Glaubwürdigkeit in der Scheinwelt

von Christa Sengespeick-Roos 

Die Einrichtung unserer Wohnungen war sehr persönlich, persönlicher als ich es hier im Westen je erlebt habe. Möbel und Gegenstände aus vergangenen Zeiten. Nicht nur, weil wir uns nichts Neues leisten konnten oder es nichts gab. In diesen alten Sesseln, Schränken, Truhen, Sekretären suchten wir Identität. Geerbt, geschenkt oder vom Sperrmüll geholt, umgaben sie uns und verschafften ein Lebensgefühl, das anknüpfte an das unserer Großväter und Urgroßmütter. »Friedensware« mußte es sein, d.h. aus der Zeit vor dem l. Weltkrieg. (Ihr antiquarischer Wert, der manchen von uns heute noch reich erscheinen läßt, war für uns sekundär.) Das Gerede von den Nischen hat wohl zu tun mit diesem Sich-Zurückversetzen, Anknüpfen wollen an vorgestern. Woran auch sonst? Die Gegenwart, die Generation der Väter und Mütter gab uns keine Möglichkeit einer positiven Identifikation. So lebten wir im Freundeskreis, schönen und großen Altbauwohnungen mit Parkett und Stuck, mitunter Jugendstil. Manche von meinen Theologenfreundinnen zogen später in stattliche Pfarrhäuser um, mit dem Glanz eines vor hundert Jahren angelegten Gartens. Noch heute liebe ich diese Art Wohnungen und Häuser, in denen der Putz von der Decke fällt und die doch von Vergangenem zeugen. Dort haben wir gewohnt und gelebt. Man traf sich zu Teestunden, wir tranken Tee (Kaffee war zu teuer), lasen uns vor, redeten. Brot und Schmalz standen auf dem Tisch. Der Lebensstil, in Studentenzeiten erworben, wurde beibehalten. Was hatten wir sonst? Erfolg? Konsum? Reisen? Menschen, die Zugang zu solchen Privilegien hatten, waren uns suspekt. Wir mußten uns selbst genügen, und wir taten es stolz. Noch heute kenne ich Wohnungen von Freunden, in denen jeder Gegenstand mit Erinnerung und Bedeutung unterlegt ist. Nicht mit Geld gekauft, können diese Gegenstände, auch Bilder, nur verschenkt werden.

In diesem von uns selbst geschaffenen Umfeld konnten wir uns gegenseitig versichern: Du bist. Das emotionale »Drinnen« ermöglichte uns auch, durchaus kontrovers zu diskutieren. (Mit manchen alten Freunden kann ich dies immer noch.) Nach der Wende meinte ich, daß wir uns in der DDR »unter uns« keine verschiedenen Positionen erlauben konnten, da das »Böse« draußen war. Mehr und mehr machte ich die Erfahrung, daß hier, in der alten Bundesrepublik, viel weniger geredet, wirklich geredet wird. Ich erkenne hier viel weniger das Bemühen, zu sagen, was gedacht wird. Für uns, in der DDR, war es deutlicher lebensnotwendig, herauszufinden, immer wieder: Wer bin ich? Ein Selbst sein ...um dieser uns umgebenden Scheinwelt zu entgehen ...