Problemlagen bei Vermögensauseinandersetzungen zwischen LPGen und ihren Mitgliedern ab 1990
Von Inga Hengst und Gunnar Hamann1
Einführung
Für Mitglieder und Vorsitzende landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPGen) stellten sich zur Wiedervereinigung große Fragen.
Was sollte mit den landwirtschaftlichen Betrieben, die zumindest dem Namen nach Genossenschaften waren, passieren?
Würden sie in neue Betriebsformen der Bundesrepublik umzuwandeln sein und die Arbeitsplätze erhalten bleiben?
Könnten die Mitglieder ihre Arbeitsleistung, Inventar (etwa Vieh, Landmaschinen, Gebäudebestand)2 und Land, das sie in die LPG eingebracht hatten, als Anteile am LPG-Vermögen ausbezahlt bekommen?
Hierbei standen die Interessen der Mitglieder, die in den Betrieben verbleiben und diese weiterführen wollten, denen, die ihren Anteil am LPG-Vermögen ausgezahlt bekommen wollten, diametral entgegen. Denn mit sinkendem Eigenkapital war der Bestand eben dieser Betriebe zunehmend gefährdet. Weiterhin galt es, den Strukturwandel zu bewältigen. Sowohl der Abbau von Mangelwirtschaft als auch die Rückzahlung von Krediten, die die LPGen hatten aufnehmen müssen, um staatliche Aufgaben zu finanzieren,3 setzten den Prozess unter einen enormen Zeit- und Kostendruck.
Wertung der unterschiedlichen Ansprüche von LPG-Mitgliedern
Mit Einführung des LwAnpG 1990 war der Austritt aus der LPG erstmals möglich. Die anteilige Auszahlung von LPG-Vermögen an die Mitglieder wurde im Sommer 1990 durch eine Änderung des LPGG von der Volkskammer ermöglicht.4 Die Struktur des Gesetzes sah vor, dass die Umwandlung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften durch die Mitglieder selbst beschlossen wurde. Insofern führte der Gesetzgeber den genossenschaftlichen Gedanken der Selbstverwaltung in Betriebe ein, die seit ihrem Entstehen strikt hierarchisch durch die Vorstände der LPGen geführt worden waren.
Schon in ihrer ursprünglichen Form führte die Regelung des § 44 Abs. 2 LwAnpG zu Schwierigkeiten – sie sah lediglich vor, dass ausscheidenden Mitgliedern nach ihrem Anteil am Vermögen der LPG und ihrer Arbeitsleistung Vermögenserstattungen zustanden. Damit war sie nicht geeignet, den zahlreichen widerstreitenden Interessen der Landeigentümer, der LPG-Arbeiter ohne Grundbesitz und der LPG-Vorsitzenden gerecht zu werden. Es bestand Nachbesserungsbedarf.5
Die Regelung wurde deshalb in der LwAnpG-Reform vom 3. Juli 1991 erweitert und neu strukturiert. Nachfolgend stellte § 44 Abs. 1 LwAnpG eine Rangordnung der auszuzahlenden Anteile am Eigenkapital auf: das Gesetz ordnete die Anteile in absteigender Reihenfolge in eingebrachtes Inventar, Vergütung für die Bodennutzung und Vergütung für die eingebrachte Arbeitskraft.6 Eine Auszahlung rangniedrigerer Anteile war nur möglich, wenn die ranghöheren bereits vollständig ausgezahlt worden waren.
Der Anteil der LPG-Mitglieder, die vor der Umwandlung austraten, war gem. § 44 Abs. 1 S. 2 LwAnpG. vom gesamten Eigenkapital der LPG zu berechnen. Dies gab der Wertung unterschiedlicher Auszahlungsansprüche ihren Biss – wenn etwa nach Auszahlung der Ansprüche an Land und Inventar das Vermögen der LPG aufgebraucht war, konnte die Arbeitsleistung der Mitglieder nicht ausbezahlt werden.
Mitglieder, die zunächst Mitglieder oder Gesellschafter des Nachfolgeunternehmens wurden und erst dann austraten, konnten ihre Abfindung nach § 39 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. § 44 Abs. 1 LwAnpG nach dem gleichen Modus berechnen lassen. Nach diesem Modus konnten jedoch nur Anteile am Betriebsvermögen an ausscheidende Mitglieder ausgezahlt werden. Das Betriebsvermögen der LPGen war nach dem Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung7 zu bestimmen.
In der Praxis stellte sich sowohl die sogenannte Vermögenszuordnung als auch die Erstellung der Eröffnungs- und der Umwandlungsbilanzen als hochproblematisch heraus.
Beweisführung bei Vermögenszuordnung
Die Berechnung und Beweisführung der LPG-Mitglieder über die Höhe der jeweiligen Anteile an Inventar, Land oder Arbeitskraft, die sie in das Unternehmen eingebracht hatten, war entgegen möglicher Vermutungen häufig nicht allzu problematisch.
Zunächst musste für jede der drei Stufen des § 44 Abs. 1 S. 1 LwAnpG berechnet werden, wie viel Inventar, Land oder Arbeitskraft sie in das Unternehmen eingebracht hatten. Die LPG-Mitglieder hatten sowohl beim freiwilligen als auch beim unfreiwilligen Eintritt in die LPG Inventarlisten erhalten, auf denen die eingebrachten Tiere, Gebäude, Gegenstände und Feldfrüchte mit ihrem Gegenwert in Mark der DDR vermerkt waren. Bei der Umstellung von Typ I- auf Typ III-LPGen mussten die Mitglieder häufig Fondsausgleichsbeträge zahlen, die jedoch den Inventarbeiträgen gleichzustellen sind.8 Auch dafür erhielten die LPG-Mitglieder Belege. Lagen die Unterlagen den Anspruchsberechtigten (ggf. Erben) vor, dann war die Beweisführung über die eingebrachten Inventarbeiträge unproblematisch möglich. Ebenfalls unproblematisch war das Nachvollziehen der ursprünglichen Besitzverhältnisse an eingebrachtem Land. Die Lage der eingebrachten Grundstücke konnte aus den Grundbüchern nachvollzogen werden, da die LPGen formell nie Landeigentümer geworden waren. Die eingebrachte Arbeitskraft konnten LPG-Mitglieder durch Einträge in Arbeitsbüchern und Sozialversicherungsausweisen nachweisen.
Die Nachverfolgung der LPG-Betriebsvermögen andererseits war komplexer. Die voll kollektivierten LPGen des Typs III hatten den Mitgliedern zum Eintritt die oben genannten Nachweise überreicht. Die Betriebsformen und einzelnen Betriebe wurden jedoch in mehreren Reformen verändert. Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion, Bildung von mehrere Tausend Hektar bewirtschaftenden kooperativen Abteilungen Pflanzenproduktion und deren Auflösung hatten die Zuordnung verkompliziert. So war im Wege der Auslegung des § 44 Abs. 1 LwAnpG zu ermitteln, welches in eine LPG Typ III eingebrachte Vermögen welcher im Jahr 1990 noch existierenden LPG zuzuordnen war.
Berechnung der zugrundeliegenden Bilanzen
Ein äußerst strittiges und zweischneidiges Thema ist hingegen die Bildung der LPG-Bilanzen, die den Vermögensauseinandersetzungen zugrunde lagen.
Der »wirkliche Wert« der LPGen unterlag in jedem Fall einigem Spielraum in der Bewertung. Wie viel ist eine alte Landmaschine eines in der Bundesrepublik unüblichen Typs noch wert? Wie teuer ist der Rückbau alter Anlagen? Ist ein asbestverseuchter, aber unbeschädigter Stall noch nutzbar oder wertlos? Diese Fragen standen vor dem Hintergrund der strukturpolitischen Grundsatzfrage, ob die LPG-Nachfolgebetriebe möglichst in umgewandelter Form bestehen bleiben sollten oder ob nach Auszahlung ihres Vermögens an die Mitglieder Wiedereinrichtern Platz geschaffen werden sollte.
In der juristischen Debatte kam dies zum Vorschein. Der Rechtsprechung nach war die in § 3 LwAnpG genannte Zielstellung der vielfältig strukturierten Landwirtschaft so auszulegen, dass Neu- und Wiedereinrichter zwar nicht bevorzugt, jedoch zumindest besonders gefördert werden sollen.9 Das sei insbesondere deshalb angebracht, weil die LPG gerade keine auf freiwilligem Zusammenschluss basierende Gesellschaft oder Genossenschaft war, sondern ein Produkt der Zwangskollektivierung. Andere Teile des Schrifttums forderten, dass die LPG-Umwandlungen so durchgeführt werden, dass der Fokus auf einen Ausgleich zwischen Neu- und Wiedereinrichtern und den im LPG-Nachfolger verbleibenden Mitgliedern gelegt wird.10 Diese Vorüberlegungen spielen eine Rolle dabei, die im LwAnpG und dem DMBilG kaum vorhandenen Bilanzierungsregeln der §§ 27 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 S. 2,3 DMBilG auszulegen, nach denen die Höhe des zugeordneten Vermögens berechnet wird.11
Dieses richtet sich gem. § 44 Abs. 6 LwAnpG wiederum nach dem gesamten Eigenkapital der LPG. Darunter sind sämtliche Vermögenswerte zu verstehen, die die LPG innehatte.12 Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach legte das LwAnpG nicht fest, welche Methode genutzt werden sollte, um das Eigenkapital der LPGen zu bewerten.13 Quelle großer Auseinandersetzungen war letztlich die Bildung sogenannter stiller Rücklagen. Diese Bilanzierungspraxis hat ihren Ursprung darin, dass zukünftige Verluste oder Mindereinnahmen der kaufmännischen Sorgfalt entsprechend in dem Jahr bilanziert werden sollen, in dem sie entstanden, nicht in dem Jahr, in dem sie tatsächlich zahlungsfällig wurden.14 Es war jedoch für die verantwortlichen LPG-Nachfolger teilweise möglich, Werte anzusetzen, die nicht realistisch waren. Praktisch schwer nachweisbar ist die angemessene Bewertung von Vermögensgegenständen und die Bildung von Rücklagen für Rückbauten und Sanierungen von LPG-Wirtschaftsgebäuden. Als klassisches Beispiel sei hier die oft sechs- oder siebenstellige Rückstellung für Asbestsanierungen genannt. Auch der tatsächlich erzielbare Marktwert von beweglichen Gegenständen wie Pflügen, Traktoren und Sämaschinen war den einzelnen Mitgliedern der LPG oft nicht bekannt. Dass die Führungskräfte der LPG eine realistischere Einschätzung über den wahren oder zumindest den aktuellen Marktwert der beweglichen Wirtschaftsgüter ohne größeren Aufwand treffen konnten, kann jedoch vermutet werden.15 In der Praxis wurden die bilanziellen Rückstellungen, nachdem die meisten Mitglieder ausgetreten waren, aufgelöst, ohne tatsächlich Sanierungen durchzuführen. Hierzu existiert keine flächendeckende Datengrundlage, sondern nur stichprobenartige Evidenz. Die so erstellte Bilanz wurde Grundlage der Vermögensauseinandersetzung und bildete das sogenannte verteilungsfähige Eigenkapital.16
Fehlerhafte Bilanzen und ihr Einfluss auf die Vermögensauseinandersetzungen
Eine großangelegte Studie von Bayer et al. deckte im Jahr 2003 auf, dass es zu flächendeckend fehlerhaft berechneten Bilanzen gekommen war.17
Anhand der im Gesellschaftsregister hinterlegten Umwandlungsbeschlüsse kann bis heute festgestellt werden, ob dieses verteilungsfähige Eigenkapital vollständig - und damit nach § 44 Abs. 1 LwAnpG gesetzeskonform – ausgezahlt wurde. Dem wurde in der genannten Studie nachgegangen. Dabei ergab sich, dass die unvollständige und damit rechtswidrige Auszahlung des Eigenkapitals an ausscheidende Mitglieder mit ca. 85 % der LPG-Umwandlungen der Regelfall war.18 Im Rahmen dieser Untersuchung ergab sich ebenfalls, dass das verteilungsfähige Eigenkapital zu ca. 45 % rechtswidrig zurückbehalten wurde. Das bedeutet, dass die überwältigende Mehrheit der ausscheidenden LPG-Mitglieder höchstens die Hälfte des ihnen gesetzlich zustehenden Kapitals ausgezahlt bekam. Dieser Befund lag erst im Jahr 2003 gesichert vor, als die Ansprüche aus der Vermögensauseinandersetzung zum allergrößten Teil nach § 3b S. 1 LwAnpG verjährt waren. Zwar wurden zahlreiche Förderprogramme davon abhängig gemacht, dass die Vermögensauseinandersetzung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Resultat daraus waren in einigen Betrieben Nachbesserungen durch Auseinandersetzungsvereinbarungen.19
Die Vermögensauseinandersetzungen zwischen den LPGen und ihren Mitgliedern in den Jahren nach der Wiedervereinigung standen im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen. Dies schlug sich auf die Ergebnisse nieder. Diejenigen LPG-Mitglieder, die nicht über Land oder Inventar verfügt hatten, das sie in die LPG eingebrachten - sondern lediglich ihre Arbeitsjahre - konnten oft nicht oder nur teilweise ausbezahlt werden. Die den Vermögensauseinandersetzungen zugrundeliegenden LPG-Bilanzen waren in vielen Fällen unterbewertet, um den Bestand der LPGen in umgewandelter Form erhalten zu können. Daher wurden die betroffenen Mitglieder unzureichend ausbezahlt.
1 Inga Hengst ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Rechtsanwaltskanzlei in Berlin, Gunnar Hamann Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin. Bis 2023 waren sie wissenschaftliche Mitarbeiter im Forschungsprojekt »Rechtsfolgen des SED-Unrechts im vereinigten Deutschland« an der juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).
2 Dieser Begriff meint sämtliche Gegenstände und Tiere, die zu einem landwirtschaftlichen Betrieb gehören. Dazu zählen insbesondere auch Nutzvieh und ungeerntete Pflanzen.
3 Diese sogenannten Altschulden und die dafür anfallenden, häufig zweistelligen Zinsen plagten vergleichbar auch die Wohnungsbaugenossenschaften Mitteldeutschlands nach 1990. Der Umgang mit beiden war sehr verschieden und würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.
4 LwAnpG, in: Rechtsprobleme der Restrukturierung landwirtschaftlicher Unternehmen in den neuen Bundesländern nach 1989, hrsg v. Walter Bayer, Berlin, Boston 2003.
5 Rolf Steding, Produktivgenossenschaften in Osteuropa. Im Sog des Untergangs oder auf dem Weg der Erneuerung? Wiesbaden 1994, S. 21; Wenzel, LwAnpG von 1991 bis 1997; Damit reagierte die Legislative auf Probleme, die in der Dogmatik und der fehlenden Detailtiefe des LwAnpG begründet waren, genauso wie auf Probleme, die an in ihrer Schärfe nicht vorhergesehenen Verteilungskonflikten lagen. BGH, S. 201, 202; Walter Bayer, Einleitung, in: Rechtsprobleme, S. 4.
6 Dieser Prozess wird im Gesellschaftsrecht Vermögenszuordnung genannt.
7 Bundesgesetzblatt I S. 1842; Im Folgenden: DMBilG.
8 BGH, Beschluss vom 21. April 1994 – BLw 97/93.
9 BGH, Beschluss vom 8. Dezember 1995 – BLw 28/95; BGH, Beschluss vom 24. November 1993 – BLw 52/92; Schweizer, Zip 1996, S. 320, S. 322; LPGen, die nicht innerhalb der von § 69 Abs. 3 ab Sommer 1991 gesetzten Frist Umwandlung angemeldet hatten, wurden zur LPG in Liquidation. Das heißt, ihr einziger Gesellschaftszweck durfte danach sein, einen Liquidator zu bestimmen und sich selbst abzuwickeln.
10 Bruhmüller/Janakiew. Bilanzielle und bewertungstechnische Streitfragen der Vermögensauseinandersetzung nach dem LwAnpG, AgrarR 1998, S.299; Köhne, NL-BzAR 1997, S. 386, S. 388; Wenzel, AgrarR 1999, S. 33f.
11 verlor nach § 69 Abs. 1 LwAnpG seine Wirksamkeit. in: Rechtsprobleme, S. 208.
12 V. Rzesnitzek, Die Vermögensauseinandersetzungen nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz, in: Rechtsprobleme, S. 236 ff, S. 304 ff.
13 BGH, Beschluss vom 8. Mai 1998 – BLw 18/97.
14 V. Rzesnitzek, Vermögensauseinandersetzungen, in: Rechtsprobleme, S. 309
15 Die LPG Vorsitzenden waren zumindest mit ihren ehemaligen Kollegen in Mitteldeutschland, meist auch RGW-weit gut vernetzt.
16 § 34 Abs. 3 LwAnpG sieht dabei vor, dass jegliche Mängel des Formwechsels durch die Registereintragung geheilt wmaßnahmen, Bergen/Dumme 1998, S. 78; Die Gerichte stellten dabei vorwiegend darauf ab, dass solche Heilungsregelungen einerseits dem Schutz des Rechtsverkehrs dienen, jedoch andererseits funktionierende Registergerichte voraussetzen. Vgl. Rzesnitzek, Vermögensauseinandersetzungen, in: Rechtsprobleme, S. 309.erden, vgl. Holger D. Thiele, Dekollektivierung und Umstrukturierung des Agrarsektors in den neuen Bundesländern. Eine gesamtwirtschaftliche und sektorale Analyse von Politik
17 Vgl. Rechtsprobleme, hrsg. v. Bayer.
18 Zur Methodik, Quellen und den rechtstaatsächlichen Befunden: Vgl. Rzesnitzek, Vermögensauseinandersetzungen, in: Rechtsprobleme; die Umwandlung war nicht nur fehlerhaft, aber nach § 34 Abs. 3 LwAnpG heilbar.
19 Zum Umfang dieser Nachbesserungen gibt es keine empirischen Daten.