Aufarbeitung der Währungsunion und Rechtsruck in Ostdeutschland

Von Martin Böttger

Ist die mangelnde Aufarbeitung der DDR-Geschichte bis zur friedlichen Revolution verantwortlich für den jetzt wahrgenommenen Rechtsruck in Ostdeutschland? Wieso gibt es noch immer gravierende Unterschiede im Freiheitsverständnis zwischen Ost und West? Ich will versuchen, auf diese Fragen aus Sicht eines ostdeutschen Bürgerrechtlers einzugehen.

Bürgerliche Freiheiten, wie Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Pressefreiheit spielten in der DDR - von der Bürgerrechtsszene abgesehen - keine Rolle. Mit dem Mauerdurchbruch gerieten diese Freiheiten in Sichtweite. Eine aktive Minderheit nutzte sie nach Kräften. So entstanden Vereine, Parteien und unabhängige Medien. Eine Mehrheit jedoch beschränkte sich auf die Reisefreiheit und die Freiheit zum Konsum. Für diese Menschen geriet das Firmensterben in den neunziger Jahren zur Katastrophe. Sie hatten eben noch eine Währungsunion mit dem aberwitzigen Umtauschkurs 1:1 erstritten, obwohl die Kaufkraft der D-Mark mindestens das Dreifache der DDR-Mark betrug. Die Menschen ohne jegliche Erfahrungen und Kenntnisse der Marktwirtschaft mussten aber bald feststellen, dass ihre Arbeitgeber nicht in der Lage waren, ihnen nun statt beispielsweise monatlich 1.400 Mark der DDR (das dürfte etwa der Durschnittslohn gewesen sein) plötzlich 1.400 DM zu zahlen. Ich erwähne dieses Beispiel, weil ich selbst im Juni 1990 ein Monatsgehalt in dieser Höhe erhielt. Ab Juli 1990 durfte ich dann monatlich 1.400 DM kassieren. Mein Arbeitgeber war allerdings der Staat (ich war beim Arbeitsamt Zwickau beschäftigt) und der konnte das verkraften. Anders sah es in der Privatwirtschaft aus: welcher Arbeitgeber war schon in der Lage, seinen Beschäftigten von einem Tag auf den anderen den dreifachen Lohn zu zahlen? Kein Betrieb konnte seine Produkte ab dem 1. Juli 1990 für den dreifachen Preis verkaufen.

Die Folgen sind bekannt: massenhaft Insolvenzen bis hin zur Deindustrialisierung Ostdeutschlands. In den neunziger Jahren wurden im Osten Deutschlands durch die verheerende Arbeitslosigkeit viel weniger Rentenpunkte gesammelt als im Westen. Deswegen sind auch die Renten der Betroffenen heute deutlich niedriger und viele wählen deshalb LINKE oder AfD.

Ich sehe die Ursache für die wirtschaftliche Schwäche Ostdeutschlands also in der verfehlten Währungsunion. Sie hätte, was die periodisch wiederkehrenden Zahlungen (Mieten, Löhne und Gehälter) betrifft, zu einem realistischen Wechselkurs von etwa 1:3 erfolgen müssen. Ich behaupte sogar (da werden mir viele widersprechen), dass eine einheitliche Währung damals sogar verzichtbar gewesen wäre. Zwei Währungen in einem Staat halte ich übergangsweise für möglich. Andere Alternative: Lohnsubventionen. Die Löhne in Ostdeutschland hätten für einen begrenzten Zeitraum vom Staat subventioniert werden müssen. Das alles wurde jedoch nicht diskutiert, weil die Arbeitgeberseite der Noch-DDR nicht mit am Verhandlungstisch für die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion saß. Nur die Gewerkschaften durften mit verhandeln und störten sich verständlicherweise nicht an der Umstellung der Löhne und Gehälter 1:1 in die harte DM.

Wer war also schuld an der Misere? Diejenigen, die lautstark für die Einführung der DM 1:1 demonstrierten? Oder Helmut Kohl, der ab Februar 1990 den Ostdeutschen versprach, ihnen mit der DM "die stärkste Kraft" der BRD zu geben? Nein, es war die mangelnde politische Bildung der ostdeutschen Gesellschaft, vor allem die fehlenden ökonomischen Kenntnisse und Erfahrungen. Die Menschen wussten einfach nicht, wie Marktwirtschaft funktioniert. Sie hatten keine Vorstellung von der Orientierung der Preise und auch der Löhne im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Sie kannten nur das staatlich verfügte System der Preisbildung (das staatliche Amt für Preise existierte sogar bis zum 30. Juni 1990!). Leider war die Bürgerrechtsszene der DDR kurzfristig nicht in der Lage, die Bevölkerung über die ökonomischen Konsequenzen der Währungsunion aufzuklären. War sie also auch Schuld an der wirtschaftlichen Katastrophe? Nein, es war das Bildungsmonopol der SED, dem ich die Hauptschuld zuweisen möchte.