Replique

von Ned Richardson-Little

 

Zuerst möchte ich für das Interesse an meinem Buch danken!

Allerdings muss ich der Darstellung meiner Grundthese widersprechen. Keinesfalls vertrete ich die Position, dass die „Rolle der Bürgerrechtler [...] überschätzt“ wird. Ganz im Gegenteil – mein Hauptargument ist, dass die Bürgerrechtler für die politische Geschichte des Menschenrechtsdiskurses in der DDR extrem wichtig waren. Dieser wurde zwar anfangs von der SED als Rechtfertigungsmittel eingesetzt, entwickelte sich aber in den 1980er Jahren zu einem wirksamen Diskurs für Demokratisierung. Ich stelle mich damit ausdrücklich gegenpopuläre Narrative, die insbesondere in der anglophonen Geschichtsschreibung zum Kalten Krieg verbreitet sind. Diesen zufolge haben die Dissidenten die Sprache der Menschenrechte einfach von westlichen Aktivisten und Diplomaten übernommen. Dagegen argumentiere ich, dass Bürgerrechtler sich die abstrakte Idee der Menschenrechte zu eigen machten, in die Umgangssprache des DDR-Alltagslebens übersetzten und weiterentwickelten.Zudem stellt sich die Frage: Warum forscht man zur SED Menschenrechtspolitik? Als Doktorand stolperte ich in einer Bibliothek in North Carolina über die Publikationen des DDR-Komitees für Menschenrechte aus den 1960er Jahren (also viele Jahren vor der Eröffnung der KSZE) und dachte, dass diese Dokumente einen interessanten Widerspruch offenlegen. Wir wissen, wie wichtig die Sprache der Menschenrechte im Kampf gegen die SED in den 1980er Jahren war – also warum veröffentlichten die SED-Massenorganisationenso viele Manuskripte zu dem Thema? Welche Logik versteckte sich hinter diesem politischenund propagandistischen Engagement? Und warum hat das nicht früher eine unabhängige Menschenrechtsbewegung hervorgebracht? Mein Ausgangspunkt war niemals, dass die SED und das Komitee einen freien Raum für Debatten über Menschenrechte in der DDR geschaffen haben. Die SED hat die Idee der Menschenrechte nicht umgesetzt, sondern instrumentalisiert. Wie auch das Solidaritätskomitee und andere propagandistische Organisationen in der DDR war das Komitee für Menschenrechte eine Propagandaorganisation – mit einer gewissen Wirksamkeit. Für eine solche Interpretation spricht auch die Anmerkung von M.W. aus diesem Forum: „Gerade weil ich die DDR Menschenrechtspolitik in damaliger kompletter Unwissenheit der Schweinereien der SED und Stasi verteidigt habe (was mir heute noch mehr als peinlich ist).“Die SED-Menschenrechtspropaganda hat nicht die ganze Bevölkerung überzeugt, aber sie konnte dennoch Erfolge registrieren, in der DDR und im Ausland. In der Evangelischen Kirche hat die Menschenrechtspropaganda des Komitees zu den Themen Rassismus und Apartheid eine wichtige Rolle in der Neutralisierung der oppositionelle Menschenrechtspolitik gespielt. Dieser Punkt ist nicht nur durch meine Recherchen belegt, sondern auch durch die Arbeiten von Ehrhart Neubert, Katharina Kunter und Hedwig Richter.Ich schätze sehr, dass die Rezension eine starke Reaktion ausgelöst hat. Ich hoffe, dass das Buch eines Tages ins Deutsche übersetzt werden kann, damit sich diese Diskussion direkt aufden Inhalt des Buches beziehen kann und nicht auf die Vermittlung durch eine Rezension angewiesen ist. Bis es soweit ist, kann ich nur auf den Sammelband „Moral für die Welt?: Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren“ (Vandenhoeck & Ruprecht, 2012) verweisen, indem ich einen deutschsprachigen Beitrag zur Geschichte der Menschenrechte in der DDR veröffentlicht habe.