„Alte Seilschaften“ als Problem der Personalpolitik
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Von Andreas Malycha
Während ihrer Amtszeit musste sich Birgit Breuel wiederholt für umstrittene Personalentscheidungen auf der Führungsebene der THA rechtfertigen. Dies betraf hauptsächlich Personen, die früher Leitungspositionen in der zentralen DDR-Wirtschaftsverwaltung oder in zentralen Führungsgremien der SED innegehabt und anschließend in der Treuhandzentrale maßgebliche Entscheidungen mitgetragen bzw. selbst getroffen hatten.
Für die Überprüfung derartiger Vorwürfe und Anschuldigungen wurde noch in der Amtszeit Rohwedders im Januar 1991 das Direktorat „Personal-Planung und Sonderaufgaben“ gebildet.
Als Leiter des Direktorats setzte der Vorstand Axel Nawrocki ein. Nawrocki hatte in den 1970er-Jahren das Büro von CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf geleitet und war anschließend Geschäftsführer der Landtagsfraktion der CDU in Nordrhein-Westfalen. Zudem war der promovierte Rechts- und Sozialwissenschaftler als Unternehmensberater bei Kienbaum und Partner tätig gewesen. Nach seinem Ausscheiden aus der Treuhandzentrale trat er am 1. Februar 1992 sein Amt als Geschäftsführer der Olympia GmbH an, die die erfolglose Bewerbung Berlins für die Olympischen Sommerspiele 2000 organisierte.
Das im Januar 1991 gebildete Direktorat gliederte sich in die Abteilungen „Planung und Sonderaufgaben“ sowie „Sicherheit“. Die von Barbara Paetow geleitete Abteilung „Planung und Sonderaufgaben“ war explizit für die Überprüfung der politischen Vergangenheit von Treuhandmitarbeitern in der Zentrale und den Niederlassungen zuständig.
Der Schwerpunkt der Nachforschungen lag in enger Zusammenarbeit mit der Gauck-Behörde zunächst auf einer eventuellen früheren Tätigkeit von Beschäftigten der THA für das MfS. Seit Ende 1991 dominierte dagegen die Überprüfung der Zugehörigkeit von Treuhandmitarbeitern zur politischen Nomenklatur der ehemaligen DDR. Ursprünglich war daran gedacht, auch eine mögliche politische Belastung der Geschäftsführer und leitenden Angestellten von Treuhandunternehmen zu überprüfen. Da diese Aufgabe jedoch hauptsächlich die Vertrauensbevollmächtigten wahrnahmen, konzentrierte sich das Direktorat auf die Überprüfung von Treuhandpersonal. Der von Manfred Ganschow in diesem Direktorat geleiteten Abteilung „Sicherheit“ wurde die Aufgabe übertragen, die beschlossenen Sicherheitsmaßnahmen innerhalb der Behörde durchzusetzen bzw. zu überprüfen und Beschäftige der THA in Fragen der persönlichen Sicherheit zu beraten. Zudem sollte die Abteilung mit der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder zusammenarbeiten.
Ende April 1991 teilte Nawrocki Personalvorstand Koch mit, dass Mitgliedern des Unterausschusses Treuhandanstalt des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages über das „Neue Forum“ Unterlagen zugänglich gemacht worden seien, die eine parlamentarische Behandlung des Themas „Seilschaften in der THA“ ermöglichen sollten. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass elf ehemalige stellvertretende Minister, drei ehemalige Staatssekretäre, ein ehemaliger Botschafter sowie ein früherer Justiziar des Ministerrates der DDR in der Treuhandzentrale Darüber hinaus hätten Vergleiche mit Personallisten ehemaliger Ministerien ergeben, dass eine ganze Reihe von Mitarbeitern, Sektorenleitern bzw. Abteilungsleitern vormaliger Industrieministerien derzeit in der
THA beschäftigt sei. Dies betreffe u.a. 25 Mitarbeiter des Ministeriums für Leichtindustrie, 14 Mitarbeiter des Ministeriums für Kohle und Energie, 14 Mitarbeiter des Ministeriums für Chemie sowie 19 Mitarbeiter des Ministeriums der Finanzen. Schließlich befänden sich auch zwei ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Staatlichen Plankommission sowie weitere Mitarbeiter, Sektoren- und Abteilungsleiter der früheren zentralen Planungsbehörde in verantwortlichen Positionen in der Treuhandzentrale. Nawrocki schloss mit den Worten: „Dadurch wird bestätigt, worauf ich vor Wochen bereits hinweisen konnte, dass dieses Thema uns noch länger beschäftigen wird. lch halte es für zweckmäßig, den \/orstand bzw. die Präsidentin darüber rechtzeitig zu informieren.“
Im Treuhandvorstand galten Wolfram Krause und Gunter Halm als politisch belastet. Halm, seit 1965 Mitglied der NDPD, konnte auf eine langjährige Karriere in der DDR-Regierung unter Ministerpräsident Willi Stoph zurückblicken. Der promovierte Physiker war von 1984 bis 1989 stellvertretender Minister für Glas- und Keramikindustrie und anschließend zwischen November 1989 und März 1990 unter Ministerpräsident Hans Modrow Minister für Leichtindustrie. Auch in der Regierung unter Lothar de Maizière blieb er der Politik treu: Er wurde im April 1990 Staatssekretär im neu gebildeten Ministerium für Wirtschaft und nach dem Rücktritt Gerhard Pohls (CDU) am 16. August 1990 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Ministers für Wirtschaft betraut. In der zeitgenössischen Wahrnehmung wurde die Zugehörigkeit Halms zum Vorstand der THA als Beweis für dubiose Machenschaften von „SED-Altkadern“ und „alten Seilschaften“ gewertet, so wie der Rostocker FDP-Politiker Conrad-Michael Lehment, seit Oktober 1990 Minister für Wirtschaft, Technik, Energie, Verkehr und Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern, dachten viele über die vermeintlichen Ursachen der tagtäglichen Hemmnisse beim Übergang in die Marktwirtschaft: „Die Treuhandanstalt ist eine Schöpfung der Übergangsregierung Modrow. Sie hat das gleiche Problem wie viele Unternehmen: Sie ist in ihrer praktischen Arbeit immer auch geprägt von vielen Apparatschiks der gescheiterten Planwirtschaft — als Direktoren, als Berater der Treuhand-Vorstände, als Sachbearbeiter. [...] Ich kenne Halm von früher. Deshalb kann ich ihn beurteilen. Er ist ein Mann der Planwirtschaft und nicht der Marktwirtschaft. Und er ist nur ein Beispiel. Der unselige Geist des sozialistischen Regimes steckt noch tief in den Strukturen der neuen Länder.“[2]
Die Präsidentin hatte zunächst noch derartige Anschuldigungen ignoriert und auf die unverzichtbare fachliche Kompetenz früherer Funktionsträger der staatlichen Wirtschaftsverwaltung verwiesen. Die anschwellenden öffentlichen Debatten über tatsächliche oder vermeintliche Altkader DDR, die an gescheiterten Wirtschaftsdogmen festhielten und damit Übergang zur Marktwirtschaft blockierten, konnten sowohl der Verwaltungsrat der THA als auch das Bundeskanzleramt jedoch im Frühsommer 1991 nicht länger ignorieren. Auf der Verwaltungsratssitzung am 21.
1991 informierte Odewald darüber, dass er entsprechend dem Auftrag Präsidiums des Verwaltungsrates mit Halm ein Gespräch über dessen Ausscheiden aus dem Vorstand der THA am 31. Mai 1991 geführt habe.
Der Verwaltungsrat hatte dem Ausscheiden Halms zuvor im schriftlichen erfahren einstimmig zugestimmt. Zu diesem Zeitpunkt Waren gegen
Halm bereits staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingeleitet worden. lhm wurde vorgeworfen, vertrauliche Unterlagen aus Privatisierungsvorgängen zu privaten Zwecken benutzt zu haben. Angeblich habe Halm sein Insiderwissen zu Geld machen wollen. Da die Berliner Staatsanwaltschaft nunmehr wegen des Verdachts der „Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“ gegen Halm ermittelte, konnte er nicht mehr im Amt gehalten werden. Zuvor hatte der Vorstand auf seiner Sitzung am 28. Mai 1991das Ausscheiden Halms kontrovers diskutiert, was Vorstandskollege Schucht in seinem Tagebuch auf folgende Weise kommentierte: „Sprachregelung soll sein, dass wir uns jederzeit von jemand trennen werden, der wirklich sich etwas hat zu Schulden kommen lassen, aber nicht hinnehmen können, dass durch falsche Anschuldigungen oder Verdächtigungen unsere Mitarbeiter hier immer mehr verunsichert werden.“ Die Kampagne gegen „alte Seilschaften“ in der THA erhielt durch eine kleine Anfrage des Abgeordneten Werner Schulz und der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag vom Mai 1991 wesentlichen Auftrieb. Darin wurde behauptet, (dass nach Recherchen des „Neuen Forums“ die leitenden Mitarbeiter der THA, soweit sie aus der ehemaligen DDR stammten, überwiegend aus dem Kreis ehemaliger Spitzenkader des Partei-, Staats- und Wirtschaftsapparates kämen. Schulz fragte auch, ob sich (die Bundesregierung der Tatsache bewusst sei, „dass das Vertrauen der ostdeutschen Bevölkerung in die Treuhandanstalt nicht zuletzt unter dem Verdacht leidet, dass alte Seilschaften einen wesentlichen Einfluss auf die Politik dieser Anstalt nehmen.“ Das BMF wies namens der Bundesregierung die Behauptung des „Neuen Forums“ zurück. In der Antwort der Bundesregierung vom 13. Juni 1991 war von lediglich fünf Personen aus dem Kreis ehemaliger Staatssekretäre, stellvertretender Minister und Mitarbeiter der Bezirksleitungen der SED die Rede, die sich nach dem 3. Oktober 1990 in leitenden Positionen der THA befunden hätten. lm Übrigen habe der Bundesminister der Finanzen im Rahmen seiner Rechts- und Fachaufsicht keinen Einfluss auf die Personalpolitik der THA im Einzelfall genommen. Mit der THA habe von Anfang an Einvernehmen darüber bestanden, keine politisch belasteten Personen zu beschäftigen. “Die Bundesregierung ist für eventuelle Auswirkungen der Personalpolitik der Treuhandanstalt in ihrer Gründungsphase nicht verantwortlich. Die Treuhandanstalt betreibt jetzt eine Personalpolitik, die ihrem gesetzlichen Auftrag entspricht. Die Kriterien für die Einstufung von Treuhandmitarbeitern als politisch belastete Personen, die nicht weiter in der T HA beschäftigt werden sollten, konnten durchaus unterschiedlich sein. Für den Generalbevollmächtigten Norman van Scherpenberg war die Zugehörigkeit zur SED sowie eine frühere leitende Tätigkeit in einem DDR-Ministerium noch kein Ausschlusskriterium. Auf eine entsprechende Frage in einem Interview vom Februar 1998 antwortete er: „Wissen Sie, wenn ein stellvertretender Minister, was ja an sich nur ein Abteilungsleiter mit besonderer politischer Heraushebung in unseren Ministerialkategorien ist, also ein stellvertretender Minister ist weniger als ein Staatssekretär. Wenn der hier in der Treuhandanstalt als Referent unter einem Referatsleiter arbeitet, dann finde ich eigentlich, dass das kein Einsatz ist, der die Treuhandanstalt in Verruf bringen sollte, wenn der Mann sonst loyal mitarbeitet. Aber darüber kann man sich streiten.”
Etliche leitende Führungskräfte teilten die tolerante Auffassung Scherpenbergs nicht und lehnten ehemalige SED-Mitglieder als Mitarbeiter kategorisch ab, so auch der Leiter des Direktorats Bund/Internationale Beziehungen, Wolfgang Vehse. Er begründete seine Haltung mit seinen früheren persönlichen Erfahrungen in der DDR, bevor er mit seiner Familie in den 1950er Jahren aus der Altmark im Norden Sachsen-Anhalts in die Bundesrepublik ausgesiedelt war: „Aber für mich gab es in dieser Frage, das bekenne ich auch ganz offen, gar keine Kompromisse. lch habe selber fliehen müssen mit meinen Eltern, und mir war aus dieser Zeit eben doch sehr, sehr vieles geläufig und bekannt. Und ich habe eigentlich in dieser Frage nicht verzeihen können, sage ich ganz bewusst, und ich habe da meine strengen Verbe-halte gehabt, und habe niemanden genommen, der in der SED war, das war schon sehr weitgehend, muss ich zugeben, aber ich habe keinen genommen. Weil einfach mir nicht klar war, wie ich im täglichen Zusammenarbeiten und Zusammenleben mit diesem Menschen später einmal reagieren werde.“
Intern stießen die fortwährenden Beschwerden über „alte Seilschaften“ auf ein geteiltes Echo. Vorstandsmitglied Klaus Schucht bezeichnete sie als Ausdruck einer ihm bisher unbekannten „Hexenjagdmentalität“, wie er am 21. Mai 1991 in seinem Tagebuch notierte. Andererseits konnte er zum Teil jedenfalls das Vorgehen verstehen, „soweit es sich um hierher gestellte Personen des alten Regimes handelt. Die früher Drangsalierten möchten nun endlich ihre alten Peiniger nicht mehr in Vorgesetzten-Stellung sehen.“ Vizepräsident Hero Brahms hielt die Mitarbeit von Ostdeutschen in verantwortlichen Positionen in der Treuhandzentrale ohnehin für entbehrlich. Allerdings dominierte in den öffentlichen Debatten nicht nur der Vorwurf, dass vermeintliche alte Seilschaften in der Treuhandzentrale für die Missstände in der Wirtschaft verantwortlich seien. Auch der im Osten Deutschlands verbreitete Eindruck, kein Gespür für die wahren Nöte der ostdeutschen Betriebe und von deren Mitarbeitern zu haben, hatte dem Ruf der THA schwer geschadet.
Den Vorwurf, dass alte SED-Kader innerhalb der THA Sand in das Getriebe des wirtschaftlichen Aufschwungs im Osten streuen würden, bekam auch Paul Liehmann zu spüren. Liehmann war seit März 1990 in der Führungsmannschaft der THA und seit Januar 1991 einer der zwei Direktoren in der Treuhandzentrale, die auf eine DDR—Biografie zurückblickten.“ Er betreute als Branchendirektor der Treuhandzentrale die Textil, Bekleidungs- und Lederindustrie im Vorstandsbereich von Wolf R. Klinz. Für die Textilindustrie war er bereits in den Jahren von 1973 bis 1990 als stellvertretender Minister für“ Leichtindustrie sowie seit März 1990 als Mitglied im Direktorium der Treuhandanstalt auch für die Chemische Industrie zuständig. Bereits im November 1990 brachte ein Mitglied des vorläufigen Vorstandes der Filmfabrik Wolfen im Namen der Belegschaft
sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass Liehmann in der Treuhand-
zentrale für die Begutachtung von Sanierungskonzepten, u. a. auch des
Sanierungskonzepts der Filmfabrik, zuständig sei. Ihm sei Liehmann seit
1962 als damaliger Erster Sekretär der Betriebsparteiorganisation der SED
der VEB Filmfabrik Wolfen bekannt; er könne daher für dessen Tätigkeit
in der Treuhand kein Verständnis aufbringen. Auch im Kollegenkreis
habe die Information über die Mitarbeit Liehmanns in leitender Position
in der Treuhandzentrale für große Verwunderung gesorgt.
Der Leiter des Direktorats Personal-Planung und Sonderaufgaben hielt Paul Liehmann allerdings nicht wegen seiner politischen Vergangenheit, sondern aufgrund seiner fehlenden Kenntnisse über die Mechanismen der Marktwirtschaft als Branchendirektor für ungeeignet. Tatsächlich konnte Liehmann, der sich 1968 über „Führungssoziologische Grundlagen des Betriebsmodells im ökonomischen System des Sozialismus“ habilitiert hatten und 1969 zum Professor am Institut für Sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED berufen worden war, kaum auf Kenntnisse über marktwirtschaftliche Methoden zurückgreifen.“ Intern
gab es auch immer wieder Klagen darüber, dass im Branchendirektorat
Textilindustrie besonders viele ungeprüfte Unternehmenskonzepte vorliegen, so dass die dringend nötigen Sanierungshilfen für die betroffenen Unternehmen nicht bewilligt werden konnten.“ Schließlich stand Liehmann auch in dem (letztlich unbegründeten)
Verdacht, Grundstücksverkäufe in seinem Verantwortungsbereich zum
Schaden der THA getätigt zu haben. Im August 1992 überprüfte das Direktorat Revision auf Ersuchen des Bundesministeriums der Finanzen ausschließlich jene Rechtsgeschäfte, die von früheren sogenannten Nomenklaturkadern für die THA abgeschlossen Worden waren, die in der Treuhandzentrale eine Funktion oberhalb der Ebene der Sachbearbeiter ausübten. Für Liehmann kam das Direktorat Revision zu folgender abschließenden Beurteilung: „Die wenig aussagekräftigen Verdachtsmomente konnten nicht erhärtet werden und wurden zum Teil widerlegt. Strafbares Verhalten ist ebenso wenig nachweisbar wie eine mittelbare
oder unmittelbare Schädigung der THA.“
Liehmann war Ende Mai 1991 unfreiwillig aus der Treuhandzentrale ausgeschieden. Wie Vorstandsmitglied Klaus Schucht wohl zu Recht vermutete, hatten die Bonner Ministerien Druck auf Personalchef Koch ausgeübt: „Der Professor Liehmann wird in wenigen Tagen abgelöst werden. Das ist der Wunsch von Bonn. Da Liehmann als ehemaliger hochgestellter DDRler zu vielen internen Angriffen ausgesetzt ist.“ Am 11. Mai 1991 ergänzte Schucht seinen Eintrag im Tagebuch mit folgender Notiz: „Of
fensichtlich ist der politische Druck auf Bonn so groß geworden, dass man
uns darum bittet, uns von den Mitarbeitern zu trennen.“ Liehmann
klagte beim Arbeitsgericht Berlin gegen seine Kündigung. Der Arbeitsrechtsstreit endete im April 1992 mit einem Vergleich. Danach leitete Liehmann im Auftrag der Treuhand Osteuropa Beratungsgesellschaft (TOB) — eine Tochtergesellschaft der THA — ein Privatisierungsprojekt in Kaliningrad. Nach einer Intervention des BMF musste. Liehmann jedoch die Projektleitung im März 1993 wieder abgeben. So hieß es in dem Schreiben von Referatsleiter Jürgen Siewert an die Geschäftsführer der TOB: „Wie bekannt wurde, ist in org. Projekt der ehemalige Stellvertreter des Ministers für Leichtindustrie, Herr Prof. Liehmann, als Projektleiter tätig. Entsprechend der sonst üblichen Praxis bitte ich, umgehend dafür Sorge zu tragen, dass Vorgenannter nicht weiterhin für die TOB tätig ist. [...] Eine Tätigkeit kommt weder als Projektleiter noch als sonstiger Berater in Betracht.“ Dass frühere Leitungskader der SED wie Paul Liehmann in der THA für die Betreuung von Treuhandunternehmen zuständig waren, wurde in der Presse immer wieder gerne aufgegriffen. Unabhängig von ihrer tatsächlichen Kompetenz und ihren Fähigkeiten mussten die noch verbliebenen ostdeutschen Führungskräfte auf der mittleren Leitungsebene der Treuhandzentrale als Sündenbock dafür herhalten, wenn anrüchige Privatisierungsvertrüge abgeschlossen wurden oder potenzielle lnvestoren lange und vergeblich auf Entscheidungen der Treuhandzentrale warten mussten. Auch die mangelnde Transparenz bei Privatisierungsentscheidungen wurde mit der vermeintlich ungebrochenen Macht der SED in der THA erklärt.
Die Kampagne gegen „alte Seilschaften“ trug dazu bei, dass Ostdeutschen in leitenden Positionen der THA im Verlauf des Jahres 1991gekündigt wurde. Dies betraf in besonderer Weise den Bereich Chemie. Im Fokus der Anschuldigungen stand u. a. der ehemalige Abteilungsleiter im DDR-Ministerium für Chemische Industrie, Helmut Hemme, der an mehreren umstrittenen Privatisierungsentscheidungen in den Branchen Pharmazie, Kosmetik und Faserindustrie beteiligt warm Obwohl ihn das Direktorat Revision „als einen aktiven und weitsichtigen Mitarbeiter mit hoher Fachkompetenz“ beschrieb wurde sein Vertrag im September 1991 aufgehoben. Der Vorwurf, Hemme habe zum wirtschaftlichen Nachteil der THA gehandelt, konnte letztlich nicht abschließend geklärt werden. Auch Abteilungsleiter Klaus-Günther Sorg geriet aufgrund seiner SED-Vergangenheit in die Kritik und wurde im November 1991 entlassen. Der gelernte Modelltischler war seit 1986 stellvertretender Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali gewesen. Ihm wurde vorgeworfen, durch von ihm bearbeitete Privatisierungsvorgänge wirtschaftliche Nachteile für die THA in Millionenhöhe verursacht zu haben. Das Direktorat Revision konnte einen derartigen Nachweis jedoch nicht eindeutig erbringen. Lediglich in einem Fall kam die Prüfung einzelner Rechtsgeschäfte zu dem Ergebnis, dass Sorg seine Sorgfaltspflicht verletzt habe. Die in den Medien angeprangerten „alten Seilschaften“ gab es zumindest in dem Branchenbereich Chemie der THA dann nicht mehr. Herbst 1991 tauchten erneut Listen mit Namen von angeblichen SED-Seilschaften innerhalb der Treuhandzentrale in der Presse auf. Mit Blick auf die zunehmenden Debatten in der Öffentlichkeit, vor allem im Deutschen Bundestag, sowie mit Blick auf die zunehmend kritischer werdenden Anfragen aus dem Bundesministerium der Finanzen und aus dem
Bundeskanzleramt drängte Direktor Nawrocki auf „eine abschließende Behandlung des Themas der politischen Vergangenheit von Mitarbeitern in der Treuhandanstalt.“ Denn es sei für die Bürger in den neuen Ländern unerträglich, wichtige Nomenklaturkader der ehemaligen DDR und ihres Staatsapparates heute in der THA wiederzufinden, „denn die Kaderarbeit war für die SED das entscheidende Mittel, ihren Führungsanspruch in allen Bereichen des Lebens, in Wirtschaft und Politik durchzusetzen.“ Zu diesem Personenkreis zahlte er ehemalige Minister, Staatssekretäre, stellvertretende Minister, Hauptabteilungsleiter und auch Generaldirektoren von Kombinaten sowie leitende Mitarbeiter der Staatlichen Plankommission. Nawrocki hatte Nachforschungen über das frühere Verhalten und
die Verantwortungsbereiche der betreffenden Personen durchführen
lassen.
Im Ergebnis dieser Nachforschungen entstand eine Liste mit THA-Mitarbeitern, deren Weiterbeschäftigung als unzumutbar eingeschätzt wurde. Zu diesem Personenkreis gehörten u. a. zwei ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Staatlichen Plankommission sowie einige ehemalige stellvertretende Minister. Aus den seit Juni 1991 durchgeführten Personalüberprüfungen zog das Direktorat Personal-Planung und Sonderaufgaben den Schluss, dass die Ursache für den hohen Anteil ehemaliger Spitzenfunktionäre der alten Partei- und Staatsführung keineswegs in den Wirren der Gründerzeit zu suchen sei. „Die personelle Infiltration der THA ist vielmehr das Ergebnis zielgerichteter Maßnahmen und Personalentscheidungen in verschiedenen Gliederungen des ehemaligen Ministerrates der DDR ab Ende 1989.“ Die Verfasser dieser Analyse mutmaßen, dass insbesondere jene Personen aus den Kadern der oberen Nomenklatur für den Einsatz in der THA ausgewählt worden seien, die in ihrer alten Tätigkeit nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit gestanden hatten und funktionell ans der zweiten oder dritten Verantwortungsebene kamen. “Das Konzept des Einbaus von Personal der alten Partei- und Staatsführung in die neu entstehende THA wurde überaus konsequent und mit deutlichen Zügen des planvollen Einsatzes bestimmter Kader realisiert.” Aus diesem Grund schlug Direktor Nawrocki vor, zum Schutz der Integrität und wegen des Sicherheitsbedürfnisses der THA eine sorgsame Nachprüfung aller in der Phase der Konsolidierung unter Zeitdruck und mit lückenhaftem Erkenntnisstand getroffenen Personalentscheidungen auf höherer und mittlerer Ebene vorzunehmen. Der Vorstand konnte sich jedoch nicht der Analyse des Direktorats Personal-Planung und Sonderaufgaben anschließen, wonach es im Frühjahr und Sommer 1990 zu einem zielgerichteten Plan zur Infiltration der THA mit ehemaligen Führungskräften aus der zentralen Wirtschaftsverwaltung gekommen sei. Obgleich das Direktorat einige Personen für eine Weiterbeschäftigung in der Treuhandzentrale als untragbar eingestuft hatte, kam es zu keinen Entlassungen größeren Umfangs. Für einige vormalige Sektoren- und Abteilungsleiter der Staatlichen Plankommission und ehemalige Abteilungsleiter von DDR-Industrieministerien hatte das Direktorat entsprechend der beschlossenen Einzelfallprüfung eine Weiterbeschäftigung in der Treuhandzentrale auch nicht ausgeschlossen. Ein ehemaliger Abteilungsleiter der Plankommission wurde zwar für die THA keineswegs „als Gewinn“ betrachtet, für ihn spreche jedoch „seine primär fachlich determinierte und berufliche Kompetenz“. Empfohlen wurde, den betreffenden Mitarbeiter nicht durch „fördernde Maßnahmen herauszuheben.“ Ähnlich wurde bei einem ehemaligen Abteilungsleiter aus dem Ministerium für Handel und Versorgung verfahren. Unter Beachtung seiner früheren hervorragenden Stellung, so hieß es über den Betreffenden, wurde die weitere berufliche Förderung in der THA nur unter der Maßgabe empfohlen, dass dieser Mitarbeiter „möglichst wenig in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt.“ Schließlich bewertete das Direktorat einen ehemaligen Sektorenleiter im Ministerium für Bauwesen für „förderungswürdig“. „Aus dem Lebenslauf ergeben sich keine Fakten, die für die THA als Unsicherheitsfaktoren zu werten sind.“
Die Unterlagen aus dem Direktorat Personal-Planung und Sonderaufgaben dokumentieren, dass die Nachforschungen über Mitarbeiter
der THA, die als Funktionsträger in den Ministerien und der zentralen
Wirtschaftsverwaltungen der DDR tätig gewesen waren, auf der Grundlage von Einzelfallprüfungen stattfanden und zu durchaus unterschiedlichen Bewertungen kommen konnten. Ende Oktober 1991 wurde Personaldirektor Bellwied darüber informiert, dass aus politischen Gründen bislang 15 Mitarbeiter mit ostdeutscher Berufsbiografie aus der Zentrale ausgeschieden seien, Darunter fielen auch Mitarbeiter, die vom MfS als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) erfassten worden waren. Die Entlassung von ehemaligen IM erfolgte auf der Grundlage eines Vorstandsbeschlusses vom 8. Januar 1991, der bestimmte, dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter gleich welcher Kategorie weder in der THA noch in der Leitung der von
ihr verwalteten Unternehmen weiterhin tätig sein durften.
Die Kampagne gegen „alte Seilschaften“ lief 1992 unvermindert weiter. Sie wurde nun auch durch den Unterausschuss Treuhandanstalt des Haushaltsausschusses aktiv befördert. Am 24. Juni1992 forderte der Ausschuss Auskunft über jene Beschäftigten der THA und Führungskräfte von Treuhandunternehmen, die in der DDR eine Tätigkeit als Funktionäre „in Staat und Partei ausgeübt hatten?“ Weiter wurde der anwesende Personalvorstand Führ gefragt, nach welchen Kriterien eine frühere Tätigkeit ehemaliger Führungskader beurteilt werde und welche Konsequenzen hieraus gezogen worden seien. Föhr teilte den Ausschussmitgliedern daraufhin mit, dass sich die THA bislang von 62 ehemaligen Funktionsträgern der DDR getrennt habe. Betroffen seien insbesondere Personen aus der Geschäftsführung von Treuhandunternehmen. Er wies mit Nach druck darauf hin, dass der Vorstand der THA beschlossen habe, in jedem Fall eine individuelle Überprüfung vorzunehmen.
Die Erklärungen Föhrs wurden von einzelnen Abgeordneten mit Empörung quittiert. Dietrich Austermann (CDU) bezeichnete es als unerträglich, dass diese Problematik noch immer nicht abschließend geklärt sei, obwohl die Präsidentin versichert habe, in der THA seien keine „roten Socken“ mehr tätig. Helmut Wieczorek (SPD) warf dem Bundesfinanzminister persönlich vor, seiner Verantwortung hier in nicht ausreichen dem Maße nachgekommen zu sein. Der Ausschuss forderte schließlich
den Bundesfinanzminister auf, bis zur nächsten Sitzung konkret darüber
Auskunft zu geben, inwieweit derzeit noch ehemalige Nomenklaturkader der DDR auf entscheidungsrelevanten Positionen in der THA tätig seien. Zugleich übergab der Ausschuss dem BMF eine weitere Liste mit ehemaligen Angehörigen hoher Nomenklaturen“??? für die eine Weiterbeschäftigung in der Treuhand abgelehnt wurde. Betroffen waren 23 ehemalige Abteilungsleiter von DDR-Ministerien, die nunmehr als Referatsleiter oder Referenten in verschiedenen Unternehmensbereichen der Treuhandzentrale arbeiteten. Einen Schwerpunkt bildete dabei das frühere Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft. Die zuständige Abteilung im Direktorat Personal-Planung und Sonderaufgaben überprüfte daraufhin 50 ehemalige Sektorenleiter aus DDR-Ministerien, überwiegend aus dem ehemaligen Ministerium der Finanzen. Gegen (die Weiterbeschäftigung dieser Mitarbeiter erhob das Direktorat letztlich keine Bedenken, allerdings wiederum unter der Auflage, dass keine weitere Beförderung stattfinden sollte.) Nachdem im Februar 1992 erneut ein Artikel in der Welt über angeblich mehr als 70 “Altgenossen“ in führenden Positionen der THA berichtet hatte, die gezielt von der früheren DDR-Regierung in der Behörde platziert worden seien, war auch das Bundeskanzleramt beunruhigt und forderte eine Stellungnahme sowie präzise Informationen. In einem Schreiben an den Chef des Bundeskanzleramtes, Friedrich Bohl, informierte daraufhin Abteilungsleiter Ludewig über insgesamt nur zehn 5% früherer DDR-Bürger auf den obersten drei Führungsebenen der THA. Es handele sich dabei um ein Vorstandsmitglied, einen Direktor und acht Abteilungsleiter. Die Behauptung von mehr als 70 Altgenossen in Führungspositionen gehe schon von daher völlig fehl. Bei den im Artikel namentlich genannten Personen, die eine herausgehobene Punktion in der DDR innegehabt hatten, handele es sich um einen früheren Professor an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, einen früheren Sektorenleiter beim ZK der SED, einen ehemaligen Abteilungsleiter bei der SPK, einen früheren Staatssekretär in einem technischen Ministerium und den ehemaligen Leiter der Rechtsabteilung beim DDR-Ministerrat. Aufgrund des Führungskräftemangels und um an das notwendige Insiderwissen zu gelangen, sei seinerzeit entschieden worden, die betreffenden Mitarbeiter weiter zu beschäftigen. Zu den in der Welt namentlich genannten „Altgenossen“ auf der Vorstandsetage der THA gehörte Wolfram Krause, der von Breuel zu Beginn ihrer Amtszeit als Vorstandsmitglied bestätigt worden war. Nachdem er sein Amt als Finanzchef im Vorstand Ende April 1992 verlor, erhielt er das neu gebildete Vorstandsressort Osteuropa zugewiesen. Zur Begründung für diesen Wechsel hieß: Die nach wie vor hohe Abhängigkeiten der Treuhandunternehmen von der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten erfordere eine gezielte und ständige Kontaktpflege sowie eine Anwesenheit vor Ort. Hierzu sei Herr Krause in besonderem Maße befähigt.“ Er schien für diese Aufgabe besonders geeignet, da er von 1953 bis 1955 am Staatlichen Ökonomischen Institut in Moskau erfolgreich studiert und anschließend drei Jahre lang dort tätig war. Zugleich wurde
durch Gesellschafterbeschluss vom 6. Mai 1992 als alleiniger Geschäftsführer der Treuhand Osteuropa Beratungsgesellschaft mbH bestätigt- Am 18. September 1992 berief der Präsidialausschuss der THA Wolfgang Baronius als Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft. Diese wurde am 25. März 1992 mit dem Ziel gegründet, „beratend beim Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen in ost- und mittelosteuropäischen Ländern mitzuwirken, darunter insbesondere im Zusammenhang mit der Privatisierung vormals staatlicher und in eine Planwirtschaft eingebundener Unternehmen. Einziger Gesellschafter war die THA. Birgit Breuel hielt Krause aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen an der Spitze der zentralstaatlichen Wirtschaftsverwaltung der DDR zunächst für unentbehrlich. Krause war von 1962 bis 1965 persönlicher Mitarbeiter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission Erich Apel und nach dessen Freitod seit 1966 Leiter der Abteilung volkswirtschaftliche Analyse der SPK. Im Mai 1969 berief ihn der Ministerrat der DDR zum Stellvertreter des Vorsitzenden der SPK für den Bereich Planungssystem und Einsatzvorbereitung der EDV - ein Amt, das er bis 1974 ausübte. 1974 wurde er vom Sekretariat des ZK der SED als Erster Sekretär der SED-Kreisleitung der SPK bestätigt und 1979 persönlicher Referent des Ersten Sekretärs der SED-Bezirksleitung Berlin Konrad Naumann. Naumann, zugleich Mitglied des Politbüros der SED, schützte den ökonomischen Sachverstand Krauses und setzte ihn entgegen der Weisung von ZK-Wirtschaftssekretär Günter Mittag als seinen persönlichen Referenten ein. Nach der unfreiwilligen Ablösung Naumanns als Berliner Bezirkschef und Politbüromitglied im November 1985 übernahm auch dessen Nachfolger Günther Schabowski Krause als persönlichen Referenten.
Im Herbst 1989 verbreitete Krause in der Öffentlichkeit die Version, er sei bei seiner Ablösung als Erster Sekretar der SED-Kreisleitung der SPK im Februar 1979 ein Opfer des SED-Wirtschaftssekretärs Günter Mittag gewesen, weil er in den 1970er Jahren innerhalb der Planungsbehörde auf zunehmende Widersprüche in der Wirtschaftspolitik hingewiesen habe und aufgrund seiner kritischen Ausführungen aus leitenden Funktionen entfernt worden sei. Aufgrund dessen holte ihn Hans Modrow im November 1989 als Staatssekretär in seine Regierung. Am 24. Mai 1992 tauchte dann in der Presse der Vorwurf auf, Krause sei seit 1969 IM gewesen. Brisant war die Meldung insbesondere deshalb, weil zugleich behauptet wurde, dass die zuständigen Stellen der THA bereits Anfang Dezember 1991 von dem damaligen Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes eine Information über die Zusammenarbeit Krause mit dem MfS erhalten hatten. Tatsächlich hatte ein Mitarbeiter der Gauck-Behörde in einem Schreiben vom 4. Dezember 1991 mitgeteilt, dass sich aus den überprüften Unterlagen Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Staatssicherheitsdienst ergeben hätten. Bei den überlieferten Unterlagen handele es sich allerdings ausschließlich um Dokumente offiziösen Charakters, die den damaligen Stand von Wirtschaftsverhandlungen sowohl mit westlichen als auch mit östlichen Handlungs- und Vertragspartnern wiedergäben.
In einer Pressemitteilung des Verwaltungsrates vom 25. Mai 1992 hieß es dann: „Der Verwaltungsrat der THA hat durch Presseberichte davon Kenntnis erhalten, dass gegen Herrn Wolfram Krause, Mitglied des Vorstandes der THA, Vorwürfe mit Blick auf eine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR erhoben werden. Herr Krause hat bei früheren Gesprächen mit dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates jegliche Tätigkeit für das MfS bestritten. Gegenüber Herrn Dr. Odewald hat er dies heute morgen erneut bestritten.“ Belegt werden kann, dass das MfS Wolfram Krause in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der SPK für den Bereich Informationssysteme und EDV seit 1969 als „Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit“ erfasst hatte. Durch Krause sollte ein „laufender Informationsfluss über Strukturentscheidungen und Planung der EDV in der DDR und im RGW“ sichergestellt werden. Zudem hoffte das MfS, dass über Krause „von uns gewünschte kadermäßige Veränderungen“ innerhalb der Plankommission vorgenommen werden können. Die Hauptabteilung XVIII des MfS, die für die „Absicherung“ der DDR-Wirtschaft zuständig war, beendete im Oktober 1978 die Zusammenarbeit mit ihm. Zur Begründung führte sein Führungsoffizier an: „Genosse Krause vertrat zwar offiziell die Linie der ökonomischen Politik der Partei, aber in persönlichen Gesprächen im Freundeskreis, besonders bei leitenden Funktionären der SPK und darüber hinaus ließen seine Auffassung zur Durchsetzung der ökonomischen Politik der Partei Pessimismus, Defätismus und Zweifel erkennen. Er brach seine eingegangene Verpflichtung, schwätzte gegenüber unbefugten Personen über getroffene Absprachen mit dem MfS, verleumdete die zuständigen Mitarbeiter, betitelte sie als unfähig und unintelligent, machte sich lustig über das MfS, versuchte, die Mitarbeiter auszuspielen und aus ihm anvertrauten Wissen für sich persönlich Kapital zu schlagen.“ Im Dezember 1979 wurde der Kontakt zu Krause vollständig abgebrochen.
Krause selbst erklärte zu den im Mai 1992 gegen ihn erhobenen Vorwürfen, seine Bereitschaft zur Übergabe von Unterlagen an das MfS in den Jahren von 1969 bis 1972 habe sich auf offizielle Protokolle über den Kauf einer IBM-Rechenanlage bezogen, den er im Auftrag der Leitung der Plankommission zu tätigen hatte. Es habe sich um offizielle Protokolle aus Verhandlungen mit dem Vertragspartner gehandelt, die er aufgrund seiner Funktion als staatlicher Leiter zugleich dem Vorsitzenden der Plankommission zu übergeben hatte. Andere Informationen für die Staatssicherheit habe er weder verfasst noch bereit gestellt. Er versicherte wiederholt, zu keinem Zeitpunkt eine Verpflichtung zur offiziellen oder inoffiziellen Mitarbeit eingegangen zu sein oder interne Informationen an Organe der ehemaligen Staatssicherheit der DDR weitergegeben zu haben. Ihm sei auch niemals bekannt gewesen, dass ihn das MfS als Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit erfasst hatte.
Das Präsidium des Verwaltungsrates beauftragte die Vertrauensbevollmächtigten Krieger und Bülow beim Vorstand der THA mit der Überprüfung der gegen Krause erhobenen Vorwürfe, bei denen es ja nicht nur um eine mögliche Zusammenarbeit mit dem MfS ging. Krieger stufte den „Fall Krause“ als eine geradezu klassische Form der „objektiven Kompromittierung“ ein. Für ihn war es in seiner Tätigkeit als Vertrauensbevollmächtigter entscheidend, welche Funktion die betreffende Person im System der Nomenklaturkader des SED-Regimes ausgeübt hatte. Insofern galt auch für Krause, dass er sich schon aufgrund seiner politischen Punktion mit dem alten System und dessen Ideologie identifiziert hatte und somit für die Fortführung von Leitungsfunktionen innerhalb der THA grundsätzlich objektiv kompromittiert und damit disqualifiziert war — unabhängig davon, ob ihm ein individuell vorwerfbares Verhalten nachgewiesen werden konnte?” Nach ausführlichen Gesprächen mit dem Verwaltungsratsvorsitzenden, der Präsidentin, Staatssekretär Köhler sowie mit Krause selbst war Krieger zu der Erkenntnis gelangt, „dass es im wohlverstandenen ureigensten Interesse von Herrn Krause selbst und außerdem auch im Interesse der Treuhandanstalt liegen würde, wenn Herr Krause von sich aus die Konsequenzen ziehen würde.“ Nachdem der Bericht der Vertrauensbevollmächtigten eine hinreichende politische Belastung konstatiert und sich der Verwaltungsrat am 26. Juni 1992 für seine Ablösung ausgesprochen hatte, trat Krause von seinen Ämtern im Vorstand zurück.
Das unfreiwillige Ausscheiden Krauses - des letzten Vorstandsmitglieds mit einer ostdeutschen Berufsbiografie - gehörte sicherlich zu den spektakulären Fällen einer politischen Belastung von Treuhandmitarbeitern in Führungspositionen. Das Direktorat Personal-Planung und Sonderaufgaben plädierte inzwischen für eine differenzierte Betrachtung ehemaliger Angehöriger der staatlichen DDR-Nomenklatur. Bei der Bestimmung des Grades der Bindung an die alte Partei- und Staatsführung sei zu unterscheiden zwischen einer durch fachliche Leistungen geforderten Berufsentwicklung und einer vorwiegend durch politisches Auftreten determinierten Karriere?” Unter dieser Maßgabe wurden nunmehr vormalige stellvertretende Minister zur Weiterbeschäftigung vorgeschlagen. Von Bedeutung für die Beurteilung seien auch ein persönliches Engagement für Veränderungen und anzuerkennende Haltungen in Konfliktsituationen. „Letztendlich bedarf der Berücksichtigung, ob der Betroffene unmittelbar an rechtswidrigen Maßnahmen wie Enteignungen, Verstaatlichungen u. a. beteiligt war oder für schwerwiegende Pementschdunflä Verantwortung in volkswirtschaftlichem Maßstab trug.“ Vor dem Hintergrund der anhaltenden Konflikte um die Mitarbeit von ehemaligen Leitungskadern aus der DDR in der THA bat die Präsidentin während eines Gesprächs mit Wirtschaftsminister Möllemann am 22. Juli 1992 um klare Orientierungen der Bundesregierung,wie in derartigen Fällen zu verfahren sei. Denn es sei schwierig, „stellvertretende Minister freizustellen, wenn in diversen Bundesbehörden vergleichbare Ränge tätig sind“. Möllemann sagte zwar zu, über den Innenminister eine prinzipielle Regelung zu erwirken, die von Breuel erbetene Klarstellung erfolgte allerdings nicht. Die Präsidentin übersandte Anfang Juli 1992 Bundesfinanzminister Waigel ein Papier, in dem sich der Vorstand über mögliche Belastungen Treuhandpersonals aus der Vergangenheit Gedanken gemacht hatte. da „uns dieses Thema besonders am Herzen liegt“. In dem Papier wies der Vorstand auf die vielen Diskussionen hin, in denen er sich mit dem Umgang mit Mitarbeitern befasst habe, die in der früheren DDR als Sektorenleiter, als Abteilungsleiter, als Hauptabteilungsleiter, als stellvertretende Minister, als Staatssekretäre oder als stellvertretende Vorsitzende der Plankommission tätig gewesen waren und nun bei der THA ausschließlich in nicht-leitenden Funktionen beschäftigt seien. „Auch wenn die betroffenen Mitarbeiter also nicht in leitenden Positionen eingesetzt sind, ist festzustellen, dass die Öffentlichkeit in Ostdeutschland zunehmend irritiert darauf reagiert, dass etwa frühere stellvertretende Minister oder Staatssekretare in der THA überhaupt beschäftigt sind.“
Dieser Personenkreis würde immer wieder zu Angriffen auf die THA benutzt. In der Regel seien die betreffenden Mitarbeiter in der Treuhandzentrale als Referenten oder Referatsleiter in verschiedene Unternehmensbereichen beschäftigt. Lediglich einige wenige ehemalige Sektorenleiter aus DDR-Industrieministerien würden eine Stelle als Abteilungsleiter bekleiden. Sie konnten als Angehörige des Führungspersonals der THA bezeichnet werden.
Der Vorstand sprach sich dafür aus, den betroffenen Mitarbeitern für zwei Jahren der Zusammenarbeit eine faire Chance zu geben, denn: „Mitarbeiter, die zu diesem Kreis gerechnet werden können, haben sich -wie viele andere auch - durch eine hohe Motivation und Arbeitsleistung ausgezeichnet und sich das Ansehen von Kollegen und Vorgesetzten, die ja durchweg aus den alten Bundesländern stammen, erworben.“
Der Vorstand werde wie bisher mit den betreffenden Mitarbeitern intensive und individuelle Gespräche führen. Deren Ziel sei es, gemeinsam eine bessere Einschätzung der sich aus der persönlichen Situation der Betroffenen ergebenden Aspekte und der mit ihrer Tätigkeit für die Treuhandanstalt verbundenen Außenwirkung zu gewinnen. Der Argwohn, dass die THA zu inkonsequent mit „alten Seilschaften“ in ihren eigenen Reihen umgehe, blieb allerdings ein Imageproblem in der öffentlichen Wahrnehmung der Behörde.“
Wiederholt stand auch der Vorwurf im Raum, Treuhandmitarbeiter könnten aus politisch motivierten Gründen Rechtsgeschäfte zum
schaftlichen Nachteil der THA abschließen. Nach einer dies bezüglichen Aufforderung durch das BMF überprüfte das Direktorat Revision Sommer 1992 stichprobenweise Rechtsgeschäfte, die von ostdeutschen Mitarbeitern hauptsächlich im Oktober und November 1990 abgeschlossen worden waren. Dazu wurde eine personenbezogene Risikoanalyse durchgeführt, die sich auf 20 ehemalige Führungskader aus der staatlichen Wirtschaftsverwaltung der DDR bezog, die an verschiedenen Privatisierungs- bzw. Liegenschaftsverkäufen beteiligt gewesen waren. In seinem abschließenden Bericht vom August 1992 gab das Direktorat Revision dass es bei fünf Mitarbeitern konkrete Anhaltspunkte für wirtschaftlich nachteilige Handlungsweisen zulasten der THA gebe. Hierbei habe es einem Fall ein bewusstes Zusammenwirken im Sinn „alter Seilschaften“ gegeben. Dies bezog sich auf die Privatisierung des Pharmazeutischen Werks in Halle im November 1990.
Dieser im Revisionsbericht angeführte Fall weist allerdings auf das Wirken „alter Seilschaften“ hin, sondern zeigt eher die hausgemachten Mängel der frühen Verkäufe im Herbst 1990. Es handelte Nämlich überwiegend um Ad-hoc-Privatisierungen ohne Ausschreibung Kaufverhandlungen und abgeschlossene Verträge wurden nicht dokumentiert, mögliche Restitutionsansprüche beim Verkauf nicht berücksichtigt. Generell konnten die Revisoren keine eindeutigen Hinweise für das Wirken „alter Seilschaften“ zum Nachteil der THA finden. In der abschließenden Bewertung der untersuchten Privatisierungsfälle heißt es: „In der weitaus überwiegenden Zahl der hier untersuchten Vorgänge haben die Mitarbeiter im Rahmen der bei der Privatisierung von Unternehmen bestehenden Ermessenspielräume gehandelt.“ Wie auch andere interne Untersuchungen der Treuhandzentrale belegen, hatten ostdeutsche Beschäftigte angesichts der nahezu durchgängigen Besetzung der Spitzenpositionen der THA mit Personal aus Westdeutschland ohnehin nur geringen Einfluss auf Privatisierungsentscheidungen. Aus mehreren Revisionsberichten geht hervor, dass ostdeutsche Mitarbeiter zwar an den Privatisierungsverhandlungen mit westdeutschen Firmen beteiligt waren. Nennenswerte finanzielle Schäden entstanden für die Treuhand dadurch jedoch nicht. Eine „Unterwanderung“ der THA durch „alte Seilschaften“ fand insgesamt nicht statt.
Vor dem Hintergrund anhaltender Debatten über Nomenklaturkader in der THA richteten 20 Direktoren der Treuhandzentrale im November 1992 ein Schreiben an die Präsidentin, in dem sie darum baten, sich von den in den Medien als „Nomenklatur“ gehandelten Mitarbeitern der Treuhandanstalt nicht generell, sondern nur aufgrund einer Einzelfallprüfung zu trennen. Weiter hieß es: „Die Entlassung von Mitarbeitern, ohne dass im Einzelfall schuldhaftes Verhalten nachgewiesen wurde, ist ungerechtfertigt. Die frühere Zugehörigkeit zu einer Partei oder eine herausgehobene Stellung im Staat können nicht alleiniges Kriterium sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich diese Mitarbeiter in den letzten zwei Jahren zusammen mit uns in überdurchschnittlichen Maße für den Wiederaufbau ihrer Heimat eingesetzt haben. Eine pauschale Verurteilung dieser Mitarbeiter lässt sich sicherlich nicht mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen vom Einzelfall—unrecht vereinbaren.“ Die Direktoren vermuteten, dass sich durch von außen verordnete „Säuberungsaktionen“ das Klima in der THA, die eine Vorbildfunktion beim Zusammenwachsen Deutschlands haben sollte, erheblich verschlechtern werde. Dies werde sich negativ auf die Arbeitsfähigkeit der Anstalt auswirken. Stattdessen sollte den betroffenen Mitarbeitern die Möglichkeit einer Neuorientierung nicht versagt bleiben. Abschließend baten die Direktoren die Präsidentin eindringlich, der potisch motivierten Kampagne gegen Treuhandmitarbeiter Widerstand entgegenzusetzen. In einigen Firmen wandten sich Branchendirektoren gezielt gegen die Entlassung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus ihrem Bereich, deren Namen seit vielen Monaten auf verschiedenen Listen des Unterausschusses Treuhandanstalt des Bundestages kursierten. Dies betraf beispielsweise eine frühere stellvertretende Abteilungsleiterin in der Bezirksleitung Berlin der SED, die nach einer Empfehlung des Direktorats Personalplanung und Sonderaufgaben aus der Treuhandzentrale ausscheiden sollte, da die betreffende Mitarbeiterin keinerlei Kenntnisse
kaufmännischer Art besitze und auch über keine Erfahrungen als „Führungskraft in Wirtschaftsunternehmen verfüge?“ Der zuständige Branchendirektor widersprach allerdings dieser Bewertung. Er sprach sich vehement für den Verbleib der Mitarbeiterin in seinem Bereich aus. An Personalvorstand Föhr schrieb er am 1. Dezember 1992: „Mir will scheinen, dass hier rechtsstaatliche Grundsätze zu kurz kommen. Ich mochte nachdrücklich die vom Vorstand der Treuhandanstalt zu Recht vertretene Forderung unterstreichen, Einzelfallgerechtigkeit, zu üben. Ich bin persönlich weiß Gott ein Gegner des SED-Regimes, ich weiß auch die Tragik derer zu würdigen, die sich im Osten offen als Systemgegner offenbart und dafür gelitten haben. Vielen Opportunisten kann man den Vorwurf machen, dass sie ihre Intelligenz nicht benutzt haben, die verheerenden Fehlentwicklungen und Unrechtsakte im Osten zu durchschauen und jedenfalls für sich selbst als solche festzustellen. Aber die öffentliche Dienst besteht auch im Westen wahrhaftig nicht nur aus Märtyrern.“
Seine Mitarbeiterin, so führte der Direktor weiter aus, gehöre zu jenen früheren Stützen des untergegangenen Systems, die in der zweijährigen Tätigkeit in der Behörde ihre Loyalität zur Grundordnung der Bundesrepublik bewiesen und durch vorbildlichen Einsatz für die Interessen der öffentlichen Hand mehr geleistet hätten als viele Kritiker der THA. „Angesichts der zahlreichen Zumutungen, die uns aus dem Westen geboten werden, halte ich lieber an Mitarbeitern fest, die ihren politischen Irrtum hinter sich gelassen haben und konstruktiv daran mitwirken, Ostdeutschland wieder aufzubauen.“
Der Unterausschuss Treuhandanstalt forderte auf seiner Sitzung am 16. Oktober 1992 den Bundesminister der Finanzen auf, auf die THA dahingehend einzuwirken, sich bis zum 31. Dezember 1992 von denjenigen zu trennen, die durch ihre Tätigkeit während der SED-Herrschaft in herausgehobenen Positionen gewirkt haben?” Der Bundesminister sollte außerdem dem Unterausschuss spätestens bis 31. Januar 1993 einen Bericht über die eingeleiteten Maßnahmen zukommen lassen. Infolgedessen
bat der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Joachim Grünewald, die Präsidentin der THA, alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Beschäftigungsverhältnisse mit Funktionsträgern des ehemaligen DDR-Regimes zu lösen. Grünewald hielt die Forderung des Unterausschusses für vollkommen berechtigt, denn, so schrieb er am 22. Oktober 1992 an Breuel: „Es lässt sich der Öffentlichkeit nicht vermitteln, dass in der Treuhandanstalt ehemalige Funktionsträger der DDR, die mit dem früheren System eng verbunden waren, heute an der Umgestaltung zu einer sozialen Marktwirtschaft mitwirken. Vor diesem Hintergrund erscheinen mir unabhängig von der von Ihnen erbetenen Erläuterung vor dem Untersuchungsausschuss — weitere Konsequenzen erforderlich und angesichts der Reaktionen in der Öffentlichkeit unvermeidbar.“ Birgit Breuel lehnte weiterhin eine pauschale Entlassung der betreffende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter strikt ab und beharrte auf der vom Vorstand beschlossenen Einzelfallprüfung. In ihrem Schreiben an den Vorsitzenden des Unterausschusses vom 19. Oktober 1992 verwies sie auf die rechtsstaatlich einwandfreie Form einer Einzelprüfung, um festzustellen;
ob die notwendige persönliche und fachliche Eignung des betreffenden Mitarbeiters vorliege. Und sie fuhr fort: „Alle über Einzelfallprüfungen hinausgehenden Entscheidungen bedürfen aber zuvor einer politischen Willensbildung in Regierung und Parlament unter Berücksichtigung der arbeitsrechtlichen Situation und können dann nicht nur für die THA gelten, sondern müssen alle öffentlichen Institutionen und Ebenen umfassen.“ Als Reaktion auf dieses Schreiben fand am 3. November 1992 ein Gespräch zwischen der Präsidentin, dem Vorsitzenden des Unterausschusses sowie dem parlamentarischen Staatssekretär des BMF in Bonn statt. Während des Gesprächs stellte Arnulf Kriedner klar, dass sich die Forderung des Unterausschusses vom 16. Oktober 1992 ausdrücklich auf ehemalige Staatssekretäre, stellvertretende Minister, stellvertretende Vorsitzende der SPK sowie leitende Angehörige der Nomenklatur bezog, die damals noch verantwortliche Positionen (Vorstand, Direktoren und Abteilungsleiter) in sensiblen Bereichen der Treuhandanstalt ausübten.
Als sensibel wurde insbesondere der Personalbereich angesehen. Nach dieser Unterredung ging Breuel davon aus, „dass wir gemeinsam eine amEinzelfall orientierte, schnelle, arbeitsrechtlich vertretbare, politisch vermittelbare, pragmatische und abschließende Lösung anstreben“. Die THA sei nach dem Gespräch in Bonn bereit, „für die Betroffenen Lösungen zu finden, die der jeweiligen persönlichen Situation gerecht werde und auch politisch vermittelbar erscheinen“.
Personaldirektor Dorenberg zog in einem Schreiben an Personalvorstand Föhr Anfang Dezember 1992 eine vorläufige Schlussbilanz der Personalüberprüfungen ostdeutscher Mitarbeiterinnen und Mitarbeite der Treuhandzentrale. In der Treuhandzentrale waren laut der Information Dorenbergs Anfang Dezember 1992 noch 17 Personen beschäftigt, die der Kategorie Nomenklaturstufe I zugeordnet wurden. Zu dieser Kategorie wurden Stellvertreter von Ministern und Staatssekretäre, Abteilungsleiter im Ministerrat, stellvertretende Vorsitzende und Abteilungsleiter der SPK sowie Generaldirektoren zentralgeleiteter Kombinate gezählt. Darüber hinaus seien in der Treuhandzentrale noch 88 Personen tätig, die der Nomenklaturstufe II zugeordnet wurden. Unter diese Kategorie fielen Abteilungsleiter in Ministerien und zentralen staatlichen Einrichtungen, Sektorenleiter von Ministerien und Direktoren von Betrieben, die den betreffenden Industrieministerien direkt unterstellt waren.
Des Weiteren berichtete Dorenberg, dass keine ehemaligen Angehörigen der Nomenklaturstufen I und II auf den oberen Leitungsebenen der THA - damit waren Vorstand und Direktoren gemeint – beschäftigt seien. Hingegen seien noch sieben Personen der Nomenklaturstufe I als Abteilungsleiter in der Treuhandzentrale tätig. Es handelte sich hierbei um zwei frühere stellvertretende Vorsitzende sowie zwei Abteilungsleiter der SPK und drei ehemalige stellvertretende Minister. Eine sichere Prognose über deren Ablösung konnte Dorenberg nicht treffen. Auf eine betreffende Nachfrage teilte Föhr dem Parlamentarischen Staatssekretär Grünewald in einem Schreiben vom 8. Dezember 1992 mit, dass mit den betreffenden Personen Gespräche mit dem Ziel geführt würden, Aufhebungsverträge abzuschließen. Wesentlich konsequenter wurde bei einer nachgewiesenen Zusammenarbeit mit dem MfS verfahren. Im Zeitraum von 1991 bis Mai 1993 wurden die Arbeitsverhältnisse mit 84 Beschäftigten der Treuhandzentrale wegen inoffizieller Arbeit für das MfS beendet. Bis August 1994 hatte der Personaldirektor insgesamt über 1716 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Treuhandzentrale sowie der Tochtergesellschaften Anfragen an die Gauck—Behörde gestellt, bei denen in 151 Fällen eine MfS—Verstrickung bestätigt wurde, die zum Ausscheiden der betreffenden Mitarbeiter führte.
Angesichts der seit 1993 sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit geführten Debatten über die ausufernden Personal- und Beraterkosten der THA betrachtete der Vorstand das Thema „alte Seilschaften“ seitdem als zweitrangig. Auch die parlamentarischen Kontrollgremien verlagerten ihren Fokus auf die Haushaltsführung der THA sowie auf umstrittene Privatisierungs-, Sanierungs- und Abwicklungsvorgänge.
Auch durch die Tätigkeit des am 30. September 1993 eingesetzten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zur Treuhandanstalt standen „alte Seilschaften“ nicht mehr im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das Thema hatte den Vorstandsbereich Personal in den Jahren 1991
und 1992 in ganz erheblichem Maße beschäftigt, denn das Image der THA war in dieser Zeit stark von dem Vorwurf belastet, personell von ehemaligen SED-Kadern unterwandert zu sein. Hinzu kam der öffentlich immer wieder vorgebrachte Verdacht, „alte Seilschaften“ gingen mit „neuen Seilschaften“ aus dem Managerpool Westdeutschlands eine unheilige Allianz ein. Die Untersuchung derartiger Vorwürfe lag im ureigenen Interesse der THA und band intern personelle Ressourcen, die dem eigentlich notwendigen Controlling der Privatisierungspraxis in den Unternehmensbereichen bzw. der Revision entzogen wurden. Zu Entlassungen von ehemaligen Leitungskadern aus DDR-Ministerien und zentralen wirtschaftsleitenden Einrichtungen ist es in einem größeren Umfang nicht gekommen. Einzelne Mitarbeiter auf der Ebene der Direktoren und Abteilungsleiter, die unter verschiedenen Gesichtspunkten als politisch belastet eingestuft wurden, schieden in der zweiten Hälfte des Jahres 1992 aus der THA aus oder wechselten in ausgegliederte Tochtergesellschaften . Wie interne Untersuchungen zeigten, kam es durch das vermeintliche Wirken „alter Seilschaften“ auch nicht zu signifikanten ökonomischen Verlusten. Diesbezügliche Vorwürfe prägten jedoch noch lange Jahre die Wahrnehmung der THA in der Öffentlichkeit.
[1] Auszug aus Andreas Malycha: Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben; Berlin 2022, S. 495 ff mit freundlicher Genehmigung des Christoph Links Verlages. Die Fußnoten S. im Buch.
[2] Der Spiegel 27/91