In eigener Sache: zu meiner IM-Verpflichtung

von Henry Schramm, Halle 1999[1]

Die letzten Monate der DDR, die ersten in der angekommenen BRD, sie waren die wohl am belasteten in meinem Leben. Immer im Hinterkopf mein schlimmes Geheimnis. Ich, ein IM. Und die Furcht, wann kommt es raus? Wie gehen die Freunde, die Verwandten, die Be- und Unbekannten damit um? Vor allem aber, wie entscheidet sich meine Frau?

Da war die eine Seite, meine jahrelange Arbeit in der ÖAG (Ökologische Arbeitsgruppe beim evangelischen Kirchenkreis Halle), im Grün-Ökologischen Netzwerk  Arche, das Informationsblatt „Blattwerk“, welches ich 1984 zum ersten mal herausgab, Das alles war ehrliches Engagement für eine Änderung der Umweltpolitik der DDR. Und diese Arbeit war natürlich auch politische Arbeit. Arbeit nicht im Sinne des SED-Regimes. Aber ich glaubte an eine Änderbarkeit der DDR-Strukturen. Und ich glaubte daran, dass dies nur durch Druck von Unten passieren kann.

Die andere Seite war die Zusammenarbeit mit dem MfS. Anfangs dachte ich, dass man durch Zusammenarbeit Änderungen erreichen kann, später war es nur noch Feigheit und Angst vor Enttarnung. Ich hätte meine Arbeit in der Umweltbewegung nicht weiterführen können (davon war ich überzeugt), wenn  zu DDR-Zeiten herausgekommen wäre, dass ich für das MfS gearbeitet habe.  Ich war ein Verräter an Menschen, die mir vertrauten. Soviel ich auch zu meiner Entlastung sagen könnte, es ist eine Tatsache, die ich nicht ändern kann. Erst als ich von dem ganzen Umfang der Arbeit des MfS erfuhr, begriff ich, welche große Schuld ich auf mich geladen habe.

Dass ich auch noch in Halle leben kann, meine Familie zu mir hält und ich kaum Freunde verloren habe, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Dankbarkeit auch zwei Pfarrern gegenüber: der eine entdeckte meine Akte und ließ mir die Zeit, dass ich meine IM-Tätigkeit selbst öffentlich machen konnte. Der andere begleitete mich die ersten Wochen danach und ist auch noch Freund und Berater.

In langen Gesprächen mit ihm und meiner Frau wurde ich in meinen Überlegungen bestärkt, mich nicht zu verkriechen, den Auseinandersetzungen nicht auszuweichen, sondern das Gespräch mit den Betroffenen anzubieten, es auch selbst zu suchen. Dass dies außer mir kaum andere ehemalige IMs taten, bedauere ich, möchte ihnen aber trotzdem raten, sich der Auseinandersetzung zu stellen. Wir sind es den Betroffenen einfach schuldig.

 

Die Spitzeltätigkeiten der IMs sind ein fester Bestandteil der Politik der DDR gewesen. Eine Aufarbeitung der gesamten Thematik ist allein schon aus dem Grund notwendig, dass sich solches nicht wiederholt. Es dürfen nicht wieder Menschen zu solchen „Diensten“ missbraucht werden. Es sollte sich auch niemand der Hoffnung hingeben, dass in der BRD solches nicht möglich ist. Wo Geheimdienste agieren, ist das möglich, auch in der BRD.

Meine Geschichte habe ich in den letzten acht Jahren mehrfach im Rundfunk,  im Fernsehen und in den Printmedien erzählt. Das sind aber nach meinem Dafürhalten nicht die geeigneten Mittel, um eine ernsthafte Aufarbeitung zu betreiben. Diese Medien denken fast ausschließlich in Schlagzeilen und Quoten. Meiner Meinung nach ist es auch nicht der richtige Weg, nur aus den Akten des MfS eine Bewertung vorzunehmen. Und was bisher völlig fehlt, ist die Auseinandersetzung mit den „Hauptamtlichen“ des MfS, speziell mit den Führungsoffizieren der IMs.

Aufarbeitung ist für mich immer das Gespräch mit den Betroffenen geworden. Es hat davon einige gegeben. Die Ergebnisse daraus sind natürlich sehr unterschiedlich ausgefallen. Nicht alle konnten meine Erklärungen und Entschuldigungen akzeptieren, aber viele konnten verzeihen. Wichtig ist aber allein, dass nichts vergessen wird.

Das Mitwirken an dieser vorliegenden Broschüre wird für mich ein vorläufiger Abschluss der Öffentlichkeitsarbeit sein. Ich bin aber jederzeit bereit, in Einzel- und Gruppengesprächen über meine Tätigkeit als IM zu reden.


[1] Mit freundlicher Genehmigung von Zeit-Geschichte(n) e.V. Halle. Erstveröffentlichung in Die Andere, Oktober 1990. Publiziert in:  Von einem der auszog, die Umwelt zu retten. Gespräche mit IM Gerhard alias Walter alias Rolf Hansen alias Henry Schramm, der im November 1989 die Gründung der Grünen Partei Ost betrieb. Dokumentation von 3 Interviews (1990-1999) mit einem ehemaligen Stasi-Spitzel und Mitgliedern der Ökologischen Arbeitsgruppe Halle (ÖAG) Hrsg. vom Zeit-Geschichte(n) e.V.- 2. Auflage, 1999. Online. https://www.zeit-geschichten.de/start/themen/sozialismus/interview-mit-einem-spitzel/ (9.10.2023)