Sanktionen auch für Belarus

Interview von H-und-G.info mit Markus Meckel

5./6.3.2022

Meckel (SPD) war der letzte Außenminister der DDR, später Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Von Dezember 2019 bis zu seinem Rücktritt in 2021 war er Vorsitzender der Deutsch-belarussischen Gesellschaft (dbg). 

Interview:

HuG: Wie konnte es zu der Eskalation in der Ukraine kommen?

Das ist ein breites Feld. Putin erkennt die Ukraine nicht als eigenes Volk an und leugnet ihr Recht auf Unabhängigkeit. Er will sie, wie sich jetzt zeigt, zur Not mit Gewalt unter seine Herrschaft zwingen. Dazu kommt der Wille der Ukrainer, in Freiheit und Demokratie zu leben und sich der EU anzunähern, letztlich auch Mitglied zu werden.

Solchen Freiheitswillen sieht Putin als Gefahr an. Ich fühle mich erinnert an die Situation in der DDR und Polen 1980 nach der Gründung von Solidarnosc. Damals schloss die DDR die Grenzen nach Polen und versuchte, alle Kontakte zu unterbinden, um den Bazillus der Freiheit nicht überspringen zu lassen. Doch wir wissen – das hat letztlich nichts genutzt.

Es war von Anfang an klar, dass der Westen auf die Forderungen von Wladimir Putin nicht eingehen kann, weil sie dem Völkerrecht widersprechen. Jeder Staat hat das Recht, sein Bündnis zu wählen. Dies wurde 1990 von Gorbatschow anerkannt und so wurde es auch zur Grundlage der deutschen Vereinigung. Was wir jetzt erleben, ist faktisch eine Invasion, ein Angriffskrieg.

HuG: Hat der Westen nicht auf Fehler gemacht? Auch wenn die Natoerweitung nicht vertraglich fixiert war, die russischen Verhandler haben auf Worte vertraut.

Nein, jedenfalls nicht im Sinne der russischen Vorwürfe. Russland wurde weder eingekreist noch bedroht. Was wir erleben, ist ein Trauma von Herrn Putin, der die Souveränität der Nachbarn nicht anerkennt. Dem müssen wir widerstehen. Im Rahmen der Zwei-plus-vier-Gespräche zur Vorbereitung der Wiedervereinigung hat es keine solche Zusage gegeben, auch wenn das immer wieder behauptet wird. Es hat Aussagen einzelner westlicher Politiker gegeben; das zeigen Dokumente. Allerdings hatte Michail Gorbatschow schon 1988 in seiner Rede vor der UNO internationales Recht anerkannt und sich zu den Menschenrechten bekannt.

HuG: Haben die USA nicht einen Fehler gemacht, die Atommacht Russland zur Mittelmacht runterzureden?

 Ob das politisch klug war, sei dahingestellt. Analytisch ist es richtig. Es kann jedenfalls kein Grund sein, sich wie ein Imperator zu verhalten, der den Nachbarländern die volle Souveränität verweigert.

HuG: Ist die Reaktion des Westens, der Bundesregierung adäquat?

Es war richtig, dass die Bundesregierung sagte, dass Nord Stream 2 keine Zukunft haben werde. Diese Aussage kam ja leider nicht sofort, sondern recht spät! Gut war, dass die Bundesregierung dann doch die Kurve gekriegt hat und sich voll und ganz zur klaren Linie des Westens, der EU und der USA, bekannte. So war es richtig, dass die Bundesregierung zusammen mit der EU diese scharfen Sanktionen beschlossen hat, bis hin zur teilweisen Swift-Abschaltung und zu deutlichen Signalen, wasdie Stärkung der Bundeswehr betrifft. Es wird abzuwarten sein, wie Putin weiter agiert. Die Geschlossenheit des Westens ist jedenfalls beachtlich.

Wir müssen langfristiger darüber nachdenken, wie wir die angegriffene Ukraine unterstützen können.

HuG: wie?

Mit anderen habe ich schon lange gefordert, dass die Ukraine (wie auch Georgien und Moldau) als Kandidaten für die EU-Mitgliedschaft anerkannt werden. Es ist gut, dass es jetzt offensichtlich die Bereitschaft dazu gibt. Ich habe es schon 2011 für einen Fehler gehalten, dass die EU so lange gezögert hat, den Assoziierungsvertrag mit der Ukraine zu unterschreiben, obwohl er schon ausgehandelt war. Grund war damals die Haft von Julia Timoschenko. Das lange Zögern hat dazu geführt, dass Putin Gelegenheit gelassen wurde, diesen zu hintertreiben, mit allen schlimmen Folgen 2012/2013.
 

HuG: Sie finden es richtig, dass Waffen geschickt werden., liegt darin nicht ein Eskalationsrisiko?

Ja, ich halte hier Waffenlieferungen für gerechtfertigt. Wie könnten wir zusehen, dass Russland die Ukraine zusammenschießt, ohne dass sie sich wehren können. Im Kosovo sind wir 1999 als Nato eingeschritten, als Milosevic die Kosovaren überfiel und sich anschickte, sie aus ihren angestammten Gebieten zu vertreiben. Da Russland eine Atommacht ist und Putin droht, auch Nuklearwaffen einzusetzen, ist es hier und heute nicht möglich, dass wir uns selbst daran beteiligen, die Ukraine zu verteidigen – und es bricht einem das Herz, diesem Krieg und Putins Treiben zuzuschauen und so hilflos zu sein…So sind diese Waffenlieferungen das Mindeste – und natürlich die Hilfe für alle Flüchtenden. Ich bin froh, dass die Nachbarländer und auch wir in Deutschland, hier so aktiv sind und die EU das unterstützt.

HuG: Wie schätzen Sie das Verhalten von Belarus ein? Sind da auch Sanktionen fällig.

Ja, auch Lukaschenka muss in das Sanktionsregime einbezogen werden.
 

HuG: Haben Sie den Vorschlag für eine Exitstrategie? Könnte, wenn man seinem Engagement in Russland etwas abgewinnen will, Gerhard Schröder eine Vermittlungsrolle spielen?

Das glaube ich nicht. Gerhard Schröder hat durch sein Verhalten in der EU alle Glaubwürdigkeit verloren. Wenn der Westen nach einem Vermittler sucht, wäre wohl Angela Merkel die geeignete Person. Im Augenblick sehe ich jedoch nicht, dass Putin bereit ist, sich aus der Ukraine wieder zurückzuziehen – und das muss ja das Ziel sein.

HuG: Wird es Rückwirkungen des Krieges in Russland geben?

Ja, natürlich. Denn Putin wird Schwierigkeiten haben, der eigenen Bevölkerung ein weiteres militärisches Vorgehen zu vermitteln. Das ist ein Unterschied zur Annexion der Krim 2014. Wir müssen im Blick behalten, dass Russland nicht nur außenpolitisch aggressiv agiert, sondern auch zunehmend Druck auf die russische Zivilgesellschaft ausübt – etwa auf die Menschenrechtsorganisation Memorial, die verboten wurde, oder auf Alexej Nawalny, der in einem Straflager sitzt oder gegen die letzten unabhängigen Medien. Wir müssen diese Zivilgesellschaft unterstützen. Wenn ihre Mitglieder nicht mehr in Russland bleiben können, müssen wir sie retten, indem wir ihnen Exil anbieten.

HuG: Russland wird also ein anderes werden?

Ganz gewiss – dieser Krieg hat Russland und seine Stellung in dieser Welt grundsätzlich verändert. Die Resolution der UN-Vollversammlung macht das sehr deutlich. Doch wird es zentral sein, auch in Zukunft Putin und die Führung vom russischen Volk zu unterscheiden. Wir sind nicht gegen die Russen – sie selbst sind ja die ersten Opfer dieses Präsidenten, der ihre Zukunft verbaut.

Das Interview führte Christian Booß für H-und-G.info