Heimatliebe im Alltag. Von der späten DDR bis in die vereinigte Bundesrepublik

Dr. Johannes Schütz, Technische Universität Dresden, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte

Es wurden bereits viele Aspekte der DDR Geschichte erforscht: die politische Ideengeschichte, die totalitäre Diktaturgeschichte, die gescheiterte Wirtschaftsgeschichte oder die eigenwillige Kulturgeschichte. Jedoch wurde bisher die DDR kaum als Gefühlsgeschichte erzählt. Dabei sind Emotionen existenziale Bestandteile menschlichen Lebens ebenso, wie ihre Ausdrucksformen sozialer Aushandlung bedürfen und kulturell überformt werden. So kann auch die DDR beispielsweise als eher einseitige Liebesgeschichte erzählt werden. Eine Liebe zwischen Menschen und einer staatlichen Ordnung. Es finden sich zahlreiche Liebesbekenntnisse zum Staat und noch mehr Liebesbekundungen der Staatsführung – natürlich kann diese Liebesgeschichte sehr schnell als Tragödie enttarnt werden. Aber dennoch lohnt es sich, die DDR anhand emotionshistorischer Perspektiven zu untersuchen, wie ich das in dem Projekt „Polyphonie der Heimat“ vorhabe, und im Alltag nach Emotionen bei den Aneignungen von Heimatvorstellungen zu suchen.

Ein Teil der Liebesgeschichte DDR ist, dass sich der Staat und vor allem seine Repräsentanten nichts mehr wünschten, als von seinen Bürgern geliebt zu werden. Immer wieder und fast überall haben sie diese Liebe zum sozialistischen Vaterland ersehnt und erbeten, angemahnt und geradezu eingefordert – in der Schule, in den Betrieben, auf der Straße. Da aber in der DDR nur ein Bruchteil der Menschen überzeugte Kommunisten waren, lenkte der Staat seine Liebessehnsucht auf ein kleines Detail seiner Existenz: Gerade zu penetrant wurde ab den 1950er Jahren die Heimatliebe vom Staat entdeckt und besetzt. In der Erziehung ebenso wie in lokalen Heimatgruppen sollte Liebe zur nun sozialistischen Heimat und damit auch zum Staat DDR geweckt und etabliert werden.

Diese staatliche Propaganda begleiteten die DDR ihre ganze Existenz über. Denn das war es vor allem: Propaganda. Natürlich lässt sich von diesen Forderungen nicht auf die Gefühle der Bewohnerinnen und Bewohner der DDR schließen. Dennoch zeigt sich, dass Heimatliebe ein wichtiger Grund für Menschen war, aktiv zu werden. Viele Ortschronisten sammelten in mühevoller Detailarbeit Material zur Gegenwart und Geschichte ihres Heimatortes, nicht selten veröffentlichten sie eine Ortsgeschichte oder ein Heimatbuch. Dabei bekannten sie – wie zum Beispiel der Ortschronist von Burkau in Sachsen – ganz offen ihre Heimatliebe. Sehr viel Zeit und Engagement widmeten Heimatler und Heimatlerinnen in der DDR dem Erhalt von Kulturdenkmälern: An vielen Stellen drohten historische Gebäude zu verfallen und die staatliche Erinnerungskultur verbannte sie wegen Feudalismusverdacht aus dem kollektiven Gedächtnis. Daher sicherten ehrenamtliche Helferinnen die Bausubstanz und restaurierten die Gebäude, was aber durchaus schwierig war. So geschehen bei der Stadtkirche von Oschatz oder einem historischen Weingut in Weinböhla, das zum Heimatmuseum umfunktioniert wurde. Der Materialmangel und das staatliche Wohnungsbauprogramm erschwerten diese Tätigkeiten zusätzlich. Aber auch hier engagierten sich Ortsverbundene und wirkten im Rahmen der Aktion „Mach mit! Schöner unsere Städte, schöner unsere Dörfer“. Es zeigte sich, dass die Menschen über Heimatliebe sehr gut zu mobilisieren waren und ihre Freizeit zur Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfeldes einsetzten. Wieviel sie davon jedoch auch auf den Staat projizierten oder inwiefern sie sich nur mit den Umständen abfanden, muss dabei genau untersucht werden.

Erste historische Studien deuten bereits darauf hin, dass die sozialistische Heimatidee keinesfalls umfangreich die genannten Heimatpraktiken überformte und verwandelte. Die traditionellen Heimatpraktiken zeichneten sich durch eine erhebliche Beharrungskraft aus. Heimatfreunde und Heimatfreundinnen erforschten auch weiter die Ortsgeschichte, ohne dass sie dabei nur die „sozialistischen Umwälzungen“ oder die Geschichte der Arbeiterbewegung berücksichtigten, sondern vielmehr auch die Geschichte des Ortes von der Siedlung bis zur industriellen Moderne erzählten – und dafür gehörig Tadel bekamen, da sie noch nicht den entsprechenden Klassenstandpunkt eingenommen hatten. Die Akten sind voll von derartigen Auseinandersetzungen. Auch gingen die Menschen weiter über die oftmals selbst angelegten und beschilderten Wege wandern, sangen überlieferte Mundartlieder und sammelten Zinnfiguren, ohne dabei in Liebe an den sozialistischen Staat zu schwelgen. Zwischen der offiziellen Parteidoktrin und der Lebenswelt vieler Menschen gab es also eine große Diskrepanz. In den nächsten Jahren erforsche ich detailliert, mit welchen Vorstellungen und Praktiken im Alltag Menschen sich ihre Heimat herstellten (deshalb spreche ich auch von Heimatkonstruktionen, da Heimat nicht als etwas Gegebenes vorausgesetzt wird, sondern als etwas, das sich Menschen durch ihre Handlungen aneignen) und wie sie die Heimatliebe an diese Vorstellungen und Praktiken banden. Indem die emotionale Bindung an Heimat offengelegt wird, lässt sich die Grundlage für vielfältiges Engagement und die Dauerhaftigkeit der Heimatkonstruktionen erklären, ohne es mit einer umfassenden Zustimmung zur sozialistischen Ordnung zu verwechseln.

In Tätigkeitsberichten, Briefen und Gesprächen lassen sich diese komplexe Verbindung von Praktiken und Gefühlen nachvollziehen. Die Weinböhlaer Heimatfreunde hatten zum Beispiel ein Tagebuch über ihre vielen Arbeitsstunden an dem historischen Weingut angelegt, in dem sie detailliert die einzelnen Arbeitsschritte, die beteiligten Gruppenmitglieder und die Arbeitszeiten festhielten. Zusätzlich berichteten sie darüber in den eigenen Heimatblättern. Ortschronisten haben nicht nur eine Ortschronik geschrieben, sondern auch ihre Arbeit detailliert dokumentiert. Nicht zuletzt führe ich im Rahmen meines Projektes Interviews mit sehr unterschiedlichen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die auf spezifischen Feldern aktiv waren: im Kulturbund, in der Kirchgemeinde oder ohne institutionelle Anbindung.

An dieser Stelle möchte ich noch auf ein weiteres starkes Indiz eingehen, dass mit einer entscheidenden, weltpolitischen Zäsur zusammenhängt. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und dem Ende der DDR 1990 verschwand auch das emotionale Regime der Heimatliebe. Fortan gab es keinen staatlichen Akteur mehr, der seine Bürgerinnen und Bürger umgarnte, bedrängte und scheinbar nur ihre Liebe gewinnen wollte. Das Phänomen der Heimatliebe verschwand jedoch nicht, es nahm vielmehr einen neuen Aufschwung. Unzählige Vereine gründeten sich (wieder). Zahlreiche Akteure fanden in Gruppen und Gemeinschaften zusammen und überführten die bewährten Heimatpraktiken in einen neuen Organisationsrahmen. Nun ließen sich Ortschroniken schreiben, Kirchen restaurieren und Liederabende veranstalten, ohne politischen Vorgaben gerecht werden zu müssen. Eine kontinuierliche affektive Bindung an die Heimat könnte dabei den Übergang moderiert haben. Bewusst entschieden sich viele Menschen gerade dazu, vor dem Mauerfall nicht auf die Ausreisewelle aufzuspringen. Sie waren trotz der neuen Herausforderungen und Anforderungen am Ort geblieben.

Die neuen Bundesländer veränderten sich rapide, Sicherheiten und Gewissheiten zerbrachen, Arbeitsplätze gingen verloren, Familien lösten sich auf, politische Verfahrensweisen änderten sich fundamental und etablierte Überzeugungen wurden irritiert und herausgefordert. Kurz: Die Lebenswelt der Ostdeutschen kam ins Wanken. Seitdem erleben Heimatvorstellungen Konjunktur. Die eingeübten und tradierten Heimatpraktiken, die scheinbar kleinen Alltagsroutinen, die im gesamten 20. Jahrhundert Politik und Alltag der Menschen miteinander verbanden, ermöglichten den Wechsel von der sozialistischen zur postsozialistischen Gesellschaft. Das politische Projekt der Heimatliebe half nun dabei die Ankunft in der Bundesrepublik im Kleinen gestalten zu wollen. Aber es war ebenfalls anfällig für Abschottung und sogar für Gewalthandlungen. Denn antidemokratische Kräfte griffen das Konzept auf und vereindeutigten es durch eine völkische Auslegung. Heimatschutz wurde damit auch zu einem politischen Kampfbegriff, der einen sich radikalisierenden Rechtsextremismus antrieb und in Terror überführte.

Zugleich lässt sich ein breites politisches Phänomen beobachten: Ostdeutschland selbst wurde nun als Heimat gedacht. Die Transformation der ostdeutschen Lebenswelt bewirkte etwas, was die DDR Führung nicht zu schaffen vermochte: Es entwickelte sich eine spezifische Identifikation mit Ostdeutschland. Jedoch bringt dieses Ostdeutschland vor allem jene zusammen, die die Erfahrungen der Transformationen nach 1990 teilen.

Damit sind die vielfältigen, polyphonen Bedeutungszusammenhänge, Vorstellungswelten und Praxisformen benannt, die sich allesamt auf die Heimat beziehen. Jenen zumeist unerreichten Sehnsuchtsort, der angestrebt wird, geliebt werden will, verloren zu gehen scheint, Energie freisetzt, Menschen zusammenbringt ebenso wie er sie auseinandertreibt, auf jeden Fall aber immer Gefühle anspricht.

 

Dr. Johannes Schütz ist Historiker. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU-Dresden erforscht er derzeit, wie Praktiken und Gefühle Heimatvorstellungen zwischen 1969 und 2000 in den Alltag von sozialistischer und postsozialistischer Gesellschaft integrierten. Das Projekt läuft unter dem Titel „Polyphonie der Heimat“ und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

 

Letzte Veröffentlichungen:

"Heimat-Liebe" in der DDR. Beobachtungen zu Diskursformationen, Gefühlsregimen und Emotionspraktiken, in: Volkskunde in Sachsen 33 (2021), S. 179-201.

zusammen mit Raj Kollmorgen und Steven Schäller (Hg.), Die neue Mitte? Ideologie und Praxis der populistischen und extremen Rechten (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums 14), Köln/Weimar/Wien 2021.