Neo-KGB-istisches Denken führt in die Sackgasse

Putins politische Paranoia

von Christian Booß

Fassung 13.3.2022

Wenn Putin redet, erscheint die Welt geteilt in schwarz und weiß. Das Übel kommt aus dem Westen, Russland muss sich verteidigen. Ist das nur Propaganda, um die eigenen Leute einzustielen, oder glaubt Putin selber daran? Das zweite wäre schlimmer. Wenn Putin wieder von der Denke gefesselt wäre, die er einst erlernt hat, und die er vielleicht nie wirklich verlassen hat. Es ist eine geheimpolizeiliche Paranoia, die in jeder unangepassten Regung, den Feind wirken sieht, der die eigene Existenz bedroht. Damit lässt sich letztlich alles rechtfertigen. Repression nach innen, Aggression nach außen, erscheint als zwingend notwendige Selbstverteidigung.

Foto: Putin als KGB-Offizier in der DDR, Ausweis zum Betreten von Stasi-Gebäuden

Putin, 1952 geboren, ist in der Sowjetunion nach Stalin aufgewachsen, als sie -auch dank ihrer Atomraketen- an internationalem Gewicht gewann. Dem KGB trat er in den 1970er Jahren bei, als die SU unter Breshnew noch in der Illusion lebte, ihren Einfluss als Global Player auf Grund militärischer Stärke ständig ausweiten zu können. Dass das 1989-1991 alles zusammenbrach, empfand Putin als Katastrophe. Er lastet sie heute dem Versagen kommunistischer Kader an, was ihm erlaubt, sich von den Kommunisten abzusetzen. Damals gehörte er zu den sowjetischen Offizieren, die in der DDR ein relativ privilegiertes Leben führten, um dann Hals über Kopf nach Russland zurückbeordert zu werden, wo sie mit den chaotischen und für diese Schicht als Demütigung empfundenen Jahren unter Jelzin konfrontiert wurden. Den Natoangriff auf Serbien, die Ausweitung von EU und Nato, sah und sieht er als Strategie der USA, Europa zulasten Russlands zu dominieren und zu funktionalisieren. Das ist zwar nicht nur falsch, blendet aber wesentlich Fakten aus: Der Zusammenbruch der Sowjetunion war keineswegs das Werk des Westens, sondern der Nomenklatura mehrerer Teilrepubliken. Last but not least Russlands unter Jelzin. Dadurch entstand ein Machtvakuum in Europa, was keiner vorhergesehen hatte. Und in Jugoslawien herrschte eine ethnische Auslöschungstrategie, der man in Europa kaum schweigend zusehen konnte. Unter Ausblendung solcher und anderer Fakten griff und greift offenbar bei Putin ein Weltbild, das er beim KGB und an dessen Schule von der Pike auf gelernt hat.

Wir kennen zwar Putin Lehrpläne nicht im Detail, aber wie kennen das Denkschema, dass in allen mit Moskau eng verbundenen Geheimpolizeien vorherrschte. An dieser Stelle ein Blick auf den KGB-Bruder, Erich Mielke, geworfen. Der Stasi-Chef hat zahlreiche Reden vor seinen Leuten gehalten, die heute, in Text und Ton erhalten, einen guten Einblick in die Denkweise eines kommunistischen Geheimpolizisten geben. Die meisten Reden beginnt Mielke mit einer Analyse der politischen Großwetterlage. Der Imperialismus trachtet danach, den Sozialismus zu schädigen, zu schwächen, wenn nicht gar zu vernichten. In manchen Phase wurde auch unterstellt, dass ein Aufstand oder ein Krieg von außen angestrengt werden sollte. Wozu natürlich Verbündete im Inneren der DDR, „Agenten“ angeheuert würden. Im Laufe der oft mehrstündigen Reden kam Mielke dann auf die feindlichen Kräfte in der DDR zu sprechen. Ob und wie gefährlich die oft kleinen und wenig bedeutenden Grüppchen wirklich für die DDR waren, spielte bei der Anlage der Rede eigentlich kaum eine Rolle. Sie reihten sich in dieser Perzeption in die Strategie des Feindes ein. Jede Ökogruppe stand somit mehr oder minder im Verdacht, aus der CIA-Zentrale in Langley gesteuert zu sein, um die DDR und ihre Verbündeten in die Knie zu zwischen. Belege waren dünn, mal reichte der Kontakt zu bestimmten missliebigen Personen wie Jürgen Fuchs oder das vermeintliche Hören des westberliner amerikanischen Senders RIAS, mal war gar kein Beleg nötig. Es war typisch für die politisch paranoide Gedankenwelt eines solchen kommunistischen Geheimdienstlers, dass er manche Fakten überdramatisierte, keine anderen Ursachen anerkannte, als die, die seiner Vorstellung und seinen Vorurteilen entsprachen. So scheint es auch heute bei Putin. Was in das Schema nicht hineinpasst, wird fallengelassen. Nicht die kühle Analyse von Fakten, sondern die Theorie einer Verschwörung dominiert. Putin war in einer Zeit beim KGB tätig, als dieser davon ausging Reagan plane mit seiner Hochrüstung einen Angriffskrieg, den berüchtigten Erstschlag. Ein Beleg dafür wurde bis heute nicht gefunden, weil es solche Pläne nicht gab. Dennoch war die Suche nach einem solchen Beweis über Jahre eines der wichtigsten Rechercheziele der kommunistischen Auslandsaufklärung, der auch Putin angehörte. Glaubt er heute noch daran, dass die Nato Russland angreifen möchte? Manchmal klingt es jedenfalls so.

Was man bei Mielke studieren kann, feiert im Reich Putins offenbar Auferstehung. Nur, dass der kommunistische Internationalismus, der die „brüderliche“ Hilfe für Satellitenstaaten einschloss, wurde nun durch einen großrussischen Nationalismus ersetzt wird. Die Fehler, die die Boleschwiken -beginnend mit Lenin- und ihre Nachfahren machten, wollen Putin und Co nun durch Neuerrichtung eines russischen Imperiums unter Einschluss von Minsk und Kiew reparieren. Wem das zu weit hergeholt ist, lese eine aktuelle Meldung über Aussagen des amtierenden Chefs des russischen Auslandsgeheimdienstes, Sergej Naryschkin. Dieser wirft den USA vor, sie wollten Russland „zerstören“, seine „Annulierung“. Der Chef des SWR, der die Nachfolge der I. Hauptabteilung des KGB angetreten hat, in der Putin einst seinen Dienst begann, tut nicht das, was man von einem Auslandsnachrichtendienst erwarten sollte. Naryschkin analysiert nicht, er phantasiert. Wenn er den USA oder zumindest manchen in der US-Administration bescheinigen würde, dass diese Russland einhegen, seine Macht begrenzen wollen, fände er sicher ausreichend Belegstellen in Reden, Zeitungen und aus geheimen Quellen. Aber welcher ernst zu nehmende US-Amerikanische Politiker soll die Strategie verfolgen, das atomar hochgerüstete Russland zu zerstören? Bestenfalls wäre das noch Ideologie, um zu kaschieren, dass die jetzigen Sanktionen eine Reaktion auf Putins Aggression in der Ukraine ist. Diesen Fakt blendet Naryschkin jedoch aus. Und es steht zu befürchten, dass auch er nicht einfach den russischen Bürger täuschen möchte, sondern diesen Unsinn auch wirklich glaubt. Der Petersburger Naryschkin ist ungefähr so alt wie Putin. Auch wenn die ehemalige KGB-Zugehörigkeit des ehemaligen Ingenieurs nicht gesichert sind, gibt es doch viele Parallelen zur Biographie des heutigen Präsidenten.

 

Putin ist auch mentalitätsmäßig durch seine Herkunft geprägt. Ursprünglich sollte er für den KGB in den Auslandseinsatz gehen. Solche Agenten sind gewöhnlich darauf trainiert, ihr Ziel hartnäckig und notfalls rücksichtslos zu verfolgen, sich durch nicht und niemanden davon abbringen zu lassen. Solche Persönlichkeiten sind nicht für die Demokratie prädestiniert, sie sind im Gegenteil lupenreine Einzelkämpfer. Putin war schließlich in der DDR als operativer KGB-Mitarbeiter eingesetzt, was, soweit man weiß, die Anwerbung und das Führen von Agenten einschloss. Agentenwerber erkunden eventuelle Gemeinsamkeiten oder Schwächen des Gegenüber, um ein scheinbares Einvernehmen zu erzeugen, letztlich aber die eigenen Ziele skrupellos zu verfolgen. Solche Menschen pflegen keine Männerfreundschaften, auch wenn sich ein Gerhard Schröder offenbar solche Illusionen macht, sie nutzen solche Illusionen aus. So gesehen verwundert weder, dass es Putin über Jahre gelungen ist, Gesprächspartner einzulullen und gleichzeitig seine Ziele brutal zu verfolgen.

Die Gefährlichkeit der jetzigen Lage besteht jedoch weniger darin, dass Putin und seine Entourage die eigene Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft anlügt. Schlimmer wäre es, wenn Putin an seine Aussagen glaubt und keiner in seiner Umgebung es anders sieht und er ohnehin keine andere Meinung mehr hören will. Die Pseudoanalyse, dass Russland (und mit ihm seine Macht-Elite) existenziell bedroht sei, kennt keinen Kompromiss, keine Exitstrategie, sie geht bis zum Äußersten.