Kiffen in Noworossijsk (1973)

von Gabriel Berger

-Auszug aus der Erzählung „Abenteuer im wilden Osten“

Was war denn so besonderes an der Stadt Noworossijsk, dass sie für Ausländer gesperrt war? War es der große Schwarzmeerhafen? Vielleicht wurden dort Militärgüter verladen, wer weiß. Vielleicht aber war es in der Sowjetunion nur Routine, Ausländer nirgendwohin reisen zu lassen, außer in einige streng vorgegebene Touristenstädte.

Ich ließ meinen Rucksack auf dem Bahnhof in der Gepäckaufbewahrung zurück und schlenderte durch das Stadtzentrum. Noworossijsk erwies sich als eine überraschend reizvolle Stadt. Die meist nur zwei- oder dreistöckigen Häuser waren von hohen Bäumen überschattet, die alle Straßen säumten. Hier konnte man es sicher selbst bei großer Hitze gut aushalten. Man spürte eine angenehme Meeresluft.

An der Ecke einer belebten Kreuzung passierte ich eine Gruppe von sechs jungen Frauen, etwa zwischen sechzehn und fünfundzwanzig, die so aussahen, als würden sie zur Schönheitskonkurrenz antreten wollen. Sie standen auf dem breiten Bürgersteig und plauderten miteinander. (…) Die jungen Frauen kamen auf mich zu. Sie umringten mich und bombardierten mich mit neugierigen Fragen.

 „Wo kommst du her?“ „Wo willst du hin?“ „Wie heißt du?“ „Wie gefällt es dir bei uns?“ Was hast du schon gesehen?“ „Was hast du noch vor?“

Von so einem netten Auditorium ließ ich mich gern ausfragen, zumal diese schönen Wesen eine entwaffnend naive Offenheit ausstrahlten. (…)

Am Vormittag des nächsten Tages schlenderte ich gemächlich durch das Stadtzentrum, schaute mir die armseligen Auslagen der Läden und die Menschen auf den Straßen an. „Hallo Gabriel“, rief mir eine Frauenstimme zu. Das war Sascha. Auch sie hatte ich am vergangenen Tag an der Straßenecke kennen gelernt. „Hallo Sascha“, entgegnete ich. Sie trat auf mich zu und fasste mich energisch an der Hand. „Komm mit“, sagte sie in einem Befehlston, der so richtig mit ihrer üppigen, fast athletischen Figur harmonierte. Wir stiegen in einen Autobus, der uns aus der Stadt herausbrachte. An der Endstelle verließen wir den Bus in einer Einfamilienhaussiedlung und erreichten zu Fuß ein kleines Haus. Dort saßen im Wohnzimmer versammelt sechs junge Leute, Männer und Frauen, die Sascha und mich herzlich begrüßten.

Sie boten mir Tee und eine amerikanische Zigarette an. „Ich bin Nichtraucher“, sagte ich.

Danach holte Michail aus seiner Jackentasche einen Klumpen grün-braune Masse heraus und zerkrümelte sie auf einem Blatt Zeitungspapier. Dazu schüttete er den Tabak aus einigen Zigaretten, Marke „Belomor Kanal“, indem er die Zigaretten leer klopfte. Es blieben leere Papierrohre, angeklebt an lange Pappmundstücke zurück. Er stopfte in die Rohre eine Mischung aus Tabak und jener grün-braunen Masse hinein. Michail erledigte diese Arbeit mit einer erstaunlichen Sorgfalt und Gründlichkeit. Nachdem er die Papierrohre vollgestopft hatte, zerdrückte er die Pappmundstücke zweimal über Kreuz und reichte die Zigaretten in der Runde herum. Auch mich überredete er, doch mal eine zu probieren.

Dem Gespräch hatte ich inzwischen entnommen, dass es sich bei der grün-braunen Masse um Haschisch handelte, das hier unter jungen Leuten sehr bekannt zu sein schien. Alles andere nur nicht das hätte ich in der Sowjetunion erwartet. „Woher habt ihr das“, fragte ich. Sie lächelten mich verlegen an.

„Es ist doch warm bei uns“, sagte Michail. „Das Zeug wächst bei uns wild oder wir pflanzen es im Garten an.“

Nacheinander zündeten wir die Zigaretten an. Alle in der Runde zogen hastig an den Pappmundstücken. Ich folgte ihrem Beispiel, verschluckte mich als Nichtraucher, hustete. Der Raum war bald mit einem süßlichen Rauch gefüllt.

Etwa zwei Stunden später verließ ich mit Sascha das Haus und ging mit schwankenden Schritten und leichtem Rauschen im Kopf zur Bushaltestelle. Im Zentrum der Stadt verabschiedete sich Sascha von mir. Ich traf hier noch einige der Frauen aus der Vortagsrunde, die mir im Vorbeigehen freundlich zulächelten oder mich in eine kleine Plauderei verwickelten.

Als ein Mann aus dem fernen Deutschland war ich hier, in Noworossijsk, zwei Tage lang das Maskottchen junger Frauen aus einer Szene, die es in der Sowjetunion offiziell gar nicht gab. Einige der Schönen begleiteten mich schließlich auch zum Hafen. „Warum fährst du schon“, fragte mich bedauernd eine meiner Begleiterinnen. „Sicher wartet in Jalta eine Frau auf dich. Wozu brauchst du sie? Schau mal: Du hast mich und du hast meine Freundin. Sind wir dir nicht genug?“ Ich lächelte sie als Antwort nur verlegen an, bedankte mich bei allen für die unüberbietbare Gastfreundschaft und stieg auf das Schiff, das mich nach Jalta brachte.