Versuch zur Situation nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

Von Sabine Auerbach, Berlin 8. September 2024

Von der Friedlichen Revolution redet man nun ja schon seit einiger Zeit nicht mehr. Meines Erachtens nach stimmte dieser Begriff von Beginn an nicht. Zu eu phorisch, zu überbewertet (vom Westen). Im November ´89 gingen wie viele Menschen auf die Straße? Ich weiß es nicht genau. Selbst wenn es Hunderttausende waren, ein halbes Jahr zuvor zum 1. Mai waren es wesentlich mehr, nämlich Millionen. Aus Angst, auffällig zu werden oder weil man eine Bratwurst essen wollte oder weil es eben dazu gehörte. Es gibt sicher viele Erklärungen für den Fall der Mauer. Für mich war es der überfällige Zusammenbruch eines herunter gewirtschafteten und zutiefst unmoralischen Systems. Spätestens mit der Biermann-Ausbürgerung begann sein Ende. Die Oppositionellen waren überschaubar, 2. Deutsches Exil 76/77. Die meisten des Landes hatten sich ganz gut eingerichtet.

Der Westen hat nie wirklich begriffen, dass Ideologie viel länger und intensiver in den Köpfen und gar in den Körpern  festsitzt.

Meine Mutter hat bei bestimmten Liedern aus ihrer Zeit beim BDM, die hin und wieder mal in einem Film im Fernsehen zu hören waren, automatisch den Arm ausgestreckt. Ich bin vor 45 Jahren freiwillig in den Westen gegangen, um frei zu sein. Aber Reste der Diktatur sind in mir. Vor allem das Liedgut und Gedichte. Die man als Kind und als Jugendliche gesungen und auswendig vorgetragen hat, sind eingebrannt. Und nicht zu vergessen, wir fühlten uns gut beim Vortrag, wir waren ja die Guten- die da drüben die Bösen. Der Transformationsprozess der Wirtschaft im Osten mag schwer gewesen sein ( bei so viel Schrott) gab es auch einen Transformationsprozess vom hörigen Bürger zum selbstbestimmten? Dazu gehört auch, seinen eigenen Anteil an der Diktatur zu sehen, die Beteiligungen, das Wegschauen, usw..

Ein Mitschüler von mir hatte den gleichen Zensuren-Durchschnitt wie ich, er durfte nicht zur EOS und kein Abi machen, sein Vater war Kirchendiener. Ich habe nicht protestiert und konnte ihn nicht mehr anschauen, habe mich nicht mal von ihm verabschiedet. Dafür schäme ich mich bis heute. Und da gibt es noch so Einiges mehr. Wer sein eigenes Mitmachen, Versagen nicht sieht, nicht sehen will, wird nie zufrieden sein, mit sich im Reinen sein. Aus Unzufriedenheit wird Wut, wird projiziert auf den Westen, weil man die Wut sonst nicht aushält.

Fast die Hälfte in T und S hat Faschismus, Diktatur gewählt. Das ist verantwortungslos und kindisch zugleich. Diktatur als Lösung ist einfacher als die Aufarbeitung eigenen Versagens.