Heimat DDR? Editorial

Der Begriff Heimat scheint eine neue Konjunktur zu haben. Nicht nur im Bund gibt es inzwischen ein Heimatministerium, das sogar die Wende zur Ampelkoalition überstanden hat. Vielleicht gibt Heimat, gerade in einer scheinbar heimatlosen, globalisierten Welt so etwas wie Orientierung. (Hirschfelder)

Vor allem im Westen Deutschlands war Heimat als Bezugspunkt lange, nicht nur wegen des Verdachtes von Provinzialität, sondern auch wegen der Heimattümelei der Nazis schräg angesehen.

Wer den Osten Deutschlands als seine Heimat herausstrich, wurde in den vergangenen Jahren oft der systembeschönigenden Ostalgie verdächtigt, während die Anhänger der (neuen) Ostdeutschen Identität wiederum ihren Gegnern vorwarfen, dass Leben der Menschen in der DDR kaputtzureden. Denn Puristen und Stasiopfer sahen in Filmen wie Sonnenallee und Good-bye-Lenin zuweilen nichts als verharmlosende Machwerke, was nicht nur an ihrem künstlerischen Wert vorbeigeht. Neben dem staatlichen Raum gab es offenbar noch andere Räume gab, die man mit eigenem Leben füllen konnte, auch wenn diese sich immer wieder an der staatlichen Sphäre rieben. (Kötzing) Doch gerade systemfernen Kindheits- und Jugenderinnerungen haftet manchmal sogar idyllisches an, wie in Texten von Grit Poppe und Hannelore Offener. Die Filmemacherin Grit Lemke hat gerade der DDR-Kunststadt Hoyerswerda (Hoy) ein Denkmal gesetzt, daran erinnernd, dass man als Jugendlicher selbst zwischen Betonbauten heimisch werden konnte. Die DDR sei zwar nie seine Heimat gewesen, meint Rainer Eckert. Der Potsdamer erklärt zugleich, wieso und inwieweit er ein „guter“ Ostdeutscher war. „Ich möchte am liebsten weg sein — und bleibe am liebsten hier.“ Schon früh artikulierte Wolf Biermann die zerrissene Hassliebe zu ihrem Umfeld, die die meisten Ostdeutschen prägte. Es ist eine offene Frage, inwieweit das Absingen von Liedern wie „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“, Spuren selbst bei Kritikern der DDR hinterlassen hat und wenn, dann welche.

Keineswegs nur bei Anhängern von DDR-Kitsch, sondern selbst bei scharfen Kritikern der Ostalgie, im Milieu der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler, -Kritiker und Opfer findet sich das Phänomen: Auf manchen Facebook- oder Internetseiten dominieren Namen und Ereignisse aus der untergangenen DDR, von Biermann bis Krawcyk, als sei alles erst gestern gewesen. Das Leben der Anderen wird virtuell verlängert, sei es zur Identifikation, sei es zur Abgrenzung. Ohne jemandem nahe treten zu wollen, selbst Stasi-Opfer klammern sich manchmal merkwürdig fest an den Ort ihrer Pein. Für manche Opfergruppen freilich ist Heimat geradezu ihr kritischer Bezugspunkt, da die durch Maßnahmen des SED-Staates aus ihrer Heimat vertrieben wurden. (Bürgerkomitee Magdeburg)

Wie sehr auch DDR-kritische Personen und Gruppen „ihrer“ DDR verhaftet waren, zeigte sich schon im Westberlin der 1980er Jahre. Während zuvor rübergekommene DDR-Bürger oft versuchten, sich im Westen möglichst schnell zu assimilieren, bildete sich in den 1980er Jahren ein DDR-Exil heraus. Der Wohnort hatte sich geändert, nicht unbedingt der Bezugspunkt. Kaum einen Menschen habe ich so oft von Heimat reden hören, wie Roland Jahn, der seinem Thüringer Elternhaus, seiner Clique, den Thüringer Wäldern nachtrauerte, während die meisten Westberliner Zugezogenen froh waren, ihrer spießigen westdeutschen Heimat entronnen zu sein. Ganze Häuser waren in Kreuzberg und Neukölln schließlich von Jenaern oder Leuten aus Halle dominiert.  Frank Willmann hat den Hallenser Heavy Metals, die schließlich DDR-Wachposten von Westberlin aus angriffen, ein Denkmal gesetzt. Das Kuckucksnest in SO 36 - mit natürlich einem Wirt aus Ostberlin - glich ähnlichen Kneipen im Prenzlauer Berg, v.a. durch die Stammkunden. Beginnend mit Jürgen Fuchs als lange wichtigstem Bezugspunkt, gespeist durch die Exoduswellen nach Massenkriminalisierungen wurde die Szene immer mehr politisch und publizistisch wirksam. In gewisser Hinsicht wurde durch dieses heimatverbundene Exil-Szene hier auch der westliche Resonanzboden für die friedliche Revolution vorbereitet, indem politische Parteien und Medien beeinflusst und für die Entwicklungen im Osten sensibilisiert wurden.

Unbestritten scheint heute, dass das ostdeutsche Heimatgefühl erst mit der „Wende“, als Reaktion auf das Überschwappen des Westens entstanden ist. Allerdings ist fraglich, ob sich solch ein Sentiment ohne jegliche Vorprägung hätte herausbilden können. Der Ostdeutsche, der angeblich solidarisch, weniger ellbogig durchs Leben ging als angeblich sein Bruder im Westen, hat viel mit dem Klischeebild gemein, was die SED über den ausbeuterischen Westen verbreitete. Manchmal richtet sich das Ostdeutsche sogar gegen die, die vor 1989 die DDR verlassen haben, und manchem geradezu als Verräter galten. Karlheinz Baums Geschichte über die vorzeitige Rückkehr der Brandenburger Karikaturisten Loriot in seine Heimatstadt, bricht dieses Klischee auf und zeigt, wie viele „Ehemalige“ sich noch ihrer Heimat verbunden fühlten, auch wenn sie vielen als typische Wessis galten. Man musste nur an der Biographie von vielen Aufbauhelfern der 1990er Jahre zu kratzen, um einen ostdeutschen Vater oder eine schlesische Großmutter zu finden.

Die SED hat selbst versucht, Heimatliebe für einen Staat zu züchten, den sich das Volk nie gewählt hatte. Erst sollte noch eine Nationale Front für ein „Deutschland, einig Vaterland“ geschmiedet werden. Schließlich galt der offizielle Patriotismus nur noch der DDR, die von Luther über Goethe und Schiller und Friedrich dem II. alles in ihr nationales Erbe einzuheimsen suchte.

Aber auch vor Ort in den Gemeinden versuchte der SED-Staat die Heimatgruppen in mit Kampagnen wie „Mach mit! Schöner unsere Städte, schöner unsere Dörfer“ für sich einzunehmen. Die Heimatbewegung ließ sich freilich nie voll funktionalisieren, wie das Forschungsprojekt von Jan Schütz zeigt. Von den staatlichen Fesseln befreit, blühte sie nach dem Ende der DDR erst richtig auf, auch als Abwehr gegen die Umbrüche der Transformationszeit - mancherorts allerdings auch als militante Abwehr gegen alles Fremde. Ist die Musikantenscheune also das Scheunentor für Pegida u.ä. Anwandlungen?

Anders als Franzosen, Engländer, Polen und heute gerade Ukrainer, tun sich die Deutschen auf Grund des Missbrauchs für die völkische Blut und Boden-Ideologie der Nazis schwer mit dem Heimatgedanken. Dass er dennoch nicht wegzudenken ist, ist offenkundig. Es scheint so etwas wie ein anthropologisches Bedürfnis zu geben, sich auf Orte oder Personenzusammenhänge zu beziehen, die mit der eigenen Vergangenheit verbunden sind. Bislang wird die Diskussion um die Heimat DDR? eher auf künstlerischem Gebiet ausgetragen. Von daher schien es sinnvoll, es einmal zu einem Schwerpunktthema für H-und-G-info zu machen. Es ist sicher kein abschließender Überblick, eher ein Lesebuch geworden, welches hoffentlich zu weiterem anregt.

Christian Booß