Stellungnahme der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

15.9.2023

Selbstverständlich kann weder die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße noch dieStiftung Brandenburgische Gedenkstätten eine Grundsatzentscheidung darüber treffen, ob der Opfer europäischer Diktaturen gemeinsam gedacht werden kann.Die ablehnende Haltung zu einer Gedenkveranstaltung am 23. August 2023hat einerseits mit erheblichen Abstimmungsproblemen im Vorfeld der Veranstaltung zu tun. Sie hing andererseits mit konkreten Fragen danach zusammen, inwieweit ein Gedenktag für die Opfer der stalinistischen und nationalsozialistischen Diktaturen mit dem historischen Bezug zum Hitler-Stalin-Pakt am historischen Ort der Leistikowstraße zu Problemen führen kann.

Aus Sicht der Gedenkstätte ist die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativenunerlässlich, wenn es darum geht, das Potenzial für ein kritisches und reflexives Geschichtsbewusstsein in die Gesellschaft zu tragen. Häufig waren es – wie im Fall der Leistikowstraße – solche Initiativen, die dafür gesorgt haben, dass die historischen Orte heute als Gedenkstätten genutzt werden können. Wir stellen uns daher der kritischen Diskussion über inhaltliche Fragen mit solchen Initiativen und werden das auch in Zukunft tun.

Allerdings ist es die Gedenkstätte, die für die Inhalte verantwortlich ist und im Zweifel auch zur Verantwortung gezogen wird. Bereits seit längerer Zeit gibt es Auseinandersetzungen um Fragen der Programmgestaltung und der fehlenden Einbeziehung der Gedenkstätte in die vom Vereinin der Gedenkstätte durchgeführten Veranstaltungen, bei denen es auch zu verbalen Angriffen auf die Arbeit der Gedenkstätte gekommen ist.In der Folge wurde der Verein von der Stiftung und dem Kuratorium im Anschluss an ein Gespräch mit dem Vorstand des Vereins dringend darum gebeten,2023 auf eine Veranstaltung am 23. August zu verzichten und stattdessen mit der Gedenkstätte gemeinsam eine Gedenkveranstaltung zu organisieren. Wir bedauern, dass der Verein eine entsprechende Einladung abgelehnt und seinerseits die Planungen für eine erneute Veranstaltung am 23. August, zu der die Botschafterin Lettlands als Rednerin eingeladen wurde, ohne Einbeziehung der Gedenkstätte vorangetrieben hat. Die Stiftung konnte erst wenige Wochen vor der eigentlichen Veranstaltung den Eingang des Programms verzeichnen und sah sich gleichzeitig mit der Androhung juristischer Schritte seitens des Vereins konfrontiert.

Uns ist bewusst, dass vor allem in osteuropäischen Staaten die Erinnerung an die vielen Opfer durch Besatzung und Repression von Nationalsozialismus und Stalinismus eine bedeutende Rolle spielt und in diesem Zusammenhang dem historischen Datum des Hitler-Stalin-Pakts eine wichtige Bedeutung zukommt. Zudem gehört es zu den wichtigen Aufgaben von Gedenkstätte und Stiftung, die Verfolgung und Repression durch die sowjetische Besatzungsmacht aufzuarbeiten und des Leidens und Sterbens der vielen Opfer zu gedenken.Dazu gehörte auch die Suche nach einem ortsspezifischen Datum für eine Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte Leistikowstraße. Durch einen Quellenfund vor vier Jahren konnte der 15. August 1945 als Datum der Inbetriebnahme des ehemaligen Pfarrhauses in der Leistikowstraße als Gefängnis verifiziert werden. Das Datum fällt mit dem 15. August 1994 zusammen, als das vormalige Gefängnis an den Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein zurückgegeben wurde. Unmittelbar danach begann ein breites zivilgesellschaftliches Engagement für den Erhalt des Ortes und die Einrichtung einer Gedenkstätte. Seit 2021 begeht die Gedenkstätte daher an diesem Datum ihre zentrale Gedenkveranstaltung. Die Gremien der Stiftung haben den 15. August als zentralen Gedenktag bestätigt.In allen Einrichtungen der Stiftung hat das Gedenken einen konkreten Ortsbezug, wie etwa die Befreiungsfeiern an den Orten ehemaliger Konzentrationslager.Das gilt auchfür den Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, der in den Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück begangen wird. Die Befreiung von Auschwitz hatte durch die daraus resultierenden Todesmärsche in Richtung Westen unmittelbare und gravierende Auswirkungen auf beide Konzentrationslager.

Für das Gedenken an den historischen Orten, die die Stiftung betreut, können dagegen Gedenktage ohne konkreten Bezug auf den historischen Ort und seine spezifische GeschichteInterpretationsprobleme aufwerfen, wie es die Diskussionen um die Gedenkstätte Leistikowstraße im Zusammenhang mit dem europäischen „Gedenktag für die Opfer aller totalitären und autoritären Regime“ am 23. August zeigen.Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sieht die Präsenz der sowjetischen Armee und Geheimdienste in Deutschland und die Errichtung des Gefängnisses in ursächlichem Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Raub- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und nicht mit dem Hitler-Stalin-Pakt.Zudem erachtet die Stiftung ein gemeinsames Gedenken für die Opfer des Nationalsozialismus und des Stalinismusan einem authentischen Ort für problematisch, an dem auch NS-Täter und NS-Funktionsträger inhaftiert waren. Nicht nur die Gedenkstätte sieht dieses Problem, auch die NS-Opfergruppen,die mit der Stiftung kooperieren, bitten dringend darum, bei Gedenkveranstaltungen an den authentischen Orten der Stiftung beide Verfolgungskontexte getrennt zu halten, selbstverständlich ohne dabei das Unrecht abzuerkennen, das die Opfer von staatlicher Repression und Verfolgung nach 1945 erlitten haben.Hinzu kommt schließlich die missbräuchliche und verharmlosende Gleichsetzung von unterschiedlichen Verbrechenskontexten durch Institutionen und Personen aus demrechtsextremen Spektrum, wie sie bereits mehrfach in Einrichtungen der Stiftung, aber auch andernorts, etwa in der Gedenkstätte Buchenwald, vorgekommen sind.

Wir stellen uns allerdings der Kritik. Wir werden unsere Beweggründein den Gremien der Stiftung und in weiteren Gesprächs- und Diskussionsformaten noch einmal darlegen und in einer kritischen Debatte nach geeigneten Lösungen suchen. Es ist weiterhin unser dringendes Anliegen, gemeinsam mit dem Verein der Opfer zu gedenken und die Geschichte aufzuarbeiten. Wir hoffen sehr, dass wir uns in Zukunft in einem kritisch-konstruktiven Dialog über ein gemeinsames Format annähern können. Schließlich muss ein gemeinsames Gedenken an die Opfer des sowjetischen Untersuchungsgefängnisses trotz unterschiedlicher Positionen möglich sein.