Editorial

Auch nach bald 4 Jahren Krieg wechselt derzeit fast täglich die Perspektive. Das liegt sicher auch an der Art, wie Nachrichten geschrieben und vermittelt werden. Mal scheint Russland im Donbas den finalen Durchbruch zu erzielen, mal schädigen ukrainische Drohnen russische Energieanlagen derart, dass der baldige Zusammenbruch der Petroindustrie prognostiziert wird. Der Blick auf die internationale Lage macht es keineswegs einfacher, da neben Putin nun auch im Westen ein Unberechenbarer die immer noch größte Militärmacht der Welt regiert.

In solchen Zeiten ist es schwierig einen thematisch gebündelten Schwerpunkt zu generieren. Als wir mit diesem begannen, war nicht klar, ob es dem amerikanischen Präsidenten gelingen würde beide Seiten in einen Kompromiss zu drängen- und sei es mit massiven Zugeständnissen der Ukraine. Das hat uns zu der polemischen Erinnerung an 1938 auf dem Titelbild veranlasst. Damals dachten Großbritannien und Frankreich bei der Münchner Konferenz einen Diktator durch Zugeständnisse besänftigen zu können. Das Ergebnis kennen wir. Wollte Trump diese Geschichte widerholen?

Kaum nahm das Titelbild Gestalt an, meinte unsere Graphikerin, das passt jetzt doch gar nicht mehr. Inzwischen hatte Putin nämich Trump nach dem Treffen in Alaska die Nase gedreht, und versucht jetzt mit Drohnenschwärmen bisher ungekannten Ausmaßes die Ukrainer zu demoralisieren und deren Infrastruktur und Armee auszuschalten. Innerhalb von eineinhalb Jahren  hat sich die Zahl der Drohnen pro Angriff zehn- bis -zwanzigfach vergrößert. Und auch wenn Putin Trump mit seiner Verhandlungsabsage derart verärgert hat, dass die USA und Europa wieder stärker zusammengerückt sind, auch Putin hat sich in Shanghai mit China, Nordkorea, Indien, u.a. untergehakt. Also haben wir über ein anderes Cover nachgedacht. Drohnenschwärme? Die bösen Buben von Shanghai?

Dann kam die nächste Verhanldungsankündigung von Trump. Und egal, ob sie diesmal länger als 24 Stunden hält, wir haben beschlossen, es bei dem alten Titel zu belassen. Denn letztlich geht es um strategische, mittel- und langristige Fragen und nicht um Tagespolitik. Und die Variante land for peace ist ja noch nicht endgültig vom Tisch. Unser Titel ist eine Breitseite gegen derart naive Verhandlungen, wie sie Trump anfangs favorisierte. D.h. heißt aber nicht, dass gar nicht gesprochen wird, z.B. über Feuerpausen und Gefangenen-/Totenaustausch; das heiß auch nicht, dass wir gegen Verhandlungen generell sind. Irgendwann muss immer geredet werden, und es ist sicher sinnvoll schon vorher bestimmte Kanäle zu testen.  Es ist ein kompliziertes Feld, wo die Grenze zwischen Fahrlässigkeit und Verweigerung liegt.

Die Lage ist zwar nicht vollkommen unübersichtlich, aber doch so schwer einzuschätzen, dass uns diesmal mehrere Autoren abgesagt haben, weil sie die neuesten Entwicklung noch nicht bearbeitet haben. Und manche haben sich schon vorher entschuldigt, dass die Ereignisse den Text überholen könnten. Dies vorhergeschickt, hoffen wir doch Autoren gewonnen zu haben, die helfen, die momentane Lage besser einzuschätzen.

Obwohl wir bei der Waffenhilfe immer eindeutig für die Unterstützung der Ukraine geworben haben, haben wir dieses Thema kontrovers besetzt. (Klotzeck, Mülder) Es ist schwer einsehbar, dass ehemalige Mitglieder der DDR-Friedenbewegung bis gestern noch als vorbildhaft „verkauft“ worden sind und heute, wo sie die Rüstungsspirale kritisieren, quasi verteufelt werden. Zum zweiten tun sich  ja gerade in Ostdeutschland viele schwer, mit diesem Thema. Und wenn dies nicht aus unehrenhaften Motiven heraus geschieht, scheint es sinnvoll, weiter im Gespräch zu bleiben, statt die Spaltung der Gesellschaft weiter voranzutreiben. Die Vorbehalte mögen auch daher rühren, dass die Unterstützer der Ukraine, die Bundesregierungen eingeschlossen, nicht wirklich darlegen können, wie der Konflikt enden könnte. Die Verhandlungsversuche und -Absagen sind schwer durchschaubar. Simon Schlegel versucht, die möglichen Schritte zu einer Verhandlungslösung zu ordnen.

H-und-G.info ist mit innenpolitischen Themen gestartet. Der Ukraine-Krieg hat uns quasi aufgezwungen, uns auch mit außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu beschäftigen. Irgendwie ist Kerneuropa ja eingezwängt zwischen inzwischen zwei Systemen, die sich auch noch verändern. Die Analyse der USA (Stein) scheint derzeit ebenso schwierig, wie die Russlands (Umland). Der Westen hat seit 2022 vor allem auf die militärische Unterstützung der Ukraine gesetzt, sich selber aber auf softpower, Diplomatie, und v.a. Sanktionen beschränkt. Das war offenbar nicht so erfolgreich, wie erwartet. In letzter Zeit nehmen Russlands wirtschaftliche Schwierigkeiten zu, allerdings nicht nur auf Grund von Sanktionen (von Soest).

Die Sicht auf die Lage in der Ukraine ist sicher lückenhaft. Wir haben uns auf einige Schlaglichter beschränkt. Der Verteidigungskampf gilt nivht nur der nationalen Eigenständigkeit, sondern auch der Demokratie. Paradoxerweise ist es gerade dieser Kampf, der derzeit der ukranischen Demokratie Grenzen setzt (Klein).

Ein Autor, der täglich die Kriegslage beobachtet (Mitrokhin), versucht uns ein Bild der militärischen Lage zu geben. Es wurde immer prognostiziert, dass ukrainische Partisanen den russischen Besatzern zusetzen würden. Wie stark die Partisantenbewegung ist, ist naturgemäß schwierig zu analysieren (von Twickel). Zwei Deutsche, die seit Längerem in der Ukraine leben, haben wir um ihre Einschätzung des Lebens unter Kriegsbedingungen gebeten (Drescher, Brummer).

Einen Blick auf schwere Menschenrechtsverletzungen werfen Vera Ammer (Verschleppung ua Kinder in den besetzten Gebieten) und Sarah Reinke (die Lage der Krimtartaren). Auch wenn sie sich nicht gegen dMenschen direkt richten, sind Kunstraub und -zerstörungen (Silina) ein Anschlag auf die Identität der Ukrainer.

Neuerdings wird sogar in deutschen Fernsehsendungen über die Möglichkeit diskutiert, dass sich der Ukraine-Krieg auf Nato-Staaten ausweiten könnte. Putin provoziert an den Ostgrenzen des Bündnisses mit Fluggeräten und Schiffen. Das gerade abgeschlossene Manöver in Belarus an der Grenze zu Litauen und Polen weckt böse Assoziationen zur Invasion 2022, auch wenn die Zahl der Soldaten das nicht wirklich hergibt. Möglicherweise will Putin militärische Kräfte des Westens binden. Oder er schafft durch Scharmützel mit der Nato ein neues Narrativ. Denn der Ukraine-Krieg wird zunehmend für  die russische Bevölkerung spürbar. Dass es gegen die Ukraine geht, reicht als Begründung kaum noch. Die Mär von einem großen vaterländischen Kampf gegen den Westen könnte vielleicht noch überzeugen.

Seismographen für das Verhältnis Russlands zu den Natostaaten sind die unmittelbaren Anrainerstaaten. Die einen -wie im Baltikum-warnen (Froehly), andere passen sich wie Ungarn, die Solwakei und demnächst vermutlich Tschechien an (Ungvary), wieder andere sind zerrissen. Russlands Bündnispartner Belarus überraschte kurz vor dem Manöver mit Putin durch eine Goodwillgeste und entließ Oppositionelle aus der Haft, aber nur vergleichsweise wenige (Petz).

Die Hilfsbereitschaft für die UA in Deutschland war und ist enorm. Auch wenn sie nachgelassen hat, leisten gerade NGOs einen wichtigen Beitrag zur Integration von Flüchtlingen und Überlebenshilfe in der Ukraine selbst (Drescher). Die Bundesregierung bereitet sich mit anderen Staaten schon jetzt auf die Frage vor, wie der Aufbau der Ukraine zu organisieren ist.??? Die Federführung liegt bei der Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Wir danken allen Autoren und Frau Gerlant als Redakteurin und Katarina Kosak als Graphikerin

Christian Booß/Martin Böttger, Herausgeber