Offener Brief an die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten 20.11.2024

Der Europäische Tag des Gedenkens für die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus – Eine Gefahr für Deutschland?

Das behauptet der Fachbeirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (SBG) und die SBG verbietet den Gedenktag in ihren Gedenkstätten

Im Jahr 2023 und 2024 untersagte die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (SBG) eine Gedankveranstaltung in der Gedenkstätte Leistkowstr./Potsdam aus Anlass des Europäischen Tags des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus. Diesmal ließ die SBG ihre Position durch eine Stellungnahme ihrer Fachkommission unterfüttern. Diese unterstellte eine Holocaust-Relativierung, Täteropfer-Verkehrung und bestritt einen Zusammenhang zwischen dem Datum, dem Jahrestag des Hitler-Stalinpaktes, und des KGB-Gefängnisses bzw. der heutigen Gedenkstätte, obwohl letztere ohne den Diktatorenpakt sicher nie in Potsdam entstanden wäre. Dies blieb nicht ohne Widerspruch. Wir dokumentieren einen offenen Brief der Gedenktagveranstalter, den Unterstützer unterzeichnet haben. (Red.)

 

Offener Brief:

 

Der wissenschaftliche Fachbeirat der SBG hat sich in einer Stellungnahme vom 23.8.2024 – veröffentlicht auf der Webseite der Stiftung - gegen die Ausrichtung des Europäischen Tags des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus in der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam gewandt.

Ausgangspunkt der Stellungnahme ist die Entscheidung des Direktors der SBG, Prof. Dr. Drecoll, dem Potsdamer Verein „Gedenk- und Begegnungsstätte ehemaliges KGB-Gefängnis“ mittels Hausrecht zu verbieten, den Gedenktag in der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam weiterhin auszurichten, den der Verein seit 2016 jedes Jahr mit einem Gedenken und einem Vortrag begeht. Die Stellungnahme des Fachbeirates kritisiert den Verein in diffamierender Weise und stützt das Verbot des Direktors. Dabei enthält sie eine Sammlung von Argumenten, die alle gegen den Gedenktag gerichtet sind. Ein Abwägen des Für und Wider wird nicht vorgenommen. Ein Gespräch des Fachbeirates mit dem Verein gab es nicht.

In der Stellungnahme wird dem Verein unterstellt, dass er mit dem Gedenktag zur Verbreitung eines „retrospektiv und holzschnittartig ausgerichteten Antikommunismus“ beitrage, der zudem Rechtsradikale zum Andocken animieren würde, zur Exkulpation der Deutschen beitrage, historische Sachverhalte entkontextualisiere, vereinfache und entdifferenziere, die Unterschiede beider Diktaturen nivelliere, die breite gesellschaftliche Beteiligung von Deutschen an den NS-Verbrechen in eine Täter-Opfer-Dichotomie zwänge und damit zur Vereinfachung beitrage. Mit dem Gedenktag werde versucht, sich „von deutscher Seite in das Opfergedenken der von Deutschland und der Sowjetunion besetzten Gebiete einzuschreiben“, denn „Opfer des Hitler-Stalin-Paktes waren nicht die Deutschen“. Weiter heißt es u.a. der Verein wolle den Gedenktag trotz des angeblichen Fehlens eines Ortsbezuges in der Gedenkstätte Leistikowstraße begehen.

Nichts davon trifft zu. Das zeigen alle vom Verein von 2016 – 2024 durchgeführten Gedenkveranstaltungen mit den Vorträgen wie „Die allzeit bedrohte Freiheit“ von Prof. Dr. Hans-Joachim Meyer oder „1939 – Über den Zusammenhang von Appeasement und

Entfesselung des Zweiten Weltkrieges“ von Prof. Dr. Karl Schlögel. Seit 2022 hat der Verein Redner aus dem osteuropäischen Ausland eingeladen. 2022 sprach der russische Historiker Nikita Sokolov, 2023 I.E. die Botschafterin der Republik Lettland Frau Alda Vanaga über „Die

Folgen der sowjetischen und nationalsozialistischen Besatzung für das Schicksal Lettlands“ und 2024 der Präsident der auf Initiative des Europäischen Parlaments gegründeten

„Plattform für das Europäische Gedächtnis und Gewissen“ Dr. Marek Mutor. (Alle Vorträge und Grußworte siehe unter www.kgb-gefaengnis.de)

Der Verein ist Teil der Zivilgesellschaft. Schon aus diesem Grund ist die Stellungnahme des Fachbeirats befremdlich, denn dieser ist nicht für den Verein zuständig. Dem Verein kann ein Gedenken in der mit öffentlichen Mitteln finanzierten Gedenkstätte nicht verwehrt werden. Schon gar nicht ist das Hausrecht ein geeignetes Mittel, die Meinung der SBG durchzusetzen.

Verbot und Vorschriften, wie man zu gedenken habe, wie sie vom Fachbeirat vorgetragen werden, erinnern an eine feindbildgesteuerte Schwarz-Weiß-Rhetorik. Kein Historiker kann die Deutungshoheit über die Formen des Gedenkens beanspruchen. Stellungnahmen dieser Art sind ungeeignet, eine Lösung des Problems herbeizuführen und zutiefst unwissenschaftlich. Sie sind Folge eines einseitig besetzten Fachbeirates. Entsprechend erfolgte die Stellungnahme einstimmig. Dass dies als Zeichen einer differenziert erfolgten Meinungsbildung interpretiert werden darf, ist unwahrscheinlich. Die krasse Einseitigkeit der Stellungnahme wird auch deutlich, wenn man sie mit dem Sachstandsbericht des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vergleicht, in dem der Europäische Gedenktag in deutlich differenzierterer Weise eingeordnet wird.

Die Unterzeichner des offenen Briefs fordern

 

  • die SBG auf, die Gedenkstätte zur Durchführung des Europäischen Gedenktages zu öffnen,

 

  • die SBG auf, in den Fachbeirat mehr Wissenschaftler mit ausgewiesener Osteuropa- Expertise zu berufen, weil in den Brandenburgischen Gedenkstätten diese Themen einen Schwerpunkt bilden, vom Fachbeirat aber nicht genügend abgebildet werden.

 

Der Gedenktag ist ein wichtiges Zeichen für die Opfer politischer Gewalt in Europa

 

Den Unterzeichnern dieses Offenen Briefes geht es darum, die verschiedenen individuellen leidvollen Erfahrungen von Menschen in Europa zu würdigen, diese Erfahrungen für eine demokratische, menschenfreundliche und friedliche Zukunftsgestaltung zu nutzen und auf diesem Wege die europäische Integration voranzutreiben.

 

Sie unterstützen das Anliegen, einen Europäischen Tag des gemeinsamen Gedenkens an alle Opfer politischer Gewalt jeweils am 23. August zu begehen, wie ihn das Europäische Parlament im Jahr 2009 mit großer Mehrheit beschlossen hat. Es gibt eine europäische Geschichte und eine Europäische Union und damit auch eine gemeinsame Verantwortung zur Würdigung, Achtung und Anerkennung der verschiedenen Opfergruppen. Daran will sich der Verein beteiligen.

 

Nach 1989 war das Bedürfnis in dem von der Sowjetunion beherrschten Teil Europas besonders groß, der Opfer des Kommunismus zu gedenken, nachdem 40 Jahre lang Trauerarbeit nicht möglich war.

 

Es ist ein Tag, der Menschen zum Einstehen für Freiheit und Demokratie ermutigen und Menschen, die politische Gewalt erfahren haben, vereinen kann.

 

Unterschriften

 

Edda Ahrberg, ehem. Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in Sachsen-Anhalt und Mitglied der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion

Michael Asboe

Dorit Bause, Freiheit e. V., Andreasstraße Erfurt

Gerhard Bause, Beauftragter der UOKG Sachsen und Freiheit e. V. Marianne Birthler

Alexander W. Bauersfeld

Heidi Bohley, Vorstand Zeit-Geschichte(n) e.V. Halle Dr. Martin Böttger, Zwickau

Roland Brauckmann, Zeithistoriker, Cottbuser Häftlingsgemeinschaft Dr. Richard Buchner, Historiker, Berlin

Dr. Christian Booß

Sandra Czech, Historikerin Sibylle Dreher

Hugo Diederich, VOS Bundesvorsitzender und Landesvorsitzender Berlin/Brandenburg Petra Dombrowski, Mitarbeiterin UOKG

Helfried Dietrich, Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge Sabine Erdmann-Kutnevic, Memorial Deutschland e.V.

Christian Fuchs, Ehrenpräsident der Internationalen Assoziation ehem. pol. Gefangener und Opfer des Kommunismus

Christoph Fichtmüller, Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf/Speziallager Nr.5e. V. Dr. Anke Giesen, Memorial Deutschland e.V.

Gerold Hildebrand, Berlin

Konstanze Helber, Forum für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur

e. V. und Süddeutscher Freundeskreis der Hoheneckerinnen Roland Herrmann, Verein Kindergefängnis Bad Freienwalde Elisabeth Hartleb

Felix-Heinz Holtschke, Stellv. Bundesvorsitzender VOS Elisabeth Jansen, Lehrerin

Katja Krikowski-Martin

Manfred Kruczek, FORUM zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg e.V.

Stefan Krikowski, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion e.V. Margreet Krikowski

Anne Kupke-Neidhardt, Historikerin, Projektleiterin Zeit-Geschichte(n) e.V. Halle

 

Reinhard Klaus, ausgebürgert 1989

Sybille Krägel, i. G. NKWD-Lager Tost Oberschlesien 1945 Eckhard Koch, Pro Universitätskirche Leipzig

Peter Kossatz, Initiativgruppe Internierungslager Jamlitz e. V. Peter Keup, Historiker

Bernhard Kaltenbach, Rechtsanwalt, Potsdam Dr. Peer Lange, GULag-Nr. 1ju760

Uta Leichsenring

Claus Peter Ladner, Vorsitzender der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 Jörg Moll, VOK Deutschland e. V.

Michael Ney, stellv. Vorsitzender AG Lager Sachsenhausen 1945- 1950 e. V.

Carla Ottmann, Forum für verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ-DDR-Diktatur e. V. Grit Poppe, Schriftstellerin

Bettina Paulsen, Dipl. Bibliothekarin Gerd Poppe

Gisela Rüdiger, eh. Leiterin der Potsdamer BStU-Außenstelle Prof. Dr. Günther Rüdiger

Christina Riek, Memorial Deutschland e.V. Hartmut Richter

Regina Schild, Leipzig

Dr. Uwe Steinhoff, Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V. Dr. Christian Sachse

Elke Schlegel, Regionalbeauftragte der UOKG für Rheinland-Pfalz

Jürgen Sydow, Interessengemeinschaft ehem. politischer Brandenburger Häftlinge Gabriele Schnell

Dr. Emil Schnell

Wolfgang Templin, Publizist/Autor, Berlin Dr. Karl-Konrad Tschäpe, Frankfurt/Oder

Horst und Jutta Vau, Aufarbeitungsinitiative Müritz-Kreis Dr. Burkhart Veigel, Berlin

Kerstin Walther, Potsdam Reinhard Weißhuhn

Daniel Wunder, Lagergemeinschaft Workuta

Klaus Wolf, Initiativgruppe Internierungslager Jamlitz e. V. Julia Weber, Gedenkort Lindenberg e. V.

 

Ansprechpartnerin Gisela Rüdiger giselapotsdam@tele2.de Telefon 0176 34972321 Vorstand des Gedenk- und Begegnungsstätte eh. KGB-Gefängnis Potsdam e.V.