Bitte kein Mausoleum zur DDR-Opposition.

Zu groß, zu zentralistisch, zu selbstbezogen

von Christian Booß

„Das ist doch dieses Transformationszentrum, was der Platzeck erfunden hat?“ „Nein, ist es nicht. Das ist was anderes. Ich meine, das Forum für Opposition und Widerstand!“ − „Nie gehört.“
Nicht nur einmal war das auf Nachfragen in der Aufarbeitungs-Szene zu hören. Das Projekt war lange vollkommen unbekannt und ist es vielen immer noch, obwohl im Prinzip von deutschlandweiter Bedeutung. Die Initiatoren dazu befragt, rechtfertigen sie sich damit, dass es doch „europaweit ausgeschrieben“ war. Wie geht das zusammen, ein in Richtung ganz Europa kommuniziertes Großprojekt zur DDR-Opposition, das aber an der ostdeutschen Szene weitestgehend vorbeigegangen ist? Zumal es, wie es jetzt heißt, ein Projekt von „nationaler“ Bedeutung sei. Derartige Aufarbeitungsprojekte, man denke an das Freiheitsdenkmal in Berlin, werden üblicherweise breit diskutiert − und zwar vorab. In diesem Fall wohl eher nicht. Ein Schelm, der dabei etwas Böses denkt. Wie bei anderen Merkwürdigkeiten auch.

Doch von Anfang an. Das Projekt wurde vor ca. 10 Jahren ersonnen, ein Forum für Opposition und Widerstand als Ausstellungs-, Archiv-, Bildungs- und Forschungszentrum. Das Thema flackerte damals kurz auf, dann verschwand es wieder, bis der ehemalige Stasi-Unterlagen-Beauftragte, Roland Jahn, nachdem er die Abwicklung seiner Behörde unter Dach und Fach gebracht hatte, auf einmal dafür warb. Die Robert Havemann Gesellschaft stellte –so sagt es der Bund – einen Projektantrag und bekam daraufhin 250.000 Euro, allein für eine Machbarkeitsstudie. Offenbar nicht im vollen Einvernehmen mit dem ursprünglichen Erfinder dieser Idee. Dieser, der Historiker Sascha Ilko Kowalczuk, ätzt nämlich in letzter Zeit im Netz gegen das Vorhaben. Auch in der Havemann-Gesellschaft selbst rumort es deswegen in Berlin vernehmbar.

Die Havemann-Gesellschaft beruft sich auf die Zustimmung des Bundestages. Dies allerdings ist nur bedingt richtig. Der für die Aufarbeitung zuständige Fachausschuss, der Kulturausschuss, hatte im Revolutionsjubiläumsjahr 2019 zwar für eine erweiterte Ausstellung zu Opposition und Widerstand auf dem Stasi-Gelände in Berlin, auch für eine Stärkung des dortigen Oppositionsarchives, votiert. Das allerdings war etwas vollkommen anderes als das Berliner Groß-Forschungs-Bildungs- und Archivzentrum vom dem jetzt die Rede ist. Irgendjemandem scheint das durcheinandergeraten oder durcheinandergeraten worden zu sein, jedenfalls bewilligte der Haushaltsausschuss im Rahmen der Haushaltsberatungen 2020 ohne entsprechendes Votum des Fachausschusses die teure Machbarkeitsstudie für das Großforschungszentrum. Das Haus der Beauftragten für Kultur und Medien, im Kanzleramt die Aufarbeitungsbeauftragte, eiert angesichts derartiger Ungereimtheiten herum. Das eine sei doch dasselbe wie das andere. Nein, ist es eindeutig nicht. Eine Großforschungsstelle mit Bildungszentrum ist etwas anderes als eine Ausstellung.

Angesichts der hohen Fördersumme musste die Machbarkeitsstudie, in drei Häppchen geteilt, wie erwähnt, international ausgeschrieben werden. Es gab zu dem inhaltlichen Konzept nur einen Bewerber: Die Archivrecherche-Gruppe „Facts and Files“, die sich mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschungen, Potsdam zusammengetan hatte. Beides sicher angesehene Einrichtungen. Aber gilt das auch für Oppositionsforschung fragt man sich? F&F sind Aktenrechercheure, die sehr verdienstvoll zu Verschleppungen und Todesurteilen im sowjetischen Nachkriegsdeutschland recherchiert haben. Im ZZF waren viele eher der Meinung, dass die DDR an sich selbst zusammengebrochen sei, weniger an der Opposition und die DDR eine „Konsensdiktatur“ (Martin Sabrow). Vereinzelte Publikationen zum Thema Opposition stammten meist aus der Feder von ehemaligen DDR-Forschern, die dort quasi als Auslaufmodell mitliefen. In den letzten Jahren ist jedenfalls keine markante Veröffentlichung zur Opposition aus Potsdam erinnerlich. Vielleicht hätte man das Spektrum der Bewerber weiten können, wenn man deutschlandweit dafür Werbung gemacht hätte. Aber das ist offenbar nicht geschehen, sonst wäre es wohl bekannter.

Nun, es ist wie es ist, jetzt liest sich zumindest der Forschungsabschnitt der Machbarkeitsstudie in Teilen wie ein Abklatsch des Potsdamer Großforschungs-Institutes, mit Fellows und Promovenden. Die aufgelisteten Forschungsfragestellungen decken so gleichzeitig ziemlich alles und nichts ab, international bis national. Allerdings kritische Punkte zur Oppositionsentwicklung vermisst man in dem reichhaltigen Katalog, etwa die bislang von vielen gescheute Frage nach der Wahlniederlage von 18. März und der dahinter lauernden Frage des Verhältnisses von Opposition und DDR-Bevölkerung.
Möglicherweise, weil die Studie eine Auftragsproduktion für eine NGO ist, die sich selbst als den Erbverwalter v.a. der Ostberliner Opposition ansieht, vermisst man eine kritische wissenschaftsethische und methodologische Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Betroffenen selbst dafür gut prädestiniert sind, ihre eigene Geschichte zu erforschen. Dass Akteure und Zeitzeugen Erinnerungen schreiben, erfreut jeden Historiker, dass diese gut in der Lage sind, sich von ihrem Erleben, ihren Eitelkeiten und spezifischen Sichtweisen genügend zu lösen, gilt eher als die seltene Ausnahme. Bei einem Projekt, das aber so stark von der Berliner Szene geprägt ist, wie seine Genese zeigt, drängt sich diese Frage zwangsläufig auf. Es gibt durchaus bedenkliche Beispiele dafür, wie Geschichte für die eigene Selbstdarstellung funktionalisiert und gerettet werden soll. Forscher, die die Avantgarderolle der DDR-Opposition bzw. deren Monopol auf die Menschenrechtsinterpretation in Frage stellten, wurden hart bedrängt.1 Es geht hier nicht darum, ob diese Autoren recht hatten oder nicht, sondern um die Art der Auseinandersetzung, die wenig zivilisiert, oft eher unter der Gürtellinie geführt wurde. Das Berliner Narrativ zur Opposition, was i.d.R. von Havemann über Biermann und Bohley zum Runden Tisch führt, wird nicht einmal in Berlin von allen geteilt. Der sozialdemokratische Strang etwa oder eigene Gewächse kommt da kaum vor, konservativere Richtungen, wie sie v.a. im Süden der DDR anzufinden waren, schon gar nicht. Auch auf dem Berliner Stasi-Gelände ist zu beobachten, wie eher ein Kult kreiert wird, der den Mythos des „Campus für Demokratie“ begründet, als die historischen Fakten sprechen zu lassen. Das Ende der Stasi erscheint als Folge der Erstürmung durch Berliner Demonstranten, initiiert von der Szene vom Prenzlauer Berg. Dass die Stasi-Auflöser aus den berlinfernen Großstädten den Berlinern erst Dampf machen mussten und dass die „Provinzler“ Mielkes Trutzburg schon erobert hatten, bevor die Berliner mit ihrer Demo vom 15. Januar überhaupt begonnen hatten, kommt in dieser Geschichte nicht vor. Die Befürchtung, dass in einem solchen Zentrum derartige hausgemachte Narrative auch auf die Forschungsfreiheit durchschlagen könnten, ist also keineswegs an den Haaren herbeigezogen. Schon bei den ersten Vorstellungen des Konzeptes wurde betont, dass das Zentrum die Opposition „würdigen“ solle, „affirmativ“ sollte die positive, widerständige Geschichte hervorgehoben werden. Das Forum wurde mit dem Solidarnocz-Zentrum in Danzig verglichen. Geht’s nicht ne Nummer größer? Der Vergleich ist irgendwie schräg, wenn man sich die Rolle der Solidarnocz vor Augen hält, aber irgendwie offenbarend zugleich. Eine Forschungseinrichtung sollte kein Mausoleum sein. Beides unter einem Dach funktioniert schwerlich.

Gerne präsentiert sich die Havemann-Gesellschaft als „das“ Archiv der Opposition in Ostdeutschland, gelegentlich rutscht auch schon mal das Wort „national“ heraus. Damit macht die RHG im politischen Raum durchaus Punkte. Nachdem die Machbarkeitsstudie fertig war, durften die „Havemänner“, wie sie inzwischen auch von Politikern liebevoll genannt werden, sie in allen möglichen politischen Gremien vorstellen, noch bevor es öffentlich wurde. Doch auch diese Selbstetiquettierung stimmt nicht. Als die Gruppe, die den Internetauftritt stasibesetzung.de Stasibesetzung.de plante, einen Aufruf zur Aktensicherung herausgeben wollte, musste sie erstaunt feststellen, dass keine Region, abgesehen von Potsdam, bereit war, dafür zu votieren, ihre Akten nach Berlin an die RHG abzugeben. Jeder hatte seinen Favoriten in der Region sei es in Leipzig, Jena oder Großhennersdorf, in Magdeburg oder einem Landesarchiv. Selbst Berliner Großoppositionelle wie Wolf Biermann oder Rainer Eppelmann oder die Verfolgtengruppe VOS geben ihre Akten nicht in der RHG, sondern andernorts ab. Ob das eine sinnvolle Dauersicherung ist, ist eine andere Frage. Es bedürfte dringend eines Archivnetzwerkes, das nichtstaatliches Archivgut langfristig sichert und zeitnah im Verbund übersichtlich zugänglich macht. Aber die derzeitige Archiv-Situation ist ein deutliches Symptom für den starken Regionalismus von Opposition und Widerstand. Trotz DDR-weiter Netzwerke und oft, aber nicht nur, kirchlicher Zusammenschlüsse v.a. in der Endphase der DDR, erzwangen die Verhältnisse der Diktatur eher kleinteilige oder sogar individuelle Handlungsräume, so dass vor Ort sehr unterschiedliche Traditionslinien entstanden, die sich 1989 eher zufällig zu einem großen Strom verbanden, der bald auch wieder deltamäßig auseinanderging. „Bestes“, wenn auch ungeliebte Beispiel, sind jene DDR-Bürger, die heute mit rechtspopulistischen Ideen liebäugeln, auch wenn sie nachweislich damals dem Anti-DDR-Spektrum zugehörig waren. Dass die Gralshüter der Revolution diese entweder nicht wahrhaben oder als Nicht-Oppositionelle wegdefinieren wollen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass Forschung und würdigende Erinnerung nicht gut zusammen gehen.

Insofern erfüllt es manche außerhalb von Berlin inzwischen mit Sorge, dass allein die Tatsache, dass in Berlin, zumal auf dem Stasigelände, ein großes, übergroßes, Forschungszentrum entstehen würde, zu wenig für die regionale Betrachtung bliebe. Allein die ehrfurchtsgebietende Stellenzahl, von rund drei dutzend gut dotierten Planstellen, lässt eine Konzentration befürchten, die anderen den Raum, sprich die Finanzmittel nimmt. In Sachsen gibt es sogar eine alternative Gründungsinitiative für ein derarrtiges Zentrum. Kündigt sich eine Neuauflage des alten Dualismus Sachsen-Hauptstadt an? Warum mögliche Alternativen, ein Verbund z.B., wie er gerade im Rahmen der DDR-Forschungsverbünde erfolgreich erprobt wird, der besser die Regionen bedienen könnte, nicht in der teuren Studie diskutiert wurden, ist unverständlich.

Eine mittelfristige Überarbeitung der Ausstellung Revolution und Mauerfall auf dem Berliner Stasigelände steht sicher an, die Stärkung des Archivverbundes und des Havemannarchives sind durchaus notwendig. Ein Ort der lebendigen Erforschung der keineswegs gradlinigen DDR-Oppositionsgeschichte im nationalen und internationalen Kontext ist sicher reizvoll. Allein die Architekturskizzen zum geplanten Zentrum in der Studie wirken so monumental, als solle auf dem Berliner Stasigelände der Palast der Republik neu erfunden werden. Und das zu Lasten von Stasi-Bestandsimmobilien, auferstanden aus den Stasi-Ruinen sozusagen. Nein, ein Mausoleum sollte es nicht werden. Less wäre more.

 

1 Der Berliner Landesbeauftragte behauptete Anfang 2023 in einer Pressemitteilung die Vorsitzende des Kulturausschusses, Kathin Budde haber erklärt, dass der Bundestag eine Beschluss zum Forum für Opposition und Widerstand gefällt haber. Auf Nachfrage ließ Frau Budde erklären, "das Bekenntnis des Bundestags zum Forum Opposition und Widerstand" fände sich im Beschluss vom 04.06.2019 "30 Jahre Friedliche Revolution". Dieser Beschluss enthält aber keinen Bezug auf das "Forum"-Konzept und die Havemanngesellschaft ist nur im Zusammenhang mit einer Ausstellung und einem Zeitzeugenarchiv erwähnt. S. Auszug aus dem Bt-Beschluss.