, S. 450, Tabelle.

[21] In der Personendatenbank der Gedenkstätte Hohenschönhausen sind die Namen und weitere biographische Angaben von 455 ehemaligen Insassen des Gefängnisses Nr. 6 gespeichert.

[22] Im November 1946 lag ihr Anteil an der Gesamtbelegung sogar bei rund 51 Prozent. Natalja Jeske und Jörg Morré: Die Inhaftierung von Tribunalverurteilten, in: Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955, Hrsg. Andreas Hilger, Mike Schmeitzner und Ute Schmidt, Köln, Weimar und Wien 2003, S. 621.

[23] Ebenda.

[24] Zu dieser Betroffenengruppe gehört auch der Generalleutnant Bernhard Kühl. Er starb vor der Vollstreckung der Todesstrafe am 24. Februar 1946 an Lungenentzündung. In der Dokumentation von Weigelt und anderen wurde Kühl als Hingerichteter erfasst. Brief des DRK-Suchdienstes München vom 15. Mai 2007, Vorgang Bernhard Kühl, ZGH. Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944-1947). Eine historisch-biographische Studie, Hrsg. Klaus-Dieter Müller, Thomas Schaarschmidt, Mike Schmeitzner und Andreas Weigelt, Göttingen und Bristol 2015, S. 378.

[25] Erklärung Heinrich Romfelds vom 13. Juli 1950, Vorgang Friedrich Wilhelm Kurze, ZGH.

Emmy Goldacker, Der Holzkoffer. Leben und Überleben einer Frau in sowjetischen Lagern, Hameln 1982, S. 43.

[26] Ebenda, S. 39; Abschrift des Interviews mit Irmgard Böhlke vom 12. Dezember 1997, S. 20, ZGH. Am 15. Dezember 1945 verprügelte der Wachsoldat Poljakow eine gefangene Amerikanerin. Q: 9409/1/14, Bl. 11.

[27] AdSD, Bestand Ostbüro, Akte 0421 (Haftberichte), Innerpolitische Information Nr. 71 vom 8. September 1949, S. 2.

[28] Goldacker, Holzkoffer, S. 39. Meldung des Leiters der Sanitätsabteilung Hauptmann Pchakadse über die Vergewaltigung eines weiblichen Häftlings vom 17.2.1946. 9409/1/14, Bl. 16. Schreiben Oberleutnant Batrakow vom 17.2.1946, 9409/1/14, Bl. 13/14. Emmy Goldacker beschreibt allerdings auch sowjetisches Personal, das Mitgefühl zeigte, Trost spendete und einzelne weibliche Gefangene mit kleinen Gesten unterstützte. Goldacker, Holzkoffer, S. 44 ff.

[29] Jan Foitzik, Nikita W. Petrow: Die sowjetischen Geheimdienste in der SBZ/DDR von 1945 bis 1953, München 2009, S. 278/279. Silvester 1946 entwich ein weiterer Häftling aus dem Gefängnis. Jahre später wurden Anwohner Zeugen, wie ein Flüchtender vor dem Hauseingang der Magdalenenstraße 5 von Wachsoldaten erschossen wurde. Eik, Stätten, S. 2. Eik, Topographie, S. 24.

[30] Im Bereich der Alfred- und Magdalenenstraße verlief der »russischgrüne« Zaun vor der Bordstein- bzw. Rinnsteinkante. RGWA, Wach- und Verteidigungsplan des Gefängnisses Nr. 6 vom 10. Oktober 1946. Andreas Petersen: Deine Schnauze wird dir in Sibirien zufrieren - Ein Jahrhundertdiktat. Erwin Jöris, Wiesbaden 2012, S. 433. Peter Bordihn: Bittere Jahre am Polarkreis. Als Sozialdemokrat in Stalins Lagern, Berlin 1990, S. 42. Christian Halbrock: Mielkes Revier. Stadtraum und Alltag rund um die MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg, Berlin 2010, S. 33.

[31] Goldacker, Holzkoffer, S. 41. Bordihn, Jahre, S. 43. Petersen, Schnauze, S. 421. Dieter Rieke: Geliebtes Leben. Erlebtes und Ertragenes zwischen den Mahlsteinen jüngster deutscher Geschichte, Berlin 1999, S. 141.

[32] Vgl. Müller/Schaarschmidt/Schmeitzner/Weigelt, Todesurteile.

[33] Es kann davon ausgegangen werden, dass bei den verhafteten Frauen und Männern, die 1945/46 zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, vielfach identische Haftgründe vorlagen. Emmy Goldacker erwähnt z. B. Sekretärinnen von Hitler und Canaris. Goldacker, Holzkoffer, S. 38/39.

[34] Werwölfe waren von der NS-Führung mobilisierte Zivilisten, oft Jugendliche, die die sowjetischen Truppen aus dem Hinterhalt angreifen sollten. Die Maßnahme wurde von der NS-Propaganda übertrieben dargestellt, führte aber zu drakonischen Gegenmaßnahmen der Besatzungsmacht.

[35] Nikita Petrow: Nach Stalins Szenarium. Die Rolle der NKWD-MGB-Organe der UdSSR bei der Sowjetisierung der Länder Zentral- und Osteuropas 1945–1953, Moskau 2011 (Russisch), S. 146.

[36] Laut Petrow nahmen an den Exekutionen der zuständige Militärstaatsanwalt sowie manchmal auch der Vorsitzende des Militärtribunals und ein Militärarzt teil. Petrow, Szenarium, S. 135.

[37] Diese Version wurde ungeprüft auch in den Text der massiven Gedenktafel am Gefängnisgebäude in der Alfredstraße übernommen.

[38] Nikita Petrov: Die Todesstrafe in der UdSSR. Ideologie, Methoden, Praxis. 1917-1953, in: »Tod den Spionen!«. Todesurteile sowjetischer Gerichte in der SBZ/DDR und in der Sowjetunion bis 1953, Hrsg. Andreas Hilger, Göttingen 2006, S. 65. Petrow, Szenarium, S. 136. Über Leichenfunde im Berliner Umland 1946/47 berichtet auch eine von der SPD zusammengestellte Dokumentation: Terror in der Ostzone. Tatsachen klagen an! Hrsg. Parteivorstand der SPD, Hannover 1948, S. 97. Auszuschließen ist in diesem Zusammenhang die durch den Anwohner Helmut Eikermann bekundete Grablegung Erschossener hinter den Häusern Magdalenenstraße 1-15. Halbrock, Mielkes Revier, S. 33.

[39] Jörg Morré: Modellierung des Feindbildes. Verhaftungen des NKWD als Vorbild für die Anfänge einer politischen Polizeiarbeit in der SBZ/DDR, in: Martin Gutzeit. Ein deutscher Revolutionär. Die Umwälzung in der DDR 1989/90. Festschrift zum 65. Geburtstag und 25. Jubiläum als Landesbeauftragter, Hrsg. Klaus Bästlein unter Mitarbeit von Markus Meckel, Armin Mitter und Falco Werkentin, Berlin 2017, S. 164.

[40] Z. B.: Petersen, Schnauze, S. 413 ff.

[41] Z. B.: Alexander Watlin: Zehn Jahre Lager für die Lektüre des Tagesspiegel, in: Der Tagesspiegel vom 30. Dezember 1999. Bericht des Ministers für Staatssicherheit V. Abakumov für G. Malenkov über Aussagen I. Feldmanns (Auszug), in: Sowjetische Politik in der SBZ 1945-1949. Dokumente zur Tätigkeit der Propagandaverwaltung der SMAD unter Sergej Tjulpanov, hrsg. v. Bernd Bonwetsch, Gennadij Bordjugov und Normann M. Naimark, Bonn 1998, S. 290. Joseph Scholmer: Arzt in Workuta. Bericht aus einem sowjetischen Straflager, München 1981, S. 35 ff.

[42] Andreas Hilger und Nikita Petrov: »Erledigung der Schmutzarbeit«? Die sowjetischen Justiz- und Sicherheitsapparate in Deutschland, in: Militärtribunale, Bd. 2 Verurteilte, Hrsg. Weigelt/Schmeitzner/Schmidt, S. 109.

[43] Von 1.112 in der DDR und zu einem geringen Teil auch in der UdSSR verhängten Todesstrafen gegen deutsche Zivilisten wurden 960 vollstreckt. Andreas Hilger und Nikita Petrow: „Im Namen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“. Sowjetische Militärjustiz in der SBZ/DDR von 1945 bis 1955, in: „Erschossen in Moskau...“. Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950-1953, hrsg. v. Arsenij Roginskij, Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Anna Kaminsky im Auftrag von Memorial International, Moskau, Facts & Files – Historisches Forschungsinstitut Berlin und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin (3) 2008, S. 31. Darüber hinaus verurteilte das SMT 48240 auch etwa 15 sowjetische Staatsangehörige zum Tode. Arsenij Roginskij, „Um unverzügliche Vollstreckung des Urteils wird ersucht“. Letzte Dokumente über die von 1950 bis 1953 in Moskau erschossenen Deutschen, in: Ebenda, S. 46.

[44] Jörg Rudolph, Frank Drauschke, Alexander Sachse: Hingerichtet in Moskau. Opfer des Stalinismus aus Berlin 1950-1953, Berlin 2007, S. 74, 102. Diese Aufstellung ist nicht vollständig. Weitere Namen von Betroffenen in:  Erschossen in Moskau. Unberücksichtigt blieben vermutlich auch Russen und Personen anderer Nationalitäten, die die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatten. Petrov, Todesstrafe, S. 69/70; http://stalin.memo.ru/spiski/tomi16.htm (zuletzt abgerufen am 9.11.2024); Der Verurteilte Max Strötzel starb am 6. Juli 1951 im Gefängnis Berlin-Lichtenberg an TBC. Siehe »Tod den Spionen!«, S. 23; Roginskij, Vollstreckung, S. 67.

[45] Erschossen in Moskau, S. 390 u. 229.

[46] Militärtribunale, Bd. 2 Verurteilte, Hrsg. Weigelt/Schmeitzner/Schmidt, Anhang, S. 784.

[47] MfS, Abt. XIV 16775.

[48] In den Unterlagen werden die Strafvollzugseinrichtungen in Bautzen, Hoheneck und Waldheim erwähnt.

[49] Martin Albrecht: Die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Leipzig. Mitarbeiter, Ermittlungsverfahren und Haftbedingungen, Berlin 2017, S. 22 ff.

[50] Roland Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS 1950-1989. Eine organisatorische Übersicht, Berlin 2012, S. 300-305.

[51] Protokoll der Dienstversammlung der HA I am 3. Dezember 1954, BArch MfS SdM 1920, Bl. 29.

[52] Vermerk über die Dienstbesprechung der HA I am 4. April 1955, Ebd., Bl. 11 ff.

[53] Dienstanweisung Nr. 1/86 über den Vollzug der Untersuchungshaft und die Gewährleistung der Sicherheit in den Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit v. 29.1.1986, Bundesarchiv (BArch), MfS, BdL/Dok, Nr. 8151, Bl. 1-44, hier Bl. 38. Parke, Die inhaltlichen Anforderungen an die Erarbeitung der Sicherungskonzeption, BArch, MfS, JHS, Nr. 20478, Bl. 23 u. 50. Zitate in: Siegfried Rataizick, Volkmar Heinz, Werner Stein, Heinz Conrad: Die aus den politisch-operativen Lagebedingungen und Aufgabenstellungen des MfS resultierenden höheren Anforderungen an die Durchsetzung des Untersuchungshaftvollzuges und deren Verwirklichung in den Untersuchungshaftanstalten des MfS, Juni 1984, BArch, MfS, JHS, Nr. 21961, Bl. 251 ff. Dietmar Schmidt: Das Untersuchungshaftrecht der Deutschen Demokratischen Republik und die aus seiner Grundlage erfolgende Vollzugspraxis in den Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit (Diplomarbeit) v. 20.10.1975, BArch, MfS, JHS, Nr. 339/75, o. Pag. (Rückkopie) Anhang zum Bericht (…), o. Dat. [1985], BArch, MfS, Abt. XIV, Nr. 919, Bl. 26. Gemeinsame Festlegungen der Hauptabteilung IX und der Abteilung XIV des MfS zur einheitlichen Durchsetzung einiger Bestimmungen der Untersuchungshaftvollzugsordnung (…) v. 13.8.1975, BArch, MfS, Abt. XIV, Nr. 166, Bl. 1-22, hier Bl. 14; Notiz, o. Dat., BArch, MfS, Abt. XIV, Nr. 1166, Bl. 18. Ordnung zur Organisierung, Durchführung und Kontrolle des Besucherverkehrs in der Untersuchungshaftanstalt des MfS, Berlin-Lichtenberg, Magdalenenstraße v. 15.3.1982, BArch, MfS, HA IX, Nr. 8815, Bl. 72-87, hier Bl. 78 ff. Roland Wiedmann (Bearb.): Die Diensteinheiten des MfS 1950-1989. Eine organisatorische Übersicht, Berlin 2012, S. 90-94. Johannes Beleites: Abteilung XIV. Haftvollzug (MfS-Handbuch, Teil III/9), Berlin 2004, S. 11 u. 58. Eine plastische Erinnerung liefert Matthias Bath: Gefangen und freigetauscht. 1197 Tage als Fluchthelfer in der DDR-Haft. Inhaftiert in Berlin-Hohenschönhausen, Berlin 2007, S. 68-74.

Beleites, Abteilung XIV, S. 19-22 u. 58; Christian Halbrock: Stasi-Stadt. Die MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Ein historischer Rundgang um das ehemalige Hauptquartier des DDR-Staatssicherheitsdienstes, Berlin 2009, S. 61 ff.

[54] Julia Spohr: In Haft bei der Staatssicherheit. Das Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen 1951-1989, Göttingen 2015, S. 27.

[55] Festlegungen zur Durchsetzung der Anweisung des Leiters der Abteilung XIV über die vorbeugende Verhinderung und Bekämpfung von Bränden im Dienstobjekt der Abteilung XIV/3 v. 4.1.1988, BArch, MfS, Abt. XIV, Nr. 1043, Bl. 139-149, hier Bl. 141.

[56] Information über die Verwirklichung des Untersuchungshaft- und Strafvollzuges in der Einrichtung Berlin, Magdalenenstraße v. 20.7.1987, BArch, MfS, Sekr. Mittig, Nr. 35, Bl. 26-30, hier Bl. 28 f. Vorlage für das Politbüro des ZK Verwirklichung des Gesetzes über den Vollzug der Strafen mit Freiheitsentzug (Strafvollzugsgesetz) vom 7. April 1977 v. 28.7.1987, Ebda, Bl. 31-35.

[57] Anhang zum Bericht (…), o. Dat. [1985], BArch, MfS, Abt. XIV, Nr. 919, Bl. 26. Anhang zum Bericht (...), o. Dat. [1987], Ebda, Bl. 50. Anhang zum Bericht (…), o. Dat., 1984, BArch, MfS, Abt. XIV, Nr. 1166, Bl. 3. Anlage II zum Bericht (…), o. Dat. [1984], Ebda, Bl. 4. Anhang zum Bericht (…), o. Dat. [1984], Ebda, Bl. 8-10. Stellungnahme v. 30.3.1984, Ebda, Bl. 42 f. Anhang zum Bericht (…), o. Dat. [1984], Ebda, Bl. 44. Anhang zum Bericht (…), o. Dat. [1984],

[58] Vgl. BArch, MfS, Abt. XIV, Nr. 16605. Ebda, Nr. 16606. Ebda, Nr. 16607. Ebda, Nr. 16610. Ebda, Nr. 16611. Ebda, Nr. 16771. Ebda, Nr. 16775. Ebda, Nr. 16776. Ebda, Nr. 16777. Ebda, Nr. 16795. Ebda, Nr. 16796. Ebda, Nr. 16797. Ebda, Nr. 16798.

[59] Vorläufige gemeinsame Anweisung, o. Dat. (1988), BArch, MfS, HA IX, Nr. 3592, Bl. 7-9.

[60] Grundanforderungen an die Einrichtung eines zentralen Zuführungspunktes v. 29.1.1988, BArch, MfS, Abt. XIV, Nr. 912, Bl. 208.

[61] Übersicht (…) v. 8.10.1989, BArch, MfS, HA IX, Nr. 8815, Bl. 1-3.

[62] Im Registrierbuch der UHA II sind ihre Namen nicht erfasst.

[63] Übersicht (…) v. 10.11.1989, BArch, MfS, BV Berlin, Leitung, Nr. 21, Bl. 8-21. Argumentationshinweise (…) v. 6.12.1989, BArch, MfS, HA IX, Nr. 9795, Bl. 1-2.