Studie zu aktuellen Lebenslagen von Menschen aus dem Land Brandenburg, die in der SBZ/DDR politisch verfolgt wurden oder Unrecht erlitten und deren mitbetroffenen Familien (Sozialstudie)

Zusammenfassung der Ergebnisse

LAKD 2022

In den Anhörungen der Enquete-Kommission 5/1 des Brandenburger Landtags wurde 2012 zum Thema „Wiedergutmachung und nachhaltige Würdigung der Opfer des SED-Regimes“ u.a. die Rechts- und Verfahrenspraxis der Rehabilitierungen einer kritischen Betrachtung unterzogen.  Dabei wurden spezifische Brandenburger Defizite herausgearbeitet. Es zeigte sich, dass die Forschungs- und Wissensstände zur Lebenssituation ehemals politisch Verfolgter und ihrer Familien im heutigen Land Brandenburg unzureichend sind. Daher wurde in die Handlungsempfehlungen an das Parlament der Vorschlag der LAkD aufgenommen, mit einer Studie die Lebenslagen der in der SBZ/DDR politisch Verfolgten und ihrer Angehörigen zu untersuchen.

In der Studie ging es um Fragen wie:          

Wie geht es den Menschen heute, die direkt oder indirekt von Unrecht betroffen waren? Welche Art des Unrechts ist den Menschen widerfahren? Wie belastend ist dies heute noch?Welche staatlichen und gesellschaftlichen Formen der Rehabilitierung und Unterstützung gibt es?Wie werden diese bewertet? Wo besteht weiterhin Bedarf?

Die Studie zeigt anhand von Selbstauskünften der Betroffenen und ihrer Angehörigen,

  • dass es 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution Gerechtigkeitslücken für ehemals politisch Verfolgte gibt und sie in den Kernbereichen Einkommen und Gesundheit schlechtere Lebensbedingungen als die vergleichbare Bevölkerung des Landes Brandenburg haben.
  • die Schlechterstellung vor allem der politischen Verfolgung und deren langjährigen Folgen geschuldet ist.
  • dass diejenigen, die heute noch von den Folgen betroffen sind, zu weiten Teilen in der SBZ und DDR für Freiheitsrechte und gesellschaftliche Veränderungen eintraten und damit zur heutigen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beitrugen.
  • dass es ein gesellschaftlicher Auftrag sein muss, ihnen ein würdiges Leben und Altern zu ermöglichen.

Beschreibung der Befragungsgruppe:

  • Es wurden ca. 2.700 Menschen kontaktiert.
  • Repräsentative schriftliche Befragung mit 533 verwertbaren Fragebögen (Selbstauskunft)
  • 454 selbst von Verfolgung oder Unrecht betroffen, 79 sind Angehörige
  • Er wurden Sozialdaten wie Bildung, Beruf, Einkommen und Familienstand erhoben sowie Fragen zu sozialen Kontakten, Gesundheitssituation und Anerkennungs- und Entschädigungsverfahren gestellt

Die Studie zeigt auf, welchen und wie vielen unterschiedlichen Verfolgungsmethoden die Betroffenen in der SBZ und DDR ausgesetzt waren. In der Regel war politische Verfolgung nicht auf eine Unterdrückungsmethode beschränkt.

Großer Teil der Befragten war von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen (77%) und fast genauso viele (71%) erlebten Überwachung oder Zersetzungsmaßnahmen der Stasi.

Mehr als ¾ der Befragten erfuhren mehr als ein Unrecht (79%).

Wichtigste Ergebnisse:

  1. Gerechtigkeitslücken bei der materiellen Lage

Einkommen:

Ehemals Verfolgte haben heute ein deutlich niedrigeres Nettoeinkommen als die Gesamtbevölkerung. Bis 1.500 €Haushaltsnettoeinkommen haben 46 %, brandenburgischer Bevölkerung ab 50 J. sind das 21%. Dies hat nichts mit dem Bildungsgrad zu tun, denn dieser ist dem der Gesamtbevölkerung ähnlich. D.h trotz ähnlichen Qualifikationsniveaus haben die Verfolgten ein deutlich schlechteres Einkommen.

Einkommen unter 1.000 € und Alleinstehende:

Gut ein Viertel (27 %) der Haushalte von ehemals Verfolgten und 62 Prozent der Alleinstehenden geben an, weniger als 1.000€ monatlich zur Verfügung zu haben. Sie leben damit deutlich unterhalb des Schwellenwertes der Armutsgefährdung von 1.135 €.

Erwerbsstatus:

69% der Befragten sind berentet (Gesamtbevölkerung 52%), zwei Drittel davon ging vorzeitig in Rente (68%). 44% sind erwerbsgemindert oder schwerbehindert (Gesamtbevölkerung 20 %). Gesundheitliche Belastungen führen doppelt so häufig zu Erwerbsminderungen wie beim Durchschnitt der gleichaltrigen Brandenburger Bevölkerung.

  1. Gravierende gesundheitliche Folgen durch Unrecht und dessen Folgen

Die Sozialstudie bietet erstmals einen wissenschaftlichen Überblick über die Häufigkeit und die Vielfalt der Gesundheitsstörungen und der bis heute anhaltende Schwere ihrer Auswirkungen. Die Staatssicherheit versuchte damals als Gegner stigmatisierte Menschen durch Beschädigungen der psychischen Konstitution dauerhaft am politischen und selbstbestimmten Handeln zu hindern. Dies Strategie war leider hinsichtlich der psychischen Beschädigungen der Menschen teilweise erfolgreich.

Der gesundheitliche Zustand wird von den Befragten deutlich häufiger als eher schlecht eingeschätzt (57%) als in Vergleichsbevölkerung (27%). 70% der Betroffenen haben psychische Folgen, 40 % körperliche.24 % geben an, unter einer ärztlich festgestellten Posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden.

Der Gesundheitszustand korreliert zudem mit dem Einkommen. Menschen mit niedrigerem Einkommen empfinden ihren Gesundheitszustand schlechter als Menschen mit höherem Einkommen. 43 Prozent der Betroffenen wünschen sich wohnortnahe Angebote von geschulten Therapeuten/innen, die Kenntnisse über SED-Unrecht und die Folgen haben. Außerdem benötigen sie, um die Behandlung zu erreichen, eine kostenlose Nutzung des Nahverkehrs.

  1. Anerkennung des Unrechts gelingt nur teilweise

Die Studie deckte den Zusammenhang von Verfolgungserfahrung, Erfahrung mit Anerkennungsverfahren und der heutigen Lebenssituation der Befragten auf. Grundsätzlich hat die Aufhebung der damaligen Zwangsmaßnahmen bzw. Urteile durch eine heutige Instanz für die ehemals Verfolgten eine hohe Bedeutung.Die meisten Befragten haben eine Rehabilitierung nach den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen beantragt und bekommen (311 Personen rehabilitiert =69 %).Die Verfahren sind aber auch geprägt von teilweiser langer Dauer und hohen Beweishürden, wodurch neue Belastungen entstehen. Das gilt besonders bei Verfahren von über 2 Jahren, was bei mindestens einem Drittel der Fall ist.Daher müssen Verbesserungen bei den Verfahren umgesetzt werden.

  1. Auch Angehörige sind heute noch vom damaligen Unrecht belastet

Es ist eine Besonderheit der vorliegenden Sozialstudie, dass sie sich nicht nur auf die politisch verfolgten Menschen, sondern auch auf ihre Angehörigen bezieht.Zwei Drittel der befragten Angehörigen nennen vor allem psychische Folgen der erlebten Situation. Auch die Angehörigen haben eine schlechtere materielle Lage beim Einkommen. Unter 2.000 € Haushaltsnetto haben 70 %, in Gesamtbevölkerung 28 %. Das hat vermutlich mit schulischen und beruflichen Nachteilen zu tun, denen nicht nur die Betroffenen, sondern auch Angehörigen ausgesetzt waren. Von 69 Personen konnten 21 nicht den Schulabschluss erreichen, der ihren Fähigkeiten entspricht.

  1. Schlussfolgerungen

Die Studie zeigt Gerechtigkeitslücken auf. D.h. es wäre an einer Verbesserung der materiellen Lage, der psychosozialen Begleitung und Verbesserung von Verwaltungsverfahren anzusetzen.

Hilfen könnten sein:

  1. Mobilitätsticket für Rehabilitierte, um kostengünstig den ÖPNV nutzen zu können angesichts der schlechten Einkommenslage und des hohen Bedarfes an medizinischen Behandlungen
  2. Weiterentwicklung des Härtefallfonds angesichts der schlechten materiellen Lage der Betroffenen für kurzfristige und niedrigschwellige Hilfe in besonders schwierigen Situationen
  3. Angesichts des in der Studie formulierten Bedarfes an Beratungsangeboten und der Häufigkeit psychischer Folgen soll ein mobiles traumazentriertes Beratungsangebot im L.B. geschaffen werden.

zur psychischen Stabilisierung Betroffener sowie Angehöriger durch

  1. Anregung bundespolitischer Initiativen zur Verbesserung der materiellen Lage durch verstetigte Hilfen wie Ausweitung des Empfängerkreises der Opferrente (besondere Zuwendung) 

Anmerkung

Die Sozialstudie / Studie zu aktuellen Lebenslagen von Menschen aus dem Land Brandenburg, in die in der SBZ/DDR politisch verfolgt wurden oder Unrecht erlitten und deren mitbetroffene Familien (300 Seiten), erstellt vom Berliner Institut für Sozialforschung. Sozialstudie und Podcast auf Website www.aufarbeitung.brandenburg.de