Die wirtschaftliche Entwicklung in den ostdeutschen Ländern nach 1991

Kristina van Deuverden[1]

Als 1989 die Mauer fiel, bot sich die wohl einmalige Chance zu einer friedlichen Vereinigung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Der Weg dorthin wurde in der politischen Debatte hitzig diskutiert. Sollte es – für einen Übergang – zwei deutsche Staaten geben? Sollten die institutionellen und verfassungsrechtlichen Grundlagen eines geeinten Staates neu ausgehandelt werden? Oder sollte die bestehende bundesrepublikanische Ordnung beibehalten und auf dem Gebiet der DDR neue Länder gegründet werden, die dann der Bundesrepublik „beitreten“ würden? Die Entscheidung fiel zugunsten der dritten Option und sie war politisch wohl auch ohne Alternative. Eine Zweistaatenlösung hätte sehr wahrscheinlich noch größere Wanderungsbewegungen nach sich gezogen als sie sich in den folgenden Jahren ohnehin zeigten, die Schaffung eines neuen Rechtsrahmens hätte lange Verhandlungen vorausgesetzt, wie sie die anderen osteuropäischen Länder durchgemacht haben und die wirtschaftliche Entwicklung dadurch in beiden Landesgebieten über einen längeren Zeitraum belastet. So traten die neu gegründeten Länder am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik bei.

Die Politik stand vor der Aufgabe, die Planwirtschaft der DDR in eine privatwirtschaftliche Ordnung zu überführen. Aus diesem Grund wurde noch von der Modrow-Regierung im März 1990 die Treuhandanstalt gegründet. Sie sollte möglichst viele Unternehmen wettbewerbsfähig machen und möglichst viele Arbeitsplätze erhalten.[2] Zum 1. Juli 1990 wurde mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion der Geltungsbereich des in der BRD geltenden Rechtsrahmens auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgeweitet. Mit diesem Stichtag wurde die D-Mark zum alleinigen Zahlungsmittel im Gebiet der DDR. Als Umtauschkurs wurde ein Verhältnis von 1:1 festgelegt, nur für größere Guthaben galten ungünstigere Kurse.

Auch diese Entscheidung war aus politischer Sicht wohl unumgänglich, ökonomisch erwies sie sich allerdings als eine Bürde für die weitere Wirtschaftsentwicklung in den neu gegründeten Ländern. Denn die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen erhielt dadurch einen kräftigen Dämpfer. Mit der Währungsumstellung brach die Nachfrage nach Ostprodukten ein. Der Umtauschkurs von 1:1 für laufende Transaktionen führte dazu, dass Ostprodukte quasi über Nacht ihre Preisvorteile vor westdeutschen Konkurrenzprodukten verloren und zudem in „harter Währung“ bezahlt werden mussten. Damit waren sie für ihre langjährigen Handelspartner, die vormals im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zusammengeschlossenen Staaten, nicht länger finanzierbar.[3] Aber auch im Inland brach die Nachfrage nach ostdeutschen Produkten ein, weil die ostdeutschen Verbraucher*innen ihre „harte“ Währung nun lieber für Westprodukte ausgaben.

DDR-Wirtschaft 1990: MARODER KAPITALSTOCK – ZU HOHER ARBEITSEINSATZ – INEFFIZIENTE PRODUKTIONSSTRUKTUR

Die beiden deutschen Staaten hatten sich in den 40 Jahren der Teilung weit auseinanderentwickelt. Dies galt nicht nur in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht – auch wirtschaftlich waren die Unterschiede erheblich. Die Infrastruktur war ein Sanierungsfall. Die ostdeutschen Unternehmen produzierten oftmals mit Anlagen, die veraltet waren. Der Kapitalstock war entsprechend niedrig, der Arbeitseinsatz zu hoch. Die Fertigungstiefe der Unternehmen war im Vergleich zu ihren westlichen Konkurrenten ungewöhnlich hoch. Um Lieferengpässe zu vermeiden, wurden Vorleistungen häufig selbst produziert, statt sie zuzukaufen. Mit einer solchen Produktionsstruktur geht der Verzicht auf Kostenersparnisse einher, die sich bei der Herstellung größerer Stückzahlen in der Produktion oder im Einkauf von Vorleistungen ergeben. Die Verbraucher*innen hatten zudem nur selten die Wahl zwischen Produkten verschiedener Hersteller, denn zumeist wurde ein bestimmtes Gut nur von einem Kombinat hergestellt. Besonders begehrte Konsumgüter waren außerdem nur schwer – mit Beziehungen oder gegen harte Devisen im Intershop – zu bekommen.

DIE ERSTEN JAHRE 1991 – 1994: BRUTTOINLANDSPRODUKT PRO PERSON NIEDRIG –STEIGENDE ARBEITSLOSIGKEIT – HOHE STAATLICHE TRANSFERS

Die ersten statistischen Daten im Nachgang von Währungsumstellung und Einheit zeigen, wie stark die Wirtschaftskraft in den neuen Ländern hinter der in den westlichen Ländern zurückblieb.[4] Im Jahr 1991 lag das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner*in bei 37,5 Prozent des Bundesdurchschnitts (Abbildung 1) oder knapp 33 Prozent des westdeutschen Niveaus. Obwohl die Währungsumstellung mit einem Kurs von 1:1 für die ostdeutschen Unternehmen bei den Personalkosten eine starke Belastung darstellte, blieben die Einkommen in den ostdeutschen Ländern deutlich hinter dem Niveau im westdeutschen Landesteil zurück. Im Jahr 1991 lagen die Bruttolöhne je Arbeitnehmer*in gemessen am Bundesdurchschnitt bei 55,7 Prozent (Abbildung 2) oder 50,6 Prozent der in den westlichen Ländern erreichten Verdienste. Durch das – in wesentlichen Teilen progressive – Steuersystem wurde dieser Rückstand zwar abgemildert, dennoch blieben die Einkommen spürbar zurück. Obwohl die Bruttonlöhne je Arbeitnehmer*in den ersten Jahren stark zulegten, ist der deutliche Lohnabstand zu den westdeutschen Ländern auch ein Reflex der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.

Der veraltete Kapitalstock, der zu hohe Arbeitseinsatz, die unwirtschaftliche Produktionsweise und der Nachfrageeinbruch bei ostdeutschen Produkten ließ die Zahl der registrierten Arbeitslosen in den neuen Ländern und Berlin bereits im Jahr 1991 auf jahresdurchschnittlich mehr als eine Million Personen steigen – bei einer Einwohnerzahl von 18,1 Millionen Personen. Im darauffolgenden Jahr waren es noch einmal 280 Tausend Arbeitslose mehr. Die Arbeitslosenquote, also die Zahl der Arbeitslosen in Relation zu den Erwerbspersonen, lag im Jahr 1995 mit 13,9 Prozent knapp sechs Prozentpunkte über der westdeutschen Quote (Abbildung 3). Ihren Höchstwert erreichte sie im Jahr 2005, mit 18,7 Prozent. Auch wenn dies durch hohe staatliche Transferausgaben abgemildert wurde, blieb die Kaufkraft der ostdeutschen Haushalte niedrig. Einen entscheidenden Einfluss darauf hatten auch die Gewinneinkommen im ostdeutschen Landesteil. Darunter sind nicht nur Unternehmensgewinne kleinerer Personengesellschaften (deren Einkünfte in der Statistik bei den privaten Haushalten berichtet werden) zu verstehen. Gewinneinkommen sind auch Zinsen auf Erspartes oder Vermögenseinkommen wie Dividenden. Nach 40 Jahren Sozialismus waren die Vermögen in Ostdeutschland aber niedrig, zumal größere Vermögen zu ungünstigeren Kursen umgetauscht worden waren. So lag das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte im Jahr 1991 bei lediglich 10,5 Prozent des bundesdeutschen Durchschnitts.

IN DEN FOLGENDEN JAHREN: NUR NOCH GERINGE KONVERGENZ

Trotz der über den Solidarpakt I und II bereitgestellten Mittel, der über den Länderfinanzausgleich umverteilten Steuermittel, der durch Investitionszulagen und regionale Wirtschaftsförderung mobilisierten Gelder und der über staatliche Transfers abgefederten Einkommensrückstände stockte der Aufholprozess bei der Wirtschaftskraft recht bald. Zeigte sich beim Bruttoinlandsprodukt je Person in den ersten Jahren eine relativ schnelle Angleichung – im Jahr 1995 waren immerhin 63,2 Prozent des Bundesdurchschnitts erreicht –, so verlangsamte sich das Konvergenztempo bald merklich. Im Jahr 2000 lagen die ostdeutschen Länder bei 65,1 Prozent, im Jahr 2010 bei 70,3 Prozent und im vergangenen Jahr waren 74,8 Prozent des bundesdeutschen Durchschnitts erreicht. Gründe für die Verlangsamung des Aufholprozesses liegen zum einen in der Wirtschaftsstruktur. So war der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung, einem Wirtschaftszweig, in dem relativ hohe Löhne gezahlt werden, in Westdeutschland lange Zeit deutlich höher als in Ostdeutschland. Der Abstand hat sich zwar auf zuletzt weniger als vier Prozentpunkte zurückgebildet, nach wie vor finden aber viele gut bezahlte Tätigkeiten, etwa in den Headquartern oder in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen, immer noch eher in den westdeutschen Landesteilen statt. Die Bruttoverdienste je Arbeitnehmer*in lagen im Jahr 1995 bei 76,7 Prozent und im Jahr 2010 bei 80,7 Prozent des bundesdeutschen Durchschnitts. Im Jahr 2023 wurde ein Wert von 86,1 Prozent erreicht. Die Zahl der Arbeitslosen nahm – mit wenigen Ausnahmen in den Jahren 1995, 1999 und 2004 – zu; der Höchststand wurde im Jahr 2005 mit 1,6 Millionen registrieren Arbeitslosen erreicht. Danach ging die Zahl – in einigen Jahren deutlich – mit Ausnahme der Jahre 2020 (Coronakrise) und 2023/24 (Ukrainekrieg und Energiekrise). Nach wie vor hinken aber die verfügbaren Einkommen in den ostdeutschen Flächenländern weit hinter dem bundesdeutschen Durchschnitt her. Die ostdeutschen Haushalte haben seit der Vereinigung zwar Vermögen aufbauen können, aber ein Rückstand von 40 Jahren lässt sich kaum aufholen.

HOHE BEVÖLKERUNGSVERLUSTE – DEMOGRAFISCHE ENTWICKLUNG HINTERLÄSST SPUREN

Angesichts der wirtschaftlichen Lage, insbesondere wohl aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, sahen die neuen Länder sich recht schnell mit einer schrumpfenden Bevölkerung konfrontiert. Bereits im Jahr 1992 war die Bevölkerung gegenüber dem Jahr 1991 um 191 Tausend Personen zurückgegangen. Zur Jahrtausendwende hatten sich die Bevölkerungsverluste auf 837 Tausen Personen summiert, im Jahr 2005 waren es 1,4 Millionen und im Jahr 2011 war die Zahl der Zwei-Millionen-Grenze überschritten. Besonders belastet(e) der Bevölkerungsschwund Sachsen-Anhalt, dass gegenüber dem Jahr 1991 23,6 Prozent seiner Bevölkerung verloren hat (Tabelle 1). Zu DDR-Zeiten waren hier die großen Kombinate der chemischen Industrie angesiedelt, in der Tausende beschäftigt waren. Entsprechend hoch waren die Arbeitsplatzverluste nach der Vereinigung. Überdurchschnittlich hohe Bevölkerungseinbußen hat(te) auch Thüringen zu verzeichnen. In Brandenburg ist die Bevölkerung zu Beginn hingegen kaum gesunken und weist seit einigen Jahren gegenüber dem Jahr 1991 sogar einen Gewinn auf. Dies geht zu großen Teilen auf den „Speckgürtel“ um Berlin zurück; die deutsche Hauptstadt hat bis zuletzt kräftige Bevölkerungsgewinne zu verzeichnen und viele zieht es ins Umland.

Bis zum Ende der ersten Dekade des neuen Jahrtausends dürfte die Bevölkerungsentwicklung dabei vor allem auf innerdeutsche Wanderungen zurückzuführen sein, denn die Arbeitslosenquoten lagen im Ostteil des Landes bis zum Jahr 2012 mehr als doppelt so hoch wie im Westteil. Die arbeitsmarktgetriebene Wanderung ließ vor allem junge, gut ausgebildete Personen die neuen Länder verlassen. Zudem waren es überwiegend junge Frauen, die wegzogen. Durch den Verlust an jüngeren Frauen blieb die Zahl der Geburten, die bereits kurz nach der Vereinigung wegen der mit dem Umbruch verbundenen Unsicherheit kräftig zurückgegangen war, weiterhin niedrig. Die Bevölkerung schrumpfte daher in den neu gegründeten Ländern nicht nur, sie alterte stark. Hinzu kam, dass die Lebenserwartung in den neuen Ländern deutlich kürzer als in den alten Ländern war. Selbst im Jahr 2023 war sie bei Männern immer noch um ein Jahr niedriger als im Westteil des Landes. Im Zeitablauf wurde der Rückgang der Bevölkerung in Ostdeutschland daher zunehmend durch demografische Faktoren getragen, während dies für Deutschland insgesamt erst in einigen Jahren zu erwarten ist.[5]

2025: NOCH IMMER DEUTLICHE UNTERSCHIEDE – ABER AUCH LICHT AM HORIZONT

Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner*in ist immer noch ein Viertel geringer als in den westlichen Ländern, die Bruttolöhne und -gehälter liegen um 14,5 Prozentpunkte niedriger und die Arbeitslosenquote ist höher. Eine Erfolgsgeschichte hört sich anders an. Aber: Ist das wirklich die ganze Wahrheit?

Die neuen Länder gehören zu den wirtschaftsschwachen Ländern, das gilt aber auch für einige der westlichen Länder. Der Abstand zu Schleswig-Holstein oder zum Saarland ist nicht mehr so groß. Das Saarland hat zudem ebenfalls einen Aderlass bei der Bevölkerungsentwicklung hinter sich und eine ähnlich ungünstige Altersstruktur.

Seit ein paar Jahren kommen regionalwirtschaftliche Studien immer öfter zu dem Ergebnis, dass die Aufsteigerregionen in Deutschland vor allem im Osten liegen, wohingegen viele westdeutsche Regionen abgehängt sind.[6] Werden die Menschen in der Region befragt, wie sie die jeweilige Lage einschätzen, kommen die Studien aber zu dem Ergebnis, dass vor allem in Ostdeutschland die Situation deutlich ungünstiger wahrgenommen wird, als sie tatsächlich ist.[7]


[1] Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Vorstand des DIW Berlin

[2] Die Treuhandanstalt stand vor der Mammutaufgabe 8.000 industrielle Betriebe zu entflechten (mit fortschreitender Entflechtung stieg die Zahl der zu privatisierenden Unternehmen nach und nach an), sie zu sanieren, an Investoren zu verkaufen oder sie in die Insolvenz zu entlassen. In einer Umbruchsituation, in der viele Entscheidungen getroffen werden mussten, sind dabei viele Fehler gemacht worden. Dies zeigt sich zum einen an dem Begriff „Abwicklung“, zum anderen an den Skandalen und Gerichtsprozessen späterer Jahre. Häufig wird dabei vergessen, dass die Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen vielfach nicht zu vermeiden waren. Es kann außerdem nicht überraschen, dass kriminelle Elemente Wege gesucht haben, eine Umbruchsituation, in der es um Millionen D-Mark ging, auszunutzen und dabei in vielen Fällen Erfolg hatten. In einigen Fällen hätte dies durch eine bessere Kontrolle wohl auch vermieden werden können, vollständig zu verhindern wäre es wohl kaum nicht gewesen. Zur Geschichte der Treuhandanstalt vgl. beispielsweise Marcus Böick (2015): Die Treuhandanstalt 1990 -1994, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen (online verfügbar; abgerufen am 20.05.2024. Dies gilt auch für allen anderen Online-Quellen dieses Berichts soweit nicht anders angegeben.).

[3] Für den Außenhandel der DDR gab der RGW den Rahmen vor. Von der UdSSR und einigen osteuropäischen Staaten gegründet, später für außereuropäische Staaten geöffnet, ermöglichte der RGW den Warenaustausch zwischen in Mitgliedsstaaten durch Verrechnung über Transferrubel (und Gold).

[4] Beim Vergleich der Wirtschaftskraft und der wirtschaftlichen Entwicklung dominiert Berlin die Entwicklung in Ostdeutschland – insbesondere in den ersten Jahren nach der Vereinigung. Soweit möglich werden daher die ostdeutschen Flächenländer mit den westdeutschen Ländern zuzüglich Berlin verglichen. Bei den Arbeitslosenzahlen ist dies leider nicht möglich. Hier wird Berlin den ostdeutschen Ländern zugerechnet.

[5] In der mittleren Variante (G2L2W2) der 15. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes setzt der Bevölkerungsrückgang für Deutschland insgesamt erst im Jahr 2032 ein (genesis online).

[6] Matthias Diermeier et al. (2004): Regionale Entwicklung im Vergleich: Wirtschaftliche Aufholprozesse in Ostdeutschland unterschätzt?. IW-Policy Paper, No. 6 (online verfügbar).

[7] Ebenda; Eric Thode und Roman Wink (2024): Entwicklung und Zukunft des ostdeutschen Arbeitsmarktes. Bertelsmann Stiftung (online verfügbar).