Sind deutsche Politiker mit Stasi-Wissen von Putin erpressbar?

Von Christian Booß Stand  10.7.2022

Dieser Tage haben die sogenannten Putin-Versteher keine guten Karten. Viele Politiker und Journalisten, selbst wenn sie früher auch gegenüber Russland Empathie zeigten, zählen insbesondere Sozialdemokraten an, die sich erst langsam dazu verstanden, Russland in der Ukraine auch militärisch zu antworten. Sie seien Altlinke oder naive Pazifisten, wenn nicht Schlimmeres, die nicht die Notwendigkeit der Wehrhaftigkeit gegenüber dem autoritären Putin gesehen hätten und statt dessen naiv auf Kooperation, auf Wirtschaftskooperation v.a. gesetzt hätten. Hassfigur ist Gerhard Schröder, dem man nicht ohne Grund auch Spaß beim Geldverdienen und daher opportunistische Nachsichtigkeit, wenn nicht sogar Lobbyismus für Putin, unterstellt.

Eine Frage bleibt dabei erstaunlicher Weise draußen vor: Sind deutsche Politiker von Putin erpressbar? Erpressung ist ein klassisches Instrument von Geheimdiensten, Putin hat es von der Pike auf gelernt.

Womöglich hat der Kremlherrscher über dier Jahre mehr Spielmaterial gehabt, als bisher bewusst: Dank der vormaligen KGB-Kollegen in Ostdeutschland: der Stasi. Insbesondere deren Westarbeit war von Anfang an Dienstleister der KGB-Auslandsaufklärung. Ca. 40% der wichtigsten Erkenntnisse der DDR-Auslandsspionage unter dem legendären Markus Wolff und seinem weniger bekannten, kürzlich verstorbenen Nachfolger, Werner Grossmann, wurden nach Karlshorst, der KGB-Residentur in Ostberlin, weitergeleitet. Das ist an Hand der Stasiakten heute gut nachweisbar.

Vernachlässigt wurde in der Forschung ein anderer Zweig der Westarbeit des MfS: Die Funk- und Telefonüberwachung. Die sogenannte HA III unter ihrem legendären Leiter, Horst Männichen, war technisch deutlich entwickelter und effektiver als es der Westen der DDR vor dem Mauerfall zugetraut hätte. Entsprechend nachlässig wurde noch in den 1980er Jahren gefunkt, telefoniert, telegraphiert, getelext. Besonders anfällig waren Autotelefone und Telefon-Richtfunkstrecken. Selbst der BND machte sich offenbar kaum Mühe, seine interne Kommunikation zu verschlüsseln. Politiker und Wirtschaftsbosse plauderten ungeniert am Autotelefon, das damals, weil teuer, meist noch ein Privileg für die Reichen und Mächtigen war. Doch auch die Bundeswehr tätigte Militärbestellungen über ungeschützte Leitungen. Alles was in Bonn, der damaligen Regierungszentrale wichtig war, wurde ohnehin über Funkstrecke nach Berlin weitergeleitet, wo es eine Bundesrepräsentanz angesiedelt war.

Überall dort hatten die Leute von Männichen Ihr elektronisches Ohr drin. Neben militärischen, wirtschaftlichen, politischen und Informationen über die Gegenspionageaktivitäten des Westens interessierten sie Kompromate:[1] Das sind menschliche Schwächen, deren Kenntnis in falschen Händen dazu dienen konnte, Mitglieder der westdeutschen Eliten gefügig zu machen. Von Interesse waren sexuelle, nicht der damaligen gesellschaftlichen Norm entsprechende Verhaltensweisen, Verschuldung, Drogen- und Alkoholabusus, Geldprobleme, Straftaten, usw.,usw.. Das geht aus den Kriterien hervor, die die Stasi als wichtige Abhörziele in den 1980er Jahren definierte. Nicht nur, dass die Stasi das sammelte und Erkenntnisse zu Kompromaten speziell auswertete, wichtige Erkenntnisse gab sie auch an den großen Bruder, den KGB weiter. Das bestätigen ein Stasi-Zeitzeuge und schriftliche Stasi-Quellen. Über Politiker wie Björn Engholm und Jochen Vogel sammelte die Stasi nachweislich Informationen, die aus Funksprüchen bzw. Telefonaten stammten.

 as genau über wen gesammelt und an die „Freunde“ (Stasi-Jargon für KGBisten) weitergegeben wurde, ist bis heute nicht erforscht. Der letzte Stasi-Aktenbeauftragte, Roland Jahn, wollte aus Datenschutzgründen solche Recherchen in den Stasiabhörprotokollen nicht haben, die aus Stasi-Zeiten übrig geblieben sind. Diese Protokolle hatte schon 1990 die Regierung Kohl dezimiert. Als die Westpolitiker im noch vor der deutschen Einheit mitbekommen hatten, welch Sprengstoff in den Akten lauerte, versuchten sie ihn zu entschärfen. Laut einem Beschluss der damaligen Innenministerkonferenz waren Stasi-Abhörprotokolle, wenn möglich, einzuziehen und zu vernichten. Dies muss offenbar auch massenhaft geschehen sein, bis der Einigungsvertrag nach Protest der Ostdeutschen eine weitere Aktenvernichtung verbot.

Als um 2000 die Funksprüche dann im Stasiarchiv, damals noch Gauckbehörde, erschlossen waren, und die ersten Protokolle an die Medien gingen, begann Helmut Kohl einen jahrelang währenden Rechtsstreit bis zum höchsten Verwaltungsgericht der Bundesrepublik. Im Ergebnis sind diese Akten der HA III weitgehend zu. Selbst die internen Forscher der Stasibehörde hatten hier nur sehr eingeschränkt Zugang. Insofern ist es bis heute ein Geheimnis, über welche Person aus dem Westen die Stasi und mit ihm der KGB und heute Putin potentiell „nützliches Spielmaterial“ hatte, um sie gewogen zu machen. Das Manöver Kohls dürfte vermutlich vielen Westpolitkern und anderen VIPS den Kopf gerettet haben, über die Verfängliches von der Stasifunkaufklärung aufgeschnappt worden war.

Allerdings hatte diese Selbstrettungsaktion ihren Preis. Bis heute hanen wir nicht, was der KGB-Nachfolger FSB und mit ihm Putin über Westpolitiker wissen. In den Händen eines durchtrainierten Operativoffiziers des KGB, der gelernt hat, sein Gegenüber zu gewinnen und gefügig zu machen, sind derartige Informationen eine Steilvorlage. Die Kenntnis dieser Kompromate würde sicher nicht alle allzu naiven westlichen Anbiederungsversuche der Vergangenheit erklären. In dem einen oder anderen Fall vielleicht jedoch schon.

 

 

 

 

 

 

 


[1] Booss, Christian : Vom Schreiten der kybernetischen Utopie, Göttingen 2017