Ergebnisse der ersten deutschlandweiten Umfrage zur Opferentschädigung

Erste Ergebnisse des Forschungsprojektes"Rechtsfolgen der politsichen Verfolgung im vereinigten Deutschland" an der Europauniversität Frankfurt (Oder), Viadrina (Leitung Prof. J. Weberling) im Rahmen des forschungsverbundes Landschaften der Verfolgung (LdV)

von Christian Booß

Das Projekt "Rechtsfolgen der politsichen Verfolgung im vereinigten Deutschland" an der Europauniversität Frankfurt (Oder), Viadrina weist gegenünber bisherigen einige Besonderheiten auf:

1. Es ist das einzige juristische Projektnim Rahmen der aktuellen Forschungsverbünde.

2. Es beschäftigt sich grundsätzlich mit allen Grundrechtesverletzungen zu DDR-Zeiten, angefangen von freiheitsentziehenden Maßnahmen (Haft/Heim), der Beschränkung der Freizügigkeit über die Beeinträchtigung der beruflichen Entfaltung bis hin zu Vermögensfragen (unrechtmäßigen Enteignungen) sowie mit Vermögensauseinandersetzungen um die Kollektivierung bäuerlichen Eigentums.

3. Es führte die erste Gesamtdeutsche Repräsentativumfrage speziell zum Thema DDR-Unrechtsbereinigung durch, während es bisher zum Thema Lage der Opfer/Betroffenen der SDD-Diktatur "nur" Befragungen auf Länderebene gab (Thrüningen I und II, Brandenburg, Berlin), die sich primär an die Landeskinder richteten.

Die Ergebnisse

Einzelergebnisse wurden im Verlauf des Projektes seit 2019 immer wieder veröffentlicht, um den Betroffenen und Beruflich mit dem Thema Befassten neue Erkenntnisse möglichst schnell zukommen zu lassen. So wurde beispielsweise schnell eine Einschätzung der Reha-Novellierung von 2019 veröffentlicht und speziell den neuen Möglichkeiten und Grenzen, eine einmalige Geldzahlung als Entschädigung für "Zersetzungsmaßnahmen" zu bekommen, nachgegangen. 1

Demnächst wird im Nomos-Verlag ein Zwischenbericht erscheinen, der die Ergebnisse von 2019-2023 aus den vier Teilprojekten (strafrechtliche, verwaltungsrechtliche, vermögensrechtliche und agrarrechtliche Rehabilitierung bzw. Entschädigung bzw. Restitution und die Erkenntnisse aus der Umfrage zusammenfasst. Zu letzterer hier holzschnittartig einige Ergebnisse:

Die Umfrage- Betoffenengruppen und Fragestellung

Die Umfrage wurde nach Corona um die Jahreswende 2022/3 in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt. Befragt wurden ca. 1300 Personen in der gesamten Budnesrepublik. Eine solche Stichproble gilt als statistisch repräsentativ (z.B. bei Wahlprognosen).

Die Art der Betroffenheit/Schädigung beruht bei solchen Umfragen natürlich auf der Selbsteinschätzung der Befragten. Diese an Hand von Akten zu überprüfen, wäre zu aufwendig. Dabei besteht- zugegeben- die Gefahr, dass die Befragten übertreiben, sich irren, etc.. Irgendwie war ja fast jeder DDR- Bürger ein Diktatur-Betroffener oder -Geschädigter. Man denke allein an die Freiheitsbeschränkungen durch die Mauer und die innerdeutsche Grenze. Aber entsprechend einer höchstrichterlichen Definition sollten nur solche Beeinträchtigungen berücksichtigt werden, die über das Maß des Durchschnttlichen, was ein Normalbürger der DDR ohnehin erleiden mußte, hinausgehen.

So fragte das Projekt sehr konkret, ob die Befragten oder ihre Verwandten selbst in Haft waren, im Heim, ob sie beruflliche Nachteile hatten, ob ihnen Vermögen weggenommen wurde, etc.. Die Interviewer konnten zudem durch Nachfragen, dies versuchen einzukreisen und so die Angaben zu verifizieren. Im Übrigen stimmen die Proportionen der Betroffenengruppen in der Umfrage im Wesentlichen mit den Vorabrechnungen über die Betroffenengruppen überein, die im Projekt durchgeführt wurden.2

Schon bei diesen Vorüberlegungen war z.B. klar, dass die Haftopfer keineswegs die größte Betroffenengruppe sind, auch wenn ihnen wegen der Schwere des Grundrechtseingriffes immer großes Gewicht beigemessen wurde und wird. Es gab gegenüber 200-250.000 Häftlingen beispielsweise rund 450.000 Personen,3 die Opfer der Kollektivierung von Bauernstellen in der DDR waren. Überrascht hat allerdings die Höhe der Zahl derer, die sich als beruflich Benachteiligte einstuften. Die bisherigen Zahlen dieser Betroffenengruppe4 erscheinen demgegenüber deutlich zu niedrig und orientierten sich wohl eher an der Gruppe jener, die auf Grund ihrer, auch religiösen Einstellung, nicht ihre Berufs- und Ausbildungswünsche realisieren konnten. Offenbar sehen aber deutlich mehr Menschen ihre Karriereplanung in der DDR als beeintächtigt an, als bisher angenommen. Das bedarf weiterer Aufklärung und Analyse.

Fragestellung

Die Hauptfragestelllung des Projektes zielte darauf ab, wie zufrieden die Betroffenen nach ca. 30 Jahren Rehabiliterung, Entschädigung und Restitution sind. Wo klemmt es? Eine für ein rechtswissenschaftliches Projekt wichtige Frage war, wie sich all das auf das Rechtsbewußtseitn der Betroffenen ausgewirkt hat, vereinfacht gesprochen, wie zufrieden diese Menschen mit dem Rechtssystem sind, vieleicht auch mit dem System der Bundesrepublik als solchem.

Ergebnis: Geringe Kenntnis und Ausschöpfung der Rechte

Erstaunlicher Weise- angesichts der hohen Aufwendungen im Bereich der Opferberatung ist, dass nur ca. 36% der befragten Betroffenen einen Antrag gestellt haben, wobei 21 % über ihre Entschädigungsmöglichkeiten nicht hinreichend informiert waren. Dies spiegelt sich auch in dem Ergebnis, dass ein hoher Prozenssatz nach Ablehnungen die Möglichkeiten von Rechtsmitteln nicht ausschöpfte. Dies ist auf Unkenntnis, die geringen Erfolgserwartungen und darauf zurückzuführen, dass nicht wenige (50%) für sich beschlossen haben, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen. Auch wenn in Aufarbeitungskreisen zuweilen anderes propagiert wird, ist- vorausgesetzt die Betroffenen haben ihre damalige Trauma hinreichend bewältigt- eine solche Entscheidung sicher zu respektieren.

 

Ergebnis: Große Zahl noch lebender Betroffener

Bisher gab es keine validen Zahlen darüber, wieviele Personen der unterschiedlichen Betroffenengruppen überhaupt noch am Leben, also potentiell anspruchsberechtigt sind. Aus der Umfrage kann man jetzt hochrechnen. Von den primär Geschädigten (Freiheitsentzuge, Berufliche Behinderung, Vermögensentzug, etc.) leben derzeit noch ungefähr 2 Millionen Personen. Wenn man die mittelbar und sekundär Betroffenen (6,5 Mio), also zumeist die Familienangehörigen der Opfer von Repressionen und die geschädigten Erben dazu rechnet, sind es insgesamt ca. 8,5 Millionen Personen.

Das sind nicht wenige. Man kann also schlussfolgern, dass die Betroffenen und Opfer der SED-Diktatur insgesamt nach wie vor eine große Lobbygruppe sind, die schon zahlenmäßig durchaus selbstbewusst auftreten können. Wenn sie es schaffen sich auf wesentliche Punkte zu einigen, und ihre Verwandten, etwas salopp ausgedrückt, auf Linie beringen, sind die DDR- Betroffenen Betoffenen noch immer ein starker Faktor bei Wahlen gerechnet auf rund 61 Mio Wahlberechtigte in der Bundesrepublik.5 Das scheint manchem Politiker nicht bewusst zu sein.

Die zweite (etwas) überraschede Erkenntnis war, dass bei den primär Betroffenen zwar die meisten heute in Ostdeutschland wohnen. Nimmt man aber die mittelbar Betroffenen dazu, wohnt die Mehrheit im Westen der Republik. Angesichts der Flucht-, Wanderungs- und Freikaufwellen eigentlich nicht verwunderlich, aber in der Vergangenheit doch woht vernachlässigt. Es stellt sich die Frage, ob die Beratungsinfratruktur, die vorrangig auf Ostdeutschland abgestellt war, dieser Verteilung gerecht wird.

Enttäuschung trotz großen Aufwand für die Aufarbeitung und Entschädigung

Dass es eine gewisse Unzufriedenheit über den den Stand der Rehabilitierung, Entschädigung und Restitution gibt, ist bekannt. Sie wird durch die Umfrage bestätigt. (Nur 45% sind mit dem Verfahren insgesamt zufrieden.) Die Unzufriedenheit geht auch schon aus vielen Stellungsnahmenn der entsprechenden Verbände hervor. Insofern könnte man fragen, was soll so eine Umfrage überhaupt?

Die Unzufriedenheit ist allerdings keineswegs selbsterklärend, wenn man den Aufwand betrachtet, den die Bundessrepublik seit der deutschen Vereinigung auf diesem Gebiet betrieben hat. Allein für die strafrechtliche Rehabilitierung und Entschädigung wurden nach Angaben des BMJ bis 2020 fast 2,8 Milliarden Euro ausgegeben.6 Wenn man die anderen Entschädigungsformen dazu rechnet, sowie die Kosten für die wichtigsten Archive und Aufarbeitungsinstitutionen, die Voraussetzung für Aufarbeitung und Opferanträge sind, kommt man auf fast 20 Milliarden. Diese bisherige Aufstellung ist keineswegs vollständig. Es fehlt zum Beispiel der nicht tunbeträchtliche Verwaltungsaufwand für Rehabilitierung, Entschädigung und Restitution. Doch auch schon so sind fast 20 Milliarden eine durchaus große Summe, die im internationalen Vergleich sicher im Spitzenbereich liegen dürfte. Auch wenn das noch genauer empirisch zu untersetzen wäre, dürfte kaum ein Land der Welt soviel Aufwand mit der materiellen Bewältigung einer Diktatur getrieben haben, wie die Budnesrepublik. Das hat natürlich auch mit dem glücklichen Umstand zu tun, dass die Altbundesrepublik relativ wohlhabend war und ist und die DDR kleiner war als der reichere Westteil. Aber egal, wie das zu erklären ist, ist die -auch finanzielle- Wertschätzung die SED-Diktaturbetroffenene in der Bundesrepublik erfahren, enorm. Sie sind als Ganzes -rein quantiativ betrachet- keineswegs schon wieder die Verlierer oder gar Opfer, sondern im Gegenteil eine gewertschätzte Gruppierung. Das zeigt auch die allgemeine Akzeptanz der Rechtsbereinigungs- und Entschädigungsbemühungen in der Umfrage. Die meisten Deutschen befürworten sie grundsätzlich. Das können die die Opfer und Betroffenen auch als einen Erfolg ihrer jahrelangen Bemühungen bei der Aufklärungsarbeit durch ihre Verbände und auch durch ihre Zeitzeugenschaft in den Medien, in der Wissenschaft und Bildungsarbeit ansehen.

Angesichts dieser Aufwendungen stellte sich also doch die Frage, wohl kommt die Unzufriedenheit und wo sind ihre Ursachen zu suchen?

Unzufriedenheitsfaktoren

Es überrascht nicht, dass diejenigen, deren Antrag auf irgend einer Ebene abgelehnt wurde, unzufriedener sind, als die die damit durchkamen. Das ist eigentlich selbsterklärend. Aber Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit hängen offenbar auch stark von der Art der Betroffenenheit, dem Wohnort und dem Alter, der Bildung und dem Umfeldmilieu ab.

Die im Osten sind unzufriedener als die im Westen und die Jüngeren mittelbar Betroffenen sind deutlich unzufriedener als die primär Betroffenen. Die primär Betroffenen vergleichen offenbar ihre jetztige Lage auch stärker mit ihrer Erfahrung in der Diktatur. Man könnte sogar zugespitzt sagen, dass die Primäropfer zu den Verteidigern unseres Rchtssystems gehören, bei aller kritik im Detail. Demgegenüber sind 38% der in Ostdeutschland lebenden mittelbar Betroffenen skeptisch gegenüber unserem Rechtssytem. Diese Zahl bedarf genauerer Betrachtung und Interpretation, aber sie ist durchaus ein Alarmsignal. M. E., das bedarf noch weiterer Untersuchungen und Überlegungen ist also keineswegs der Ausgang der Rehabilitierungs-, Entschädigungs- und Restitutionsanträge allein dafür ursächlich, wie Menschen unseren Rechtsstaat beurteilen. Es hat auch etwas mit der Lebenserfahrung, dem Milieu und der politischen Bildung zu tun. Auch das ist ein Punkt, über den stärker nachgedacht werden müßte. Es geht auch -ein heikler Punkt- darum, wie realistisch die Erwartungen an einen Rechtsstaat sind. Der berühmte Satz "Wir hofften auf Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat", zeigt den Kern eines Missverständnisses. Natürlich darf jeder auf Gerechtigkeit hoffen, aber er sollte auch wissen, dass es keine absolute Gerechtigkeit gibt, dass die eigenen Vorstellungen keineswegs immer obsiegen werden und dass der Rechtsstaat lediglich mehr oder minder faire Chancen eröffnet, Gerechtigkeit zu bekommen. Eine Garantie oder ein Selbstläufer ist das aber nicht. Zumal die meisten Rechte in Konkurrenz zu anderen stehen und daher abgewogen werden müssen. Ganz banal gesprochen: Wenn der eine Geld bekommt, bekommt es ein anderer nicht.

Einzelpunkte

Die einzelnen Punkte der Unzufriedenheit sind an sich bekannt. Dennoch schien es nützlich, sie noch einmal abzufragen und quasi objektiv aufzulisten. Es ist weniger der materielle Höhe von Entschädigungsleistungen, die die Menschen zu ärgern scheint, sondern die Art des Verfahrens, zu langwierig, zu intransparent, zu kompliziert, zu wenig empathisch, so kann man das vielleicht zusammenfassen.

Zweite Forschungsphase in Gefahr

Das Projekt hatte sich daher zum Ziel gesetzt, ab Mitte 2023 in einer zweiten
Projektphase von zwei Jahren, die ursprünglich in Aussicht gestellt waren, stärker an Vorschlägen zu arbeiten, wie man Bisheriges verbessern könnte. Die Verfahren einfacher, durchschaubarer zu machen; etwa dadurch, dass zweistufige Verfahren (Reha/Entschädigung) stärker miteinander verkoppelt werden; oder dadurch, dass bei schwieriger Aktenüberlieferung der Aussage des Geschädigten eine größere Bedeutung zugemessen wird, als bisher (Beweisumkehr), wenn Akten fehlen; oder dass bei bestimmen gesundheitlichen Folgeschäden beispielsweise nach Haft, auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Regel davon ausgegangen wird, dass eine Schädigung durch die Haft vorliegt, andernfalls die Verwaltung das Gegenteil beweisen müsste. Dies würde den Betroffenen eine demütigende Prozedur ersparen, die zudem die Gefahr der Retraumatisierung in sich birgt.

Bedauerlicher Weise wurde jedoch die zweite Förderphase für den gesamten Forschungsverbund Landschaften der Verfolgung (LdV) vom BmBF abgelehnt. Damit können die Europauniversität, aber auch andere unserer Verbundspartner an der Huboldtuniversität, der Charitee, und der Gedenkstätte Hohenschönhausen ihre gerade für die Betroffenen wertvolle Arbeit nicht fortsetzen.

Konkret bedeutet das: Das wichtige Forschungsprojekt an der Charitee, sollte erstmals hunderte von Haftopfern auf medizinische und psychische Folgeschäden untersuchen und die Ergebnisse resümierend auswerten. Bisher fehlen statistisch belastbare Erkenntnisse, um eine regelhafte Schädigung durch eine solche Freiheitsentziehung objektiv belegen zu können. Daher muss das bisher jeder Einzelne immer wieder in oft problematischen Gutachterverfahren selbst durchfechten. Wegen Corona konnte die Charitee jedoch die angestrebte Probandenzahl von 800 bislang nicht erreicen. Auch wenn erste Ergebnisse für mehr oder minder regelhafte negative gesundheitliche Folgen sprechen, müsste das Projekt unbedingt fortgeführt werden, um dies wissenschaftlich und juristisch wirkllch belastbare Erkenntisse abzusichern.

Viadria Beweisumkehrargumentation

Die Juristen an der Viadrina hatten sich zum Ziel, gesetzt, diese Befunde der medizinischen Kollegen mit dem juristischen Instrument der Beweisumkehr so zu untermauern, dass die in ihrer Gesundheit Geschädigten nicht mehr den Einzelnachweis der Verursachung durch die Haft bringen müssen, sondern dass dies angesichts der medizinischen Erkenntnisse der Charitee zu ihren Gunsten angenommen wird.

Dem Projekt an der Viadrina ist es zudem gelungen, von zwei Anwälten tausende von Akten zu LPG-Vermögensdauseinandersetzungen zu übernehmen. Dies ist ein in der Bundesrepublik bisher einmaliger Erkentnisschatz. Da der Staat diese Auseinandersetzung primär als eine private angesehen hat, gibt es hierzu keine nennenswerte staatliche Aktenünberleiferung. Erstmals ist duch die Anwaltsakten überhaupt die Erforschung dieses Themas auf breiter empirische Basis möglich. Wegen Corona und komplizierten Datenschutzfragen gelangten die Akten allerdings erst spät in der ersten Forschungsphase und in relativ amorpher Form in den Besitz der Viadrina, so dass sie bislang nur zu kleinen Teilen ausgewertet werden konnten. Es war das Ziel der zweiten Projektphase diese Untersuchung abzuschließen, um endlich eines der umstrittensten Kapitel der Rechtsbereinigung seriös aufhellen zu können. Dies ist wegen der Versagung der Gelder derzeit in Gefahr.

Auch das Thema Zwangsadopion ist ein in den Medien und teilweise von Betroffenenvereinigungen stark skandalisiertes Thema. Bei genauer empirischer und rechtlicher Betrachtung zeigte sich im Rahmen der ersten Phase des Viadrina-Projektes, dass aller Wahrscheinlichkeit von massenhaften Zwangsadoptionen kaum sinnvoller Weise auszugehen ist, wohl aber von gehäuft auftretendem Kindesentzug, der keineswegs immer alleine durch das Kindeswohl gerechtfertigt war, sondern eher politische oder systembedingte Gründe hatte. Neue Aktenfunde, sowie die erziehungswissenschaftliche und rechtliche Bewertung der Einzelfälle, die im Verlauf der Jahrezehnte unterschiedliche Ursachen hatten, sollten, nachdem die Fragestellung und Methodik in der ersten Phase präzisiert worden konnte, in einer Kooperation zwischen den Erziehugwissenschaftern der Universtität Erfurt und der Viadrina neu bewertet und systematisch ausgewertet werden.

Ein immer wieder in der Repräsentativumfrage benanntes Problem sind die relativ intransparten Verwaltungsentscheidungen. Denn es wurden zu den teilweise eher abstrakten Rechtsnormen der verschiedenen Entschädigungsgesetze atypisch keine Verwaltungsvorschriften erarbeitet, so dass der Eindruck entsteht, dass die unterschiedlichen Länderverwaltungen nach unterschiedlichen Maßstäben über Entschädigungsansprüche entscheiden. Statt der Verwaltungvorschriften, sollten Protokolle nach informellen Bund-Länder-Absprachen eine gewisse Vereinheitlichung garantieren. Diese sind jedoch bislang nie offengelegt worden. Dem Projekt an der Viadrina ist es erstmals gelungen, an solche Protokolle heranzukommen. In einer zweiten Projektphase sollten diese informellen Regel offen gelegt und systematisch analysiert werden und Vorschläge für künftige einheitliche Verwaltungsvorschriften gemacht werden, um die Verfahren für die Betoffenen und ihre Rechtsbeistände nachvollziehbarer zu machen und die Verfahren durch Vereinfachung und Vereinheitlichung zu beschleunigen.

Im Rahmen des LdV war auch die Gedenkstätte Hohenschönhausen dabei, erstmal empirisch möglichst vollständig die Grunddaten der politischen Häftlinge in der DDR an Hand von Karteien des MfS und des MdI zu erfassen. Bislang gelang es, die über 60.000 Datensätze der seit Anfang der 1960er Jahre Inhaftieren beim MfS/HA IX in eine Datenbank zu migrieren. In einer zweiten Projektstufe sollten an Hand einer neuaufgefunden Stasi-Kartei auch die politischen Häftlinge der Stasi seit den 1950er Jahren erfasst werden. Dieses Projekt wurde durch eine Studie an der HUB flankiert, die erstmals die Anteile der politischen Justiz beim MfS und bei der Polizei ermitteln sollte. Da das Bundesarchiv/Stasiarchiv diesen Wissenschaftler vor Fertigstellung zurückgezogen hat und mangels der Förderung der zweiten Phase des LdV Forschungsprojektes in Hohenschönhausen ist es derzeit nicht möglich, eines der wichtigsten Forschungslücken der DDR-Repressionsforschung zu schließen. Auch die ergänzten Projekte an der Humboldt-Universität, den Gedenkstätten Lindenstaße/Potdam und Cottbus, die ergänzende Einzelaspekte der politischen Haft zum Gegenstand hatten, können, obwohl angearbeitet, derzeit nicht abschließend realisiert werden. Das ist mehr als bedauerlich.

Insgesamt erwartete der LdV relevante Ergebnisse zur DDR-Repression und ihrer Rechtsbereinigung, die auch allgemeine Erkenntnisse zur Transformation in Gesellschaften nach dem Ende einer Diktatur liefern können und daher einen wichtigen Beitrag zur internationalen Transformationsforschung insbesondere der Transitional Justice liefern sollten. Dies ist durch das Ausbleiben der in Aussicht gestellten zweiten Förderstufe in Gefahr. Der Verbund LdV hat wegen der Bedeutung dieser Forschungsansätze, der Defizite beim Entscheidungsverfahren erste Schritte eingeleitet, um die Forschungen doch fortsetzen zu können.

Christian Booß: Forschungskoordinator (Überarbeitung des Vortrages auf dem Bundeskongress der Opfervderbände und Landesbauftragten, am 9.9. ´2023 in Werningerode.

1H-und-G.info Schwerpunkt Zersetzung in Kooperation mit Neue Justiz, 2021: h-und-g.info/forum/zersetzung

2 Ansgar Borbe: Buch „Die Zahl der Opfer des SED-Regimes“, 2010

3 Nach Borbe, s. FN 2

4 48.000 nach Borbe, S. FN 2

5Bt-Wahl 2021. https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/bundestagswahlen/506248/wahlberechtigte/ (Zugriff 30.9.2023)

6 Leistungen gesamt StrRehaG BerRehaG VwRehaG bis 2020, BMJ-Angaben gegenüber dem Forschungsprojekt 2022