Rohwedders Lehrstück: Die Privatisierung der Interhotels

Von Michael Schönherr[1]

Treuhand – es gibt kaum ein Schlagwort, das so sehr die Wahrnehmung bestimmt, inwieweit die deutsche Wiedervereinigung als gelungen gilt oder nicht. Sie wirkt rückblickend oft wie ein Monolith der Zeitgeschichte, der stets polarisiert, zumindest aber Emotionen hervorruft. Dahingehend liegt die Treuhand schwer auf dem Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland, wie ein Ballast, der nicht so leicht abzuwerfen ist.

Dass dieser Ballast vor allem im Osten Deutschlands noch so schwer wiegt, hat auch damit zu tun, dass die Betriebe der DDR zu einem Großteil an westdeutsche Käuferinnen und Käufer veräußert wurden. Bis 1994 wurden rund 85 Prozent der großen Betriebe an westdeutsche Unternehmen, zehn Prozent an ausländische Investoren und nur fünf Prozent an Ostdeutsche verkauft. Das liegt auch daran, dass viele westdeutsche Unternehmen, Investoren und Glücksritter frühzeitig, also schon im Herbst 1989, in die noch bestehende DDR reisten und die Fühler nach lukrativen Deals ausstreckten.

Einer dieser Fälle hatte zeitweise die Privatisierungsstrategie der Treuhand geprägt, zumindest in der Zeit unter Detlev Rohwedder, der am 1. April 1991 bei einem Attentat ums Leben kam. Es geht um die Privatisierung der Interhotels der DDR. Es sollte das erste große „Lehrstück“ der Treuhand werden, hat Detlev Rohwedder Ende Juli 1990 unterstrichen: „Was wir hier falsch machen, wird uns über die nächsten 20, 30 Jahre begleiten.“[2] Anlass war ein am 24. Juli 1990 geschlossener Vertrag zwischen der westdeutschen Steigenberger-Hotelkette und den bereits in einer AG zusammengefassten Interhotels, der größten Hotelkette der DDR. Es wurden sogar schon Pullover mit dem Slogan „Steigenberger Interhotel – come together“ verteilt.[3] Gemeinsam wären das Joint Venture der mit Abstand größte Hotelkonzern der neuen Bundesrepublik geworden. Doch Rohwedder machte den Fall zur Chefsache.

Gegründet 1965 als VEB Interhotel DDR hatte die Hotelkette Jahr für Jahr die Zahl ihrer Hotels der gehobenen Klasse ausgebaut. Zwischen Ostseeküste und Thüringer Wald waren es im letzten Jahr der DDR insgesamt 34 Interhotels, mit über 10.000 Hotelzimmern und 15.000 Hotelbetten. Die meisten befanden sich in der Hauptstadt Berlin und in der Messestadt Leipzig. Die sozialistischen Fünf-Sterne-Hotels, wie etwa das Grand Hotel in Berlin oder das Hotel Merkur in Leipzig, wurden jedoch weniger von den DDR-Bürgern gebucht, sondern überwiegend von Devisen bringenden Gästen aus dem nicht sozialistischen Wirtschaftsgebiet. Die Gäste der Vier- und Drei-Sterne-Hotels der Kette kamen vor allem aus der DDR oder aus deren sozialistischen Staaten.

Es waren vor allem die Gäste aus westlichen Staaten, die die Hotels auch für die Stasi interessant machte. Die Häuser wurden laut SPIEGEL zu einem „Haupteinsatzgebiet“ des Ministeriums für Staatssicherheit. Inoffizielle Mitarbeiter gehörten zu den Stammgästen – in der Regel, um sich zu konspirativen Treffen zu verabreden oder Gäste auszuspionieren.[4]

Auch wenn die Hotels eine wichtige Einnahmequelle waren – sie machten am Ende einen Umsatz von umgerechnet 1,2 Milliarden D-Mark und einen Gewinn von 400 Millionen D-Mark – entsprach der Zustand der Häuser ungefähr dem, der übrigen DDR-Wirtschaft. Viele waren in einem schlechten Zustand und brauchten eine Sanierung. Im Zuge der DDR-Gesetzgebung zur Privatisierung volkseigener Betriebe wurde noch unter dem letzten SED-Regierungschef, Hans Modrow, am 1. März 1990 aus dem VEB Interhotel DDR eine Aktiengesellschaft. In dieser Übergangszeit hielt die Treuhandanstalt einhundert Prozent der Anteile an der Deutschen Interhotel AG. Damals soll die Interhotel AG nach eigenen Angaben den 52. Platz unter den weltweit 200 registrierten Hotelketten belegt haben.[5]

Trotz der wirtschaftlichen Öffnung in der DDR und der Umwandlung in eine AG, hatte die Kette weiterhin eine monopolartige Stellung auf dem Hotelleriemarkt der noch bestehenden DDR. Umso mehr interessierten sich frühzeitig westdeutsche Hotelketten für einen Einstieg in das Unternehmen. Im Frühjahr 1990 nahm als erstes die Steigenberger-Gruppe Kontakt auf und sprach mit den Geschäftsführern der 34 Häuser mit attraktiver Innenstadtlage.[6] Es war die Zeit der ersten Joint Ventures, der gemeinsamen Wirtschaftsprojekte von ost- und westdeutschen Unternehmen und so gründeten beide Gruppen am 19. Juli die Steigenberger-Interhotel GmbH. Jede Seite hielt jeweils 50 Prozent der Anteile.[7]

Hellmut Fröhlich, Vorstandsvorsitzender der Interhotel AG, sah zunächst vor allem Vorteile für die ostdeutschen Hotels: „Durch die Partnerschaft werden Steigenberger und Interhotels einheitlich und gemeinsam auf dem Markt auftreten.“ Er erhoffte sich einen „gegenseitigen Know-How-Transfer“.[8] Wenig später, am 24. Juli, schlossen beide Seiten Pachtverträge für die Interhotels ab. Bei der Vertragsunterzeichnung waren auch zwei Bevollmächtigte der Treuhand dabei, die den Vertrag offenbar billigten.[9]

Doch die neue Treuhand-Spitze kassierte die Kooperation. Detlev Rohwedder, ab 1. September Präsident der Treuhandanstalt, hinterfragte das Prozedere: „Wir können niemandem unter die Augen treten, wenn wir das akzeptieren.“[10] Nicht nur er, auch sein Vorgänger Reiner Maria Gohlke, sahen die Treuhand durch den Deal im Nachteil.[11] Die beiden Treuhand-Bevollmächtigten, die bei der Vertragsverhandlung anwesend waren, hätten nicht im Sinne der Behörde agiert. So seien Pachtzinsen für die Ost-Hotels zu niedrig angesetzt worden. Außerdem entsprach die Komplettübernahme nicht den Zielen Rohwedders, internationale Investoren anzulocken und möglichst viel Gewinn für die Treuhand zu machen. „Wir sind nicht bereit, eine oder zwei Milliarden Mark des uns anvertrauten Vermögens uns einfach durch die Finger gleiten zu lassen.“[12] Im Zuge dessen wurde Hellmut Fröhlich abberufen, da er entgegen den Treuhand-Anweisungen gehandelt habe.[13]

Rohwedders Machtwort erntete jedoch Kritik. Steigenberger warf der Treuhand vor, Investitionen zu behindern und auch die Wirtschaftspresse warf Rohwedder und seiner Behörde vor, „Bremser“ und „Verhinderer“ zu sein. Steigenberger mobilisierte inzwischen die 13.000 Beschäftigten in den Interhotels. 200 von ihnen zogen vor die Treuhandzentrale am Berliner Alexanderplatz und besetzten am 12. September 1990 die Räume des Präsidiums.[14] Die Sorge war groß, ohne den Einstieg der Steigenberger-Gruppe in das Gesamtunternehmen Arbeitsplätze zu verlieren. Denn laut Gewerkschaftsvertretern wolle die Treuhand „nur die Perlen verkaufen, um schnell Geld in die leeren Kassen zu bekommen“. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Interhotel AG, Lutz Immig, schloss sich an und kritisierte die Verhandlungen mit der Treuhand: „Als DDR-Arbeitnehmer sind wir nicht gewöhnt, mit den Vertretern des Kapitals am Verhandlungstisch zu sitzen. Nach den ersten Erfahrungen sind wir enttäuscht und verbittert über den unseriösen Stil.“[15] Hellmut Fröhlich, der sich noch gegen seine Abberufung wehrte, blies ins gleiche Horn: „Jetzt wird nur noch mit Dreck nach uns und nach mir geworfen.“[16] Am 16. Oktober musste er endgültig gehen.

Steigenberger weigerte sich lange, mit der Treuhand in neue Verhandlungen zu treten, und sprach von einer „Verleumdungskampagne“ der Treuhand.[17] Am 21. Dezember verbreitete die Treuhand, Steigenberger hätte eingelenkt und wäre nun von den Verträgen zurückgetreten. Bei dem nun folgenden Bewerbungsprozess sei Steigenberger als „hochqualifizierter und leistungsfähiger Bewerber auch weiterhin herzlich eingeladen“, sich um die Interhotels zu bewerben.[18] Wolfgang Momberger, Vorstandssprecher der Steigenberger-Gruppe, dementierte umgehend.[19]

Am Ende zog Steigenberger jedoch den Kürzeren. Das Berliner Landgericht erklärte im August 1991 die Pachtverträge vom Sommer 1990 für ungültig. Damit war der Weg geebnet für einen Neuanfang beim Verkauf des früheren DDR-Hotelmonopols.[20] Hierfür beauftragte die Treuhand ein Londoner Bankhaus, das letztendlich aus 200 Interessenten vier auswählte, mit denen die Treuhand in Verhandlungen gehen sollte. Darunter waren eine Heidelberger Immobilienfirma, die Hotelgruppe Maritim, die Berliner Bau- und Immobiliengruppe Klingbeil und der Autovermieter Sixt. Letztere handelte sogar schon einen Kaufvertrag aus, sprang dann jedoch ab. Schließlich beschloss die Treuhand am 22. November 1991, 28 Interhotels für 2,2 Milliarden D-Mark an die Klingbeil-Gruppe zu veräußern. Diese versprach in sechs Jahren über eine Milliarde D-Mark in die Hotels und in den Neubau neuer Gebäude zu investieren. Fünf weitere der Ost-Hotels wurden einzeln veräußert. Lediglich das Hotel „Thüringen Tourist“ in Suhl blieb über ein Management-Buy-Out-Verfahren im Besitz der Betreiber.[21]

Mit der inzwischen neuen Präsidentin Birgit Breuel wich die Treuhand von der Linie ihres Vorgängers Rohwedder ab, die Kette komplett aufzuteilen. Breuel vertrat die Meinung, dass nur der Komplettverkauf attraktiv für internationale Hotelkonzerne sein würde.[22]

Die Treuhand nahm mit dem Verkauf insgesamt 2,5 Milliarden D-Mark ein. Allein 2,17 Milliarden D-Mark kamen von der Klingbeil-Gruppe. „Unser größter Deal“ frohlockte bereits Treuhand-Sprecher Wolf Schöde. Doch schnell wurde klar, dass sich die Klingbeil-Gruppe mit der Übernahme übernommen hatte. Wenig später veräußerte sie vier und verpachtete zwölf Hotels.

Hinzu kam, dass sich bereits vor der Vertragsunterzeichnung Erben von jüdischen Vorbesitzern gemeldet und Ansprüche an Hotelgrundstücken reklamiert haben. Insgesamt waren es 100 Ansprüche auf 15 Interhotel-Immobilien in der früheren DDR.[23] Die Klingbeil-Gruppe, inzwischen umbenannt in Trigon-Gruppe, war Ende 1994 gezwungen die Treuhand um Finanzspritzen zu bitten. Der größte Deal wurde zum Flop.

Denn im Juli 1995 übernahmen die Gläubigerbanken die Mehrheit an der Hotelgruppe. Nachdem die Treuhand es 1991 selbst nicht gemacht, waren es nun die Banken, die das Konglomerat aufteilten und die Interhotels Stück für Stück verkauften. Der Schlusspunkt des Verkaufs war die Übernahme die restlichen 14 Hotels der Deutschen Interhotel AG durch die US-amerikanische Blackstone-Gruppe im Dezember 2006.[24]

Der Verkauf der DDR-Interhotels wurde im Nachhinein wirklich ein Lehrstück, jedoch nicht so, wie es sich Rohwedder wohl anfangs vorgestellt hatte. In der ersten Phase war es ein selbstherrliches Agieren von DDR-Managern zusammen mit einer westdeutschen Hotelkette. Der spätere Einzelverkauf lässt den Schluss zu, dass dies möglicherweise von Beginn an die gewinnbringendere Strategie gewesen wäre. Auch wenn das im Nachhinein schwer mit Sicherheit zu sagen ist, ist klar, dass das Hin und Her, die langwierigen Vertragsverhandlungen und die öffentlichen Proteste weitere Bausteine dafür waren, dass die Treuhand in der medialen Öffentlichkeit und damit auch in der ostdeutschen Wahrnehmung einen immer schlechteren Ruf bekam, auch wenn die Treuhand-Führung das Beste aus dem Deal rausschlagen wollte – nämlich möglichst hohe Einnahmen durch die Privatisierung der Interhotels.


[1] Michael Schönherr, geboren 1982 in Magdeburg, ist Journalist und Autor für Film-, Print- und Online-Projekte. Inhaltliche Schwerpunkte der teilweise preisgekrönten Publikationen sind (deutsche) Geschichte, Geopolitik und Wissenschaftsjournalismus.

[2] Frankfurter Rundschau, Turbulenzen im Doppelbett von Ost und West, 30. Juli 1990.

[3] Der Spiegel, Wer wen melkt, 17. September 1990.

[4] Der Spiegel, Wer wen melkt, 17. September 1990.

[5] Handelsblatt, Interhotels mit rückläufiger Auslastung, 11. Juli 1990.

[6] Böick, Marcus: Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung 1990–1994, Göttingen 2018, S. 279.

[7] Handelsblatt, Steigenberger-Interhotel GmbH. Die große DDR-Hotelgruppe sieht in der Frankfurter Familiengesellschaft den „richtigen Partner“, 30. Juli 1990.

[8] Ebenda.

[9] Die Zeit, Wie auf dem Bazar. Pannen und Ungereimtheiten bei den Geschäften der Treuhandanstalt, 31. August 1990.

[10] Ebenda.

[11] Handelsblatt, Interhotel. Zusammenschluss mit Steigenberger schlägt weiter Wellen, 1. August 1990.

[12] Der Spiegel, Wer wen melkt, 17. September 1990.

[13] Die Zeit, Wie auf dem Bazar. Pannen und Ungereimtheiten bei den Geschäften der Treuhandanstalt, 31. August 1990.

[14] Tageszeitung, Treuhandbüro vorübergehend von Interhotel-Beschäftigten besetzt, 13. September 1990.» Zu lange hat die Treuhandanstalt selbst die Entwicklung gebremst, in: Frankfurter

Allgemeine Zeitung, 23.7.1990. » Krach um Hotel-Kooperation«, in: Morgenpost,

29.7.1990.

[15] Handelsblatt, Heftige gewerkschaftliche Vorwürfe an die Adresse der Treuhandanstalt, 13. September 1990.

[16] Der Spiegel, Wer wen melkt, 17. September 1990.

[17] Deutsche Presseagentur, Steigenberger drängt wegen Interhotels, 1. November 1990.

[18] Handelsblatt, Rückzug aus Verträgen mit der ostdeutschen Hotelkette rasch dementiert, 24. Dezember 1990.

[19] Ebenda.

[20] Deutsche Presseagentur, Niederlage für Steigenberger, 15. August 1991.

[21] Erklärung der Treuhandanstalt zur Privatisierung der Deutschen Interhotel AG, 22. November 1991.

[22] Der Spiegel, Geldwerter Vorteil, 11. November 1991.

[23] Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Interhotels haben Sorge mit den Alteigentümern, 30. August 1994.

[24] Frankfurter Allgemeine Zeitung, Interhotel-Konzept kurz vor dem Abschluß, 1. November 1995 und Berliner Morgenpost, Blackstone kauft ostdeutsche Interhotels, 18. Dezember 2006.